Felix Dahn
Sigwalt und Sigridh
Felix Dahn

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IX.

Wenige Tage darauf ging König Sigwalt in den Haugar-Wald zur Jagd: die Bären, die zahlreich in jenen Felshöhlen hausten, rissen gar viele Rinder und Schafe der Bauern auf der Sommerweide: die Dorfhirten wagten sich gar nicht mehr aus den Gehöften mit ihren Herden.

Mehr um der Schutzpflicht willen des Königs als aus Lust am Weidwerk war er ausgezogen: denn wie alle Lust war auch diese aus seiner Seele gewichen, verdrängt von sehnendem Gram, der ihn auch die Gesellung der Freunde meiden ließ: so hatte er auch diesen gefährlichen Gang allein angetreten.

Bald hatte er am frühen Morgen des Brachmonds im tauigen Waldgras und weichen Moos die Doppelspur von Bär und Bärin ermerkt und daneben die flacheren Stapfschritte des Jungen: um diese Zeit, kurz nach dem Wurf, wann der Bär noch bei der Mutter bleibt, wird das – neben dem Saugen – auch schon gewöhnt, Beeren, Honig und Fleisch zu schmecken: in diesen Tagen sind die Viehschäden am stärksten, die Tiere am gefräßigsten und bösesten; wohl wußte das der Jäger: drum hatte er außer dem Kurzschwert im Wehrgurt zwei starke Speere mitgenommen, gleich geschickt zu Wurf und Stoß.

Ohne Mühe verfolgte er die Spuren bis zu der Fraßstätte, die nahe der Lagerhöhle zu liegen pflegt: schon sah er in einer Waldblöße die Alten und das wollige, täppische, drollige Junge liegen: sie fraßen alle drei an einem mächtigen jungen Stier, den der Alte draußen auf der Weide gerissen und so weit in den Urwald geschleppt hatte.

Obgleich die beiden Alten ihm den Rücken zeigten, trug doch der Wind ihnen gar bald den Ruch des Menschen zu: beide wandten sich: und sobald der Bär den Jäger eräugte, richtete er sich, grimmig brummend, auf und schritt, die Pranken aneinanderschlagend, daß sie klirrten – ein Zeichen schlimmsten Zorns! – aufrecht auf den Feind zu, während die Mutter bemüht war, das Junge durch Stoßen und Schieben mit dem Kopf von dem leckeren Fraß hinweg, den es winselnd nicht lassen wollte, in das dichteste Gebüsch hineinzudrängen und zu flüchten.

›Tapfer ist Thors Tier und des Todes würdig tapfrer Thane,‹ dieser kentische Weidmannspruch kam Sigwalt zu Sinn, als der Bär gegen den hochgeschwungnen Speer mit der blitzenden Bronzespitze furchtlos heranschritt: auf halbe Speerwurfweite ließ er ihn heranstapfen: das ging ziemlich langsam, während die Schweren, scheinbar Schwerfälligen, auf vier Füßen unglaublich schnell laufen können.

Scharf zielte er nun, den Arm hin- und herwägend: mit Verdruß erkannte er, daß die Herzstelle durch die umgebogne linke Vorderpranke jetzt gedeckt war: so mußte er die rechte Brustseite zum Ziele nehmen: nochmal wog er den Speer: nun flog der und fehlte nicht: der Bär fiel, getroffen, auf die rechte Seite und rührte sich nicht mehr.

An ihm vorbei sprang hurtig der Jäger: denn er wollte die Alte und die Brut nicht entkommen lassen. Und nicht lange wahrlich hatte er nach jener zu suchen: die tapfre Bärin war sofort umgekehrt, sobald sie das Junge in dem für Menschen undurchdringbaren Dorngehege des Unterholzes gesichert sah: sie eilte zurück, dem Gatten im Kampfe zu helfen: wild brummte sie, als sie den regungslos liegen sah und lief den Sieger an, sie wagrecht, ohne sich aufzurichten. Schwerer ist – wie der Weidmann weiß – dem Tier in solcher Stellung beizukommen: denn das Herz ist dann von vorn unerreichbar und hält es im Anlauf den Rachen noch geschlossen, ist es nur im Genick tödlich zu treffen. Wohl erwog das der Jüngling: so sprang er erst, als das Untier schon fast seine Schuhe erreichte, behend zur Seite und bohrte dem Vorbeirennenden die scharfe Spitze des Speers mit aller Kraft tief in das Gefüge, das den Hinterkopf und den Rückenwirbel scheidet und verbindet zugleich.

Die Bärin sank auf allen Vieren zur Erde nieder, tot. Der Sieger beugte sich vor, den Speer aus der Wunde zu ziehen. Da schlug an sein Ohr ein lauter Warnschrei: – hoch aus den Lüften schien er zu kommen: »Sigwalt! Schau um! Der Bär!«

Zu spät! Der Bär, nicht tödlich getroffen, hatte sich auf die vier Füße erhoben und den langen Speerschaft in seinen Rippen mit der furchtbaren Pranke zerbrochen: aufrichten konnte er sich nicht mehr: aber auf allen Vieren war er rasch und unhörbar herangerannt: nun schlug er die beiden Vorderpranken dem Vorgebeugten von hinten in die Hüften: unter dem wuchtigen Schlage fiel Sigwalt auf das Antlitz: er war verloren.

Da hörte er das scharfe Sausen eines Wurfspeers: laut auf schrie der Bär, der grimme Halt seiner Tatzen glitt ab, er sank von dem Ergriffenen zurück. Der sprang auf und wandte sich: tot lag das Ungetüm, in dem Genick aber stak ihm – gerade in der tödlichen Stelle – ein Wurfspeer. Vergeblich sah er sich rings in der Runde nach dem Werfer, – seinem Retter – um: niemand und nichts war zu sehen, weit und breit. Nur über den Wipfeln der hohen Tannen über ihm rauschte Bewegung, während sonst nirgends ein Windhauch wehte.

Er zog nun den fremden Wurfspeer aus dem Nacken des toten Tieres: staunend betrachtete er ihn: nie hatte der Waffenkundige dessengleichen gesehen: unbekannt war ihm das Holz des schlanken Schaftes: am oberen Ende waren – zur Beschwingung des Wurfes – links und rechts die Federn des weißen Schwans in zwei goldenen Ösen eingefügt und eine goldene Zwinge hielt die leuchtende Spitze: oberhalb der Zwinge war mit Gold eingelegt die Rune: ᛊ (S).

»Sigridh!« jauchzte er da selig. »Ja, auch deine Stimme war's! Nur einmal, ach! Hab' ich sie gehört. Aber unvergeßbar hielt sie mir Ohr fest und Seele. Sigridh, Sigridh, wo bist du?« Sehnsüchtig, laut rief er es in die Lüfte hinauf. Aber alles blieb still: nur das leise Wiehern eines Rosses glaubte er über den Wipfeln zu vernehmen.

Da mahnte ihn brennender Schmerz der Wunde von dem Bärengriff: er hatte ihrer nicht geachtet, sie kaum gefühlt in der Erregung. Nun fiel ihm ein, daß ganz nahe, bei einer Felsenhöhle, in der er oft auf der Jagd geruht, ein schöner Waldquell entsprang! in dessen reinem Naß wollte er das Blut abspülen.

So nahm er neben seinem Wurfspeer den fremden mit: »Komm, Geliebte! hole deinen Speer. Er bleibt mein Pfand, daß ich dich wiedersehe.«

Bald war die Quelle erreicht: wohltätig kühlte das frische Naß die wunde Stelle. Nun lockte der Duft frischgeschnittnen Heues, das die Jäger in der Felswölbung gehäuft hatten, behufs weicherer Rast für den müden Weidmann: er bückte das hohe Haupt mit dem grünen Jagdhut unter dem überhängenden Fels des Eingangs der dämmerdunkeln Höhle und streckte sich auf das einladende Lager.



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