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13. Kapitel.
Lehrjahre


Jahre vergingen.

Frau Doktor konnte Seiner Majestät gewissenhaft melden, daß Walpurga glänzende Fortschritte in allen Fächern, vor allem aber in der Musik mache, und daß sie die Musterschülerin des Instituts geworden war.

Was hatten diese Jahre aber auch aus Walpurga gemacht!

Alle ihre Mitschülerinnen schwärmten jetzt von ihr und waren stolz auf ihre Freundschaft.

Am innigsten war jedoch immer noch ihr Verhältnis zu Margarete, und niemand ging ihr von all den Mädchen über diese ihre erste und beste Freundin.

Walpurga ging stets zu den Ferien nach Hause. Oft hatte sie Margarete wieder gebeten, sie während der Ferien ins Forsthaus zu begleiten. Margarete lehnte es jedoch stets in ihrer sanften, aber bestimmten Weise ab und sagte überzeugend:

»Es ist besser, ich begleite Dich nicht, Walpurga. Erstens würde ich die anderen verletzen, die mich auch schon oft eingeladen haben, wenn ich mit Dir ginge, zweitens haben Dich Deine Eltern so selten, daß Du ihnen auch ganz gehören sollst, wenn Du daheim bist, und drittens ist es wirklich besser, ich bleibe hier in meinem alten Fahrwasser!«

So mußte sich Walpurga fügen.

Nach wie vor freute sie sich aber auf die Ferien daheim, denn da sah sie nicht nur all ihre Lieben wieder, sondern auch stets einigemal den König, dessen Interesse an Walpurga sich noch mit den Jahren zu steigern schien.

Stets überzeugte er sich von ihrem Wohlergehen und ihren Fortschritten persönlich. Und immer kam er Walpurga mit der gleichen Güte und Freundlichkeit entgegen.

War seine Stirn noch so düster, seine Mienen noch so traurig, wenn er Walpurgas sonniges Gesichtchen sah und ihren lieben Plaudereien lauschte, dann flog ein Lächeln über seine Züge, und er vergaß auf kurze Zeit seine Sorgen.

In Walpurgas Herzen wuchs täglich die Liebe und Verehrung für ihren königlichen Beschützer, und sie betete täglich inbrünstig für sein Wohlergehen, denn je älter sie wurde, umsomehr empfand sie, daß der König nicht glücklich war. Das tat ihrem weichen, jungen Herzen sehr weh. –

Inzwischen war der Grundstein zu Schloß Neuschwanstein längst gelegt worden. Der König überzeugte sich fast täglich von dem Fortschreiten dieses imposanten Baues.

So wuchs das stolze Märchenschloß empor auf dem zur Pöllatschlucht abfallenden Felsrücken des Berzenkopfes.

Dies Wundergebilde einer königlichen Phantasie, das noch heute die Menschheit mit Staunen und Bewunderung erfüllt, wurde im romanischen Stil erbaut. Herrliche Säle mit wundervollen Wandgemälden entstanden, viel schöner und prächtiger noch als in Hohenschwangau. Von Söllern und Altanen konnte man hinabsehen in den schwindelnden Abgrund, in dem sich die Pöllat zu Tal stürzt.

Sicher ist Schloß Neuschwanstein von all den Schlössern, die König Ludwig II. erbauen ließ, dasjenige, welches den höchsten Kunstwert hat. Es ist nicht das prunkvollste, aber das schönste dieser Schlösser.

Jedesmal, wenn Walpurga in den Ferien zu Hause war, ging sie nach Neuschwanstein hinüber. Sie sah dies herrliche Schloß emporwachsen und empfand schrankenlose Bewunderung vor dem königlichen Geist, der dies Meisterwerk der Kunst erstehen ließ.

Oft plauderte sie dann mit dem König über das, was sie gesehen hatte, und ein Schauer der Ehrfurcht flog über sie hin, wenn der König dann von dem sprach, was er noch schaffen wollte. Sein Geist flog dann über Höhen und Tiefen, und er vergaß, daß er nur zu einem Kinde sprach.

Walpurgas große, leuchtende Augen verrieten auch, daß sie diesem stolzen Gedankenfluge zu folgen vermochte, denn auch in diesem schlichten Kinde aus dem Volke schlummerte ein Geist, der über alle Unmöglichkeiten hinweg eine phantasievolle Brücke baute.

* * *

Als Walpurga fünf Jahre im Institut war, schlug für sie und Margarete die Trennungsstunde. Margarete war nun schon achtzehn Jahre und Walpurga ziemlich vierzehn Jahre alt.

Margaretes Oheim hatte seine Nichte, solange es irgend anging, im Institut gelassen.

Nun hatte sich aber eine ihm befreundete Dame, Baronin Wetzlaff, erboten, Margarete in ihr Haus und unter ihre Fittiche zu nehmen und sie in der Gesellschaft einzuführen.

Margaretes Oheim war sehr froh, daß ihm auf diese Weise alle Unbequemlichkeiten erspart wurden. Er wollte ja sonst gern alles für seine Nichte tun, nur in seiner Freiheit sollte sie ihn nicht behindern.

So war denn alles abgemacht.

Margarete wurde von der Baronin Wetzlaff, einer lieben, freundlichen Dame, im Institut abgeholt. Die Freundinnen hatten unter heißen Tränen Abschied voneinander genommen und sich ewige Treue geschworen. Fest versprachen sie einander, sich oft zu schreiben und sich immer von ihrem Ergehen Nachricht zu geben.

Die Trennung von Margarete kam Walpurga sehr schwer an. Sie konnte sich lange nicht daran gewöhnen, daß sie jetzt ihr Zimmer mit einer neuen, kleinen Schülerin teilte. Jetzt war sie die Zimmerälteste, denn ihre kleine Genossin war erst acht Jahre alt.

Dorothea, Franziska, Ella und Johanna waren auch schon aus dem Institut ausgetreten und zu ihren Eltern zurückgekehrt. Das waren nun alles schon junge Damen, die draußen in der Welt eine mehr oder minder glänzende Rolle spielten.

Jetzt waren von den alten Schülerinnen, die noch Walpurgas Einzug mit dem roten Röckchen und dem Wäschebündel erlebt hatten, nur noch Magda, Lena, Fifi und Martha im Institut.

Und ohne daß es Walpurga beabsichtigt oder gewünscht hatte, war sie gewissermaßen die Tonangebende geworden, der sich alle willig unterordneten.

Walpurga führte aber freilich ein warmherzigeres, liebenswürdigeres Regiment als damals Franziska. –

Gleich nach Margaretes Fortgang aus dem Institut starb die Mutter von Frau Doktor. Frau Doktor, deren ganz besonderer Liebling Walpurga war, fand einen freundlichen Trost in ihrem Schmerz durch das junge Geschöpf.

Mademoiselle Leportier hatte sich inzwischen verheiratet, und eine andere französische Lehrerin war angestellt worden.

Miß Warrens bemühte sich mit Walpurga herzlich um die betrübte Frau Doktor, die sehr innig an ihrer Mutter gehangen hatte.

Schließlich bezog Miß Warrens das Zimmer, das die Verstorbene bewohnt hatte, damit sich Frau Doktor nicht so einsam fühlen sollte.

Walpurga war in diesen schweren Tagen ein rechter Trost für das ganze Institut. Ihr sonniger, warmer Humor, ihre lebensfrische Heiterkeit verscheuchte bald die trübe Stimmung. Sie gab auch nicht Ruhe, bis Frau Doktor wieder lachte.

Es war wunderbar, was für einen wohltätigen Zauber Walpurga auf alle Menschen ausübte. Solche Sonnenkinder sind ein Segen für die Menschheit.

Mit Margarete korrespondierte Walpurga fleißig. Margarete schrieb, daß sie sich sehr wohl fühle im Hause der Baronin. Man gab dort dem verwaisten Kinde sehr viel Liebe.

Und ein Jahr, nachdem Margarete das Institut verlassen hatte, schrieb sie Walpurga, daß sie sich mit dem Sohne der Baronin verlobt habe und sehr glücklich sei.

Walpurga freute sich sehr, daß ihre arme, verwaiste Margarete nun eine Heimat und ein Herz gefunden hatte.

Margaretes Hochzeit fand bald darauf statt, und sie bestand darauf, daß Walpurga wenigstens der Trauung in der Kirche beiwohnen sollte. Am Hochzeitsfest teilzunehmen, hatte Walpurga abgelehnt, weil sie noch zu jung war, um große Festlichkeiten mitzumachen.

Aber bei Walpurgas Musiklehrer hatte Margarete durchgesetzt, daß die Freundin ihr in der Kirche das Brautlied singen durfte.

Die ganze glänzende Hochzeitsgesellschaft lauschte wie gebannt der klaren, süßen Mädchenstimme, die vom Chor herabsang:

»Wo Du hingehst,
Da will ich auch hingehen.«

Alle sahen sich ergriffen an, und die Braut weinte am Arme ihres jungen, stattlichen Gatten Tränen der Rührung.

Als man sich aber nach der Feier von allen Seiten nach der jungen Sängerin erkundigte und sie sehen wollte, da war diese längst mit Frau Dr. Moritz, die sie begleitet hatte, verschwunden.

Frau Dr. Moritz hatte vorausgesehen, daß Walpurgas Gesang Aufsehen erregen würde, und wollte nicht, daß man ihrem Zögling mit Schmeicheleien das Köpfchen verwirrte. Walpurga war noch zu jung, um ohne Schaden solche Schmeicheleien anzuhören. Ihre Unbefangenheit sollte nicht gestört werden.

Margarete aber schickte noch an demselben Tage ein kurzes Briefchen an Walpurga und ein hübsches, goldenes Armband. In dem Briefchen stand:

 

»Meine herzliebe Walpurga!

Du hast meinem lieben Mann und mir durch Deinen wunderschönen Gesang eine große, große Freude bereitet und unserem Hochzeitsfest eine besondere Weihe gegeben. Da Du Dich meinem Dank entzogen hast, muß ich ihn Dir brieflich aussprechen. Zugleich nimm, auch im Namen meines Mannes, den beifolgenden Armreif als ein Andenken und ein Zeichen unserer Dankbarkeit. Wenn Du ihn trägst, denke an Deine treue Freundin.

Sobald ich von meiner Hochzeitsreise zurück bin, besuche ich Dich und Frau Doktor, der ich meine Grüße sende. Bis dahin auf Wiedersehen.

Deine glückliche
Margarete

 

Walpurga freute sich sehr über dies greifbare Andenken an ihre Freundin. Was diese jedoch von ihrem Gesang sagte, hielt sie für eine Artigkeit. Sie wußte ja selbst nicht, was sie für eine wunderschöne Stimme hatte.

Walpurgas Eltern sahen mit Stolz und freudigem Erstaunen, zu welcher holden Mädchenblüte sich ihr lieber, lustiger Wildfang entwickelte.

Wohl war sie auch jetzt noch oft der alte Uebermut, und wenn sie in den Ferien daheim war, tollte sie mit Tonerl um die Wette im Walde umher. Aber es lag doch auch in solchen Stunden eine maßvolle Grazie und liebliche Anmut über ihrem Wesen.

Kam jetzt der König ins Försterhäuschen, so rannte sie ihm nicht mehr mit einem hellen Jauchzer entgegen. Jetzt grüßten ihn ihre Augen nur noch mit dem aufstrahlenden Jubel und der verehrenden Dankbarkeit, wenn sie ihm artig ihren Gruß bot.

Aber diese Augen verrieten ihm genugsam, daß dies junge Herz in schrankenloser Liebe und Verehrung ihm entgegenschlug.

Walpurga wußte nun schon längst, wie man einen König anreden muß. Sie nannte ihn nicht mehr »Du« und »Herr König«, sondern »Eure Majestät«.

Aber sonst hatte sich wenig in ihrem Verhältnis zum König geändert. Noch immer lauschte er gern ihren herzigen, drolligen Plaudereien. Sie hatte nichts von der lebensfrischen Ursprünglichkeit ihres Wesens eingebüßt, und ihre sonnige Schelmerei verscheuchte noch immer die düsteren Wolken von der Stirn des Königs.

Während dieser Lehrjahre Walpurgas hatte der große Krieg zwischen Deutschland und Frankreich stattgefunden.

Walpurga hatte nach dem Friedensschluß die siegreichen Krieger in München einziehen sehen. In der nächsten Nähe ihres geliebten Königs hatte sie mit all ihren Institutsfreundinnen gestanden.

König Ludwig ließ die heimkehrenden Truppen an sich vorüberziehen, und an seiner Seite befand sich der Kronprinz des Deutschen Reiches, der spätere Kaiser Friedrich.

Walpurgas Blick hatte strahlend an ihrem König gehangen, und von diesem Blick angezogen, hatte der König Walpurga inmitten ihrer Freundinnen erblickt.

Ein Lächeln hatte sie gegrüßt, und diesen stummen Gruß hatten auch ihre Freundinnen bemerkt.

Da sei es ihnen gewesen, als sei auf sie alle ein Abglanz dieses Grußes gefallen, und von jenem Tage an war Walpurga vollends die Hauptperson des Instituts geworden. –

* * *

Auch an Sepperl waren diese Jahre nicht spurlos vorübergegangen. Er war nun schon eine geraume Zeit in königlichen Diensten angestellt, und trotz seiner Jugend war er oft um die Person des Königs, dem er treu ergeben war.

Sehr stolz fühlte sich Sepperl, als er das erstemal die Livree des Königs trug. Er zeigte sich anstellig und geschickt, und der König war sehr zufrieden mit ihm.

Sobald Walpurga in den Ferien im Forsthaus war, kam auch Sepperl vom Schloß herüber, wenn es seine Zeit erlaubte. Zwischen ihm und Walpurga bestand noch immer das alte, geschwisterliche Verhältnis, und lustig kramten sie ihre gemeinsamen Erinnerungen aus.

Vor allem ihren Besuch im Schlosse damals, den besprachen sie immer wieder mit leuchtenden Augen.

Sepperl neckte Walpurga damit, daß sie unbedingt hatte wollen ihre Schuhe ausziehen, und Walpurga hielt ihm dann lachend vor, wie er über den Teppich hingestolpert und dann vor Schreck der Länge nach liegen geblieben war.

Die frohe, sorglose Kindheit vergaßen sie beide nicht, und Tonerl saß dann bei ihnen und hörte zu, wenn sie sich gegenseitig erzählten und einander fragten:

»Weißt Du noch?«

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