Felix Dahn
Sigwalt und Sigridh
Felix Dahn

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II.

Zwanzig Winter waren vergangen.

Der linde Lenz war gelandet auf dem Eiland der Angelsachsen. Auch in den Königsgauen von Kent. Lieblich blaute dort an der Ostküste das Meer um die vorspringenden Landspitzen und kleinen Eilande, kleine rosig behauchte Wolken zogen über den hellen Himmel hin bei lauem Südwest: in Blust und Blüte stand Weißdorn und Rotdorn: um die stark duftenden Dolden flogen emsig die Bienen.

An den feinen weißen Sand des Strandes spülten sanft die Wellen des leise atmenden Meeres: Sehnsucht weckte die sanfte Bewegung, unbestimmte, in die Ferne hin wünschende, hoffende Sehnsucht. Sie flutete auch in den Träumen des Jünglings, der, den Rücken an die steil aufsteigende Dünenwand gelehnt, hinaus schaute in die unabsehbare See, aus der die Morgensonne, die Nebel wie mit goldnen Wurflanzen vor sich niederstrahlend, sieghaft aufstieg wie ein junger Held.

»Soll ich dich freudig grüßen, neuer Tag?« sprach der Träumer leise vor sich hin. »Warum freudig? Ich habe keinen Grund zur Freude. – Oh, das war ein undankbar Wort. Hörten's König Hengist und die Thane und Hallgenossen und – nun, und andere! – mit Recht würden sie dem Unzufriedenen grollen, an dem sie Gutes getan – nur Gutes! – diese zwei Jahrzehnte. – –

Wenn ich's gedenke! Ein zarter Knabe war ich – in einem bäumereichen Anger – nah einem stolzen Königshaus – war ich eingeschlafen auf blumiger Wiese. Wie im Traum war mir, als würd' ich aufgehoben und davongetragen von einem Gewaltigen in faltigem, langwallendem Mantel über Wälder und Felsen und Meereswogen dahin. Als ich erwachte, saß ich in fackelheller Halle auf eines hohen Mannes Schoß: ringsum standen und staunten seine Thane. ›Heil!‹ riefen sie. ›König Hengist! Das war Wodan, deiner Sippe Ahnherr selbst, der urplötzlich hier vor deinem Hochsitz stand: – nicht hatten die scharfen Torhunde angeschlagen! – in Hut und Mantel und dir den schlafenden Knaben auf den Schoß setzte, den Finger mahnend hob und aus der aufgesprungenen Türe wieder verschwand wie ein dunkelblauer Rauch.‹

›Ja,‹ sprach der gute König. ›Das war Wodan. Und mein Schoßsohn soll der fremde Knabe sein, da mir meine Königin nur eine Tochter gebar, bevor sie starb. Aber wer mag er sein? Wie mag er heißen? Da, schaut auf der Silberspange an seinem Arm, die Runen: »Sigwalt Odinsfreund! – Reich lohnt Odin treue Freundschaft.« – Aus Norland stammt er: Odin sagen sie dort für Wodan.‹

Da, deutlich zeigt es heute noch die breite Spange. – Und wie einen Sohn wahrlich hat alle Zeit der greise König mich gehalten. Und seine Thane. Und Guntfride, seine Tochter, das viel gute Kind: zur Schwester hat ihre Güte sie mir gemacht. Und Waffen eigne ich, Ringe und Rosse und breite Weizenäcker in drei Shiren: neben dem König sitz' ich in der Halle, manchen Sieg erfocht ich ihm über die schlimm heerenden Wikinger aus Seeland: schon rühmen Harfen-Skalden mein rasches Schwert . . .!

Und doch!

Unfroh schlägt mir, leer, unausgefüllt das junge Herz in der Brust. Und ein Fremdling bin ich im Lande.

Jüngst sah ich am Ufer des raschen Midway einen stattlichen jungen Baum, eine freudige Buche: mit allen Wurzeln hatte die Überflutung ihn losgerissen von der nährenden Scholle der Heimat und ihn fortgetragen im Braus: nun lag er am Sande: die fröhlichen grünen Zweige welkten gelb: er konnte nicht Wurzel fassen in der Fremde: so starb er hin! –

Und so zehrt an mir ein seltsam Weh. Ist's Heimweh? Oft zeigt mir ein Gott im Traum ein fernes Land, mit hohen Eisbergen, mit rauschenden Fjorden – einen Baumanger, darüber ragend ein altes Königshaus – wie ich's in Kindheit-Tagen um mich gesehn – mein Land, mein Vaterhaus! Aber fremde, feindliche Männer schalten darin. Dorthin zieht mich der Seele Drang. Dorthin gehör' ich nach Pflicht und Recht! –

Und auch da drinnen tief in der Brust – da klafft schmerzend eine Leere. Nicht der milde König, nicht die Hallgenossen, nicht das holde Kind füllen sie und stillen das Sehnen. Ach, ein Andres begehr' ich so heiß! Allein was? Wen? Wohin zielt dies Sehnen? Alles liegt mir verhüllt: – verschleiert wie die ferne See dort von weißem, flirrendem, wogendem Nebel! – –

Aber halt! Was seh ich? Was taucht auf über jenem Nebeldunst, hoch, hoch ob der Seeflut? In den Lüften des Himmels! Eilend jagt es heran, unhörbar die zergleitenden Wolken zerteilend! Ein eisengrau Roß! Darauf ein Weib! Eine rasche Reiterin! Wie fließt aus dem Helm ihr das goldene Haar! Wie glänzt ihr die Brünne im Sonnenglast! Sie naht! Schon ist sie da! Schon hält vor mir – im Wasser des Strandes – das schnaubende Roß! Wie zauberschön ist sie! Wer bist du, Jungfrau der Wunder?«

Da lachte sie freudig, die herrliche Maid und bog sich zu ihm herab, den Hals dem Rosse klopfend: »Sigridh heiß ich. Siegvaters Tochter rühm' ich mich und seiner Schildjungfrauen jüngste. Heil dir, Sigwalt, mein Gesell! Denn dir zur Gesellin hat mich Siegvater bestellt. Wohl tat er daran: denn du gefällst mir, Siegwalt! Gern werd' ich dir des Sieges walten. Schau dort gen Nordost! Schau scharf! Weichet, ihr Wolken! Siehst du nun? Ein Drachenschiff rauscht heran. Das führt Arn, deines Vaters alter Waffenträger. Er holt dich heim, Herr Jungkönig von Halgaland. Die Zeit ward reif. Der rechte Erbe soll sein Erbe reißen aus böser Nachbarn Gewalt. Wohlauf, zum Kampf, zum Sieg, mein Geselle!«

»Oh halt! Halte noch! Nicht wende das Roß! Nicht enteile schon, du Herrliche! Wo – wo – wann schau ich dich wieder?«

Da sprach die Jungfrau ernst, warnend die Rechte hebend: »Nicht wünsche dir das, mein Geselle. Wann je du mich wieder siehst, droht dir Verderben. – – Ich aber werde dich gar oft schauen, aus den Wolken herab, und dieser Schild wird oft dich beschirmen. Du jedoch – wünsche dir nicht, Sigridh wieder zu schauen! Und gelobe zu schweigen von dieser Begegnung.«

»Ich gelob' es – bei deinen wunderbaren Augen.«

Sie nickte lächelnd und schon verschwanden Roß und Reiterin im sonnendurchflimmerten Nebel hoch in den Lüften.



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