Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

6. Kapitel.
Erziehungspläne


Nur wenige Tage waren vergangen, da kam der König abermals ganz allein in das Forsthaus.

Es war wieder um die Zeit, da die Sonne im Sinken war. Aber diesmal hatte sich der König seinen Wagen mit dem Kutscher Heinrich Ronacher für die Heimkehr am Abend bestellt.

Auch jetzt trat er wieder in schlichten Kleidern vor die Förstersleute, die um den Tisch vor dem Hause saßen.

Ehrfurchtsvoll sprangen alle auf, als der König erschien. Nun sie wußten, wer er war, hatten sie ihre Unbefangenheit verloren.

Nur Burgerl war die alte geblieben. Jauchzend sprang sie dem König entgegen und küßte seine Hand. Und so glückselig, daß es des Königs Herz bewegte, rief sie laut:

»Ah, Du bist wieder g'kommen, lieber, guter Herr König, bist endlich wieder da! Wie gut, wie gut, i freu mich doch so arg, daß Du wieder da bist!«

Der König strich ihr lächelnd über das Haar und trat mit ihr zu ihren Eltern heran.

»Laßt Euch nicht stören, liebe Leute, und gönnt mir, wie neulich, ein Plätzchen an Eurem Herd. Aber ohne Umstände, ich bitte darum. Nicht der König kommt zu Euch, nur der wegmüde Wanderer. Wollt Ihr mir eine Wohltat erweisen, so laßt mich hier vergessen, daß ich König bin. In Eurem Hause habe ich neulich Ruhe und Frieden gefunden, laßt mich zuweilen bei Euch ausruhen, ich will es Euch danken!«

So sagte der König schlicht und herzlich.

Die Förstersleute schwiegen eine Weile, in Ehrfurcht erstarrt. Aber dann nahm die Försterin entschlossen ihr Herz in beide Hände.

Ein Blick in die schwermütigen Augen des Königs verriet der warmherzigen Frau, daß den hohen Herrn ein geheimes Leid bedrückte.

Und instinktiv erfaßte sie, daß der König in ihrem schlichten Hause nur finden würde, was er suchte, wenn man seinen Wunsch erfüllte.

»No alsdann,« sagte sie treuherzig mit bebender Stimme, »wenn unser lieber, guter Herr König, na, i wollt sagen, wenn Eure Majestät fürlieb nehmen wollen, gleich richt' i dös Nachtmahl, von Herzen is g'geben, i bitt gar schön!«

Burgerl schleppte schon einen Stuhl herbei mit einem Kissen darauf.

»Komm, setz' Dich nieder, Herr König, i hab' Dir ein Kissen mitg'bracht, weil Du doch lauter weiche Stühl' in Deinem Schlosse hast, weißt, damit Du Dich auch gut ruhen kannst. Gelt, Du bist den viel weiten Weg g'laufen?« plauderte das Burgerl und machte dem König einen behaglichen Sitz zurecht.

»Aber Burgerl,« rief der Vater mahnend, »Du mußt net so daher reden. Darfst net »Du« sagen zu unserem gnädigen Herrn König. Eure Majestät verzeihen dem Burgerl gütigst, is halt nur ein dummes, kleines Ding und weiß net, wie man eine erlauchte Majestät anreden muß!«

»Aber Vaterl,« rief Burgerl erregt, »i sag' doch zu unserem lieben Herrgott auch Du, und der liebe Herr König hat's mir doch erlaubt. Gelt, Herr König, ich darf Dich »Du« nennen?«

»Ja, Burgerl, das darfst Du gewiß!« sagte der König lächelnd, und zum Förster gewandt, fuhr er fort: »Plagt nicht Euch und mich mit Titulaturen, lieber Förster, laßt alles sein, wie neulich. Nur wenn Ihr mich ohne Zwang und Bedenken aufnehmt, kann ich wiederkommen. Gönnt mir das Ruheplätzchen an Eurem Herd, wo ich ein Weilchen die Welt da draußen vergessen will!«

Da blieb denn alles beim alten. Der König aß wieder die kräftige Kräutersuppe mit und ließ sich von Burgerl Kartoffeln schälen.

Und wenn dann Burgerl in ihrer drolligen Art Betrachtungen darüber anstellte, daß der König daheim in seinem vornehmen Schloß gar so arg viele gute Sachen zu Mittag essen müsse, und daß dabei eine Menge Geschirr gebraucht würde, da lachte der König oft herzlich darüber. Und jedes Lachen buchte er getreu unter die Dankesschuld, die er dem Burgerl noch begleichen wollte.

Burgerl war noch voll der neuen Eindrücke aus dem Schlosse und kam immer wieder darauf zurück.

Und der König staunte, wie genau sich jede Kleinigkeit ihrem kindlichen Sinne eingeprägt hatte. Jedes Zimmer konnte sie noch beschreiben, die Farbe der Teppiche und Portieren, der Möbelbezüge und Livreen.

Und am Prachtgewand des Königs wußte sie jede Kleinigkeit bis auf die Schuhschnallen genau anzugeben.

Natürlich fand sie für vieles nicht die richtige Benennung. Da machte sie sich ihre Worte selbst, und es kamen oft die drolligsten Bezeichnungen zutage.

Schnell vergingen dem König wieder ein paar Stunden, und als der Wagen vorfuhr, der ihn Heimbringen sollte, schied er nur ungern. Aber er versprach baldige Wiederkehr. – –

Sehr oft kam der König in Zukunft nach dem Forsthaus. Burgerls herzfroher Jubel bei seinem Erscheinen machte ihm immer das Herz warm.

Immer fester stand es bei ihm, daß er Burgerls Zukunft licht und schön gestalten wollte. Sie wurde ihm täglich lieber. Er nannte sie seinen Sorgenbrecher, sein Sonnenscheinchen und Waldvöglein. Manche Stunde verplauderte er mit ihr allein, wenn der Förster nicht daheim war und die Försterin im Hause zu tun hatte.

Auch den Förster mochte der König sehr gern. Dessen treuherzige, kernig-biedere Art, die so ganz ohne Falsch war, gefiel ihm sehr. In Zukunft ließ sich der König zuweilen auf seinen Streifzügen durch die Berge vom Förster Malwinger begleiten.

Solange der König in Hohenschwangau blieb, war er ein häufiger Gast im Forsthaus.

Aber dann wurde doch seine Anwesenheit in München wieder notwendig. Die Regierungsgeschäfte und Repräsentationspflichten hatten sich angehäuft.

Schweren Herzens entschloß er sich, auf einige Zeit nach München zurückzukehren.

Noch ein letztes Mal war er zum Forsthaus hinausgepilgert, um sich zu verabschieden und um endlich mit den Förstersleuten über Burgerls Zukunft zu sprechen.

Bisher hatte er es immer hinausgeschoben. Erstens verlangte er immer zu sehr nach Burgerls Gesellschaft, als daß er sich hätte entschließen können, das Kind aus dem Forsthaus zu entfernen. Dies war aber nötig, wenn Burgerl eine gute Erziehung und Schulbildung erhalten sollte.

Zweitens aber hatte sich der König gesagt, daß er sich erst darüber klar sein müsse, in welcher Weise er in Burgerls Leben eingreifen wollte, um es so zu gestalten, wie er es im Sinne hatte.

Daß Burgerl ein ungewöhnlich kluges und begabtes Kind war, hatte er bald herausgefunden. Auch daß ein reiches Seelenleben und ein tiefes Gemüt in dem Kinde schlummerte, wußte er.

Er dachte oft darüber nach, was für eine liebliche und anmutige Blüte sich aus der Knospe entfalten würde, wenn sie in die rechten Hände kam. Burgerl war ihm zu lieb geworden, als daß er leichthin über sie bestimmt hätte.

So hatte er sich inzwischen im stillen umgesehen, wo und wie Burgerl untergebracht werden sollte, wenn sie aus dem Forsthaus entfernt werden mußte. Heute nun, bei seinem letzten Aufenthalt für lange Zeit, wollte er Burgerls Eltern mit seinem Plane vertraut machen.

So hatte er eine lange und ernste Unterredung mit ihnen. Er sagte ihnen, daß es ihm Herzensbedürfnis sei, Burgerls Zukunft licht und sorgenlos zu gestalten. Vor allem solle sie eine sehr sorgfältige und gute Ausbildung erhalten.

Hier im Walde sei es mit der Schulbildung beschwerlich, im Winter müsse wegen der verschneiten Wege oft genug der Schulbesuch ganz ausfallen, und es sei doch schade um Burgerls Fähigkeiten. Deshalb habe er sich gedacht, daß Burgerl nach München in ein ihm als besonders vorzüglich bekanntes Pensionat kommen solle, wo sie alles lernen könne, was ihr not tue, und wo sie zugleich liebevolle, freundliche Aufnahme finden würde. Alle entstehenden Kosten trage er natürlich, Burgerl sollte ganz und gar auf seine Kosten erzogen werden.

Im übrigen sollte des Försters Gehalt erhöht werden, damit der König die Gastfreundschaft auch ferner annehmen könne, ohne fürchten zu müssen, daß die braven Leute sich seinetwegen Unkosten auferlegen müßten.

Auch über Sepperl hatte der König in seiner Großmut und Güte allerlei beschlossen.

Sepperl sollte ins Schloß zu seinem Vater kommen, damit dieser nicht allein in seiner Kutscherwohnung Hausen müsse, wie bisher. Damit er weibliche Fürsorge nicht entbehre, habe sich die Frau eines Hofgärtners bereit erklärt, ihn in Abwesenheit des Vaters unter ihre Aufsicht zu nehmen.

Der König wollte Sepperl später in seinen persönlichen Dienst nehmen, und deshalb sei es gut, wenn er sich an höfische Sitten und Gebräuche schon jetzt gewöhne.

Sepperl sei anstellig und ihm sehr sympathisch, und er liebe es, sich mit sympathischen Menschen zu umgeben.

Diese Eröffnungen machte der König den Förstersleuten.

Sie waren teils beglückt, teils beklommen. Wohl sahen sie ein, daß es der König herzlich gut mit ihnen meine und daß sie dem Glücke ihres Kindes nicht entgegenstehen durften.

Aber daß sie ihren lieben lustigen Wildfang fortgeben mußten nach München, das war ihnen ein schmerzlicher Gedanke.

Aber welcher Vater und welche Mutter brächten nicht freudig jedes Opfer, wenn es das Wohl ihrer Kinder gilt.

Sie trösteten sich mit dem Gedanken, daß sie ihr Burgerl doch wenigstens in den Ferien bei sich haben durften.

Und das versprach ihnen der König fest.

So gaben sie ihre Einwilligung und dankten dem König bewegt für seine große Güte.

Nun wurde Burgerl herbeigerufen. Sie hatte draußen mit Sepperl, Tonerl und dem Schnauzerl herumgetollt und kam mit glühenden Wangen und strahlenden Augen herbei.

Der König selbst sagte ihr nun in seiner milden, freundlichen Weise, was er mit den Eltern über sie beschlossen habe.

Burgerl erschrak erst bis in ihr tiefstes Herz hinein. Fort sollte sie von Vater und Mutter, von Sepperl und Tonerl? Den geliebten Wald und das traute Försterhäusel sollte sie verlassen?

Sie schluckte aber tapfer die aufsteigenden Tränen hinunter und sah voll gläubigen Vertrauens in des Königs Gesicht.

»Nun, Burgerl, was sagst Du zu alledem?« fragte der König, nachdem er ihr eine Weile Zeit gelassen hatte, sich zu fassen. Er hatte wohl gesehen, daß sie vor Schreck ganz blaß geworden war.

Burgerl tat einen tiefen Atemzug, und ihn mit feuchtschimmernden Augen anblickend, sagte sie leise:

»Wenn Du es so haben willst, lieber, guter König, dann wird's schon recht sein. Und Vaterl und Mutterl wollen auch nur Gutes für mich. Alsdann wird's schon sein müssen. Was der König befiehlt, dös muß g'schehen, sagt mei Vaterl immer!«

»Nein, Burgerl, befehlen will ich Dir in diesem Falle nichts. Nur Dein Bestes wünschen wir, das wirst Du erst später einsehen. Sieh', ich hab' Dich herzlich lieb, wie Deine Eltern Dich auch lieb haben. Du bist mein kleiner, lieber Sonnenschein, mein fröhliches Waldvöglein; ich will, daß Du immer in Licht und Sonne leben sollst, daß keine schweren Sorgen und Mühen Dich drücken sollen. Was in Menschenmacht steht, will ich tun, Dein Leben froh und leicht zu machen. Aber gern mußt Du tun, was wir zu Deinem eigenen Wohl von Dir verlangen. Nicht zwingen wollen wir Dich, hörst Du?«

Burgerl küßte aufatmend seine Hand.

»Weißt, i versteh' net alles, was Du meinst, aber i weiß, daß Du lieb und gut bist. Und wenn i Dir a wengerl Freud' machen kann, nachher wird mir gar nix schwer. Dös kannst mir schon glauben!«

Er streichelte lächelnd über das goldige Köpfchen.

»So ist's recht, Sonnenscheinchen. Bist ein tapferes Mädchen. Und nicht wahr, Du wirst brav und fleißig sein und lernen?«

Burgerl nickte.

»Dös will i g'wiß. Aber weißt, a wengerl läßt mich noch daheim, ja? Nur daß i mich erst d'ran g'wöhnen tu an den Gedanken, daß i fort muß!«

»Ja, Burgerl, ein paar Wochen bleibst Du noch daheim, solange es warm und schön im Walde ist. Den ganzen September hast Du noch vor Dir. Im Oktober aber kommst Du dann nach München. Dort wird es Dir schon gefallen, sollst es gut haben, dafür laß mich sorgen. Und Weihnachten kommst Du dann heim, wie in allen anderen Ferien, gelt?«

Das war dem Burgerl schon ein großer Trost. Sie gab sich schnell zufrieden und ließ nicht lange das Köpfchen hängen, zumal ihr der König noch versprach, daß er immer in den Ferien im Forsthause vorsprechen wollte, wenn sie daheim war.

Befriedigt verließ der König dann das Forsthaus. Am nächsten Tage reiste er nach München zurück.

.


 << zurück weiter >>