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Drittes Kapitel.

Was sind Hoffnungen, was sind Entwürfe,
Die der Mensch, der vergängliche, baut?

(Schiller.)

Magdalene hatte kaum ihr Zimmer erreicht, als sie an den Schreibtisch trat, ein verschlossenes Fach öffnete und demselben mehrere trockene Blumen entnahm, die sie als einzige Andenken an Harald bisher sorgsam aufbewahrt hatte. Ein Ausdruck unbeugsamer Entschlossenheit lag auf ihrem Gesicht und er milderte sich auch nicht, als sie jetzt den Blick einige Sekunden lang auf den welken Zeugen ihres heimlichen Liebesglückes ruhen ließ. Vielmehr legte sich ein herber, fast verächtlicher Zug um ihre Lippen, der sich noch verschärfte, als sie die Blumen kurz entschlossen aus dem Fenster warf. Wie die welken Kinder der Flora, so wollte sie auch die Liebe zu Harald vergessen, das war ihr fester, unerschütterlicher Entschluß.

Und ebenso unerschütterlich stand es bei ihr fest, Kurt von Kronecks Lebensgefährtin zu werden, wenn er sie zu seinem Weibe begehren sollte. Jedenfalls wollte sie die Pflichten, die sie übernahm, wenn sie ihm in sein Haus folgte, treu erfüllen und ihm ein treues Weib werden.

Während sie noch diesen Gedanken nachhing, kam die alte Christine, um zu melden, daß der Oberförster von Kroneck gekommen sei.

»Führen Sie den Herrn Oberförster in das Erkerzimmer,« sagte Magdalene und begab sich ebenfalls dorthin, um dem Gaste mit ernster Freundlichkeit die Hand zu reichen und ihn zu bitten, mit ihrer Gesellschaft fürlieb zu nehmen, da der Professor ausgegangen sei.

Nur selten, und dann immer nur auf Minuten, war Kurt bisher mit ihr allein gewesen. Er fühlte sich daher befangen und beglückt zugleich durch die Worte des jungen Mädchens und fragte beinahe schüchtern, ob der Vater bald zurückkommen würde.

»Ich glaube, Papa wird nicht allzu lange bleiben,« erwiderte Magdalene. »Wir wollen unterdessen den Thee einnehmen und, wenn es Ihnen recht ist, eine Partie Schach miteinander spielen.«

Froh lächelnd, willigte er ein, und wenige Minuten später saßen beide im Erker sich gegenüber, zwischen sich das Schachbrett mit den elfenbeingeschnitzten Figuren. Aber während Magdalene mit ruhiger Aufmerksamkeit dem Gange des Spieles folgte, konnte sich Kroneck kaum losreißen von dem Anblick des geliebten Mädchens, dessen Schönheit noch gehoben wurde durch die bunten Lichter, die die Strahlen der scheidenden Sonne durch die kleinen blauen und roten Scheiben des Fensters auf sie warfen. Es dauerte denn auch nicht lange, bis sie seinem König »Schach!« und »Matt!« bieten konnte.

Der Oberförster fühlte plötzlich einen ungeheuren Mut. Er erhob sich und sagte mit leiser Stimme:

»Ja, Fräulein Magdalene, Sie haben mich besiegt. Aber nicht nur den Schachspieler haben Sie in mir bezwungen, sondern auch den Menschen. Lassen Sie es mich endlich aussprechen, was mir so lange schon auf dem Herzen liegt, daß Sie mir das Teuerste auf Gottes weiter Welt sind, und daß ich mich unendlich glücklich schätzen würde, wenn meine treue, innige Liebe auch in Ihrem Herzen einen Widerklang fände.«

Regungslos, wie eine Statue, saß das Mädchen da. So fest sie noch vor kaum einer halben Stunde entschlossen gewesen war, seine Werbung anzunehmen, jetzt, da sie unmittelbar vor die Entscheidung gestellt wurde, glaubte sie sich nicht im stande dazu. Ein scheuer Blick streifte ihn, der in fast angstvoller Erwartung vor ihr stand, ihr Atem ging hastig und schwer, und durch ihre Gestalt lief ein leises Beben.

Aber plötzlich erhob sie sich. Sie konnte nicht im Hause des Vaters bleiben, wenn eine andere die Stelle einnahm, die einst ihrer unvergeßlichen Mutter gehört hatte, und ihr Entschluß war gefaßt. Die furchtbare Erregung, in der sie sich befand, mit einer ungewöhnlichen Willensstärke niederkämpfend, sagte sie mit klarer, ruhiger Stimme:

»Ich bin nicht in der Lage, Herr von Kroneck, Ihnen eine Antwort zu geben, die Sie voll befriedigen wird. Mißverstehen Sie mich nicht! Ich will alles thun, Ihre Liebe zu verdienen und Ihnen eine treue Gattin sein. Mehr kann ich Ihnen heute, ohne zu viel zu versprechen, nicht sagen, denn mein Herz hat Jahre hindurch einem andern gehört.«

Kurt von Kroneck stand einen Augenblick wie betäubt da. Er konnte das Glück, daß Magdalene die Seine werden wollte, kaum fassen. Wenn sie erst sein Weib war, würde sie ihn schon lieben lernen, dessen war er gewiß.

Diesem Gefühl gab er auch Worte, und Magdalene nickte leicht, fast unmerklich. Sie wagte es nicht zu hoffen. Aber doch kam ein süßes Gefühl der Ruhe, des Geborgenseins über sie, als Kroneck in scheuer Zärtlichkeit seinen Arm um sie schlang und einen leisen Kuß auf ihre Stirn drückte.

Unbeschreiblich beglückt ritt der Oberförster in seine Waldeinsamkeit zurück. Jetzt erst glaubte er das leise, linde Rauschen der Bäume zu verstehen, und es schien ihm, als ergössen all die zahllosen Sterne, die an dem wolkenlosen Firmament funkelten, ihr schimmerndes Licht in seine jauchzende Seele.

Der Professor kehrte erst kurz vor Mitternacht heim, und es befremdete ihn nicht wenig, als er Magdalene noch wachend antraf. Sie kam einer Frage seinerseits zuvor, indem sie sagte:

»Ich habe auf dich gewartet, Papa, denn ich habe dir eine Mitteilung zu machen, – ich habe mich heute abend mit Kurt von Kroneck verlobt.«

»Das ist nicht möglich!«

Sie trat erschrocken einen Schritt zurück über den beunruhigten Klang, den seine Worte hatten. Aber alsbald faßte sie sich und mit ernster Stimme sagte sie:

»Warum soll es denn nicht möglich sein? Diese Verbindung war ja doch dein eigener Wunsch?«

»Mein Wunsch? Ja, das ist wahr! Aber er durfte nicht aus Trotz erfüllt werden. Es ist eine ernste, heilige Sache um den Entschluß, mit einem Manne Hand in Hand durchs Leben zu gehen, und diesen Entschluß darf man nicht unüberlegt und aus eigensinnigem Trotz fassen. Bist du dir dieser hohen Verpflichtung bewußt?«

Sie wich seinem Blicke aus.

»Ich bin mir nur bewußt, daß ich mit der Nachfolgerin meiner Mutter nicht unter einem Dache leben mag.«

»So! Und deshalb verlobtest du dich mit dem Manne, der auf dich sein ganzes Lebensglück baut?«

»Ja!«

»Nicht, weil er dir teuer ist, weil die Liebe dich an seine Seite zieht?«

»Nein!«

»Und du glaubst, ich werde das zugeben? Nur um deinem strafwürdigen Eigensinn zu folgen, soll ich dich mit der Zukunft, mit dem Glücke eines Menschen spielen lassen, den ich liebe und wert halte wie meinen eigenen Bruder? Morgen noch erfährt Kurt von mir die Beweggründe deiner Zusage.«

»Er kennt sie bereits im wesentlichen, Papa. Ich habe ihn nicht darüber im Unklaren gelassen. Hat er die Absicht, zurückzutreten, so mag er es thun. Mir wird das Herz darüber nicht brechen. Ich fange fast an, zu glauben, daß ich gar keins mehr habe, daß es in der Gruft meiner Mutter begraben liegt. Aber das will ich dir noch sagen: Aendert Kroneck seinen Vorsatz, so ändert das an meinem Vorsatze, dein Haus zu verlassen, nichts.«

»Du bedenkst nicht, daß du dazu meiner Erlaubnis bedürftest.«

»Ich weiß das, aber festhalten wirst du mich unter keinen Umständen können. Es kommt also darauf an, ob ich des Oberförsters Gattin werden oder ins Ungewisse hinaussteuern soll. Darüber hast du zu entscheiden, Papa!«

»Die Antwort darauf gebe ich dir morgen. Laß mich jetzt allein! Das Weitere wird sich später finden.«

»Es fände sich sogleich, wenn du dich entschließen könntest, dich nicht wieder zu vermählen.«

»Der Starrsinn eines verwöhnten Kindes hat keinen Einfluß auf meine Entschließungen,« entgegnete er kalt.

»Dann handle, wie es dir gut dünkt, laß mir aber ebenfalls meinen freien Willen. Um Ruhe und Frieden wäre es ja doch geschehen, würde ich hier bleiben.«

Der Professor ging in dieser Nacht erst spät zu Bett, und als in den Vormittagsstunden des nächsten Tages der Oberförster kam, hatte er eine lange, inhaltschwere Unterredung mit ihm. Aber auf seine schweren Bedenken hinsichtlich der Verbindung mit Magdalene erwiderte Kurt mit ruhigem Lächeln:

»Ich weiß ja, daß sie mich noch nicht so liebt, wie ich sie liebe. Ich bin kein anspruchsvoller Mensch und verlange nichts weiter, als daß sie mir gut ist und sich freut, wenn ich ihr ein behagliches Nestchen in meiner waldumsäumten Oberförsterei bereite. Sie mag, wie du sagst, wild, trotzig, eigensinnig sein. Allein in ihrer hartnäckigen Weigerung, mit der Stiefmutter unter einem Dache zu leben, liegt doch auch ein edler Beweggrund, irrig aufgefaßte, aber rührende Ergebenheit und Treue gegen die verstorbene Mutter. Gieb mir nur getrost deine Magdalene! Ich werde den süßen Kern aus der rauhen, dornigen Hülle schon herausschälen. Mir ist keineswegs bange und du brauchst dich auch nicht zu ängstigen. Vielleicht gehen noch Jahre darüber hin, aber dann bilden wir sicher eine glückliche Familie. Dann wird jedes Mißverständnis, jede falsche Auffassung beseitigt sein. Ich kenne deine Tochter wohl besser, als du selbst, und vorausgesetzt, daß dich nicht andere Gründe leiten – ich meine, daß du speziell gegen mich nichts einzuwenden hast –«

»Da bedarf es doch wohl keiner Beteuerung des Gegenteils!«

»Nun, dann laß dein Kind ruhig in das Heim übersiedeln, welches ich ihm bieten kann. Magdalene soll eine zufriedene, von Liebe und treuer Sorgfalt umgebene Frau werden. Die scharfen Ecken dieses Charakters abzuschleifen, wird mir schon gelingen.«

»Ich habe dir offen und ehrlich alles gesagt, Kurt.«

»Und ich nehme die Verantwortung für meinen Entschluß voll auf mich. Magdalenens Glück soll mir stets höher stehen, als das meinige.«

Die Vorbereitungen zu einer doppelten Hochzeitsfeier wurden eifrigst getroffen.

Der Professor stattete seine älteste Tochter glänzend aus, wobei ihm Alexandra, freilich ohne daß die zukünftige Stieftochter es ahnte, mit ihrem feinen Geschmack zu Hilfe kam.

Jedes andere Mädchen würde gejubelt haben, doch Magdalenens Antlitz verklärte nie der Schimmer bräutlicher Wonne.

Als Feldern eines Tages das Erkerzimmer betrat, furchte er überrascht die Stirn. Es war ein großer kahler Fleck an der Wand, wo früher Reginas in Lebensgröße gemaltes Bild hing, und ebenso suchte er in einem anderen Zimmer vergebens den Schreibtisch, den Bücherschrank und verschiedene andere von der Verewigten benutzten Gegenstände.

»Was ist da vorgegangen?« fragte der Professor zürnend seine Tochter.

»Ich habe das alles in mein Zimmer bringen lassen, Papa,« erklärte das Mädchen kalt, »und werde es in die Oberförsterei mitnehmen. Gestattest du es uns?«

»Das Bild deiner Mutter möchte ich hier behalten.«

»Für dich sind diese lieben Augen doch keine Notwendigkeit mehr! Ich möchte sie immer auf mir ruhen sehen. Das kannst du mir doch gewähren.«

»So nimm das Gemälde!«

Kühl dankend neigte sie den Kopf. Es war gar keine Herzlichkeit mehr in ihrem einst so innigen Verkehr mit dem Vater. Selbst von den Geschwistern zog sie sich zurück, denn auch diese jubelten der neuen Mutter entgegen.

Unter diesen Umständen fand es Feldern angezeigt, sowohl seine eigene Heirat, wie die der Tochter zu beschleunigen. Die Doppelhochzeit sollte in spätestens einem halben Jahre stattfinden. Von einer öffentlichen Verlobungsfeier Magdalenens war auf ihren Wunsch abgesehen worden. Nur wenige Näherstehende wußten, daß sie Braut war.

Eines Abends kam der Oberförster mit glückstrahlendem Antlitz, um sogleich wieder Abschied zu nehmen.

»Ich muß sofort zurückeilen,« sagte er freudig erregt. »Harald trifft heute abend ein. Er hat sein Examen bestanden und wird sich in dieser Stadt niederlassen, aber erst einige Wochen in der Oberförsterei zubringen. Es scheint, daß sich der arme Junge über alle Begriffe angestrengt hat und nun dringend der Erholung bedarf. Ist ja auch begreiflich, nicht wahr? Ich bringe ihn demnächst mit.«

In Magdalenens Augen glühte ein verhaltenes Feuer.

»Er kommt, sagst du?«

»Ja, er wird vielleicht schon da sein, ehe ich mein Heim erreiche. Aber ich mußte doch mein Bräutchen begrüßen und von dem frohen Ereignis in Kenntnis setzen. Die Freude war immer ein seltener Gast bei mir, aber jetzt schüttet das Glück mit einem Male sein Füllhorn verschwenderisch über mich aus!«

»Gott sei Dank, da bist du ja von einer schweren Sorge befreit!« rief der Professor. »Dein Bruder hat dir bisher Kummer genug gemacht.«

»Thut nichts! Siehst du, ich fühle eine Art väterlicher Liebe zu ihm.«

»Ja, ja, das weiß ich.«

»Und es ist ganz natürlich. Denke doch nur! Ich zählte schon vierzehn Jahre, als er zur Welt kam, und alle meine anderen Geschwister waren gestorben. Der kleine Bube kam mir wie ein Himmelsgeschenk vor. Als er erst laufen konnte, rannte er mir nach wie ein Hündchen. Später, wenn ich von der Forstakademie zu kurzem Besuch heimkehrte, schaukelte ich ihn auf den Knieen und hatte meine Freude an dem kleinen Mann. Als dann die Eltern ganz kurz nach einander starben, war's doch selbstverständlich, daß ich ihre Stelle bei ihm vertrat. Aber ist er nicht auch ein tüchtiger Mensch geworden? Soll ich nicht stolz auf ihn sein?«

»Es giebt da so manches –«

»Ja, ja, ich verstehe schon, was du andeuten willst. Früher tadelte ich ihn auch oft und wurde böse, wenn er nicht gehorchen wollte. Aber am Ende – er war wie ein junges, feuriges Pferd, das ausschlägt und seine Sprünge macht. Freue dich doch mit mir! Wie sehr beglückt mich die Zukunft mit ihren lieblichen Erwartungen. Magdalene als kleine Hausfrau in der Oberförsterei waltend, der Bruder ganz in der Nähe, und du ebenfalls! Leb' wohl, auf Wiedersehen, Magdalene! Es ist Zeit, daß ich heimkomme. Darf Harald morgen mit mir kommen?«

»Selbstverständlich!« erwiderte Feldern.

»Und du sagst gar nichts?« wandte sich Kroneck an seine Braut.

»Dein Bruder ist mir willkommen!« antwortete sie.

Es klang zögernd und gepreßt, und ihre Augen vermieden es, den seinigen zu begegnen. –

Die Abendsonne versank bereits, im letzten Purpurschein aufglühend, hinter den Bergen, als Kurt eintraf.

Ein junger Mann ging, von zwei gewaltigen Hunden, die jetzt laut anschlugen, auf Schritt und Tritt begleitet, im Garten auf und ab und machte, den Reiter gewahrend, eine grüßende Handbewegung.

»Harald, da bist du ja, mein Junge,« rief Kurt abspringend. »Gratuliere, gratuliere zu dem schönen Erfolg!«

»Ich gratuliere dir ebenfalls, glücklicher Bräutigam!« erwiderte der jüngere Kroneck mit gezwungenem Lächeln.

»Danke! Du hast wahrhaftig recht, mich so zu nennen, denn ich bin der glücklichste Mensch, den man sich denken kann. Wenn einem, so lacht mir jetzt das Leben. Zu beschreiben brauche ich dir meine Braut nicht. Du kennst sie ja.«

»Allerdings – ich kenne sie.«

»Was hast du denn, mein Junge? Wohin ist deine Fröhlichkeit gekommen? Du bist gar nicht recht lustig und hättest doch alle Ursache dazu.«

»Ich weiß es selbst nicht – eine momentane Verstimmung. Nimm sie mir nicht übel, Kurt.«

»Keineswegs! Das ist ja ganz begreiflich. Du hast dich überarbeitet. Na, eine kurze Zeit der Ruhe bringt alles wieder in Ordnung. Jetzt darfst du sie dir gönnen, denn das Ziel ist erreicht. Ein stolzes Gefühl, nicht wahr?«

»Allerdings –«

»Komm', wir wollen auf die Doktorwürde anstoßen!«

Der Oberförster geleitete den Bruder die Treppe hinauf, und bald saßen sie sich am gedeckten Tisch gegenüber.

Ein Vater hätte nicht stolzer auf seinen Sohn blicken können, als Kurt auf Harald blickte. In frohester Laune, sprach er viel und bemerkte kaum, daß er fast allein die Kosten der Unterhaltung trug.

Wer die Brüder mit einander verglich, mußte sagen, daß sie wenig Aehnlichkeit zeigten. Der jüngere war der bedeutend schönere von beiden, aber seine regelmäßigen Züge hatten mitunter einen harten, spöttischen Ausdruck. Manchem würde das offene, freundliche, wenn auch nicht gerade schöne Antlitz des Oberförsters lieber gewesen sein. Seine klugen, grauen Augen konnten zwar auch sehr streng blicken, aber gewöhnlich strahlte gewinnende Herzensgüte aus ihnen und gegenwärtig sogar ein beinahe kindlicher Frohsinn, der dem sonst so ernsten Manne gar gut stand.

Man sprach von diesem und jenem, rauchte und trank, und die Uhr zeigte eine ziemlich späte Stunde, als Kurt rief: »Harald, was ist dir? Du kommst mir heute so seltsam vor.«

»Vielleicht, weil ich heute in unliebenswürdiger Stimmung bin. Ja, wer kann dafür? Das rastlose Studium strengt doch die Nerven an.«

»Freilich, freilich, mein Junge! Du mußt erst wieder zu dir selbst kommen und wirst es ja auch bald in dieser prächtigen Waldesluft. Du sollst hier ganz deiner Erholung leben. Für die Zerstreuung lasse mich sorgen. Morgen wollen wir beide nach der Stadt.«

»Zu welchem Zweck?«

»Nun, um Felderns zu besuchen.«

»Ich kann dich nicht begleiten, Kurt!«

»Weshalb nicht?«

»Der Professor hegt offenbar eine gewisse Abneigung gegen mich, und ich mag mich ihm nicht aufdrängen.«

»Davon ist keine Rede, Harald. Gerade Feldern freut sich innigst über das schöne Ergebnis deines Fleißes. Er kann es nur nicht leiden –«

»Wenn man noch für etwas anderes als für die Brotwissenschaften Sinn hat. Aber jeder ist nun einmal nicht so verknöchert, wie er!«

»Du verkennst sein warmes Gemüt.«

»Mag ja sein – doch wir passen nicht zusammen und bleiben uns besser fern. Reite lieber allein hinüber. Später mache ich vielleicht einen Besuch.«

»Mein Wort darauf, daß du mit aufrichtigster Freude und Herzlichkeit empfangen wirst.«

»Nun, wenn ich dir einen Gefallen damit erweisen kann –«

»Allerdings, Harald, das thätest du. Ich denke mir unser künftiges Familienleben so schön. Ist erst eine Frau im Hause, dann sollst du immer ein gemütliches Heim finden, wo du dich von der Arbeit Last und Mühe ausruhen kannst. Würde mir doch etwas Unentbehrliches fehlen, wenn ich dich vermissen müßte, der mir seit langen Jahren das Liebste auf der Welt gewesen ist.«

»Gewesen – ja –«

»Bist wohl gar eifersüchtig?« lachte der Oberförster, ihn gutmütig auf die Schulter klopfend. »Ganz unnötig, alter Junge! Aus meinem Herzen verdrängt dich selbst Magdalene nicht.«

»Du bist zu gütig!«

»Zu gütig! Was das nur für eine Redensart ist! War ich nicht immer mehr dein Vater, als dein Bruder?«

»Allerdings; ich schulde dir viel.«

»Gar nichts schuldest du mir! Was ich that, war mir Bedürfnis, und jetzt habe ich allen Grund, stolz auf dich zu sein. Bis du dir deinen eigenen Haushalt bereitest, betrachte mein Heim als das deinige. Und nun gute Nacht, Harald! Bald wird's gemütlicher hier.«

»Gute Nacht, Kurt!«

»Um acht Uhr wecke ich dich.«

*

Als die achte Morgenstunde schlug, wurde an des jungen Arztes Thür geklopft. »Heraus aus den Federn!« rief der Oberförster.

»Die Aufforderung kommt zu spät, ich bin schon längst wach!« tönte es zurück, und der Schlüssel wurde umgedreht.

»Herr Gott, wie sieht es hier aus!« rief Kurt lachend.

»Ich war eben dabei, meine Koffer auszupacken. Doch das kann alles liegen bleiben.«

»Nicht nötig! Wir haben ja noch Zeit. Ich helfe dir deine sieben Sachen unter Dach und Fach bringen. Sollst sehen, wie schnell das geht! Aha! Auch fleißig gemalt nebenbei?«

Er hob eine auf Holzrahmen gespannte Leinwand empor.

»Was stellt denn dieses Bild vor?«

»Eine schlechte Kritik meines allerdings noch unvollendeten Werkes, wenn du erst einer Erklärung bedarfst. Ich wählte einen Vorwurf aus der biblischen Geschichte: Rebekka, aus dem Hause ihres Vaters scheidend. Nun, die Arbeit muß gründlich mißlungen sein.«

»Aber höre 'mal, ganz und gar nicht! Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich seit Jahren wenig in dem heiligen Buch gelesen habe, und da verwischt sich so manches in dem Gedächtnis. Aber das soll anders werden! Und jetzt kommt mir eine prächtige Idee, jetzt weiß ich, was in Magdalenens späteres Zimmer kommen soll: eine Bibel mit silbernen Beschlägen und Rosetten. Ja, die will ich gleich besorgen. Ein Mann, mag er ein noch so guter Christ sein, pflegt sein Gebet ziemlich kurz abzumachen, aber es giebt nichts Holderes, als den frommen Glauben eines Weibes. Ich fühle mich wieder als Christ, und meine längst verstummten Glocken fangen wieder an, zu läuten.«

»Man kann kein Wort äußern, ohne daß du es in Beziehung zu deiner Braut bringst!« sagte Harald kühl.

»Ja, lieber Himmel, was willst du denn? Du hast eben noch keine so lieb gehabt, wie ich mein kleines, stolzes Mädel. Die ist nun einmal jetzt mein Kleinod, mein Lebenszweck, mein alles! Wenn du späterhin – und das kommt vielleicht eher als wir beide glauben – Aehnliches empfindest, dann verstehen wir uns besser. Aber nun wieder zu deinem Werke! Willst du wissen, was mir daran auffällt?«

»Nun?«

»Der Vater, der Bräutigam, die Diener und die reich beladenen Kamele sind ja famos gezeichnet und vortrefflich untermalt, aber die Hauptfigur ist nur nebelhaft angedeutet. Warum führtest du denn diese nicht zuerst aus?«

»Weil ich bisher kein passendes Modell dafür fand. Ich habe meine Rebekka schon oft entworfen und beinahe fertig gemalt; aber dann sagte ich mir selbst, daß diese Idealgestalten gar nicht hineinpassen, daß sie keinen einzigen Zug gesunder Realistik aufweisen, und im nächsten Augenblick war alles weggewischt. Das ist schlechtes Zeug, Kurt. Verbrennen wir es gemeinschaftlich!«

»Warum nicht gar! Mit solchen Dummheiten darfst du mir nicht kommen. Ich sehe da nichts Mißlungenes, sondern einen Gedanken, der nach künstlerischer Verwirklichung ringt. Willst du denn immer mit dem Kopf durch die Wand? Gönne dir doch Zeit! Wer sucht, der findet. Stelle das Bild einstweilen beiseite! Wirst das richtige Modell schon noch treffen.«

»Ich habe alle Freude daran verloren.«

»Mit Unrecht! Immer vollenden, was man begonnen hat, und nicht einmal dies, einmal das anfangen. Wir sprechen wieder darüber und –«

»Herr Oberförster, der Kaffee steht auf dem Tisch!« meldete die Haushälterin Babette, deren frisches, gutmütiges Gesicht wie eine Klatschrose unter der mit breiten Bandstreifen geschmückten Haube hervorleuchtete.

Kurt holte ein Kistchen Cigarren, und als das Frühstück eingenommen war, begaben sich beide nach der Stadt.

Harald wurde, wie ihm bereits sein Bruder versichert hatte, von dem Professor herzlicher aufgenommen, als früher. Aber Magdalene schien kein warmes Wort der Begrüßung finden zu können. Sie saß stumm im Stuhl, sprach niemals aus eigenem Antrieb und antwortete zerstreut, wenn eine Frage an sie gerichtet wurde.

Der Oberförster empfand das schmerzlich.

»Kannst du meinem Bruder nicht etwas freundlicher begegnen?« flüsterte er der Braut zu, und diese erwiderte, ohne den Kopf, ja fast ohne die Lippen zu bewegen, ebenso leise:

»Nein, das kann ich nicht.«

»Sei mir zu Liebe gut und herzlich mit ihm.«

»Dir zu Liebe?«

»Mein innigster Wunsch ist, ein recht geschwisterliches Verhältnis zwischen euch anzubahnen.«

»Den Gedanken gieb auf,« sagte sie herb, »er verwirklicht sich niemals.«

»Was habt ihr nur alle gegen Harald? So erhebe wenigstens dein Glas und stoße mit ihm an! Den Gefallen wirst du mir wohl thun!«

Magdalene gehorchte, aber es lag etwas Automatenhaftes in der Art, wie sie es that.

Die feingeschliffenen Kelche klangen aneinander. Die Blicke des jungen Mannes und des Mädchens begegneten sich flüchtig unter halbgesenkten Lidern.

Ein jäh aufzuckender, jäh verlöschender Blitz flog hinüber und herüber.

Harald schien plötzlich sich selbst wiedergefunden zu haben. Wie ein lähmender Bann war es von ihm genommen. Dieses letzte Glas Traubenblutes schien ihm Feuer in die Adern gegossen zu haben. Er bemächtigte sich nun der Konversation, und die durch ihn angeregte, beständig das Thema wechselnde Unterhaltung glich bald einem glänzenden, farbenreichen Feuerwerk.

Aber Magdalene saß wieder stumm und regungslos da. Aus ihren Wangen war der letzte Rest von Farbe gewichen.

Eine Stunde später nahmen die beiden Kroneck Abschied und kehrten nach der Oberförsterei zurück.


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