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7. Kapitel.
Im Pensionat


Das Erziehungsinstitut von Frau Dr. Moritz, der Witwe eines Schuldirektors, befand sich in einer schönen, vornehmen Straße Münchens.

Es war ein hübsches, dreistöckiges Gebäude, mit einem kleineren Vorgarten und einem großen Garten hinter dem Hause. Von diesem großen Garten war der größte Teil abgegrenzt als Turn- und Spielplatz für die Zöglinge.

Im Parterre und dem ersten Stock befanden sich die Schulklassen, in denen nicht nur die Pensionärinnen, die im Hause wohnten, sondern auch noch Töchter aus vornehmen Münchner Familien unterrichtet wurden.

Frau Dr. Moritz leitete zugleich die Schule und das Pensionat.

Die Wohnräume und Schlafzimmer für die Pensionärinnen, sowie die Wohnung der Frau Dr. Moritz, die ihre alte Mutter noch bei sich hatte, befanden sich im zweiten Stockwerk.

Im dritten Stockwerk lagen die Wirtschaftsräume, die große Küche, sowie einige Zimmer für die teilweise im Hause wohnenden Lehrerinnen, die sich auch außer der Schulzeit um die Pensionärinnen kümmern und die Aufsicht führen mußten.

Mit wenig Ausnahmen wurden Schule und Pensionat der Frau Dr. Moritz nur von Töchtern aus adligen Familien besucht. Die im Hause wohnenden Pensionärinnen waren meist aus Gutsbesitzers-Familien der Umgegend.

Nur wenig bürgerliche Kinder hatten in diesem Institut Aufnahme gefunden. Diese hatten sehr reiche Eltern, die sich den Luxus erlauben konnten, einen hohen Pensionspreis zu zahlen.

Und in diesem vornehmen Institut sollte nun Walpurga Malwinger, des Försters Burgerl, auf Wunsch und Befehl des Königs Aufnahme finden.

Frau Dr. Moritz hätte es nicht gewagt, eines einfachen, armen Försters Kind in die Reihe ihrer vornehmen und reichen Zöglinge aufzunehmen, wenn nicht eben des Königs Wille es so bestimmt hätte.

Frau Dr. Moritz war eine kluge und gütige Frau. Sie verhehlte sich nicht, daß das kleine Försterstöchterchen zwischen den anderen Zöglingen einen schweren Stand haben würde.

Aber sie wußte auch, wie mächtig des Königs Wille war. Und sie beschloß, sich des Schützlings des Königs besonders anzunehmen.

Der Förster Malwinger brachte sein Töchterchen, nachdem es herzinnigen Abschied von den Lieben daheim genommen hatte, selbst nach München. Es war in den ersten Oktobertagen, und die Sonne schien noch hell und freundlich.

Auf der Fahrt hatte Burgerl allerhand Neues zu sehen. Das half ihr über den ersten Trennungsschmerz ein wenig hinweg. Und noch war ja der Vater bei ihr.

Als Vater und Tochter nach einigem Zögern das stattliche Haus der Frau Dr. Moritz betraten, lag der große Hausflur still und leer vor ihnen.

Die Ferien waren eben erst zu Ende, und morgen sollte die Schule wieder beginnen. Die Pensionärinnen waren zwar schon wieder von daheim eingetroffen, aber sie befanden sich oben im zweiten Stockwerk und bereiteten sich auf den neu beginnenden Unterricht vor.

Der Schuldiener kam aber sofort aus seinem Pförtnerstübchen heraus, und gerade, als er die Ankommenden nach ihrem Begehr fragte, kamen durch die Hintertür aus dem Garten zwei etwa zehnjährige Mädchen und schritten durch den Hausflur die Treppe hinauf.

Es waren zwei Pensionärinnen, die im Auftrag einer Lehrerin eine Pflanze ausgegraben hatten, welche am nächsten Tag besprochen werden sollte.

Als sie Burgerl und ihren Vater erblickten, zögerten sie eine Weile, weiterzugehen. Das kleine Mädchen in der bäuerischen Tracht schien sie zu amüsieren. Sie stießen einander verstohlen an und kicherten.

Burgerl trug ihr Sonntagsgewand. Das blütenweiße Hemd sah gar lieb aus dem schwarzen Samtmiederchen heraus. Um das schlanke, gebräunte Hälschen hatte ihr die Försterin sogar die Kette mit dem Medaillon des Königs gelegt; Burgerl hatte sich nicht davon trennen mögen.

Freilich die plumpen, schweren Nagelschuhe sahen drollig genug aus an den kleinen Füßen, und daß Burgerl ihre Habseligkeiten in einem bunten Tuch als Bündel bei sich trug, war nach städtischen Begriffen auch durchaus nicht elegant.

Burgerl wußte das aber nicht. Sie fühlte nur instinktiv, daß die beiden städtisch gekleideten Mädchen mit dem eleganten Schuhzeug und den hochmütigen Gesichtern sich über sie lustig machten.

Beklommen sah sie hinter ihnen her und seufzte ein wenig.

Der Schuldiener hatte inzwischen den Förster und seine Tochter bei Frau Dr. Moritz angemeldet.

Diese kam jetzt die Treppe herunter, und bei den kichernden Mädchen stehen bleibend, sprach sie einige leise, strenge Worte mit ihnen, weil sie gleich merkte, daß sie Burgerl ausspotteten. Sie schickte sie hinauf in ihre Zimmer.

Darauf verschwanden die Mädchen, aber gleich darauf erschienen ihre Köpfe neben vielen anderen mit neugierigem Ausdruck oben über dem Treppengeländer. Sie hatten oben erzählt, daß ein Bauernmädel im Hause sei, das sehr komisch aussehe.

Burgerl sah all die spöttischen Gesichter über dem Treppengeländer, und ihr Herz wurde sehr schwer. Aber sie preßte die Lippen fest aufeinander und sagte nichts, trotzdem sie fühlte, daß sie die gute Dame, die mit dem Vater sprach, nur hätte auf die Mädchen aufmerksam zu machen brauchen, um sie zu verscheuchen.

Frau Dr. Moritz sah mit ihren klugen, gütigen Augen in Burgerls hübsches, frisches Gesicht.

Burgerl war zumute, als müßten diese Augen bis auf den Grund ihrer Seele blicken.

Nun reichte die stattliche, vornehme Dame dem Förster freundlich die Hand.

»Grüß Gott, Herr Förster. Ihre Ankunft ist mir schon gemeldet worden!« sagte sie lächelnd.

Der Förster hatte steif und gezwungen dagestanden. Bei den freundlichen Worten belebte sich sein Gesicht.

Die Direktorin gefiel ihm sehr gut, zu ihr konnte er gleich Vertrauen fassen, und bei ihr war Burgerl sicher gut aufgehoben.

»Grüß' Gott auch, Frau Doktor – und da bring' i mei Burgerl, wie es Seine Majestät befohlen hat. I bitt' schön, nehmen Sie das Kinderl freundlich auf!« sagte er.

Frau Dr. Moritz neigte sich nun zu Burgerl herab und reichte auch ihr die Hand.

»Willkommen in meinem Hause, Walpurga Malwinger!« sagte sie herzlich.

Burgerl mußte sich erst ein wenig besinnen, daß sie selbst es war, die so hieß. Aber dann legte sie schnell und zutraulich ihre Hand in die der freundlichen Dame und sagte herzhaft und tapfer:

»Grüß' Gott auch, liebe Frau!«

Ein Lächeln flog über das Gesicht der Schulvorsteherin.

Oben aber, über dem Treppengeländer, kicherte es durcheinander. Als aber Frau Doktor emporsah, verschwanden blitzschnell all die spöttischen Mädchengesichter.

Die Schulvorsteherin öffnete nun ihr Amtszimmer, das gleich neben dem Pförtnerstübchen lag, und bat den Förster und Burgerl, einzutreten.

Burgerl sah sich erstaunt in dem Zimmer um.

»O, mei liebes Herrgottel, schau doch nur die vielen, vielen Bücher an, Vater! – die ganzen Wänd' voll Bücher!« stieß sie atemlos hervor.

»Kannst Du schon lesen, Walpurga?« fragte die Schulvorsteherin freundlich.

Burgerl nickte.

»Ja, dös kann i, a wengerl freili nur; weißt, es geht noch a bisserl langsam!« antwortete sie zaghaft.

Frau Doktor reichte ihr ein aufgeschlagenes Buch.

»Nun, so lies mir einmal vor, was hier auf dieser Seite steht!«

Burgerl nahm das Buch, nachdem sie ihr Bündelchen auf einen Stuhl gelegt hatte, und las langsam, aber ohne Stocken eine Fabel vor.

Es klang lieb und drollig, wie sie, ihren Dialekt bezwingend, das reine Deutsch hervorbrachte.

Frau Dr. Moritz hätte am liebsten das niedliche, herzige Persönchen in ihre Arme genommen und geküßt.

Sie war sehr warmherzig. Aber natürlich mußte sie sich als Schulvorsteherin bezwingen und ganz amtlich auftreten.

Nach einer Weile nahm sie Burgerl, zufrieden nickend, das Buch wieder fort.

»Nun sieh' mal, das geht ja ganz leidlich. Jetzt wollen wir ein wenig rechnen, und dann schreibst Du mir einmal Deinen Namen auf, damit ich sehe, wie Du schreiben kannst!«

Mit dem Schreiben ging es am schlechtesten. Burgerls unruhige Fingerchen konnten sich schlecht dazu bequemen, langsam und stetig die Feder zu führen.

Und bisher hatte der schöne, liebe Wald zuviel gelockt. Da war Burgerl immer viel lieber draußen herumgetollt, als still hinter dem Schreibheft zu sitzen.

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»Gelt, liebe Frau, dös schaut net gut aus, dös G'schreibsel. Aber i will mir schon Mühe geben, damit der liebe, gute Herr König a wengerl Freud' an mir hat. Gelt, Du tust es mir lernen, wie einer schön schreibt?« sagte Burgerl, als die Vorsteherin ihre Schrift betrachtete.

Diese mußte lachen.

»Wenn Du nur den guten Willen hast, Walpurga, dann lernst Du alles!« antwortete sie.

Im ganzen fiel die Prüfung nicht so schlecht aus, als Frau Dr. Moritz gefürchtet hatte.

Sie sagte dem Förster, daß sie es wagen wollte, Walpurga ihrem Alter entsprechend in die Klasse einzureihen. Da diese Klasse erst seit Ostern mit fremdsprachlichem Unterricht begonnen hatte, hoffte sie, daß ihre neue Schülerin sich einrichten würde.

Der Förster war froh darüber und gab bereitwillig noch über alles Auskunft, was die Vorsteherin interessierte. Auf ihren Wunsch erzählte er ihr auch ausführlich, wie es gekommen war, daß der König für Burgerl eine so große Vorliebe gefaßt hatte.

Frau Doktor teilte dann dem Förster mit, daß der König ihr habe Geld anweisen lassen, nicht nur den Betrag für die Pension, sondern auch für Bücher, Kleider und sonstige Bedürfnisse seines Schützlings. Darum brauche sich der Förster gar nicht zu kümmern, sie werde selbst alles, was nötig sei, für Walpurga anschaffen und dem König Rechnung darüber ablegen.

Auch daß der König bestimmt habe, Walpurga solle eine sehr sorgfältige Erziehung genießen, erzählte sie dem Förster, und versicherte ihm, daß sie alles tun werde, was in ihrer Macht liege, um Seine Majestät zufrieden zu stellen.

Und ganz ruhig und unbesorgt möge der Förster wieder heimkehren zu seiner Frau und ihr melden, daß ihr Töchterchen in treuer, guter Hut sei. Nicht nur, weil des Königs Auftrag ein gutes Geschäft für sie bedeute, sondern weil ihr die kleine Walpurga schon jetzt sehr lieb sei und es ihr nicht schwer fallen werde, das Kind immer lieber zu gewinnen.

Solche Worte nahmen dem Förster eine große Last von der Seele. Er bedankte sich herzlich. Und dann mußte Frau Doktor noch ganz genau sagen, wann die Weihnachtsferien und die anderen Ferien begannen. Denn Burgerl und ihre Eltern freuten sich schon jetzt auf diese Ferien.

Dann kam der Abschied.

Der Förster ließ sich keine Schwäche merken, und auch Burgerl war tapfer und gefaßt. Ihr Gesichtchen wurde zwar ein wenig blaß, und die großen, blauen Augen bekamen einen feuchten Schimmer, aber sie dachte bei sich:

»Der gute Herr König hat es gewollt und es wird ihm Freude machen, wenn ich tapfer bleibe!«

Sie drückte das Medaillon, ihr kostbarstes Besitztum, an ihr Herz und nickte dem Vater lächelnd zu.

»B'hüt Gott, mei liebes Vaterl, und tu mir mei liebes Mutterl und das Tonerl und den Sepperl schön grüßen!« sagte sie noch.

Der Vater nickte, küßte sein herzliebes Kind noch einmal auf die Stirn, schüttelte der Frau Doktor die Hand, daß diese kaum einen leisen Schmerzensruf unterdrücken konnte, und ging dann schnell hinaus.

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