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19. Kapitel.
In der Oper


Nun kam Walpurgas erstes Auftreten vor dem großen Publikum.

Schon lange vorher waren alle Plätze ausverkauft zu dieser Vorstellung, denn die Zeitungen hatten bereits auf die junge Sängerin Walpurga Malwinger aufmerksam gemacht und berichtet, daß der König und Richard Wagner die Beschützer dieses großen Talentes seien.

Von ihrer Schönheit und Lieblichkeit war auch schon Kunde in das Publikum gedrungen.

Walpurga hatte zeitig genug für ihre Eltern, für Tonerl und Sepperl und für Frau Dr. Moritz Einlaßkarten besorgt.

Diese fünf Personen saßen nun lange schon vor Beginn der Vorstellung auf ihren Plätzen. Wer von ihnen das ärgste Herzklopfen hatte, hätte sich schwerlich feststellen lassen, denn sie waren alle in einer großen Aufregung.

Frau Dr. Moritz konnte sich jedenfalls am besten beherrschen. Man sah dieser klugen, sympathischen Frau durchaus nicht an, daß etwas Besonderes in ihr vorging.

Auch der Förster und Sepperl wahrten äußerlich ihre Ruhe, wenn auch zuweilen ein mühseliger Schnaufer emporstieg aus ihrer Brust.

Tonerl aber rückte immer wieder auf ihrem Platz hin und her und stöhnte zuweilen leise vor sich hin:

»Hab' i eine Angst, hab' i eine Angst!«

Die Försterin hörte es, und es war wie ein Echo ihrer eignen Gedanken. Sie meinte, man müßte ihr Herz in dem ganzen großen Raum laut pochen hören. Die Angst schnürte auch ihr die Kehle zu, die furchtbare Angst, daß Walpurga bei diesem Auftreten etwas geschehen könne. Was sie fürchtete, wußte sie selbst nicht.

So saßen sie und starrten den Vorhang an. Und die Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten.

Walpurga hatte ihre Lieben, als sie in München ankamen, in ihre Wohnung geführt. Frau Doktor bewirtete sie liebenswürdig. Diese biederen, kernigen Gestalten gefielen ihr außerordentlich.

Tonerl und die Mutter hatten gar nicht begreifen können, daß Walpurga so gleichmäßig ruhig und heiter war.

»Hast nur gar kein bisserl Angst, Burgerl?« hatte auch die Mutter gefragt.

Darauf hatte Walpurga lächelnd erwidert:

»Ich bin ganz ruhig, mein Mutterl, sei Du es nur auch. Hab' ich vor Seiner Majestät den Mut nicht verloren, so sollen mich alle anderen Menschen nicht aus der Fassung bringen!«

Diese Worte wiederholte sich die in Angst und Nöten schwebende Mutter immer wieder. Aber einen rechten Trost brachten sie ihr nicht. Sie konnte nicht begreifen, daß all die vielen, vielen Menschen, die sich hier einfanden und die Operngläser schon wie grausame Waffen zurechtrückten, Walpurga weniger aus der Fassung zu bringen vermöchten, als der König allein, den sie doch von Kind auf kannte und vor dem sie schon gesungen hatte.

Wieder rückte Tonerl nahe an ihre Mutter heran und quetschte deren Arm in der Aufregung zwischen ihren Händen.

»Mutterl, ach Mutterl, i erstick' noch vor Angst, wenn nur das Burgerl um Himmels willen net stecken bleibt!«

Der Förster und Sepperl hörten diese leisen Worte auch. Des Försters Stirn wurde rot wie von schwerer Arbeit, und Sepperl trommelte aufgeregt einen Marsch auf seinen Knien.

Ringsum hatten die vier Personen in der ländlichen Tracht bei den eleganten Theaterbesuchern schon einiges Aufsehen erregt. Daß es eine besondere Bewandtnis mit ihnen hatte, war nicht schwer zu erraten, denn auf diesen teuren Plätzen saßen sonst nur vornehme Leute. –

Endlich begann die Ouvertüre. Und dann ging der Vorhang auf.

Walpurga hatte ihren Angehörigen den Inhalt der Oper »Tannhäuser« erzählt und ihnen genau beschrieben, wann sie auftreten würde.

Von all den Szenen bis zu Walpurgas Auftreten sahen und hörten diese aber nichts. Erst mit dem Moment, da Elisabeth in ihrem fürstlichen Gewand erschien, kam Leben in die kleine Gesellschaft.

Krampfhaft faßten sich alle vier bei den Händen, als müsse eins das andere stützen. Die Mutter seufzte, als ob sie krank wäre.

Aber die vier Augenpaare hefteten sich mit unbeschreiblichem Ausdruck auf die holdselige Erscheinung da oben auf der Bühne.

War das wirklich ihr Burgerl, diese stolze, strahlende Frauengestalt!? Konnte das möglich sein?

»Mutterl, ach Mutterl, schau doch, wie schön sie ist!« flüsterte Tonerl ergriffen und drückte rechts die Hand der Mutter und links die Sepperls. Und von beiden Seiten wurde der Druck krampfhaft erwidert.

Auch der Förster und die Försterin drückten sich die Hände bis zum Schmerz und sahen einander dann mit stolzem Glück in die Augen. Das war ja ihr Kind, ihr liebes, schönes Kind, nach dem hier all die Menschen in lauschender Andacht emporsahen.

Aber wie sang das Burgerl auch! Wenn sie daheim zuweilen ein Liederl gesungen hatte, das hatte freilich nicht so überwältigend schön geklungen. Oder vielleicht hatten sie da nicht so darauf geachtet. Jetzt war es ja, als wenn sie mit hundert Ohren hörten und mit hundert Augen sähen.

Wie in einer Kirche, so andächtig saßen die Vier. Und wie Orgelton und Glockenklang tönte Walpurgas Stimme in siegreicher Frische und Schönheit in aller Herzen.

Die geängstigte Seele der Mutter erfüllte nun mit einem Male ein tiefer Frieden. In ihrem naiven Gemüt verstand sie plötzlich, daß ihr Kind eine große Künstlerin war.

Was bisher heimlich all die Jahre wie eine stille Sorge auf ihrem Gemüt gelegen, die Frage, ob sie recht getan hatte, ihr Kind diesen Weg gehen zu lassen, das fiel jetzt von ihr ab.

Klar und freudig ruhte nun ihr Blick auf ihrem Kinde, und ihr Herz sagte froh:

»Ja, es hat so sein müssen, Gott selbst hat ihr dies herrliche Talent gegeben, so etwas ist nicht von der Welt, das kommt aus dem Himmel!«

Ihr Herz tat langsame, volle Schläge, und in heiliger Wonne gab sie sich dem Zauber hin, den die rührende Gestalt der Elisabeth ausstrahlte auf alle Anwesenden.

Tonerl war voll Feuer und Flamme bei der Aufführung. Als sich Elisabeth zwischen die streitenden Sänger warf und sich schützend vor den Tannhäuser stellte, seufzte sie erschrocken:

»O mei Herrgottl, sie werden dem Burgerl doch nix antun?«

Frau Dr. Moritz saß im stillen Genießen auf ihrem Platz. Auch ihre Augen glänzten vor Entzücken. Viel hatte sie erwartet von Walpurgas Leistung, aber ihre höchsten Erwartungen waren weit, weit übertroffen worden.

Nun fiel der Vorhang. Da erhob sich ein wahrer Sturm der Begeisterung im Zuschauerraum.

Walpurga hatte schon in diesem einen Akt alle Herzen gewonnen. Donnernder Applaus wollte kein Ende nehmen. Wieder und wieder mußte Walpurga erscheinen, und jauchzende Bravorufe tönten ihr entgegen.

In einer kleinen Loge dicht an der Bühne saß Richard Wagner. Mit strahlenden Augen hatte er Walpurgas Leistung verfolgt, und oft nickte er vor sich hin, als wollte er sagen:

»Gut, gut, vortrefflich!«

Als sich der Beifallssturm endlich zu legen begann, stürmte er hinter die Kulissen und schloß Walpurga, sie auf die Stirn küssend, in die Arme. Er sprach kein Wort, aber das zeigte Walpurga deutlich genug, wie zufrieden er war. Lange hielt er sie nicht auf, da sie sich umkleiden mußte.

Draußen im Zuschauerraum saßen vier fassungslose Menschen. Dieser jubelnde Beifall, den all diese Leute Walpurga zollten, hatte von neuem die Fassung der Försterin und Tonerls erschüttert. Sie weinten beide vor Freude und lachten sich doch unter Tränen wieder an.

Ganz gleichgültig war es ihnen, daß man sie von allen Seiten lächelnd betrachtete. Jetzt hatten sie keine Angst mehr.

»Gelt, Mutterl, unser Burgerl, die kann's. Wie eine Königin hat sie ausg'schaut. Und soviel lieb und schön! Gelt, ein Wunder is dös net, daß die Leut' all' so geklatscht und g'rufen haben, gar kein Wunder net!« sagte Tonerl, als sie ihrer Tränen Herr geworden war.

Und dann begann auch schon der letzte Akt.

Elisabeth lag in ihrem weißen Gewand vor dem Muttergottesbild und betete. Ach, wie rührend und holdselig erschien sie erst in diesem Akt in ihrer Angst und Sorge um den fernen Geliebten, der als Pilger nach Rom wallfahrtete, um seine Sünden abzubüßen.

Wie angstvoll suchte sie dann unter den heimkehrenden Pilgern den einen, den ihre Seele herbeisehnte. Und als sie ihn nicht fand, als sie hörte, daß er, er allein keine Verzeihung vom Papst erhalten hatte, da sank sie in sich zusammen.

Als sie den Berg emporstieg, um zu sterben an ihrer Liebe und Treue, da standen noch in vielen anderen Augen Tränen.

Eine gottbegnadete Künstlerin hatte alle in ihren Bann gezogen.

Als die Vorstellung zu Ende war, brachen von neuem Beifallsstürme los. Der Jubel wollte kein Ende nehmen. Immer wieder mußte Walpurga erscheinen.

Ihre Augen suchten nach ihren Lieben, die gleich den anderen ganz begeistert Beifall klatschten.

Ein sonniges Lächeln flog zu ihnen hinüber, und Tonerl winkte aufgeregt mit dem Taschentuch der Schwester zu.

Es war ein Erfolg ohnegleichen, den Walpurga errungen hatte. Von diesem Tage an war sie der Liebling des Münchner Publikums.

Jedesmal, wenn sie in Zukunft auftrat, war das Theater ausverkauft. Die Zeitungen brachten einstimmig die besten Kritiken, und der Intendant erhöhte Walpurgas Gage freiwillig unter der Bedingung, daß die junge Sängerin den bereits unterzeichneten Kontrakt noch um einige Jahre verlängerte.

Walpurga ging darauf ein, denn das Angebot war glänzend. Auch waren ihr jedes Jahr einige Monate zu Gastspielen freigestellt.

Ihre Zukunft lag nun völlig gesichert da. Sie brauchte nun nicht mehr die Hilfe des Königs in Anspruch zu nehmen.

Was hätte sie darum gegeben, wenn sie etwas von ihrer Dankesschuld an den König hätte abtragen können. Aber daran war nicht zu denken. Sie wagte gar nicht, diesem Wunsche Ausdruck zu geben.

Frau Dr. Moritz war der jungen Künstlerin eine treusorgende Mutter. Sie verwaltete Walpurgas Einnahmen und wies sie immer darauf hin, daß sie sparen müsse.

»Soviel Geld verleitet oft zu leichtsinnigen Ausgaben, mein liebes Kind. Deshalb mußt Du Dich von Anfang an daran gewöhnen, immer für später etwas zurückzulegen. Wenn Du vernünftig bist, kannst Du Dir ein schönes Vermögen erwerben!« sagte sie.

Walpurga sah ein, daß Frau Doktor recht hatte, und versprach, nach ihren Ratschlägen zu handeln.

Margarete, die junge Baronin Wetzlaff, war mit ihrem Gatten auch in der Vorstellung bei Walpurgas erstem Auftreten gewesen.

Das junge Ehepaar war ebenfalls begeistert und entzückt, und Margarete lud Walpurga immer wieder dringend ein, sie zu besuchen.

In Zukunft lernte Walpurga im Hause ihrer Freundin eine Menge Leute aus der Aristokratie kennen. Sie gehörte bald zu den besten Gesellschaftskreisen und war auch außerhalb des Theaters der Liebling der Gesellschaft.

Da Walpurga aber viel auftreten mußte, sorgte Fran Doktor dafür, daß sie sich nicht zuviel zumutete, damit sie frisch und gesund blieb.

Walpurgas Jugendkraft setzte sich aber elastisch über alle Strapazen hinweg. Sie war so ganz mit Leib und Seele Künstlerin, daß sie nichts zu schwer fand. –

Ihre Lieben im Försterhäusl waren noch wochenlang nach ihrem ersten Auftreten außer Rand und Band. Tonerl schwatzte von früh bis spät von ihrer berühmten Schwester, und die Mutter ging immer lächelnd, innerlich beglückt einher.

Wenn ein Briefchen von Walpurga kam oder ganze Bündel Zeitungsberichte über ihr Auftreten, dann ließen die beiden alles stehen und liegen und verschlangen erst jedes Wort mit strahlenden Augen.

Oft kamen auch allerlei Geschenke für ihre Lieben von Walpurga an. Es war so schön für sie, von eigenem Gelde etwas für ihre Lieben zu kaufen.

Der Förster las diese Berichte des Abends, wenn er seinen Dienst beendet hatte. Und Sepperl bekam von Tonerl alles erzählt, wenn er ins Forsthaus kam. Wenn die beiden sonst auch vor lauter Neckerei nie einig waren, über eins waren sie immer derselben Meinung, daß Walpurga als Elisabeth wundervoll ausgesehen und gesungen hatte.

Sepperl konnte ganz poetisch werden, wenn er darauf zu sprechen kam, und Tonerl war dann gar kein bißchen kratzbürstig zu ihm.

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