Felix Dahn
Sigwalt und Sigridh
Felix Dahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

König Hengist im grauen Bart saß auf dem Hochsitz in seiner reichen Halle, um ihn her seine Gefolgen, seine Schildgenossen, ihm zunächst die tapfersten, treusten. Unter ihnen eilten hin und her mit hochgehenkelten Krügen voll Metes und Äles weißarmige Maide. Und nicht verschmähte es ihre Herrin, des Herrschers junge Tochter, aus goldenem Krug den Geehrtesten der Thane die versilberten Hörner zu füllen. So tat sie auch Sigwalt und den drei vor kurzem gelandeten Gästen, die, in voller Rüstung seefährtiger Männer, neben ihm an einer runden Tafel unterhalb der Stufen des Hochstuhls saßen. Zögernd, traurig ruhte dabei der Blick der sanften dunkelbraunen Augen auf dem Jüngling.

Der sah es nicht: ein freudiges, ein strahlendes Lächeln spielte um die halbgeöffneten Lippen, auf denen der blonde Flaumbart sproßte; die blitzenden grauen Augen hingen an dem Mund des Königs, der nun das hohe Wisenthorn zur Seite schob und begann: »Selten schreitet Frau Saelde unbegleitet über der Erden-Männer Schwelle: ein Schatte folgt ihrem Leuchten. So kam auch in diese Halle Freude geschritten, Hand in Hand mit ihrem Zwillingsbruder, Schmerz. Freude muß es ja sein jung Sigwalts Freunden, daß ihn eine Zaubertat Wodans . . . . ich kann es kaum glauben, konnte es nicht ganz verstehn! Berichte genauer, Arn, Arnsteins Sohn! Wohl kannt' ich dich schon vor vielen Wintern als wahrhaft und treu, König Sigwins Schildträger, als wir alle drei noch in braunen Haaren gingen. Darum glaub' ich deinem Wort, auch was nicht glatt zu glauben. Sprich, wie war es doch?«

Der Alte hob sich vom fellbedeckten Sitz zur Rechten Sigwalts, neigte sich dem König und, indem er fast zärtlich die Linke auf des Jünglings Schulter legte, hob er an: »Reichen Dank schulden wir alle dir, wir Männer aus Halgaland, milder König, für alle die Milde, die du unsrem Jungkönig getan hast immerdar: der Dank fliege – wie eine weiße Taube – meinen Worten voraus. Nun hört, was wundersam, aber wahr.

Ihr habt wohl durch fahrende Skalden, auch durch eure Kaufschiffe etwa, die nicht selten in unsre Fjorde einsegeln, reichere Güter als unser rauheres Land eignet, uns zu bringen, – ihr habt wohl vernommen, was bald nach unsres teuren Herrn Fall geschah. Ich und mein Bruder Arnstein hier und mein Neffe Arngrimr, Arngers Sohn, sind die einzigen aus seinen Gefolgen, die ihn überlebten: denn wir weilten damals zu Lethra ans Seeland bei dem Dänenkönig als seine Boten. Als wir heimkehrten, fanden wir herrschend in der Halle zu Halga-Björg Swen, Jarl in Hardaland, einen fernversippten Vetter unsres Königshauses. Der war auf das erste Gerücht von jenem blutigen Tag herbeigeeilt in das verwaiste, das meisterlose, unverteidigte Land: denn die Wikinger waren hurtig wieder abgesegelt, nachdem sie ihren reichen Raub auf die Drachen geschleppt. Swen aber, der Finstere, hätte wohl auch des Königknaben, des echten Erben, nicht geschont, fand er ihn in der leeren Halle! Aber der geplante Mord des Gesippen blieb ihm erspart: denn wie durch Zauber war das Kind entrückt aus dem wohl umhegten Obstanger, in dessen Rasen schlummernd es die Wärterin verlassen.

Jarl Swen griff nach dem entsunkenen Königsstab: seine mitgebrachten Gauleute – die landfremden! – erzwangen seine Wahl. Vergebens eiferten wir drei und unsre Gesippen gegen den Anmaßer: wir forderten, der solle nur als Muntwalt des Königsknaben der Herrschaft einstweilen walten! – Denn wir gaben die Hoffnung nicht auf, den Verschollenen wiederzufinden. Aber der Schwarzlockige lachte: ›Tot ist der Nestling des alten Adlers! Wünscht nicht, mir ihn lebend zu bringen! Oder vielmehr den, welchen ihr für ihn ausgebt: wenige Atemzüge hätte er dann noch zu leben.‹

Wir aber verzagten nicht: wir vermuteten, die Wikinger hätten ihn gefunden und mit den andern Ergriffenen fortgeführt: freilich sollte er ja schon am Abend verschwunden sein, noch bevor in der Nacht die Räuber die Halle erreichten: allein wir hofften gegen die Hoffnung und unermüdlich zogen wir aus jedes Frühjahr, sobald die Fjorde eisfrei geworden, und forschten und suchten in jener Wikinge Heimat – in Svearike – und sonst an allen Küsten Nordlands, ja auch Sachslands und sogar Francias nach dem Verschwundenen: auch in mancher Hafenstadt eures weltfernen Eilands: alles vergeblich!

Als wir aber wieder einmal heimgekehrt waren aus dem fundlosen Suchen, da empfing uns in allen Hallen, Höfen und Hütten verzweifelndes Klagen über des Gewaltherrn grausam hartes Walten. Von Winter zu Winter trieb er's ärger! Nicht als ein König herrschte er, der doch nur um seines Volkes willen waltet über uns freie Nordleute: nein, sein Wille – laut sprach er's aus in frevler Überhebung! – sein Königswille sollte oberstes Gesetz sein in seinem Reich. Das aber ist unerhört bei allen Nordleuten, so lange sie schreiten auf der Männer-Erde! Und er ließ es nicht bei dem frevlen Wort rechtlosen, maßlosen, ruchlosen, wahnsinnigen Königsstolzes: frevle Taten führten es aus. Wer ihm widersprach, war er noch so tapfer im Heerkeil, – noch so weise im Rat, verbannt ward er aus seinem Angesicht! Gewalt-Druck gegen jeden freien Nacken, der sich nicht beugte seinen Königslaunen, füllte das Land. Da beriefen wir Arninge ein All-Land-Ding nach Halgastein an dem Alf-Fjord, zu beraten über den Jammer des Volkes und wie ihm zu helfen sei. Aber der Gewaltherr erfuhr's: mit seinen Gefolgen, den wilden Gesellen aus Hardaland, und mit vielen geworbenen Söldnern, – Wikingern, Landräubern, üblen Zauber-Finnen, – überfiel er uns, sprengte uns auseinander, mordete, wen er erreichte, vertrieb die übrigen aus der Heimat und wütete nun ohne Widerstand wilder als zuvor!«

Da stöhnte jung Sigwalt, die Hand des Alten abschüttelnd und mit der Rechten an die Stirne schlagend: »Und ich saß hier und trank Schoßvaters Met und ließ mein Volk verderben! Aber Geduld, Halgaland! Dein König kommt!« Und zornig schlug er mit geballter Faust auf den Tisch, daß die Hörner und Becher erklirrten.

»Gut gekreischt, junger Adler!« lächelte der Graubart wohlgefällig, »ja, bald sollst du die Fänge brauchen! – Wir drei und wenige Genossen waren den Mordbuben entkommen. Noch einmal begannen wir die hoffnungslose Suche: – diesmal bis Friesland! Vergeblich! Wir ankerten zuletzt vor einem kleinen friesischen Werder. Traurig lagen wir drei eines Nachts auf Deck der kleinen Fischernaue, auf der wir entflohen waren. Es war ein nebelreicher, düsterer Herbsttag gewesen: aber jetzt drang zuweilen der Vollmond durch zerrissen Gewölk, das vor dem Winde trieb: und dann erglänzte unser Schifflein, Mast und Luvsegel silberhell. Zum Tode betrübt sprach ich da zum Bruder: ›Untragbar Hartes legte Odin uns auf. Weder den Königserben läßt er uns finden noch den Machträuber, den Rechtsbrecher stürzen: mit ansehen müssen wir's, wie unser Volk zertreten wird. Ich mag's nicht länger tragen. Ich binde mir den schweren Drei-Anker dort um den Hals und . . .‹ – ›Nicht also, mein Bruder,‹ sprach Arnstein kopfschüttelnd. ›Wohl wollen wir ein Ende machen. Aber nicht hinab zu Ran, in ihr grausiges Netz . . .‹ – ›Und dann gar nach Hel,‹ rief mein Neffe, dieser Arngrimr da. ›Nach Hel! Dem ewig freudlosen, wo bleiche Schatten seufzend schweben, noch einmal zu sterben wünschend, um nie mehr zu erwachen. Graunhaft ist Hel! Nein, heraus die Schwerter, alle drei. Keiner soll den Kampf überleben! Und nach dem Bluttod: – auf, nach Walhall!‹ – ›Ja,‹ schloß ich und griff ans Schwert. ›Was frommt's zu leben, da jung Sigwalt tot!‹

›Jung Sigwalt lebt!‹ sprach da eine Stimme hinter uns, vom Strande her, – eine Stimme, deren gleichen ich noch nie gehört: nicht laut: verhalten, aber alldurchdringend. Wir sprangen auf, wir sahen hinter uns: da glitt dicht an unsrem Backbord hin, aus dem Nebel in den Bereich des Vollmonds tauchend, ein winzig kleiner Kahn: an dessen Steuer stand ein Gewaltiger in dunklem Mantel mit breitrandigem Hut. Wir erschraken über dem plötzlichen Auftauchen von Schiff und Mann, die nun dicht Bord an Bord mit uns lagen. Bald aber faßte ich mich und sprach entgegen: ›Der du unhörbar nahst und geheime Zwiesprach erlauschest, wie lautet dein Name?‹

›Nur eines Namens genügte mir nie, seit ich unter die Völker fuhr.‹ – ›Und dies Schifflein?‹ fragte Arngrimr. ›Wie kannst du auf diesem Baumblatt in See gehen?‹ – ›Skidbladnir,‹ lachte der Wirrbart, ›ist der Schiffe bestes.‹ – ›Einen Kaufmann acht' ich dich, einen schlauen Friesen,‹ meinte mißtrauisch der Bruder. – ›Ja,‹ fuhr ich fort, ›der nach Golde gehrt. Aber wähntest du, durch günstige Kunde, durch täuschenden Trost Gold als Botenlohn von uns zu erlisten und Gabe . . .‹ – ›Da irrst du, Freund,‹ lachte traurig mein Neffe, ›leer sind uns Ranzen und Tasche.‹ – ›Alle Lande haben wir durchforscht nach Sigwalt,‹ schloß ich unwillig. ›Nichts fanden wir! Warum sollten wir dir glauben?‹ – ›Nicht glauben sollt ihr: – sehen! Schaut her!‹ sprach der Fremde befehlend. Er reckte den rechten Arm aus dem Mantel vor, bog ihn, stemmte die Faust auf die Hüfte und gebot: ›Seht durch dieses Arm-Bogens Rund. Schaut in die Halle des Königs von Kent.‹

Wir drängten uns vor, dicht heran, die Köpfe dicht aneinander und oh Wunder! Wir sahen . . .« – »Nun?« rief mit weitgeöffneten Augen auf den Erzähler starrend die Königstochter. Aber glühende Röte der Scham übergoß sofort die Wangen der Jungfrau, die in die Rede der Männer geredet. – »Ihn sahen wir, hold Königskind! Und dich! Und König Hengist dort auf jenem Hochsitz und viele dieser Thane hier sitzen an diesen Tischen.« – »Ja,« fuhr der Neffe fort, »und so deutlich und hell zeigte ihn uns der Vollmond wie ihn hier die vielen Fackeln nicht zeigen.« – »Und so ähnlich sah er seinem Vater,« . . . unterbrach Arn. – »Und so ganz ähnlich auch dem Knaben in den Tagen, da er verschwand . . .« – »Daß wir alle drei jubelnd riefen: ›ja, er ist's: er lebt! Heil, König von Halgaland!‹« – »Und als wir nun die Augen endlich von ihm lösten und dem Zaubermann dankend ins Antlitz sehen wollten, . . .« – »Da verschwamm der plötzlich in wallendem Nebel . . .« – »Dunkel Gewölk zog über den Mond . . .« – »Und verschwunden waren Nachen und Mann!«

»Und erkannten wir da alle, wer der Fremdling gewesen.« – »Und erschauernd sanken wir auf die Kniee und riefen: ›Dank dir und Heil, Odin von Asgardh! Du – wahrlich der Wunschgott!‹« – »Und noch in derselben Nacht lenkten wir unser Schifflein nordwärts, landeten alsbald an abgelegener Felsenbucht der lieben Heimat, beriefen die nächsten Gesippen, Nachbarn und andre treue Männer in nächtiger Heimlichkeit, verkündeten ihnen die frohe Kunde und fragten, wer mit uns ausziehen wolle, den Königssohn würdig abzuholen nach Halgaland zum Kampf um sein Erbe?« – »Und meldeten sich da so viele, – denn der Haß gegen den blutigen Eber war noch immer gestiegen! – daß wir gar manche zurückweisen mußten von dem einen Drachenschiff, das wir nur aufbringen konnten für so weite und so wichtige Fahrt.« – »Und glücklichen Fahrwind, freudigen Ostnordost, blies uns der Wunsch- und Wind-Gott in die Segel, daß wir in nie erhörter Raschheit diesen Strand erreichten . . .« – »Und gleich unsern Jungkönig trafen, einsam auf dem Dünensand liegend, voll Sehnsucht, wie er uns sagte, nach der Heimat und hinweg von hier.«

Da traf Sigwalt ein schmerzlicher Blick der sanften braunen Augen. – –



 << zurück weiter >>