Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

14. Kapitel.
Eine Begegnung mit Richard Wagner


Walpurgas musikalischer Unterricht war in all den Jahren sorgfältig weitergeführt worden. Sie hatte großartige Fortschritte gemacht und beherrschte das Klavier, als sie fast sechzehn Jahre alt geworden, vollständig.

Ihr verständiger Musiklehrer hatte in all den Jahren ihre Stimme nicht außer acht gelassen. Nie hatte er geduldet, daß sie ihre Stimme anstrengte.

Nun glaubte er jedoch, daß die Zeit gekommen war, wo man Walpurga regelmäßigen Gesangsunterricht geben konnte.

Er selbst fühlte sich nicht befugt, dieses kostbare Stimmmaterial zu bilden, und machte Frau Dr. Moritz darauf aufmerksam, daß es direkt eine Sünde wäre, wenn Walpurgas Stimme nicht künstlerisch ausgebildet würde. Die besten Lehrer seien gerade gut genug für sie.

Frau Dr. Moritz nahm sich vor, Seiner Majestät bei passender Gelegenheit diesen Ausspruch des Musiklehrers zu unterbreiten.

Sie dachte an den alten Herrn, der einst bei der Schulfeier gesagt hatte, daß Walpurga ein Vermögen in der Kehle habe.

Vorläufig standen nun aber erst die Sommerferien vor der Tür, und die wollte Frau Doktor erst noch vorüberlassen, ehe sie an den König schrieb.

Inzwischen hatten sich Richard Wagners Opern, mit Hilfe des Königs, mehr und mehr die Bühne erobert.

Die älteren Zöglinge des Instituts waren einigemal in Frau Doktors Begleitung im königlichen Hoftheater gewesen und hatten Wagner-Opern gehört.

Auf diese Weise hatte Walpurga »Die Meistersinger«, »Lohengrin« und »Tannhäuser« gesehen.

Sie war wie im Traume aus dem Theater nach Hause gegangen. Ein Feuer der Begeisterung und des Entzückens hatte sie erfaßt. Mit ihrem feinen, musikalischen Gehör hatte sie sich die meisten Melodien eingeprägt und sang sie leise vor sich hin, wenn sie allein war. Und dann war es ihr selbst, als stände sie als Evchen, oder als Elisa, oder als Elisabeth auf der Bühne.

Instinktiv ahmte sie die Bewegungen der Sängerinnen nach, und wenn man sie anrief, schrak sie empor wie aus einem Traume.

Wie gern hätte sie einmal laut diese herrlichen Weisen herausgejubelt im Feuer der Begeisterung. Aber im Institut wagte sie das nicht.

Nun kamen aber die Sommerferien, und daheim in ihrem geliebten Wald, nur Bäume und Himmel über sich und um sich, da sang sie jauchzend die erlauschten Weisen.

Es war der Sommer des Jahres 1876.

Walpurgas Erziehung im Institut war nun fast vollendet. Bis zum Oktober sollte sie noch im Pensionat bleiben. Es waren also die letzten Ferien, die Walpurga verlebte.

Für den August war die erste Aufführung des Nibelungen-Zyklus in Bayreuth geplant.

König Ludwig wohnte auf seinem neuen Schloß Neuschwanstein, und Richard Wagner war dort eingetroffen, um noch allerlei mit seinem mächtigen Freund und Gönner zu besprechen. Auch wollte er den König bitten, persönlich den Vorstellungen beizuwohnen.

König Ludwig hatte in den letzten Jahren fast nur Sondervorstellungen für sich aufführen lassen, und Richard Wagner fürchtete, daß der König den geplanten Nibelungen-Aufführungen fernbleiben würde.

Da diese Aufführungen nicht nur von dem Deutschen Kaiser, sondern auch von vielen anderen Fürsten besucht werden sollten, wäre es Richard Wagner schmerzlich gewesen, wenn sein königlicher Freund, dem er so unendlich viel zu danken hatte, sein Erscheinen nicht zugesagt hätte.

Richard Wagner kannte genugsam König Ludwigs Scheu vor öffentlichen Veranstaltungen, und so wollte er ihm persönlich seine Bitte vortragen.

Und König Ludwig brachte es denn auch nicht fertig, dem verehrten Meister seine Bitte abzuschlagen. Er sagte sein Erscheinen fest zu.

Sehr froh war Richard Wagner über diese Zusage, und der König freute sich, daß er wieder einmal seinen Freund einige Stunden für sich allein hatte.

Am Nachmittag unternahmen die beiden Herren einen Waldspaziergang.

Zu gleicher Zeit hielt sich aber auch Walpurga im Walde auf. Sie war immer glückselig, wenn sie in den Ferien so ungebunden im Walde umherstreifen konnte. Am liebsten ging sie nach Neuschwanstein hinüber, weil sie sich da ihrem königlichen Wohltäter am nächsten befand.

Walpurga war nun ein sehr hübsches und liebreizendes Mädchen geworden und sah ganz so aus, wie eine vornehme, junge Dame. Nur war ihr Wesen bei aller Anmut und Grazie ganz natürlich und ungeziert geblieben, und nichts vermag einem jungen Mädchen besser anzustehen als ein natürliches, wahrhaftes Wesen.

Walpurgas schöne, blaue Augen lachten rein und unschuldsvoll in die schöne Welt. Noch immer woben die goldenen Löckchen einen richtigen Heiligenschein um ihr junges Haupt. Die dicken, schweren Zöpfe waren anmutig aufgesteckt und bedeckten den ganzen Hinterkopf.

Sie trug ein schlichtes, aber sehr hübsches, weißes Kleidchen mit einem breiten Gürtel, und ihre jugendkräftige, schlanke Gestalt sah sehr reizend darin aus.

Glückselig schritt sie dahin auf dem weichen Waldboden und summte ein Liedchen vor sich hin.

Dann erblickte sie durch eine Waldlichtung Schloß Neuschwanstein. Da erfaßte sie plötzlich eine seltsame Stimmung. Sie vergaß sich selbst und alles um sich her. Nur das Schloß sah sie im Sonnenschein vor sich liegen.

Neuschwanstein und die Wartburg verbanden sich in ihrer Phantasie. Sie versetzte sich in die Zeit der Minnesänger zurück. Wie die Elisabeth aus dem »Tannhäuser« kam sie sich vor, und plötzlich kam es über sie mit unbezwinglicher Lust.

Mit einem Jauchzer sprang sie auf einen mächtigen, abgeschlagenen Baumstumpf und bildete sich nun ein, daß sie auf einer Bühne stehe.

Ihr Herz erglühte in künstlerischer Begeisterung, und unwillkürlich die der Sängerin der Elisabeth abgelauschten Bewegungen nachahmend, sang sie, ihre ganze, volle Stimme einsetzend, mit jubelnder Lust das Lied der Elisabeth:

»Dich, teure Halle, grüß ich wieder.«

Voll und rein, in wunderbarer Schönheit kamen die Töne über ihre Lippen, und mit einem so hinreißend beseelten Ausdruck, wie er nur Künstlern gegeben ist.

Auf ihren jungen Zügen lag ein Abglanz ihres Empfindens, sie sah wunderbar schön aus in dieser Stunde und schien um Jahre gereift.

König Ludwig und Richard Wagner waren auf ihrem Spaziergang unbemerkt in Walpurgas nächste Nähe gekommen. Die beiden Herren erblickten die jugendliche Sängerin erst in dem Augenblick, als ihr Lied jubelnd einsetzte. Wie gebannt blieben sie beide stehen und lauschten atemlos.

Sie bemerkte deshalb nicht, das sie zwei aufmerksame Zuhörer hatte.

Richard Wagner glaubte zuerst, der König habe ihm eine sinnige Ueberraschung bereitet und eine Sängerin beauftragt, ihn in dieser Weise im Walde zu begrüßen.

Als er aber sah, daß der König selbst aufs äußerste überrascht war und erstaunt nach der jugendlichen Elisabeth hinübersah, merkte er, daß er einem Zufall diesen Genuß zu verdanken hatte.

Entzückt lauschend traten die beiden Herren leise noch etwas näher heran und weideten ihre Augen an Walpurgas lichter, reizender Erscheinung, an ihren anmutigen, ganz der Stimmung angemessenen Bewegungen.

»Das ist ja wundervoll, ganz wundervoll!« flüsterte Richard Wagner dem König zu, und dieser nickte mit einem seltsam ergriffenen Ausdruck im Gesicht.

Richard Wagner war außer sich vor Entzücken über die goldklare, quellfrische Stimme und den trotz mangelhafter Schulung genialen Vortrag.

Gleich dem König lehnte er, in Andacht versunken, an einem Baum und lauschte, bis der letzte Ton verklungen war und Walpurga, die Arme wie zum Gruß nach Neuschwanstein ausbreitend, von ihrem Podium zur Erde sprang.

Gleich darauf erblickte sie plötzlich die beiden reglosen Gestalten und erkannte den König.

Die Züge des anderen Herrn kamen ihr auch bekannt vor. Sie hatte wohl schon Richard Wagners Bild gesehen, erkannte ihn jedoch nicht gleich.

Dunkelrot vor Verlegenheit, stand sie bestürzt vor den beiden Herren, die sie lächelnd betrachteten. Kein einziges Wort brachte sie vor Schreck hervor.

Da richtete sich der König empor und trat auf sie zu.

»Grüß' Gott, Walpurga! Nun, bist Du mit einem Male verstummt? Hast doch eben noch so schön gesungen!«

Nachdem der Schrecken überwunden war, faßte sich Walpurga schnell, und mit einem sonnigen Leuchten zu dem König aufsehend, machte sie einen tiefen Knicks, faßte dann die ihr gebotene Hand und drückte ihre Lippen darauf.

»Grüß' Gott, Eure Majestät. Ich hab' nicht gewußt, daß Eure Majestät im Walde waren, sonst hätt' ich nicht soviel Lärm gemacht!« sagte sie lachend.

Der König lachte auch.

»Nun, solchen Lärm kann man sich wohl gefallen lassen. Gut getroffen hast Du's mit Deinem Lied. Das war wie ein Gruß für meinen verehrten Freund Richard Wagner, der hier vor Dir steht und dessen schönes Lied Du gesungen hast!«

Walpurga blickte zu Richard Wagner hinüber und voll Schrecken und Bestürzung drückte sie die Hände ans Herz, als sie dessen Augen so klar und durchdringend auf sich gerichtet fühlte.

»O Du mein liebes Herrgottl!« rief sie im Ton ihrer Kinderjahre fassungslos.

»Nun, nun, warum erschrickst Du so, Walpurga?« fragte der König lächelnd.

»Er wird sehr bös sein, der gnädige Herr, daß ich sein schönes Lied hier im Walde so schlecht gesungen habe!« sagte sie beklommen.

Da trat der Meister auf sie zu und faßte ihre Hand.

»Nicht böse bin ich, liebliche Waldfee, aber entzückt, ganz entzückt. Sehr schön haben Sie gesungen!« rief er lebhaft.

Walpurga errötete von neuem.

»Ach, Sie treiben Ihren Scherz mit mir, gnädiger Herr! Gewiß hab' ich sehr viele Fehler gemacht. Ich hab' das Lied nur aus dem Gedächtnis gesungen, so wie ich's mir aus der Oper gemerkt habe. Es war nicht recht von mir; ich bitte vielmals um Entschuldigung!«

Wagner sah Walpurga seltsam an.

»Aus dem Gedächtnis haben Sie das so ohne weiteres gesungen?«

»Ja, gewiß, gnädiger Herr. Es war sicher falsch?«

Wagner strich langsam mit der Hand über das Kinn und ließ seine Augen nicht von Walpurga. Ohne auf ihre Frage zu antworten, sagte er dann lächelnd:

»Erst möchte ich wissen, wie ich die Waldfee mit Namen nennen darf!«

»Ah, richtig, lieber Meister, ich habe die Vorstellung nur einseitig besorgt!« sagte der König, sich lächelnd an Walpurgas Verwirrung weidend. Gar so hold und lieblich sah sie aus mit den angstvoll niedergeschlagenen Augen. »Also dies ist Walpurga Malwinger, des Försters Malwinger Töchterlein, und mein kleiner Schützling und Sorgenbrecher, von dem ich Ihnen wohl schon erzählt habe!«

Richard Wagner verneigte sich dankend.

»Eure Majestät haben mir in der Tat von dieser jungen Dame erzählt. Ich glaubte freilich, es handle sich um ein Kind!«

»Ja, ja, Walpurga ist überraschend schnell eine junge Dame geworden. Doch ist sie noch nicht sechzehn Jahre alt und sieht bedeutend erwachsener aus, als sie ist. Jedenfalls besucht sie die Schule noch!«

Wieder verneigte sich der Meister, und dann sagte er schnell zu Walpurga:

»Wollen Sie mir eine große Bitte erfüllen, kleines Fräulein?«

Walpurga blickte lebhaft auf.

»Jede, ohne Bedenken, gnädiger Herr, wenn Sie mir nur nicht böse sein wollen!« sagte sie rasch.

»Nun, nun, so bedingungslos würde ich nichts versprechen!« scherzte der Meister. »Also ich bitte Sie, mir noch einmal das Lied der Elisabeth vorzusingen, ganz so wie vorhin. – Eure Majestät gestatten gnädigst?«

Walpurga sah unschlüssig zu dem König auf.

»Der gnädige Herr treibt wohl nur seinen Scherz mit mir!« sagte sie leise.

»Nein, nein. Singe nur, Waldvöglein, so hell und laut Du kannst. Wir hören Dir gern zu!« sagte der König ermunternd.

Da strich sich Walpurga das goldene Haar aus der heißen Stirn und trat zögernd einige Schritte zurück.

Leise und unsicher setzte sie ein. Aber schon nach den ersten Tönen vergaß sie alles um sich her. Die Begeisterung riß sie wieder fort, und jubelnd sang sie ihr Lied zu Ende. Der König und Richard Wagner lehnten an einem Baum und lauschten versunken den goldklaren Tönen, die leicht und mühelos aus Walpurgas Brust emporstiegen.

Richard Wagner schloß die Augen. Es ging ein eigener Reiz aus von diesen etwas kunstlosen und doch reinen Tönen und von der naiven Auffassung der Sängerin.

Als Walpurga geendet hatte, richtete sich der Meister auf und trat, ihre Hand fassend, auf sie zu.

»Kind, haben Sie das wirklich so aus sich selbst heraus gesungen? Haben Sie noch keinen Gesangsunterricht gehabt?« fragte er staunend.

Walpurga schüttelte den Kopf.

»Mein Musiklehrer erlaubte es nicht. Er sagte, vor meinem sechzehnten Jahre dürfe ich nicht damit anfangen!« erwiderte sie.

Der Meister nickte energisch.

»Das ist ein kluger Mann, Ihr Musiklehrer. Aber ich bin erstaunt und entzückt, daß Sie diese schwierige Arie so ohne weiteres nachsingen können!« sagte er noch ganz begeistert.

Und sich an den König wendend, sagte Wagner ernst und dringend:

»Majestät, das Kind ist ein kleines Genie, es muß zur Bühne. Diese kleine Walpurga hat den künstlerischen Funken in sich, und die Stimme ist von einem Umfang, der bei einem so jungen Mädchen erstaunlich ist. Aus der kleinen Walpurga wird noch einmal eine sehr große, berühmte Walpurga werden, wenn sie in die richtigen Hände kommt. Und dafür will ich sorgen. Eine solche junge Kraft, die eine ideale Vertreterin meiner Heldinnen zu werden verspricht, darf ich mir nicht entgehen lassen. Eure Majestät müssen mir behilflich sein, dieses geniale Talent für die Bühne zu gewinnen; ich bitte ganz ergebenst und dringend darum!«

Der König nickte sinnend.

»Ich habe wohl manchmal schon gedacht, daß Walpurgas Stimme ausgebildet werden müsse. Ihre musikalische Begabung erkannte ich schon vor vielen Jahren, als sie mir ein schlichtes Weihnachtslied sang. Gleich darauf habe ich Sorge dafür getragen, daß sie einen sorgfältigen Musikunterricht bekam.

Da ich ohnedies noch nicht schlüssig war, wie sich Walpurgas Zukunft, nachdem sie das Institut verlassen wird, weiter gestalten soll, ist es mir sehr wertvoll, lieber Meister, daß Sie das Kind zufällig gehört haben. Oder war es kein Zufall – war es ein Wink des Schicksals? Ihr Wunsch, lieber Meister, kann vielleicht in Erfüllung gehen. Aber erst wollen wir doch einmal hören, was Walpurga selbst dazu sagt. Sprich, Waldvöglein, was sagst Du zu Meister Wagners Vorschlag?«

Walpurga hatte wie bezaubert dagestanden. Was bisher unbewußt in ihr geschlummert hatte, das erwachte jetzt in ihrer Brust.

Die künstlerische Sehnsucht nach der Bühne erfaßte sie plötzlich mit Gewalt. Es war, als wüchse ihre schlanke Gestalt empor. Aus ihren Augen brach ein edles Feuer, und ein unbeschreiblicher Adel gab dem kindlichen Gesicht ein gereifteres Aussehen.

Mit einem tiefen Atemzug sagte sie erregt:

»Ist es denn wirklich wahr, könnte ich Opernsängerin werden, reichte meine Stimme dazu aus?«

Der Meister nickte lebhaft.

»Dafür stehe ich ein!« sagte er bestimmt.

Da drückte Walpurga die Hände aufs Herz und sah vor sich hin, als läge das gelobte Land offen vor ihren Blicken.

»O, dann sage ich ja, tausendmal ja!« rief sie begeistert.

»Und was werden Deine Eltern dazu sagen?« fragte der König.

Walpurga lächelte noch ganz verträumt.

»O, meine Eltern wollen nur mein Glück!« sagte sie vertrauensvoll.

»Wenn Eure Majestät bei den Eltern der jungen Dame ein Wort dafür einlegen wollten!« bat Richard Wagner dringend.

Der König neigte mit der ihm eigenen königlichen Anmut und Liebenswürdigkeit das schöne Haupt.

»So lassen Sie uns jetzt Walpurga nach Hause begleiten und mit ihren Eltern sprechen!« erklärte er entschlossen.

Meister Wagner war damit einverstanden, und so schritten die drei durch den Wald nach dem Forsthaus.

Unterwegs fand Walpurga ihre Munterkeit wieder.

Richard Wagner war ganz entzückt von diesem reizenden, quellfrischen Persönchen, und der König wurde so heiter und angeregt, wie seit langer Zeit nicht mehr.

In froher Stimmung kam man im Forsthaus an.

Der Förster und die Försterin waren ganz benommen, als ihnen der König alles erklärte und sie um ihre Einwilligung bat, daß er Walpurga als Opernsängerin ausbilden lassen durfte.

Auch Meister Wagner sprach lebhaft auf die braven, schlichten Leute ein, und sagte ihnen, daß er sich für eine glänzende und ruhmvolle Laufbahn ihres Kindes verbürge.

Als sich nun gar Walpurga Vater und Mutter in die Arme warf und innig flehte:

»Erlaubt es nur, liebes Mutterl, liebes Vaterl, ich fühl' ja hier drinnen in meinem Herzen, daß es mich zur Bühne treibt. Immer ist es schon in mir gewesen, nur gewußt hab' ich's nicht, bis ich vorhin hörte, daß es möglich wäre. Da war es mit einem Male licht und klar in mir, und ich weiß nun ganz sicher, auf diesem Wege liegt mein ganzes Lebensglück. Ihr habt mich lieb und werdet es mir nicht wehren!«

Da war es vorbei mit allen Bedenken. War doch ihr Burgerl ohnedies schon herausgewachsen aus dem engen Kreis, in den sie ihre Geburt gestellt hatte.

Der König hatte ihr Schicksal in seine Hände genommen, mochte er es nun auch zu einem hoffentlich glücklichen Ausgang führen.

So willigten sie ein.

Meister Wagner war sehr froh, daß alles so glatt ging. Er erbot sich nun, selbst die passenden Lehrer für Walpurga auszusuchen und die Oberleitung über ihre Ausbildung selbst zu behalten.

Der König erklärte großmütig, daß keine Kosten gescheut werden sollten.

Walpurga war wie in einem Rausch des Entzückens und wußte nicht, wie sie ihrem Glück Ausdruck geben sollte.

Sie küßte dem König wieder und wieder in aufwallender Dankbarkeit die Hand, umarmte Vater und Mutter und gab Meister Wagner bereitwillig Antwort auf alle Fragen, die er in bezug auf Musik an sie richtete.

Es wurde nun sogleich beschlossen, daß Richard Wagner alles vorbereiten sollte, so daß Walpurga sofort, nachdem sie ihren Institutsunterricht abgeschlossen hatte, mit den Gesangsstudien beginnen konnte.

Es durfte kein Tag länger als nötig nutzlos verrinnen, denn Walpurga sollte eine gründliche Ausbildung erhalten und erst als fertige Künstlerin die Bühne betreten.

Walpurga erzählte dann noch von ihren Theaterbesuchen, und welch unauslöschlichen, erhebenden Eindruck ihr die Wagner-Opern gemacht hatten.

Einzelne Szenen schilderte sie daraus, und wenn sie etwas genauer beschreiben wollte, dann sang sie gleich irgend eine Stelle aus dem Gedächtnis vor und ahmte dabei Wesen und Bewegungen der Sänger und Sängerinnen so geschickt nach, daß der König und Richard Wagner sich schweigend zunickten, als wollten sie sagen:

»Ja, es wäre eine Sünde, dieses gottbegnadete Talent ungenutzt verkümmern zu lassen!«

Ehe sich der König dann mit dem Meister verabschiedete, lud der letztere Walpurga noch ein, der Aufführung des Nibelungen-Zyklus in Bayreuth beizuwohnen.

»Und da geben Sie fein acht, Kindchen, lernen müssen Sie von jetzt an mit jedem Atemzug!« sagte er eifrig.

Der König bestimmte dann in seiner gütigen Weise, daß Walpurga mit Frau Dr. Moritz zusammen nach Bayreuth reisen sollte. Die Nibelungen-Aufführungen fielen in die letzten Ferienwochen und so ließ sich das gut einrichten.

Walpurga dankte mit überströmender Innigkeit ihrem geliebten König.

»Eurer Majestät hab' ich schon so unendlich viel zu danken; nie, niemals werde ich diese Dankesschuld abtragen können!« sagte sie bewegt.

Der König streichelte sanft über ihr goldiges Haar.

»Laß uns nicht abwägen, wer von uns beiden dankbarer sein muß. Siehst Du, Sonnenscheinchen, ich habe ja immer schon gefühlt, daß etwas Besonderes in Dir steckt!« sagte er freundlich.

Da sah ihn Walpurga strahlend an.

»Alles Gute und Schöne kommt mir von Eurer Majestät. Wenn ich Eurer Majestät doch nur einmal beweisen könnte, wie mein Herz von Eurer Majestät Güte erfüllt ist!«

Da winkte aber der König hastig ab und entzog sich ihrem Danke.

»Kind,« sagte er ernst, »ich weiß ja nicht, ob Du glücklicher sein wirst, wenn Du als berühmte Sängerin Deinen Beruf erfüllst. Dieser Beruf ist nicht ohne Dornen, und auf der Menschheit Höhen ist es oft kalt und öde. Je höher Du steigst, je mehr wirst Du das empfinden. Aber, Deine Kunst wird Dich, wenn sie Dir heilig ist, über alles hinwegtragen!«

Es lag der alte, düster melancholische Blick in seinen Augen, der Walpurga immer das Herz bedrückte.

Er wußte ja von sich selbst, wie einsam und unglücklich der Mensch auf den höchsten Höhen des Lebens sein kann.

Und plötzlich kam ihm ein Zweifel, ob er wohl wirklich Walpurgas Glück begründet hatte, als er sie aus dem Boden verpflanzte, dem sie entsprossen war.

»Meine Kunst soll mir heilig sein, Majestät. Ich fühle, daß ich nur Glück und Befriedigung finden werde, wenn ich sie ausüben darf!« antwortete Walpurga mit leuchtendem Blick.

Dieser Blick sagte dem König, daß er dennoch recht getan habe. Dem Genius wachsen Schwingen, und Walpurga wäre vielleicht auch ohne sein Zutun auf diesen Weg gelangt, wenn er dann auch mühseliger zu gehen gewesen wäre. So konnte er ihr wenigstens diesen Weg ebnen.

Gleich darauf verließen die beiden Herren das Haus. Unterwegs machte Richard Wagner seinem Entzücken über diese Entdeckung erst richtig Luft, und der König freute sich sichtlich, daß er so begeistert von Walpurga sprach.

.


 << zurück weiter >>