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Achtes Kapitel.

Und in der Mittagsstunde,
Da hab' ich bitter geweint
Und habe doch im Herzen,
Er kommt wohl noch, gemeint.

(Chamisso.)

Harald brachte in der Folge manchen Abend bei den amerikanischen Damen zu und begleitete sie zuweilen auch bei ihren Ausfahrten, die freilich nur zur Mittagszeit unternommen werden durften, da die Kranke wie eine Treibhauspflanze behütet werden mußte. Sie fuhr auch nur durch die sonnigsten Straßen. Dabei machte sie Einkäufe in allen möglichen Geschäften, teils um ihren zahlreichen Bekannten in der Heimat ein Zeichen des Gedenkens mitzubringen, teils um ihre Toilette zu vervollständigen.

Auf ihre Kleidung verwandte Mrs. White eine ganz besondere Sorgfalt. Sie ging stets nach der neuesten Mode, hatte aber soviel vornehmen Geschmack, um allen Uebertreibungen derselben sorgsam auszuweichen. So oft Harald sie sah, immer mußte er sich gestehen, daß sie sich mit vollendetem Geschick und ausgesuchter Eleganz zu kleiden verstand.

Ganz anders Kitty. Sie trug zwar auch nur die vornehmsten und teuersten Stoffe, weil man ihr das von frühester Kindheit zur Gewohnheit gemacht hatte, aber bei ihr kam die Kostbarkeit der Stoffe nicht zur Geltung. Von jener geschmackvollen Zierlichkeit, mit der gerade vornehme Damen sich zu kleiden pflegen, war an ihr nie etwas zu entdecken.

Ihre Liebhabereien hatten mit weiblicher Eitelkeit nichts zu thun, waren aber deshalb nicht weniger kostspielig. Kitty wühlte förmlich in den Schätzen der Antiquitätenhändler und erwarb Vasen, Statuetten, Gemälde alter Meister und andere Gegenstände, ohne jemals durch die Höhe des Preises sich zurückschrecken zu lassen.

Kein Wunder, daß dem jungen Arzte in dieser Umgebung seine eigenen Verhältnisse von Tag zu Tag dürftiger erschienen. Der Schimmer des Reichtums hatte von jeher etwas Verführerisches für ihn gehabt, und oftmals hatte es ihn mit Bitterkeit erfüllt, daß er so manchen Wunsch sich versagen mußte. Jetzt, da er sah, wie die Damen mit ihrem Reichtum wirtschafteten, wuchs auch in ihm die Sucht nach Gold und Freiheit.

Hand in Hand damit ging bei Harald eine zunehmende Verstimmung gegen Magdalene. Je mehr er sein Ohr den bösen Dämonen erschloß, die ihm ihre verführerischen Bilder von Glanz und Pracht vorgaukelten, umsomehr verlor der Liebreiz seiner Gattin die Macht über ihn. In seiner schrankenlosen Verblendung und Eigenliebe sah er in ihr nur noch das Hemmnis, das seinen ehrgeizigen Plänen im Wege stand, und jedes wärmere Gefühl für sie erlosch mehr und mehr.

Der jungen Frau konnte das auf die Dauer nicht entgehen. Wenn sie trotzdem angstvoll sich an die Hoffnungen klammerte, mit denen sie sich noch vor so kurzer Zeit von Harald getrennt, so trug dies nur dazu bei, ihre Erregung zu steigern und ihre Stimmung zu einer geradezu krankhaften zu machen. Sie kümmerte sich um das Hauswesen fast gar nicht mehr, weil ihr ganzes Denken und Thun von dem einen Gedanken erfüllt und geleitet wurde, daß sie darnach trachten müsse, Haralds Liebe wiederzugewinnen. Aber alles, was sie zu diesem Zwecke that, verfehlte die erhoffte Wirkung.

Ein ruhiges Gespräch zwischen den beiden Gatten begann jetzt überhaupt zur Unmöglichkeit zu werden. Bei dem geringsten Anlaß brach die gegenseitige Erbitterung hervor.

Feldern hatte den jungen Arzt nur zu richtig beurteilt, als er von ihm gesagt hatte, in seinem Charakter wäre kein vornehmer Zug. Harald hatte in seinem Suchen nach Glanz und Reichtum so sehr den richtigen Maßstab verloren, daß er Magdalene für seine zerrütteten Verhältnisse verantwortlich zu machen begann. Er warf ihr vor, das folgenschwere Zerwürfnis zwischen ihm und seinem Bruder herbeigeführt zu haben, er scheute sich nicht, ihr zu sagen, daß sie als Verlobte Kurts die Pflicht gehabt hätte, seine vom Rausche des Augenblickes geborenen Worte zurückzuweisen. Und auf dieser Bahn der Entfremdung einmal so weit gekommen, wagte er es, auch dem Gedanken Ausdruck zu geben, den er selbst bisher ernsthaft zu nehmen sich gescheut hatte, indem er nach einer abermaligen heftigen Scene Magdalenen zurief:

»Wir thäten besser, für immer auseinander zu gehen!«

Sie sah ihn verständnislos an. Aber jeder Blutstropfen wich aus ihrem Gesicht, als ihr die Bedeutung seiner Worte in ihrer ganzen Grausamkeit klar wurde. Die Hand an das wild klopfende, schmerzende Herz gedrückt, verließ sie das Zimmer, ohne auch nur ein Wort zu erwidern. Ihr Kopf brannte, ihr Gang war müde und schwankend. Und während es in ihren Adern pochte und hämmerte, als müßten sie springen, wälzte sie in ihrem armen Hirn immer nur den einen Gedanken hin und her, die Worte:

»Wir thäten besser, für immer auseinander zu gehen!«

War denn das möglich? Konnte er das wirklich gesagt haben? Jede Spur von Liebe zu ihr mußte ja in seinem Herzen erstickt sein, wenn er eine Trennung für wünschenswert hielt! Aber es war ja nicht möglich, daß er im Ernst daran denken konnte, sich von ihr zu scheiden. Hatte er ihr nicht neulich noch bewiesen, daß er sie liebte?

Die Kinderfrau mit Hänschen auf dem Arm trat herein.

»Mama,« stammelte der kleine Bursche und streckte verlangend die rosigen Aermchen nach ihr aus.

Wie im Traum, fast mechanisch, nahm sie seine Liebkosungen entgegen, ohne sie zu erwidern. Auch als die Wärterin mit dem Kleinen sich zurückzog, fühlte Magdalene nicht das Bedürfnis, ihn zu küssen, so sehr hatte sie allen Halt und alle Selbstbeherrschung verloren, denn nur das Gefühl einer grenzenlosen Oede und Leere war in ihr lebendig.

Von diesem Tage an begann sie, von verzehrender Angst und Eifersucht getrieben, den Gatten schärfer als bisher zu beobachten. Ohne daß er es bemerkte, folgte sie ihm unmittelbar, nachdem er das Haus verlassen hatte, und als sie sah, daß er einen Wagen bestieg, fuhr sie ihm in einem anderen nach.

»Erkundigen Sie sich, wem der Besuch jenes Herrn gilt,« sagte sie zu dem Kutscher, auf Harald deutend, der soeben seinen Wagen verließ und in das Portal des Grand Hotels eintrat.

Es dauerte nur eine Minute, da wußte sie, zu wem Harald gegangen, und daß er seit Wochen täglich wiederholt in den Zimmern von Mistreß White weilte. Ein stechender Schmerz fuhr ihr durch die Brust. Sie hörte es nicht, als der Kutscher sie fragte, wohin er nun fahren solle; erst als er seine Frage wiederholte, erwiderte sie:

»Vorläufig nirgends hin. Wir warten!«

»Schön!« meinte der Kutscher ruhig und stieg wieder auf den Bock.

Lange sollte Magdalene nicht warten. Harald hatte vom Fenster des ersten Stockwerkes aus seine Frau erkannt, als sie sich aus dem Wagen beugte und hinaufblickte. Seiner Patientin gegenüber einen dringenden Krankenbesuch vorschützend, verließ er das Hotel schon nach wenigen Minuten, nannte dem Kutscher Straße und Nummer seines Hauses und sprang zu Magdalene in den Wagen.

Erschrocken und aufgebracht zugleich zuckte die Ueberraschte zusammen.

Kein Wort wurde unterwegs zwischen den Gatten gewechselt. Harald nagte in nervöser Ungeduld an seinen Lippen, ab und zu einen drohenden Blick auf seine Frau werfend, Magdalene lehnte in ihrer Wagenecke, halb trotzig und halb beschämt.

Als der Wagen hielt, richtete sich Magdalene straff empor. Den Kopf zurückgeworfen, die Augen in trotziger Entschlossenheit in die des Gatten bohrend, schritt sie in das Haus, und ihre kleinen Füße traten so fest und energisch auf, als gelte es, mit jedem Schritt etwas Widerliches, Verhaßtes zu zermalmen.

In der Wohnung angelangt, stellte sie sich kampfbereit unmittelbar vor Harald auf und sah ihn zornig an. Aber wenn sie erwartet hatte, daß nun eine leidenschaftliche Scene folgen würde, so sah sie sich getäuscht. Harald hatte allerdings die Absicht gehabt, sie mit Vorwürfen zu überschütten. Als er aber jetzt ihre entschlossene Miene bemerkte, hielt er es doch für geraten, es nicht zum Aeußersten kommen zu lassen. In dieser Stimmung war Magdalene zu allem fähig, und er mußte befürchten, daß sie zu Mistreß White gehen und ihr über seine Verhältnisse die Augen öffnen würde. Das mußte um jeden Preis vermieden werden, und deshalb klang seine Stimme ungewöhnlich mild und hatte jenen bethörenden Klang, der noch niemals seine Wirkung auf Magdalene verfehlt hatte.

»Sage einmal, Magdalene, schämst du dich denn nicht darüber, mir heimlich gefolgt zu sein?«

Magdalene fühlte sich entwaffnet durch diese Worte und mehr noch durch den milden Ton, in dem er sprach, und sie schlug, hilflos wie ein Kind, die Augen zu Boden. Aber alsbald gewann sie ihre Selbstbeherrschung wieder.

»Ja,« sagte sie, »ich schäme mich, aber weniger, weil ich dir gefolgt bin, als weil ich nötig hatte, es zu thun.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Du täuschest mich nicht, Harald,« stieß sie finsteren Blickes hervor. »Weiß ich doch nun, was dich deinem Hause und mir entfremdet hat, und wo du den größten Teil des Tages zubringst.«

Zwei helle Thränen lösten sich aus ihren Augen und rannen schwer und langsam über ihre Wangen herab.

Harald schnitt es in die Seele, als er es sah. Wie viele leichtsinnige und heftige Menschen konnte auch er keine Thränen sehen, ohne selbst weich zu werden, und er meinte es daher völlig aufrichtig, als er bat:

»Weine nicht, Magdalene! Ich kann dich nicht weinen sehen.«

»Und doch vergeht seit Wochen kaum ein Tag, an dem ich nicht Thränen um dich vergieße.«

»Das sollte mir leid thun!«

»Du scheinst vergessen zu haben, daß du vor kurzem sogar eine Trennung unserer Ehe für wünschenswert hieltest?«

»Ich muß zugeben, daß ich das gesagt habe. Aber es geschah in der Erregung! Ich nehme auch keinen Anstand, dir zu sagen, daß es mir leid thut, dich damit gekränkt zu haben.«

Es war ihm in diesem Augenblick ernst mit dem, was er sagte. Die ernste Traurigkeit Magdalenens rührte ihn. Er streckte ihr seine Hand entgegen, die Magdalene ergriff, aber nicht, wie sie es früher zu thun pflegte, an ihre Lippen zog.

Hochaufgerichtet stand sie da und schaute ihrem Mann ruhig und fest ins Auge.

»Harald,« sagte sie ernst, »du weißt es nicht, wie unmöglich es für uns Frauen ist, daran zu glauben, daß wir die Liebe unseres Mannes verloren haben. Es ist nicht schwer, uns Frauen zu versöhnen, ein Wort, ein Blick kann uns zufriedenstellen und glücklich machen, solange wir lieben. Aber wehe dem Manne, der unseren Glauben täuscht!«

Bestimmt und fest kamen diese Worte von Magdalenens Lippen.

Harald antwortete nicht. In sichtbarer Erregung führte er seine Frau nach dem nahestehenden Sofa. Dann erst legte er seinen Arm um ihren Hals und sagte langsam und unsicher, als suche er nach Worten, die ihn aus dieser unangenehmen Situation befreien sollten:

»Magdalene, das Leben ist ernst, sehr ernst. Nicht ewig können die sorglosen Tage der Flitterwochen währen. Ich wiederhole dir, was ich erst jüngst dir zugesichert habe, daß ich dich liebe, ganz so wie einst, daß aber vielerlei Sorgen diese Liebe nicht mehr so frei sich entwickeln lassen. Dazu kommt, daß du in letzter Zeit so sehr mißtrauisch gegen mich geworden bist. Denke einmal daran, wie glücklich wir früher gelebt haben. Eines ging ganz in dem andern auf, und die Gedanken des einen lagen vor den Augen des andern wie ein offenes Buch.«

»Ja,« warf sie ein, »früher warst du auch fast stets zu Hause, während jetzt die Minuten deines Hierseins zu zählen sind.«

»Aber Magdalene, begreifst du denn nicht, daß die Pflichten des Menschen nicht bloß innerhalb seines Hauses liegen? Namentlich ein Arzt würde alsbald dem Verhungern preisgegeben sein, wollte er darauf warten, daß die Leute ihn aufsuchen. Da ist zum Beispiel diese Amerikanerin, die ich jetzt behandle. Meinst du, sie würde auch nur einen Fuß rühren, um zu mir zu kommen? Sie ist enorm reich und verlangt, daß der Arzt, den sie bezahlt, sie besucht, und zwar nicht nur als medizinischer Berater, sondern auch als Mensch, der ihr über die Langeweile hinweg hilft und ihr Gesellschaft leistet in ihrer unfreiwilligen Einsamkeit.«

»Du hast gewiß recht, Harald,« sagte Magdalene mit rührender Demut. »Aber jene Frau muß sich doch sagen, daß sie dich deinem Weibe und Kinde entfremdet, wenn sie dich so ausschließlich für sich in Anspruch nimmt.«

»Wo denkst du hin! Diese reichen Amerikanerinnen kennen keine Rücksichten gegen andere. Ihr eigenes Ich ist der Gott, dem sie huldigen und dessen Anbetung sie von jedem verlangen, der mit ihnen in Berührung tritt. Und nun versprich mir, daß du mich nie wieder mit deiner Eifersucht gegen diese Amerikanerin, die übrigens den Jahren nach deine Mutter sein könnte, quälen, sondern daß du vielmehr alles thun wirst, um mir bei der Verbesserung unserer Lage behülflich zu sein.«

»O, wie gern will ich das thun, Harald! Wenn ich nur wüßte, wie! Es giebt gewiß kein Opfer, das ich dir nicht brächte.«

Einen Augenblick noch zögerte er. Aber überzeugt, daß eine gleich günstige Stunde schwerlich jemals wiederkommen würde, sagte er kurz entschlossen:

»Es handelt sich um eine kurze Trennung, die in unserem beiderseitigen Interesse liegt.«

»Um eine Trennung?« wiederholte sie, und an ihren schweren Atemzügen merkte er, wie furchtbar das Wort sie traf.

»Nun ja,« meinte er in möglichst ruhigem Tone. »Eine Trennung ist unvermeidlich, aber sie wird nicht lange dauern.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Magdalene, höre mich einmal ruhig an, und du wirst mich besser verstehen. Ich bemühe mich vergebens, hier festen Fuß zu fassen. Mein Bruder will nichts mehr für mich thun. Kurt ist ein Starrkopf, mit dem nicht zu reden ist, und was die Zuschüsse deines Vaters betrifft, so sind sie zu gering, um uns zu retten. So kommen wir nicht vorwärts. Die Verpflichtungen mehren sich fortgesetzt und werden immer dringender, ohne daß ich die Möglichkeit sehe, ihnen zu genügen. Wenn du verständig sein willst, so nimm meinen Vorschlag ohne Mißtrauen an. Es handelt sich einfach um ein Gebot der Vernunft, dem du Folge geben sollst. Wenn ich den Rettungsanker, der mir geboten ist, nicht ergreife, so ist unsere Existenz vernichtet. Verstehst du mich nun?«

Magdalene sah ihn fragend an.

»Wie kann ich verstehen – ohne jede nähere Erklärung?«

Sie preßte die Hand an die schmerzende Stirn und blickte erwartungsvoll zu ihm auf. Harald zögerte noch einen Augenblick. Dann sagte er:

»Man hat mir ein sehr vorteilhaftes Anerbieten gemacht, Magdalene, und es wäre geradezu gewissenlos, es zurückzuweisen. Ich soll auf ein Jahr, vielleicht auch auf längere Zeit, nach New-York gehen.«

Sie horchte gespannt auf.

»Nach New-York?«

»Ja, und von dort aus werde ich im stande sein, ausreichend für dich zu sorgen und mir einen wissenschaftlichen Ruf zu verschaffen.«

»Ich habe nichts dagegen einzuwenden. Wenn du dein Glück auf fremdem Boden zu finden meinst, dann gehen wir zusammen!«

»Wir? – Du wolltest –«

»Mich hält hier nichts zurück. Meine Heimat ist dort, wo du bist. Der Vater, die Geschwister haben aufgehört, meiner zu bedürfen. Wenn du willst, fange ich noch heute an, unsere Koffer zu packen.«

»Du denkst im Ernst daran, mich zu begleiten?«

»Aber selbstverständlich! Dein Weg ist auch der meinige.«

»Und was soll mit Hänschen werden?«

»Den nehmen wir natürlich mit.«

»Was ist das für eine Idee!« brauste er auf. »Das kränkliche Kind ginge unterwegs zu Grunde und könnte, wenn es wirklich wider alle Voraussetzung glücklich in New-York ankäme, das nordamerikanische Klima gar nicht vertragen.«

»Wenn ich es aufs sorgsamste behüte?«

»Auch dann nicht! Es wäre sein Tod, wenn wir es mitnehmen würden.«

»Wir können es aber doch nicht Fremden anvertrauen?«

»Davon kann natürlich keine Rede sein. Du mußt eben hier bleiben. Deshalb sprach ich ja von einer unumgänglichen zeitweiligen Trennung.«

»Ich sollte dich allein fortlassen? Niemals! Ich verginge vor Angst und Sehnsucht. Ich will dich morgen sehen können, wie ich dich heute sehe, will wissen, daß du ganz in meiner Nähe und zu jeder Stunde für mich erreichbar bist.«

»Siehst du denn nicht ein, daß es die größte Thorheit wäre, gleich mit Frau und Kind und dem ganzen Haushalt überzusiedeln? Man muß doch erst abwarten, wie die Verhältnisse sich drüben gestalten. Wenn alles nach Wunsch geht, kommst du später nach; andernfalls kehre ich nach Deutschland zurück.«

»Von wem geht denn der Vorschlag zu diesem Wechsel deines Wohnortes überhaupt aus?« fragte sie, plötzlich wieder mißtrauisch werdend. »Etwa von dieser Amerikanerin?«

»Ja. Und ich habe alle Ursache, ihn anzunehmen und der Dame dankbar zu sein. Denn durch ihren großen, vielvermögenden Einfluß kann ich hoffen, nach längstens einem Jahre in der Lage zu sein, dich zu rufen. Hoffentlich wird dann auch Hänschen soweit gekräftigt sein, um den Klimawechsel ertragen zu können, und –«

»Mach' nicht so viel unnütze Worte!« unterbrach sie ihn kurz. »Wenn du gehst, gehe ich auch!«

»Aber begreifst du denn nicht, Magdalene, daß es sich für uns um Sein oder Nichtsein handelt? Lege mir doch nicht immer und überall Hindernisse in den Weg! Diesmal werde ich mich übrigens nicht hindern lassen, selbst gegen deinen Willen zu thun, was ich als notwendig erkannt habe, und du wirst dich als meine Frau der reiferen Einsicht fügen müssen.«

»Du irrst,« entgegnete sie kalt. »Mich hat noch niemand gezwungen, und dir wird es ebenso wenig gelingen.«

»Proben deines Starrsinns, der dir und anderen zum Schaden gereichte, hast du freilich schon oft genug abgelegt. Das hätte mich damals warnen sollen.«

»Wie meinst du das?« Ihr Atem ging kurz und stockend, ihre Erregung hatte den Höhepunkt erreicht.

Harald sah es wohl und suchte einzulenken.

»Ich hätte gar nicht daran denken dürfen, mich zu vermählen, ehe ich eine sichere Stellung errungen hatte.«

»Das wagst du mir zu sagen? Du, der du behauptet hast, nicht ohne mich leben zu können?«

»Ein junger Mann geht, von einer augenblicklichen Gefühlsaufwallung fortgerissen, leicht weiter, als er zu verantworten vermag. An dir war es, mich in die Schranken zu weisen. Doch du ließest dich nur von dem trotzigen Vorsatz leiten, das Haus deines Vaters zu verlassen. Deshalb verlobtest du dich mit Kurt und löstest das Verlöbnis dann ebenso schnell wieder, wie es geschlossen worden.«

Totenblaß hörte Magdalene diese furchtbare Anklage an. Wie scharfe Pfeile drangen seine Worte in ihr Herz, alle ihre Kraft mußte sie zusammennehmen, um sich aufrecht zu halten. Nur das Beben ihrer Stimme verriet, wie sehr sie litt, als sie jetzt sagte:

»Vielleicht hast du recht, Harald. Aber gleichviel, wen der schwerere Vorwurf trifft bei unserem Entschlusse, gemeinsam durchs Leben zu gehen. Unsere Ehe besteht, und sie ist unlöslich. So lange ich lebe, bleibe ich dir zur Seite und folge dir, wohin du gehst. Auf meiner Seite steht das ewige und göttliche Recht. Ich bin dein Schicksal, wie du das meinige bist. Bei dem Leben unseres Kindes sei es geschworen, daß ich dich niemals freigebe.«

»Wer verlangt das von dir? Du sollst dich nur dem, was die Vernunft gebietet, nicht hartnäckig entgegenstellen. Auch warne ich dich, so leichtfertig bei dem Leben unseres Kindes zu schwören. Wenn ich den Kleinen auch nur oberflächlich betrachte, so kann es mir nicht entgehen, wie elend er ist. Aber dir fällt es nicht auf, weil du dich nicht um ihn kümmerst. Du betrachtest es als deine Hauptaufgabe, mir nachzuspionieren, anstatt für das Kind zu sorgen. Kein Wunder, daß es von Tag zu Tag kränklicher wird, da es keine gute Mutter hat.«

Magdalene fuhr zurück, als hätte sie ein Peitschenschlag getroffen.

»Ich wäre –?« stammelte sie.

»Du bist keine gute Mutter!« wiederholte er schroff.

Der Vorwurf war ungerecht; denn sie hing an ihrem Kinde mit unendlicher Liebe, und es bildete eine ihrer schwersten Sorgen, daß der Kleine so gar nicht gedeihen wollte. Aber wie gegen jede schmerzliche Erkenntnis wehrte sie sich auch hier mit zitternder Angst und überreizter Willenskraft. Während ihre Lippen nervös zuckten und ihre Augen wie durch einen nassen Schleier blickten, sagte sie:

»Es ist nicht wahr, daß Hänschen körperlich zurückgeblieben ist. Er entwickelt sich gut und ist im letzten Jahre tüchtig gewachsen.«

»Größer ist er ja geworden,« gab Harald zurück, »aber nicht gesünder. Wage nur eine weite Seereise mit ihm, und du wirst sehen, wohin das führt!«

»Nun, dann müssen wir eben alle drei hier bleiben.«

»Müssen? Was mich anbelangt, ich muß nicht.«

»Auch du! Denn so wahr ein Gott im Himmel lebt, so wahr folge ich dir mit dem Kleinen.«

»Den Gedanken wirst du aufgeben!«

»Nur dann, wenn du deinen Reiseplan aufgiebst.«

»Ich habe schon so gut wie zugesagt.«

»Glaubt denn deine Patientin wirklich, daß ich mich auf unbestimmte Zeit von dir trennen würde?«

»Ich sprach überhaupt noch nicht über meine häuslichen Verhältnisse mit ihr.«

»Das ist freilich etwas anderes. Dann mußt du es nachträglich noch thun.«

»Ich sehe diese Notwendigkeit nicht ein.«

»Und ich sehe ebenso wenig ein, was dich veranlaßt, Frau und Kind zu verleugnen.«

»Zu verleugnen?«

»Ich weiß keinen anderen Ausdruck für dein Verhalten.«

»Wenn es mir bisher noch nicht in den Sinn kam, Mistreß White über meine persönlichen Angelegenheiten zu unterrichten, so ist das wohl begreiflich. Sie dürfte wenig Neigung haben, sie kennen zu lernen.«

»Wenn sie hört, daß du verheiratet und Vater eines Kindes bist, wird sie es gewiß nur zu natürlich finden, daß du ihren Vorschlag ablehnst. Sie müßte sonst ohne jedes Gefühl sein!«

»Du bist Vernunftgründen nicht zugänglich. Und nun mein letztes Wort: Ich reise, und du bleibst hier!«

»Und ich sage: Nein, nein und hundertmal nein! Ich habe dir bereits gesagt, daß du meinen Willen nicht zu bezwingen vermagst, und ich wiederhole es dir: weder du noch irgend jemand auf der Welt kann ihm Fesseln anlegen. Wo giebt es ein Recht, welches dem Manne gestattet, die Frau zu verlassen? Es wäre ein neues, von dir geschaffenes Gesetz. Begleite Mistreß White nach New-York, aber nichts wird mich hindern, denselben Eisenbahnzug, dasselbe Schiff zu benutzen. Ich werde dir immer folgen und meinen geheiligten Anspruch an dich geltend machen. Oder noch besser – ich werde, ehe du die Fahrt über den Ozean antrittst, zu Mistreß White gehen, um ihr zu sagen, daß ich deinen Namen trage und die Mutter deines Kindes bin. Ja, bei reiflicher Ueberlegung glaube ich sogar, mir und ihr diesen Schritt schuldig zu sein.«

Sie hatte kaum ausgesprochen, als er ihr Handgelenk umklammerte, daß sie einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken konnte.

»Wenn du es wagen solltest, das zu thun,« preßte er in sinnloser Wut hervor, »wenn du dich unterständest, zu ihr zu gehen –«

»Was wäre dann?« unterbrach sie ihn ruhig.

Er sah sie mit einem flammenden Blick ohnmächtigen Zornes an, aber er verfehlte seine Wirkung. Ihr wäre es gleichgültig gewesen, wenn er sie in diesem Augenblick getötet hätte; aber ihre schwachen Arme hätten ihn auch dann unlösbar umschlungen. Das wußte, das fühlte sie, und es gab ihr Mut, – jenen verwegenen Mut der Verzweiflung, der das gehetzte Wild beseelt, wenn es sich angeschossen gegen den Jäger wendet. Sie stritt und rang um das schwindende Glück, das doch längst nur noch ein wesenloser Schatten war, und wollte es festhalten. Aber sie fühlte gleichzeitig ihre Ohnmacht. Wie eine Lähmung kam es über ihren durch die unaufhörlichen Aufregungen der letzten Monate erschöpften Körper, und wankenden Schrittes verließ sie das Zimmer, mit dem furchtbaren Bewußtsein, des Gatten Liebe verloren zu haben.


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