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11. Kapitel.
Wieder Daheim


Glückstrahlend war Walpurga wieder in der Heimat angelangt.

Der Vater hatte sie in München abgeholt. Die Mutter aber und Tonerl und Sepperl, die erwarteten sie daheim.

Ach, war das ein Jubel, ein Herzen und Küssen! Die Mutter wollte ihr herzliebes Kind gar nicht wieder aus den Armen lassen, und lachend und weinend zugleich hielten sie sich fest umschlungen.

Dann, als sich der Freudensturm ein wenig gelegt hatte, wurden Walpurgas städtische, modische Kleider, der feine Mantel, die leichten Stiefelchen und das hübsche Hütchen bewundert.

Frau Doktor hatte Walpurga auf des Königs Wunsch gar vornehm ausgestattet.

Angestaunt wurde Walpurga geradezu von Tonerl und Sepperl, als sie nach dem ersten Freudenausbruch ihr mühsam erlerntes Schuldeutsch sprach.

Dieses hielt, das müssen wir hier nur gleich gestehen, allerdings nicht lange stand. Hier, in der alten, vertrauten Umgebung, plauderte Walpurga schnell wieder ihren alten Dialekt, und im Handumdrehen wurde aus der städtischen Walpurga wieder das liebe alte Burgerl.

Und die Mutter holte dann gleich, zur Schonung der neuen Kleider, ihres Burgerls altes Gewand hervor, das sie noch aufbewahrt hatte.

Und ehe man sich um den festlich gedeckten Kaffeetisch setzte, auf dem Mutters selbstgebackener Kuchen duftete, da zog Burgerl das alte, rote Röcklein wieder an. Es war, als sei sie gar nicht fortgewesen. –

Wie herrlich schmeckte es Burgerl an dem heimischen Kaffeetisch. Und von drüben aus dem Staatszimmer zog ein Duft herüber von der dort aufgestellten Weihnachtstanne. Rings um sie her liebevolle, freundliche Gesichter, keine kalten, spöttischen Augen, die kritisch ihr Tun beobachteten.

Ach, Burgerl jauchzte laut auf vor Glückseligkeit, und dann sagte sie, die Hände fest an das Herz drückend:

»Ach, jetzt weiß i doch gleich, warum mich der liebe Herrgott und mein lieber Herr König nach München g'schickt haben!«

»Nun, warum denn?« fragte der Vater lächelnd.

Burgerl holte tief Atem.

»Damit i so recht merken tu, wie schön es daheim is. I' freu' mich schon wieder auf die nächsten Ferien!« sagte sie.

»No, no, erst bist einmal jetzt da, und a wengerl bleibst jetzt bei uns!« sagte die Mutter froh, ihr ein neues Stück Kuchen zuschiebend.

Burgerl aß mit gutem Appetit.

»Kriegst doch auch ordentlich zu essen in der Pension, Burgerl?« fragte die Mutter besorgt.

Burgerl nickte.

»Da kannst ohne Sorg' sein, mei liebes Mutterl. Frau Doktor laßt niemand Hunger leiden, o nein. Tüchtig müssen wir essen, und lauter gute Sach'!«

»Na, und sonst, Burgerl, wie g'fallt Dir's in der Pension? Nun mußt Du uns erzählen; weißt, es tut uns doch drauf verlangen, zu hören, wie dös alles geht!« erkundigte sich die Mutter weiter.

Da erzählte denn Burgerl frisch drauf los in ihrer lebhaften, herzigen Art.

Zuerst von Frau Doktor, wie sie so lieb und gut sei, dann von den Lehrern und Lehrerinnen, die mit ihr zufrieden waren. Nachher von ihrer herzlieben Freundin Margarete von Hellborn. Von der konnte sie gar nicht genug erzählen.

Auch ihr ganzes Tagewerk von früh bis abends beschrieb sie genau und ihr Zimmer, in dem sie mit Margarete wohnte.

Aber von den anderen Kindern berichtete sie nur, daß es gar stolze und vornehme Mädchen seien und lange nicht so nett und lieb wie Margarete. Von den Kränkungen aber, die ihr von diesen anderen zugefügt worden waren, erwähnte das tapfere Burgerl kein Wort, denn sie dachte sich:

»Wenn Du Deinen lieben Eltern das erzählst, dann sind sie immerfort in Sorge und grämen sich darüber sehr. Behalt' das lieber für Dich, damit sie sich nicht betrüben; helfen können sie Dir doch nicht. Und Du wirst schon allein damit fertig werden!«

So erzählte sie nur alles, was den Eltern Freude machen konnte. Das andere behielt sie für sich.

Jetzt schien es ihr auch gar nicht mehr so schlimm gewesen zu sein. Hatte sie nicht Margarete gehabt? Und waren nicht Frau Doktor und die Lehrer und Lehrerinnen sehr lieb und freundlich zu ihr?

Ach, wozu an die schlimmen Stunden zurückdenken. Keine Minute wollte sie sich dadurch von ihren Ferien trüben lassen, und Vaterl und Mutterl sollte nicht das Herz schwer gemacht werden. –

Am nächsten Tage war der Weihnachtsabend.

Nachmittags waren die Kinder mit dem Vater im Walde gewesen, um das Wild am Futterplatz zu sehen. Als es dunkelte, kamen sie heim.

Die Mutter hatte inzwischen alles zur Bescherung vorbereitet. Nun zündete sie mit dem Vater die Lichter am Weihnachtsbaum an, dann klingelte sie und öffnete die Tür.

O der alte, liebe Weihnachtszauber, wie froh macht er alle Herzen!

Burgerl sang, mit strahlenden Augen in der Tür stehend, ein schönes Weihnachtslied, das sie im Institut gelernt hatte:

»Vom Himmel hoch, da komm ich her.«

Klar und rein, wie von einer Engelsstimme, tönte der liebliche Gesang durch den schlichten Raum.

Die Eltern hatten sich bewegt bei den Händen gefaßt und lauschten gar andächtig auf ihres Burgerls Gesang. Sie konnten den Blick nicht wenden von dem lieblichen Kindergesicht, gar zu hold sah es aus, und die goldenen Löckchen glänzten wie ein Heiligenschein um das feine Köpfchen.

Sepperl konnte es zwar kaum erwarten, an seinen Gabentisch zu kommen, aber auch er mußte immerfort auf das Burgerl schauen.

»Weißt, Burgerl, wie ein leibhaftiges Engerl selbst hast eben ausg'schaut. Und schön singen kannst schon. Dös Liederl mußt' mir lehren, dös g'fallt mir!« sagte er anerkennend, als sie zu Ende war.

Dann wurde beschert, und jubelnde Kinderstimmen füllten den Raum.

Herrliche Weihnachtszeit! Wer kann sich Deinem Zauber entziehen!

* * *

Am zweiten Weihnachtsfeiertag kam ganz unerwartet der König in seinem wundervollen Schlitten angefahren.

Wie immer bei seinen Besuchen, war er ohne Begleitung. Nur Sepperls Vater saß auf dem Bock und kutschierte.

Freudig wurde der König willkommen geheißen. Man hatte ihn noch in München geglaubt. Burgerl lief ihm jubelnd entgegen.

»Daß Du nur da bist, daß i Dich wiederseh', ach, i freu' mich so sehr, daß i Dich endlich wieder einmal anschauen kann, lieber, lieber Herr König. Komm schnell eini ins warme Stüberl!« rief sie glückselig und küßte seine Hand.

Der König hob ihr Köpfchen empor und sah sie an.

»Sonnenscheinchen, wie hab' ich Dein Plauderstimmchen vermißt, wie hab' ich mich gesehnt nach der friedlichen Stille!« sagte er seufzend.

Burgerl traten die Tränen in die Augen.

»Soviel traurig schaust aus, lieber Herr König. Gelt, Du hast es schwer g'habt mit dem Regieren in Deinem Münchner Schloß? Es macht Dir halt viel Sorg' und Kümmernisse, net wahr?« fragte sie besorgt und voll Mitleid.

Der König lächelte.

»Was weißt Du von den Sorgen und Kümmernissen eines Königs, kleines Waldvöglein. Sprechen wir nicht davon, die will ich ja hier vergessen. Ich habe Sehnsucht gehabt nach Deinem frohen Lachen, und da ich Dich daheim wußte, trieb es mich her. Nur wenig Zeit hab' ich übrig. Aber ich will doch hören, wie es Dir ergangen ist im Institut. Frau Dr. Moritz hat mir mitgeteilt, daß sie mit Dir zufrieden ist. Nun will ich aber auch hören, wie es Dir gefällt!« sagte er freundlich in seiner gütigen Art.

Da erzählte dann Burgerl tapfer drauf los – alles Gute und Liebe aus der Pension.

Und um dem König zu zeigen, was sie schon gelernt hatte, sprach sie hochdeutsch und gab schließlich auch die bei Tisch erlernten französischen und englischen Sätze zum besten.

Das klang dem König so lieb und drollig, daß er herzlich lachen mußte.

Inzwischen war es dunkel geworden, und die Försterin hatte, ohne erst zu fragen, die Lichter am Weihnachtsbaum angezündet.

Walpurga mußte nun auch dem König ihr Weihnachtslied singen. Als sie geendet hatte, stand der König, der sich leise erhoben hatte, am Fenster, den Rücken nach dem Zimmer gekehrt. Und die Försterin sah, daß er hastig mit dem Taschentuch über die Augen wischte.

»Ja, ja, das Burgerl, das kann aber auch singen wie ein leibhaftiges Engerl,« so dachte die Försterin stolz.

Endlich wandte sich der König wieder um. In seinen Augen lag noch ein feuchter Glanz.

Walpurga blickte beklommen zu ihm auf.

»Hab' i mei Liederl net gut g'sungen? Bist 'leicht net zufrieden mit mir?« fragte sie ängstlich.

Er nickte ihr freundlich zu.

»Kind,« sagte er leise, »lieb hast Du Dein Lied gesungen. Jetzt hab' ich auch im Herzen Weihnacht gefeiert!«

Und sich schnell straff aufrichtend und noch mit einem Blick das schlichte, traute Zimmer umfassend, fuhr er frischer fort:

»Jetzt ruf' mir Sepperls Vater herbei!«

Dieser hatte inzwischen draußen in der Küche schnell mit seinem Schwager ein Glas heißen Punsch getrunken und dabei seinen Sepperl im Arm gehalten.

Nun eilte er ins Zimmer und der König gab ihm einen Wink. Da ging er gleich wieder hinaus.

Der König verabschiedete sich nun schnell und verließ gleichfalls das Zimmer. Schnell nahm er im Schlitten Platz.

Sepperls Vater hatte inzwischen eine große Kiste vom Schlitten heruntergehoben und setzte sie nun, über das ganze Gesicht lachend, mitten im Hausflur nieder vor der überraschten Förstersfamilie.

Ehe jemand ein Wort sagen konnte, war er wieder draußen, und als sie herauskamen, fuhr eben der königliche Schlitten davon.

Burgerl schwenkte noch schnell ihr Tüchlein.

»B'hüt Gott auch, lieber Herr König!« rief sie ihm nach.

»Auf Wiedersehen, Sonnenscheinchen!« rief der König zurück.

Burgerl sah ihm nach, bis er in der Finsternis verschwunden war.

Und dann gab es noch einmal eine Bescherung im Forsthaus.

In der großen Kiste war für jedes der Familienmitglieder ein Geschenk des Königs. Die Försterin bekam einen Ballen weißes, feines Linnen, der Förster eine Pfeife mit silbernen Beschlägen, Burgerl ein herrliches Märchenbuch mit wunderschönen Illustrationen, Sepperl eine ganz große Schachtel mit Bleisoldaten und das Tonerl eine schöne Puppe. Dazu für jeden allerlei Weihnachtsleckerei.

Das gab wieder neuen Jubel und alle bedauerten nur sehr, daß der König sich ihrem Dank entzogen hatte.

Burgerl setzte sich gleich mit ihrem Buch auf die Ofenbank. Und da jauchzte sie plötzlich laut auf.

Auf der ersten Seite des Buches stand von des Königs Hand geschrieben:

»Meinem Sonnenscheinchen. Ludwig II.«

Ach, war da das Burgerl glücklich und stolz! Schwarz auf weiß hatte sie es nun, daß sie des Königs, ihres geliebten, herrlichen Königs Sonnenscheinchen war.

Kein anderes Geschenk hätte ihr soviel Freude machen können. Von diesem Buche mochte sie sich gar nicht trennen.

Walpurga wartete nun sehnlichst, daß der König noch einmal kommen würde.

Sepperls Vater hatte dem Förster erzählt, daß Seine Majestät einige Zeit in Hohenschwangau bleiben und dann erst wieder nach München zurückkehren würde.

Nun hoffte Walpurga, daß der König noch einmal herüberkam, ehe sie ins Institut zurückmußte.

Aber ein Tag nach dem anderen verging, und König Ludwig erschien nicht. Er verlebte wieder einmal seine Tage in völliger Zurückgezogenheit und wollte selbst seine Diener nicht sehen. Das war immer so, wenn er gezwungen worden war, in München großen Hofstaat zu halten und viel Menschen um sich zu sehen.

Walpurga hatte schon alle Hoffnung aufgegeben. Aber am letzten Tage vor ihrer Abreise erschien der König doch noch einmal im Forsthaus.

Ueber eine Stunde saß er mit Burgerl im Wohnzimmer, behaglich in einen Lehnstuhl zurückgelehnt und auf ihr Geplauder hörend.

Der Förster war nicht daheim, die Försterin hatte im Haushalt zu tun. Tonerl saß bei Sepperl, der seine Sachen packte, denn er sollte ebenfalls am nächsten Tage das Forsthaus verlassen, um ins Schloß zu seinem Vater überzusiedeln.

»Ja,« sagte Burgerl aufatmend, »der Sepperl hat's gut, der kommt nun in Dein Schloß, Herr König, und darf Dich fast alle Tage sehen!«

Der König lächelte.

»Ist denn das ein so großes Glück, Burgerl?« fragte er zweifelnd.

Sie nickte ernsthaft.

»Ja. Ich möcht' immer bei Dir sein. Dich immer trösten, wenn Du so traurig ausschaust. Immer muß ich an Dich denken, wenn ich Dich nicht sehen kann. Und dann hab' ich oft so eine große Angst, daß Du traurig bist und niemand bei Dir ist, der Dich trösten kann. Wenn Du wenigstens eine Frau Königin hättest! Weißt, manchmal ist mir, als müßt' ich laufen und laufen, bis ich bei Dir wäre. Nur schnell einmal in Dein Antlitz möcht' ich dann schauen, ob Du auch nicht traurig bist!«

Der König blickte aufseufzend in ihr Gesicht.

»So lieb bin ich Dir, kleine Burgerl?« fragte er.

Sie nickte wieder.

»Ja, ich hab' Dich soviel lieb, grad' so lieb wie mei Vaterl und mei Mutterl!« sagte sie mit dem Ausdruck großer Wahrhaftigkeit.

»Kind,« sagte er bewegt, »ich verdiene soviel Liebe gar nicht!«

Burgerl lachte.

»Ach, weißt, die Lieb', die verdient man doch nicht, sie ist halt da!« sagte sie froh.

Da mußte der König auch lachen.

»So, so, sie ist halt da!« sagte er amüsiert. »Kleine Burgerl, was Du oft für drollige und doch so gescheite Einfälle hast!«

»Gelt, Du hast mich auch a wengerl lieb?« fragte sie, seines Lachens froh.

»Sehr lieb, Sonnenscheinchen, das mußt Du doch wissen!« erwiderte er.

Da klatschte sie in die Hände.

»Ich hab's schon gewußt, ja, ich hab's schon gewußt. Sonst würdest Du doch nicht soviel Gutes tun an mir. Weißt, über das Buch hab' ich mich gefreut, rein närrisch, ja – zumeist über das, was Du mir reingeschrieben hast. Ich muß es immer wieder anschauen. Und das Buch nehme ich mit ins Institut; ja, ich mag mich nicht davon trennen. Auch nicht von Deinem Bild da im Medaillon. Nun komm ich erst Ostern wieder heim. Wirst da auch ins Försterhäusl kommen, ja?«

So plauderte Burgerl.

Der König versprach, daß er in den Osterferien bestimmt im Forsthaus sein würde, und da gab sie sich zufrieden.

Inzwischen war Sepperl fertig geworden mit dem Einpacken und kam nun mit Tonerl herüber.

Eine Weile scherzte der König noch mit den Kindern, dann brach er auf mit dem inzwischen heimgekehrten Förster, der den König ein Stück Weges begleiten sollte.

Am nächsten Tage fuhr Burgerl nach München, und Sepperl wurde von seinem Vater nach Schloß Hohenschwangau geholt.

Da wurde es nun gar still im Forsthaus. Die Försterin wischte sich oft verstohlen über die Augen, weil sie Sehnsucht nach den Kindern, vor allem nach Walpurga hatte.

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