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Siebentes Kapitel.

Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

(Goethe.)

Wenn Harald gehofft hatte, mit der Zeit eine größere Praxis zu erhalten, so sah er sich in dieser Hoffnung getäuscht.

Wäre er vermögend gewesen, so würde ihm das vornehme Drohnenleben wahrscheinlich sehr angenehm vorgekommen sein. Aber je mehr die Summe, die Kurt ihm überwiesen hatte, zusammenschmolz, um so ernster wurden die Sorgen, die ihn quälten. Einige reiche junge Leute, die ihn als liebenswürdigen Gesellschafter schätzten und ihn, nach dem Schein urteilend, für vermögend und nur augenblicklich bedrängt hielten, halfen bereitwilligst aus, wurden jedoch sehr kühl und zurückhaltend, als sie die vorgestreckten Summen nach der vereinbarten Frist nicht zurückerstattet bekamen. –

Fast zwei Jahre schlug Harald sich auf diese Weise durch und verlor mehr und mehr den Boden unter den Füßen, weil er sich nicht entschließen konnte, seine Lebensbedürfnisse einzuschränken. Und als schließlich die letzte Hilfsquelle versagte, sah er sich, so schwer es ihm auch fiel, genötigt, sich an seinen Bruder zu wenden.

Er hatte indessen des Oberförsters Großmut überschätzt. Kurt schlug ihm seine Bitte um Unterstützung rundweg ab, indem er ihm schrieb:

»Ich fordere die Summe, die ich dir bei deiner Verheiratung gegeben, nicht zurück, habe aber keine Veranlassung, dir auch weiterhin zu helfen. Du hast genug gelernt, um für dich und für die Deinen den erforderlichen Lebensunterhalt zu erwerben, und mußt endlich einmal im stande sein, dich auf eigene Füße zu stellen. Bis zur äußersten Grenze bin ich gegangen, darüber hinaus gehe ich unter keinen Umständen. Der größere Teil des mir zugefallenen Erbes war von jeher für dich bestimmt. Die eine Hälfte desselben hast du bereits erhalten und leider, wie ich annehmen muß, bereits verbraucht; die andere muß ich aufbewahren, da sie dazu dienen soll, die Zukunft deiner Frau und deines Kindes sicher zu stellen. Davon erhältst du keinen Pfennig, darauf kannst du dich verlassen.«

Zornig ballte Harald den Brief zusammen, zerriß ihn dann in unzählige kleine Stückchen und schleuderte diese in den Papierkorb. Aber seine Heftigkeit dauerte nicht lange. Er konnte sich der Erkenntnis, daß er nunmehr einzig auf sich selbst angewiesen sei, nicht verschließen, und hastig im Zimmer auf und ab gehend, begann er darüber nachzudenken, wie er seine Lage günstiger gestalten könnte. Das Vernünftigste und einzig Richtige wäre gewesen, wenn er sich hätte entschließen können, seinen Haushalt bescheidener einzurichten. Aber daran dachte er nicht einen Augenblick. Seine ganze Natur war auf ein vornehmes Genußleben zugeschnitten, und er hätte höchstens eine spöttische Bemerkung übrig gehabt, wenn ihm jemand gesagt hätte, daß er seine Ausgaben mit seinen Einnahmen in Einklang bringen müsse. Dagegen nahm er sich ernstlich vor, das, was er gelernt hatte, fortan nutzbringender zu verwerten. Er konnte sich ohne Selbsttäuschung sagen, daß er über einen reichen Schatz von Kenntnissen verfügte. Aus diesem Schatze gedachte er zu schöpfen, um sich und seiner Familie eine nicht nur sorgenfreie, sondern auch behagliche Existenz zu schaffen.

So ernst es ihm mit seinen Vorsätzen war, so sehr ermangelte er der Ausdauer, um den klar vorgezeichneten Weg kraftvoll zu verfolgen. Fast alles erwartete er von dem blinden Zufall, und nur selten raffte er sich dazu auf, den Gang der Ereignisse selbst zu lenken. Und selbst in diesen wenigen Fällen erlahmte seine Kraft nur zu bald. Er bewarb sich um die Mitarbeiterschaft an verschiedenen Fachzeitungen, vollendete indessen niemals einen Aufsatz, der seinem Namen hätte Geltung verschaffen können. Gesellige Zerstreuungen, noch mehr aber eine ausgesprochene Unbeständigkeit, zogen ihn immer wieder von der Arbeit ab.

Vielleicht hätte Magdalene, die noch immer auf seine Entschließungen einen großen Einfluß hatte, ihn zu ernsterem Schaffen aneifern können, allein in ihrer blinden Liebe für ihn hielt sie ihn eher von der Arbeit zurück, als daß sie ihn dazu antrieb. Wenn Harald wirklich einmal es über sich gewann, mehrere Stunden hintereinander am Schreibtische zu sitzen, so suchte die junge Frau ihm schmeichelnd, neckend die Stunden der Arbeit zu verschönen, und Harald war viel zu schwach, ihren Ablenkungen ernstlichen Widerstand entgegenzusetzen.

Aber wie fast immer wirtschaftliche Sorgen das Band der Liebe lockern, so war es auch hier der Fall. Mehr und mehr gewöhnte Harald sich daran, außerhalb seines Hauses das ihm unentbehrliche gesellige Leben zu suchen, das er in seinem Heim nicht mehr finden konnte, nachdem die Sorge dort eingekehrt war. War er früher selten ohne Magdalene ausgegangen, so gehörte es nun zu den Seltenheiten, daß er in ihrer Gesellschaft außerhalb seiner Häuslichkeit gesehen wurde.

Magdalene empfand die Vernachlässigung seitens ihres Gatten umsomehr, als bis dahin Harald aufs aufmerksamste für sie gesorgt und eine wirklich rührende Liebe für sie an den Tag gelegt hatte. Aber sie war keineswegs gewillt, sich diese Vernachlässigung gefallen zu lassen. So demütig sie sich in Haralds Launen schickte, so energisch wehrte sie sich, als sie wahrnahm, daß von dem Gebäude seiner Liebe Stein um Stein abbröckelte. Je weniger er das Bedürfnis zu haben schien, in ihrer Gesellschaft zu weilen, je gleichgültiger er im Verkehr mit ihr wurde, um so eifriger war sie bemüht, ihm ihre Liebe zu beweisen. Sie erreichte damit indessen eher das Gegenteil von dem, was sie wollte. Wenn Harald sich auch stets in den Grenzen einer gewissen Ritterlichkeit bewegte, so hätte sie doch kein Weib sein müssen, hätte sie nicht gefühlt, daß sein Herz bei den Aufmerksamkeiten, die er ihr widmete, nicht in Frage kam.

»So kann es nicht weiter gehen, Harald!« sagte sie eines Tages, als der junge Arzt wieder einmal den größten Teil der vorangegangenen Nacht im Freundeskreise außerhalb des Hauses zugebracht hatte. »Ich ertrage diese Art deines Wesens nicht länger. Sage mir, Harald, was trennend zwischen dich und mich getreten ist.«

Er suchte seine Verlegenheit durch ein Lächeln zu verbergen und sprach einige liebenswürdige Worte, um sie zu beruhigen. Aber entschlossen, Klarheit zu schaffen, sagte sie:

»Ich lasse mich nicht wie ein unmündiges Kind mit leeren Reden abspeisen, ich will wissen, weshalb deine Liebe zu mir nicht mehr so innig ist wie einst.«

»Du irrst!« erwiderte er, ihrem forschenden Blicke ausweichend. »Was mich von Anfang an zu dir hinzog, deine Anmut, dein liebenswürdiges Geplauder, alles das hat auch heute noch seinen Reiz für mich. Aber es ist mir nicht gegeben, das Herz fortwährend auf der Zunge zu tragen, und deshalb mag ich dir kälter erscheinen, als dein Herz es vertragen kann.«

»Nein, Harald, du täuschest mich nicht. Was ich dir früher gewesen, bin ich dir heute nicht mehr, das fühle ich täglich mehr. Aber ich weiß auch, daß ich dir niemals Veranlassung gegeben habe, gleichgültiger gegen mich zu werden, und aus diesem Grunde sollst du mir sagen, was zwischen dich und mich getreten ist.«

Sein Stolz, seine Eitelkeit litten unter dem Gedanken, ihr sagen zu sollen, daß er nicht in der Lage sei, so für Frau und Kind zu sorgen, wie er es für geboten hielt. Aber ihrer ruhigen Entschiedenheit gegenüber sah er sich genötigt, die Wahrheit bekennen zu müssen.

»Ich kann dir nur wiederholen,« sagte er, »daß du im Irrtum bist, wenn du glaubst, daß ich dich nicht mehr so liebe, wie früher. Zugeben will ich, daß meine Gefühle für dich in letzter Zeit einen weniger zärtlichen Ausdruck gefunden haben. Aber nicht, weil meine Liebe zu dir im Schwinden begriffen ist, sondern weil – nun, offen gesagt, weil mich schwere Sorgen drücken. Ich habe bisher als Arzt hier keinen Boden gewinnen können, und ich fürchte, daß auch in absehbarer Zeit meine Praxis nicht soviel einbringen wird, wie zu unserem Lebensunterhalt erforderlich ist. Das quält mich, bringt mich aus meinem gewohnten Gleichgewicht heraus und läßt mich öfters, als es vielleicht wünschenswert ist, heitere Gesellschaft aufsuchen, in der ich die peinigenden Gedanken wenigstens auf Stunden los werde.«

Sie sah ihn eine Weile schweigend an. Dann warf sie sich plötzlich unter einem befreienden Aufschluchzen an seine Brust und rief mit thränenerstickter Stimme:

»Mein lieber, guter Mann, wie sehr mußt du gelitten haben! Aber das soll jetzt ein Ende haben. Wir werden unsern Haushalt auf das bescheidenste Maß zurückführen und unsere Bedürfnisse auf das notwendigste beschränken.«

Magdalene hatte mit sicherem Blick erkannt, von welcher Seite eine Besserung ihrer Lage zu erwarten sei. Sie bemerkte nicht, wie es in verhaltenem Spott um seine Lippen zuckte, als er, mit sanfter Gewalt sie von sich drängend, sagte:

»Wenn du keinen besseren Rat weißt, Magdalene! Diesen werde ich nicht befolgen.«

»Ja, was sollen wir aber sonst thun?« kam es zaghaft von ihren Lippen.

Er heftete forschend den Blick auf sie.

»Ich wüßte wohl etwas,« sagte er zögernd, »aber ich fürchte, du wirst mit meinem Gedanken nicht einverstanden sein.«

»O, das brauchst du nicht zu befürchten!« rief sie lebhaft. »Ich will gern alles thun, um die Sorgen von dir zu nehmen.«

»Nun, der einzige Ausweg, den ich zu sehen vermag, ist der, daß du deinem Vater unsere Lage schilderst und ihn um eine Unterstützung ersuchst.«

Sie sah erschrocken zu ihm empor.

»Meinem Vater? Nein, Harald, das geht nicht! Er kann nicht mehr thun, als er bisher gethan hat.«

»Als er bisher gethan hat?« wiederholte er fragend. »Er könnte schon, wenn er wollte. Wenn die Bitte von dir persönlich ausgeht, wird er allerdings kaum geneigt sein, sie zu erfüllen; aber wenn Alexandra sie vorbringt, wird er sich gewiß nicht weigern, uns zu helfen. Wie wäre es, wenn du dich an sie wenden möchtest?«

»An meine Stiefmutter? Nun und nimmermehr!«

»Nun, dann schreibe an Kurt! Mir hat er seinen ferneren Beistand rundweg abgeschlagen, aber dir gäbe er wahrscheinlich eine andere Antwort.«

Sie wich bestürzt einen Schritt zurück.

»Ist das dein Ernst, Harald?«

»Meinst du, ich wäre angesichts unserer trostlosen Lage zum Scherzen aufgelegt?«

»Es ist wirklich dein Ernst? Nein, Harald, ich kann's nicht glauben! Fühlst du denn nicht, daß ich vor Scham vergehen müßte, wollte ich an Kurt schreiben? Lieber möchte ich hungern und darben, als an ihn eine derartige Bitte richten.«

Er lachte rauh auf.

»Ich wußte es ja,« sagte er mit einer verletzenden Bewegung des Kopfes, »was auf deine Versicherungen zu geben ist. Wenn du eben auf alle meine Vorschläge nur eine verneinende Antwort hast, dann mußt du auch die Folgen tragen und darfst dich nicht wundern, wenn ich jetzt weniger als früher zu Hause bin, wo mich doch alles an meine Sorgen erinnert.«

»Sei nicht böse!« sagte sie thränenden Auges und schlang ihre Arme um seinen Hals. Aber er entwand sich mit einer heftigen Bewegung ihrer Umarmung und wandte sich, ohne ihr ein Wort des Abschieds zu gönnen, um das Zimmer zu verlassen.

»Harald!« rief sie ihm schmerzbebend nach, und als er dessenungeachtet ging, ohne sich auch nur umzusehen, brach sie in ein hilfloses Weinen aus.

Eine quälende, die Nerven wie mit Nadelstichen peinigende Unruhe bemächtigte sich ihrer. Sie nahm ein Buch, um es sofort wieder beiseite zu legen; sie setzte sich ans Klavier und griff einige Akkorde, aber schon nach wenigen Sekunden schlug sie den Deckel des Instrumentes wieder zu; sie machte einige Stiche an einer für Harald bestimmten Canevasarbeit, hörte aber auch damit bald auf. Es erschien ihr alles so schal, so nichtig in ihrem Herzeleid.

Da drang plötzlich der Ton der Flurglocke an ihr Ohr. In der Meinung, es könne nur Harald sein, stürzte Magdalene hinaus und öffnete. Statt des sehnsüchtig Erwarteten stand jedoch ein alter Herr, der Medizinalrat Dr. Steiner, vor der Thür und fragte nach seinem Kollegen.

Sie nötigte ihn in den vornehm ausgestatteten Salon und bat ihn, Platz zu nehmen.

»Mein Mann ist vor kurzem ausgegangen, aber vielleicht kann ich ihm den Grund, der Sie herführt, mitteilen?«

»Hm, hätte ihn allerdings gern persönlich gesprochen! Wird er lange fortbleiben?«

»Ich weiß es nicht –«

Die großen schwarzen Augen füllten sich, ihr selbst fast unbewußt, mit Thränen.

»Na, na, nur nicht gleich weinen, meine liebe gnädige Frau. Ist wohl ein wenig einsam hier, wenn der Herr des Hauses fehlt? Ja, die leidigen Berufsgeschäfte zwingen den Arzt freilich häufig, auf die Annehmlichkeiten der Häuslichkeit zu verzichten.«

»Ach, wenn es nur das wäre!«

Sie wandte sich rasch zur Seite, um die Thränen, die ihr unaufhaltsam über die Wangen stürzten, zu verbergen. Aber der Sanitätsrat hatte die schimmernden Tropfen doch bemerkt. In einer Anwandlung herzlicher Teilnahme ergriff er ihre Hände und fragte sie, weshalb sie so außergewöhnlich erregt sei.

Magdalene wußte später selbst nicht, woher sie den Mut genommen hatte, dem alten Herrn, der ihr nur ganz oberflächlich bekannt war, ihre traurige Lage zu offenbaren. Aber in ihrer Verlassenheit und Hilflosigkeit besann sie sich nicht einen Augenblick, es zu thun. All das seelische Leid, das Harald ihr zugefügt, vergessend, redete sie sich ihre ganze Sorge um den geliebten Mann vom Herzen, schilderte seine Vorzüge, seine reichen Kenntnisse, seine erfolglosen Bemühungen, den Kreis seiner Patienten zu vergrößern, und beklagte es lebhaft, daß sie nicht in der Lage sei, ihm zu helfen.

Teilnahmevoll hörte der Sanitätsrat ihr zu. Dann sagte er freundlich beschwichtigend:

»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, gnädige Frau! Existenzsorgen sind freilich bitter, aber es wird sich schon alles finden. Sehen Sie, ich bin ein alter Mann, mit dem es gar nicht mehr recht gehen will, und der vor allem einer möglichst ungestörten Nachtruhe bedarf. Ihr Gatte, dessen Kenntnisse ich zu schätzen weiß, soll mir künftig einen Teil der Arbeit, die ohnehin zu schwer auf mir lastet, abnehmen. Damit können beide Teile, denke ich, wohl zufrieden sein.«

»O wie gütig Sie sind!« rief Magdalene erfreut.

»Nennen Sie es nicht gütig, gnädige Frau, nennen Sie es bequem, arbeitsunlustig. Thäte überhaupt am besten, mich von der Praxis ganz zurückzuziehen und einem Jüngeren Platz zu machen; doch die alte Gewohnheit und der in jedem Menschen wohl mehr oder weniger entwickelte Trieb, sich nützlich zu machen, so lange es irgend geht, lassen mich nicht los. Wenn also etwas vorfällt, schicke ich her. Und nun Kopf hoch, meine liebe gnädige Frau! Es wird schon alles wieder werden.«

Unter Thränen lächelnd schaute sie ihn an.

»Wie soll ich Ihnen nur danken!« sagte sie, und ein Strahl seligsten Glückes flog über ihr Gesicht.

»Indem Sie das Mündchen nicht mehr schief ziehen,« erwiderte der alte Herr, »und recht vergnügt und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken! Uebrigens braucht Ihr Gatte von unserem kleinen Komplott gar nichts zu erfahren. Wenn ich nach ihm schicke, soll er glauben, daß es ganz von ungefähr geschieht.«

»Aus Ihrem Vorschlage spricht soviel Zartgefühl, Herr Sanitätsrat, daß ich Ihnen nur von neuem danken kann. Sicherlich wird es meines Mannes Selbstgefühl heben, wenn er annehmen darf, daß nur seine Tüchtigkeit Sie veranlaßt hat, ihn als Vertreter zu wählen. O, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich Sie mich gemacht haben!«

»Freut mich außerordentlich, gnädige Frau! Nur ein wenig Geduld, bei nächster Gelegenheit wird das festgefahrene Schifflein flott gemacht.«

Er verabschiedete sich, Magdalene mit der felsenfesten Ueberzeugung zurücklassend, daß nun alles wieder gut werden müsse. – Sie ahnte nicht, wieviel Kummer und Herzeleid ihr daraus erwachsen sollte, daß sie das Anerbieten des Sanitätsrats angenommen hatte, und daß ihr Leben fortan nur eine Kette von Demütigungen bilden, ihr Glück auch in seinem bescheidenen Reste vernichtet werden sollte. –

Nur wenige Tage ließ der Sanitätsrat auf die Erfüllung seines Versprechens warten. Harald wurde während seiner Sprechstunde durch den Besuch des alten Herrn überrascht, der ohne Umschweife gerade auf sein Ziel losging.

»Sind da ein paar Amerikanerinnen angekommen,« begann er, – »eine anscheinend sehr reiche Dame mit ihrer Tochter. Die erstere hat sich auf der Reise eine schwere Erkältung zugezogen, die eine fortgesetzte ärztliche Bemühung erfordert. Es handelt sich um einen mehr langwierigen, als gefährlichen Fall, wenngleich die Lungen der Dame dermaßen angegriffen sind, daß ich ihr höchstens noch drei bis vier Jahre gebe. Die Dame ist indessen ängstlich, und da sie einerseits am Leben hängt, andererseits aber zu glauben scheint, daß nur der Reiche auf eine rücksichtsvolle Behandlung Anspruch hat, so kann ich es begreifen, daß sie wiederholt ohne jeden Grund mitten in der Nacht meinen ärztlichen Beistand verlangt hat. Nun bin ich aber, wie Sie wissen, bald ein Siebziger und habe alle Veranlassung, mich zu schonen. Was mir früher eine Kleinigkeit war, will heute nicht mehr gehen. Ich habe mir erlaubt, Sie, Herr Kollege, der überseeischen Patientin zu empfehlen, und überbringe die Bitte um Ihren ärztlichen Besuch gleich selbst.«

Er überreichte Harald ein auf starkes englisches Papier geschriebenes, kräftig parfümiertes Briefchen und fragte, als dieser gelesen hatte:

»Nun, wie steht's, Herr Kollege? Werden Sie mir die unbequeme Patientin abnehmen oder fürchten Sie, daß Ihre Zeit Ihnen die Uebernahme der Behandlung nicht erlaubt?«

»Keineswegs, Herr Sanitätsrat,« erwiderte Harald, »ich bin sehr gern zu dieser Vertretung bereit. Teilen Sie mir nur noch gütigst das Nähere über den Fall und die von Ihnen eingeschlagene Behandlungsweise mit.«

Der Rat gab die gewünschten Erklärungen und entfernte sich. Wenige Minuten später folgte ihm Harald, um bei der ihm überwiesenen Patientin den ersten Besuch zu machen.

Magdalene, die den alten Herrn hatte kommen und gehen sehen und den Zweck seines Besuches zu kennen glaubte, hatte gehofft, Harald würde, von dem Wunsche geleitet, ihr eine angenehme Mitteilung zu machen, sie zu trösten und ihr bessere Zeiten in Aussicht zu stellen, sie in ihrem Zimmer aufsuchen. Um so herber war die Enttäuschung, die sie jetzt erfuhr. Kalt, ohne ihr auch nur ein freundliches Lebewohl zu sagen, war er gegangen und hatte sie mit ihrem Schmerz, mit ihrer Herzenspein allein zurückgelassen.

Wenn Harald das Haus verlassen hatte, ohne sich von Magdalene zu verabschieden, so war dies nicht eine beabsichtigte Lieblosigkeit gewesen. Der Besuch und das Anliegen des Sanitätsrates hatte ihn in eine hochgradige, ihm selbst unerklärliche Aufregung versetzt, die jeden anderen Gedanken in den Hintergrund drängte. Die Aussicht, eine reiche Patientin zu bekommen, die seine ärztliche Mühewaltung voraussichtlich glänzend honorieren würde, spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Aber eine Ahnung sagte ihm, daß er vor einem bedeutsamen Wendepunkte seines Lebens stände, und wenn er sich auch naturgemäß unklar darüber war, inwiefern die Amerikanerinnen in sein Schicksal eingreifen würden, das Gefühl war da und ließ ihn nicht mehr los. Ja, es nahm eine immer bestimmtere Form an, je mehr er sich dem Hotel, in dem die Damen abgestiegen waren, näherte, und als er dem Hoteldiener die teppichbelegte Treppe hinauf folgte, die zu den Gemächern der Amerikanerinnen führte, war es bei ihm zur Gewißheit geworden, daß ihn in der nächsten Minute etwas Außerordentliches erwarte.

Ein dunkelfarbiger Diener, der eine von Gold strotzende Livree trug, nahm seine Karte entgegen und führte ihn in einen mit ausgesuchtem Geschmack ausgestatteten Salon. Hier trat wenige Augenblicke später eine junge Dame an ihn heran, die ihn willkommen hieß und ihn durch eine Reihe von Zimmern in ein Gemach führte, in dem das Tageslicht durch schwere Fenstervorhänge mild gedämpft war. Es war der Raum, welcher der leidenden Amerikanerin zum ausschließlichen Aufenthalt diente.

Die Kranke hatte die Grenze der Jugend bereits hinter sich, war aber immer noch eine hübsche Frau. Goldblondes Haar umrahmte in krausem Gelock ein feines, zartes Antlitz, aus dem die dunkelblauen Augen in einer seltsamen Mischung von Angst und Erregung hervorleuchteten. Die krankhafte Blässe des Gesichts wurde durch die vollen, vielleicht ein wenig geschminkten Lippen eher gehoben als gemildert, und ebenso trat die wachsbleiche Farbe der kleinen Hände durch das Feuer der Brillanten, mit denen sie geschmückt waren, fast noch schärfer hervor. Von dem schöngeformten Arm war der mit wertvollen Spitzen reich besetzte Aermel des grünseidenen Schlafrocks zurückgeglitten, so daß eine schwere, goldene Kette ohne Schloß sichtbar wurde, die anscheinend niemals abgelegt wurde. Harald streifte das Schmuckstück mit den Fingern, als er der Kranken an den Puls fühlte, und ein Strom der Kälte drang ihm bis ans Herz.

Länger, als es für die ärztliche Untersuchung nötig war, hielt er die schlanke, blaugeäderte Hand der Kranken in der seinen, während seine Blicke abwechselnd von der Mutter auf die Tochter hinüberschweiften. Beide Damen hatten in ihrem Aeußeren nicht die geringste Aehnlichkeit. War Mrs. White trotz ihres leidenden Zustandes und ihres reiferen Alters immer noch eine schöne Frau, so hatte ihre Tochter Kitty nicht das geringste Anziehende an sich. Vermutlich ähnelte sie mehr dem Vater. Ihr Kopf mit dem kurzgehaltenen braunen Haar schien eher der eines jungen Mannes zu sein; die hochaufgeschossene Gestalt zeigte eckige Formen. Ein Paar großer, stahlgrauer Augen hätte den herben Linien ihres Gesichts vielleicht einen interessanten Zug verliehen, wenn nicht aus ihnen ein mit kühler Ueberlegenheit gepaarter Stolz geblickt hätte, der eher abstoßend berührte.

Während Harald die beiden Damen mit einander verglich, vergaß er fast, daß er noch immer die Hand der Kranken in der seinen hielt. Erst eine beinahe ungeduldige Bewegung, die Mrs. White machte, rief ihm den Zweck ins Gedächtnis, der ihn hergeführt hatte, und die Hand der Dame behutsam zur Seite legend, ersuchte er sie, ihm über die Art ihrer Krankheit nähere Angaben zu machen.

Müden, schleppenden Tones schilderte die Patientin dem Arzte ihr Leiden, das ihr schon seit Jahren Sorge gemacht, jetzt aber erst infolge einer Unvorsichtigkeit einen wirklich ernsten Charakter angenommen hätte. Mehrmals versagte ihr vor qualvoller Angst die Stimme; denn Mrs. White hing am Leben und zitterte davor, daß der Ausspruch des Arztes ihre Hoffnung auf Genesung vernichten könnte. In eine um so freudigere Erregung geriet sie daher, als Harald nach eingehender Untersuchung die Hoffnung auf dauernde Besserung mit Zuversicht aussprach.

»Sie haben nicht den geringsten Grund zur Beunruhigung, gnädige Frau,« sagte er. »Wir haben es mit einer akuten Erkältung der Lungen zu thun, die bei richtiger und sorgsamer Behandlung, wie ich nach bestem Gewissen zu versichern vermag, in einigen Monaten gewichen sein dürfte. Allerdings müssen meine Vorschriften genau befolgt werden. Denn ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß Ihr Zustand nicht unbedenklich ist, und daß bei dem kleinsten Versehen Ihrerseits eine Komplikation eintreten könnte, die unter Umständen zu einem gefährlichen Ausgang führen würde.«

»Sie brauchen nicht zu befürchten,« erwiderte sie, »daß ich mich nicht streng an Ihre Vorschriften halten werde. Jedenfalls danke ich Ihnen, daß Sie meine Behandlung zu übernehmen geneigt sind. An meiner Erkenntlichkeit soll es nicht fehlen. Aber zweimal, Herr Doktor, müssen Sie wenigstens im Laufe des Tages zu mir kommen.«

»Es wird sich, wenn auch nicht gerade leicht, ermöglichen lassen,« erwiderte Harald, um sich den Anschein eines vielbeschäftigten Arztes zu geben.

»Und wenn mich nachts eine meiner leider so häufigen und plötzlichen Beängstigungen überfallen sollte –«

»So verfügen Sie gefälligst über mich. Ich werde zu jeder Stunde bereit sein.«

Er zog ihre schmalen Finger an seine Lippen und empfahl sich, mit der Versicherung, abends noch einmal vorsprechen zu wollen.

Kitty begleitete ihn.

»Welches ist Ihre aufrichtige Ansicht über Mama?« fragte sie und heftete die kühlen grauen Augen forschend auf ihn.

»Ich kann Ihnen darauf nur dasselbe sagen, was ich bereits Ihrer Frau Mutter gesagt habe. Der Fall liegt ernst, aber keineswegs aussichtslos, zumal Ihre Frau Mutter, wenn sie auch zart und schwächlich ist, eine starke Widerstandsfähigkeit zu besitzen scheint. Wenn dafür gesorgt wird, daß ihr jede körperliche wie geistige Anstrengung und Aufregung fern bleibt, so ist die beste Hoffnung auf Genesung vorhanden.«

»Es wird meine Aufgabe sein, nach dieser Richtung über ihr Wohl zu wachen.«

Sie reichte ihm die Hand zum Abschied. Wie vorhin, so ruhte auch jetzt ihr Auge forschend auf ihm, nur meinte Harald, einen warmen Schein darin leuchten zu sehen, den wohl die Freude über seine tröstliche Versicherung hervorgezaubert haben mochte.

Als er sich wieder auf der Straße befand, war es sein erster Gedanke, Magdalene von dem aussichtsvollen Zuwachs seiner Praxis in Kenntnis zu setzen. Aber je näher er seiner Wohnung kam, um so zweckmäßiger schien es ihm, vorläufig Schweigen zu beobachten. Magdalene war in letzter Zeit so reizbar gewesen, daß er fürchten mußte, sie würde sich über seine Begegnung mit den beiden Damen unnötigerweise erregen, ihn womöglich mit eifersüchtigen Launen quälen und ihn zu veranlassen suchen, die weitere Behandlung aufzugeben. Sie konnte es ja nicht wissen, daß keinerlei Grund zur Eifersucht vorhanden war; denn Mrs. White war über die Jahre hinaus, und ihre Tochter hatte ihn eher abgestoßen als angezogen. Aber Magdalene war nun einmal eine eigenartige Frau, und mit ihren Einbildungen mußte man rechnen. Da war es doch wohl besser, wenn er sich über die beiden Damen ihr gegenüber gar nicht erst aussprach.

Hätte er geahnt, wie heiß Magdalene danach begehrte, von ihm Aufklärung über seinen Weg zu erhalten, er würde sicherlich keinen Augenblick gezögert haben, sie ihr zu geben. Aber Magdalene war einerseits viel zu stolz, um ihre Teilnahme zu verraten, andererseits konnte sie nicht mit einer offenen Frage an ihn herantreten, wenn sie ihm nicht verraten sollte, daß ihr die Veranlassung zu Steiners Besuch bei ihm bekannt war. So kam es, daß eine freimütige Aussprache zwischen den Gatten, die die unnatürliche Spannung sofort gelöst haben würde, unterblieb.

Harald blieb dem Versprechen, das er seiner neuen Patientin gegeben, treu. Vormittags und abends machte er ihr seinen ärztlichen Besuch, und auch in der Nacht zögerte er niemals, ihrem Rufe zu folgen. Seine heitere Zuversicht, sein liebenswürdiges, gewandtes Wesen wirkte beruhigend auf die Stimmung der Kranken, und mit Ungeduld wartete sie stets auf die Stunde, da er vorzusprechen pflegte. Sein sprühender Geist, seine interessante Art, zu plaudern, die Ruhe und Geduld, die er allen ihren Wünschen und Launen gegenüber an den Tag legte, waren die beste Medizin für sie; kein Wunder, daß er ihr mit der Zeit geradezu unentbehrlich wurde und sie es fast bedauerte, daß ihre Gesundheit sich mehr und mehr kräftigte.

Kitty war fast immer zugegen, wenn Harald seine Patientin besuchte. Sie beteiligte sich indessen selten und stets nur mit wenigen Worten an der Unterhaltung. Die Gabe, leicht und liebenswürdig zu plaudern, war ihr nicht verliehen. Trotzdem war Mrs. White ihrer Tochter mit einer beinahe überschwenglichen Liebe zugethan. Sie hatte hauptsächlich ihretwegen die Reise nach dem europäischen Kontinent unternommen, um dem jungen Mädchen die Sehenswürdigkeiten der Weltstädte zu zeigen und es an deren vielfachen gesellschaftlichen Zerstreuungen teilnehmen zu lassen. Sie bedauerte es daher lebhaft, daß Kitty genötigt war, ihr Tag für Tag Gesellschaft zu leisten und auf alles das verzichten zu müssen, was sie kennen lernen sollte. Diesem Bedauern gab Mrs. White eines Tages auch Harald gegenüber Ausdruck. Aber ehe er noch das Wort zu einer Entgegnung nehmen konnte, fiel Kitty ihr ins Wort:

»Ich weiß nicht, Mama, weshalb du so unzufrieden bist. Ich habe dir doch schon wiederholt die Versicherung gegeben, daß ich durchaus nichts vermisse, wenn ich den Freuden der Gesellschaft fern bleiben muß. Dir ist ja bekannt, was ich von Bällen und ähnlichen Veranstaltungen halte. Unsere Pferde und Hunde daheim sind mir lieber, als alle diese geputzten und geschniegelten jungen Leute, die deiner unscheinbaren Tochter sicherlich weder ein Wort noch einen Blick gönnen würden, wenn sie nicht eben eine Millionärstochter und noch dazu das einzige Kind wäre.«

Sie hatte mit einer Bitterkeit gesprochen, die Harald nicht entgangen war. Auch Mrs. White blickte befremdet zu ihrer Tochter auf, die jetzt einsah, daß sie in Gegenwart des jungen Arztes dem Gefühle, von dem sie schon seit Jahren beherrscht wurde, allzu unverhohlen Ausdruck gegeben hatte, und darum schnell fortfuhr:

»Uebrigens gefällt es mir in Deutschland sehr gut. Ich mag mich nur nicht in ein Formenwesen einzwängen lassen, das mir in tiefster Seele zuwider ist. Ich will, wo ich auch hinkomme, nach meinem Geschmack leben und meinem eigenen Willen folgen.«

»Darin gleichst du sehr deinem Vater,« bemerkte Mrs. White, und ein müdes Lächeln irrte um ihre Lippen. »Auch er kann sich den von der Gesellschaft aufgestellten und in ihr nun doch einmal üblichen Gesetzen nicht fügen, und das ist um so schlimmer, als –«

»Ah, den Papa lasse nur aus dem Spiel!« unterbrach Miß Kitty ihre Mutter. »Wenn von ihm die Rede ist, sind wir immer verschiedener Meinung. Aber Herr Doktor Kroneck macht schon eine Miene, als ob auch er mit mir sehr unzufrieden sei. Nun, ich werde jetzt ruhig sein und dem Streit lieber aus dem Wege gehen.«

Sie erhob sich und verließ das Zimmer, nicht ohne den Arzt mit einem eigentümlichen, halb bittenden, halb drohenden Blicke zu streifen. Harald lächelte, aber es war ein erzwungenes Lächeln, das nur dazu dienen sollte, die Gedanken zu verschleiern, die der seltsame Ausdruck in Kittys Augen bei ihm wachgerufen hatte. Und es waren sehr ernste Gedanken, die ihn beschäftigten, Gedanken, die ihn nicht losließen, auch nachdem er längst das Hotel verlassen hatte. Er glaubte, in Kittys Augen gelesen zu haben, daß er dem jungen Mädchen mehr war, als sie es vielleicht selbst ahnte, und es kam für ihn darauf an, sich den Weg vorzuzeichnen, den er Kitty gegenüber einzuschlagen habe. That er, als bemerke er ihre Anteilnahme an seiner Person nicht, so mußte er gewärtigen, daß sie ihre Mutter bestimmen würde, einen anderen Arzt zu nehmen. Dadurch aber wurde ihm eine Einnahmequelle verschlossen, auf die er gerade jetzt mehr denn je angewiesen war. Auf der anderen Seite aber durfte er nicht Hoffnungen nähren, die sich niemals erfüllen konnten. Wäre er unverheiratet gewesen, hätte er sich keinen Augenblick besonnen, um Kittys Hand zu werben. Sie war freilich nicht schön, aber sie hatte den Vorzug, das einzige Kind eines sehr reichen Mannes zu sein, und dieser Vorzug wog für ihn alles andere reichlich auf. Er wußte ja jetzt, was es heißt, mit materiellen Sorgen kämpfen zu müssen.

Etwas wie Groll gegen sich selbst und gegen Magdalene stieg in ihm auf. Sein Herz hatte ihm da einen bösen Streich gespielt, der sich niemals wieder gut machen lassen konnte.

Harald war kein Mann von Charakterstärke; die Aussicht, daß er als Kittys Mann ein behagliches und sorgenfreies Leben hätte führen können, lockerte in ihm die Bande des Herzens.

Aber welche Gedanken regten sich nur in ihm! Hatte er sich nicht glücklich gefühlt, Magdalene sein Weib nennen zu dürfen? Und war nicht die Ehe mit ihr eine ungemein glückliche? Es war richtig, daß die wirtschaftlichen Sorgen das Verhältnis in letzter Zeit ein wenig getrübt hatten; aber er liebte doch seine kleine Frau, und wenn er erst eine etwas mehr gefestigte Stellung haben würde, so mußte ja auch das Glück wiederkehren, das von seinem Eheleben in letzter Zeit sich abgewandt hatte.

Trotz solcher Betrachtungen wollte sich die frühere Herzlichkeit in dem Verkehr zwischen Harald und Magdalene nicht wieder einstellen. Wohl gab es Minuten, in denen die junge Frau ihren Herzenskummer vergessen zu können glaubte; oft aber war Harald so schroff gegen sie, daß Magdalene sich namenlos unglücklich fühlen mußte.

So vergingen abermals einige Wochen, als ein Ereignis eintreten sollte, das den Riß, der in Magdalenens Ehe getreten war, zur breiten Kluft erweitern sollte.

Mrs. White äußerte sich eines Abends sehr zufrieden über den Verlauf der Kur und pries in überschwenglichen Worten den glücklichen Zufall, der Harald von Kroneck in ihr Haus geführt hatte. Harald fühlte sich durch diese Anerkennung sehr geschmeichelt, doch eine starke Erbitterung stieg in ihm auf, da seine ärztlichen Kenntnisse bisher nicht nach ihrem vollen Werte gewürdigt worden waren. Er konnte es sich nicht versagen, seinen Empfindungen auch in Worten Ausdruck zu geben, und so erhielt seine Patientin, ohne daß er es beabsichtigt hatte, Einblick in seine Vermögenslage. Mrs. White sah ihn überrascht an. Sie hatte Harald für einen vielbeschäftigten Arzt gehalten und glaubte zunächst, es sei ihm mit seiner Bemerkung nicht ernst. Doch der herbe Zug um Haralds Lippen zeigte ihr, daß sie an der Wahrheit des soeben Gehörten nicht zweifeln konnte.

»Ja, sind denn die Leute hier mit Blindheit geschlagen?« rief sie, ganz von der Empfindung der Dankbarkeit gegen ihn beherrscht. »Ist es denn möglich, daß man an Ihrer Thür vorbeigeht, um bei einem weniger tüchtigen Arzt Rat und Hilfe zu suchen?«

»Es ist leider so, gnädige Frau, und ich fürchte fast, ich werde an dieser Zurücksetzung und an dieser Verkennung meiner Fähigkeiten zu Grunde gehen.«

»Das dürfen Sie aber nicht, bester Doktor! Sind Sie denn an diese Stadt mit unlöslichen Banden gefesselt? Können Sie sich denn nicht ein anderes, fruchtbareres Feld für Ihre Thätigkeit suchen? Kommen Sie mit uns nach New York!«

So rasch, so unvermittelt kam dieser Vorschlag, daß Harald fühlte, wie ihm das Herzblut stockte.

»Das würde sich doch wohl kaum durchführen lassen, gnädige Frau,« meinte er unsicher.

»Und weshalb nicht? In New York könnte ich Ihnen die Häuser der ersten Finanzkreise öffnen, und ehe ein halbes Jahr verginge, hätten Sie festen Boden unter den Füßen. Uebrigens ist mein Vorschlag nicht ganz frei von Selbstsucht. Mein Gatte drängt mich beständig zur Heimreise, und da ich ihm geschrieben habe, daß meine Kur noch nicht beendet ist und ich mich keinem anderen Arzte anvertrauen würde, so hat er mir geraten, bei Ihnen anzufragen, ob Sie sich nicht entschließen könnten, mich zu begleiten. Nun sagen Sie mir, wie Sie darüber denken! Unsere Sache wäre es natürlich, Ihnen drüben eine entsprechende Stellung zu gründen.«

Harald hatte noch immer nicht seine Ruhe wiedergewonnen. Was ihm da angeboten wurde, schloß eine solche Fülle lockender Bilder in sich, daß der Gedanke daran ihn förmlich berauschte. Sein Blick glitt zu Kitty hinüber, absichtslos, unbewußt. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Kitty in erster Linie war es, die seine Uebersiedelung nach New York wünschte.

Des jungen Mädchens große, stahlgraue Augen blickten tief in die seinen. Kein Wunsch sprach aus ihnen, nur eine flehende, fast demütige Bitte. Harald wußte jetzt, was er bisher nur vermutet hatte.

Wie ein Taumel kam es über ihn. Was er in seinen selbstsüchtigen Träumen, wenn auch unklar nur und verschwommen, gehofft und ersehnt hatte, das war nun Wirklichkeit geworden. Ein Weib bot ihm den Reichtum, der für ihn Lebensbedingung war. Er brauchte nur ein Wort zu sprechen, um sich am Ziele aller seiner Wünsche zu sehen. Aber sein Mund war verschlossen und mußte verschlossen bleiben; denn er war nicht mehr frei.

Alles das wirbelte blitzesschnell durch sein Hirn, während er sich zur Ruhe zu zwingen suchte. Mrs. White entging es nicht, wie es in ihm gärte und stürmte, nur glaubte sie, daß lediglich ihr plötzlicher Vorschlag die Schuld an seiner Aufregung trage.

»Die Sache eilt keineswegs, Herr Doktor,« sagte sie, als Harald schweigend zu Boden blickte, »denn ich gedenke heute oder morgen noch nicht abzureisen. Ueberlegen Sie in Ruhe, ob Sie geneigt sind, mich zu begleiten. Später, in einigen Wochen vielleicht, reden wir wieder davon. Heute aber darf ich Sie wohl bitten, mein Gast zu bleiben und mit mir und meiner Tochter ein Glas Thee zu trinken.«

Harald verneigte sich. Es war die erste Einladung, die seitens seiner Patientin an ihn erging. Gleich einer wilderregten Sturmflut brausten ihm die Gedanken durch den Kopf, ohne daß er fähig gewesen wäre, Ordnung in sie zu bringen.

Der silberne Theekessel summte auf dem Tisch, inmitten aller erdenklichen Delikatessen.

Miß Kitty goß ein, während Harald ihren Bewegungen aufmerksam folgte.

»Sie haben ja noch gar nicht Ihre Handschuhe ausgezogen, Herr Doktor,« sagte plötzlich Kitty, die bis dahin nur wenig an der Konversation sich beteiligt hatte.

»Verzeihung, gnädiges Fräulein, das habe ich in der That ganz vergessen,« stammelte er und streifte, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, zugleich mit dem rechten Handschuh auch den matt blinkenden Trauring ab.

Harald gewann bald die verlorene Fassung wieder. Er plauderte leicht und angenehm über die verschiedensten Gegenstände und unterhielt die beiden Damen so anregend, daß diese nicht im entferntesten ahnen konnten, wie sehr ihn der Gedanke an seine Zukunft beschäftigte.

»Sind Sie musikalisch?« fragte Mrs. White im Verlauf des Gespräches.

»Ein wenig, gnädige Frau.«

»O, dann lassen Sie uns etwas musizieren,« fiel Kitty lebhaft ein. »Mama hört es so gern, und bei der Lage unserer Zimmer wird ja wohl keiner der Hotelgäste dadurch gestört werden.«

Die Zeit war bereits ziemlich vorgeschritten. Trotzdem entsprach Harald dem Wunsche der Damen. Leicht glitten seine Hände über die Tasten des Flügels. Er begleitete Miß Kitty, die über eine klangvolle Altstimme verfügte, und legte dann selbst mit dem Vortrage einiger älterer und neuerer Tonstücke Proben einer nahezu künstlerischen Fertigkeit ab.

»Das ist ja wundervoll!« rief Mrs. White. »Sie sind kein Dilettant, Herr Doktor, sondern ein Künstler! Gute Musik war stets von günstigstem Einfluß auf meine Stimmung und wird deshalb auch eifrig in unserem Hause gepflegt. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für den Genuß, den Sie mir bereitet haben!«

Ihr blasses Gesicht hatte sich etwas gerötet. Freilich waren es nicht die Rosen der Gesundheit, die auf diesen Wangen erblühten.

Wie betäubt schied Harald an diesem Abend von den Damen. Er hatte schon den Heimweg eingeschlagen, als er plötzlich seine Richtung änderte. Seine Stirn brannte, lockende Bilder einer glanzvollen, beneidenswerten Zukunft umgaukelten ihn und zerrannen wieder wie Nebelgebilde. Das Glück stand neben ihm, er hätte es greifen und festhalten können. Und doch durfte er nicht die Hände danach ausstrecken! Wie er in dieser Stunde sein verfehltes Leben verwünschte! Aber nicht weniger scharf als den Groll gegen die eigene Person empfand er das Gefühl der Unversöhnlichkeit gegen jenes unschuldige Weib, dem er gelobt hatte, stets ein liebender, zärtlich sorgender Gatte zu sein. Der verderbliche Dämon des Reichtums, der unselige Hang zum behaglichen Lebensgenusse hatte völlig Besitz von ihm ergriffen und alle besseren Gefühle und Regungen in ihm ertötet. Harald wagte es, in seiner thörichten Verblendung Magdalene dafür verantwortlich zu machen, daß er, anstatt sich zum Fluge nach der Sonne zu erheben, jetzt müde und schwerfällig am Boden dahinflattern mußte.

Abgespannt von seiner ziellosen, nächtlichen Wanderung langte er endlich in seiner Wohnung an. Magdalene erwartete ihn in seinem Arbeitszimmer. Ein Ausdruck müder Trostlosigkeit lag auf ihrem Gesicht, und ihre geröteten Augenlider zeugten von vergossenen Thränen.

»Mein Gott, Harald, wo bist du nur so lange geblieben?« rief sie ihm bei seinem Eintritt vorwurfsvoll zu.

Sie erhielt eine kurze, unfreundliche Antwort.

»Ich ertrage diese fortwährende Einsamkeit nicht mehr!« erwiderte sie in leidenschaftlichem Tone.

»Du wirst dich daran gewöhnen müssen!« lautete die kühle Entgegnung. »Ich habe dir gewiß viele Opfer gebracht. Umsomehr muß ich mich dagegen verwahren, daß du mich beständig überwachst. Ich bin kein Schulbube, der zur festgesetzten Stunde nach Hause kommen muß oder Rechenschaft abzulegen hat, wenn er einmal länger als gewöhnlich fortbleibt.«

»Du sprichst von Opfern, du, dem ich den Vater, die Geschwister, Kurt, alles geopfert habe? Hast du wohl ein Gefühl dafür, wie ich leide, welch entsetzliche Ahnungen mich foltern, wenn Stunde auf Stunde in nutzlosem Harren verrinnt, wenn ich nichts höre, als das einförmige Ticken der Uhr, wenn ich mir stets vergebens sage: Jetzt muß er kommen! Das macht mich krank und elend. Wie Fieber brennen mir Sorge und Ungeduld in den Adern. Dafür aber hast du kein Verständnis. Seit Monaten geht es so. Wir sehen uns kaum noch bei den flüchtig eingenommenen Mahlzeiten. Und wenn du dann endlich heimkehrst, hoffe ich umsonst auf ein warmes, beruhigendes Wort.«

»Es erstirbt mir auf den Lippen, weil du mich stets mit Vorwürfen empfängst.«

»Soll ich dir etwa noch dafür danken, daß du mich so oft und so lange allein läßt?«

»Wie ich solche Auftritte hasse!«

»Dann behandle mich als dein Weib, laß mich teilnehmen an deinen Sorgen! Ich bin kein Kind, ich bin deine Frau, die sich danach sehnt, Leiden und Freuden mit dir zu tragen.«

»Wird dir denn nicht klar, daß du mir wie dir ein ganz unmögliches Leben bereitest?«

»Nein! Wenn wir nicht glücklich sind, so liegt die Schuld an dir!« rief sie heftig. »Soll ich lachen und scherzen, wenn mir das Herz vor Kummer und Leid zerspringen will? Sieh, dort im Nebenzimmer steht der gedeckte Tisch. Ich bereitete selbst deine Lieblingsgerichte, genoß aber keinen Bissen. Mich sättigen Angst und Bitterkeit; denn ein böser Geist, eine unheimliche Macht, etwas, das stärker ist als ich und meine Liebe, muß zwischen uns getreten sein.«

»Welch wunderliche Sorgen du dir machst!«

»Auf diese Weise lasse ich mich nicht mehr abfinden! Es muß endlich einmal heraus, was schon lange wie ein Alp auf meiner Brust liegt. Ich komme mir vor wie eine Verstoßene, wie eine Fremde, so sehr bin ich im eigenen Hause aller Rechte als Frau beraubt. Was ich an Liebe zu geben vermag, ist dein; ich bot es dir immer rückhaltlos, mit vollen Händen und mit freudigem Herzen. Aber seit einiger Zeit gehst du achtlos daran vorüber, und dann – du sollst wissen, was ich empfinde.«

»So sage, was du zu sagen hast!«

»Wenn ich sehe, daß ich dir so gar nichts mehr bin, dann ist es mir, als würde alles schwarz und leer um mich herum, und als stände ich ganz allein in dieser Finsternis mit dem Bewußtsein, daß links oder rechts, vor oder hinter mir ein Abgrund gähnt, in den ich rettungslos stürzen muß, weil niemand da ist, um mich zu halten und zu stützen.«

»Ich habe diese Gespensterfurcht bisher ja gar nicht an dir bemerkt!« warf Harald leichtfertig ein.

»Suche doch meine Worte nicht ins Lächerliche zu ziehen!« erwiderte sie, nur mit Mühe an sich haltend. »Es ist mir sehr ernst mit dem, was ich dir sage. Und nun antworte mir auf meine Frage: Haben denn die Stunden traulichen Beisammenseins jeden Wert für dich verloren?«

»Ich muß meinen Berufspflichten nachgehen!«

»Halten sie dich bis um vier Uhr morgens fest?«

»Unter Umständen noch länger.«

»Und du meinst, ich soll dir glauben, daß dich dein ärztlicher Beruf bis jetzt deinem Hause ferngehalten hat? Wo warst du denn?«

»Darüber bin ich dir wohl keine Aufklärung schuldig.«

»O doch! Setzen wir den Fall, ich ließe dich bis tief in die Nacht hinein warten und würde auf deine Frage, wo ich gewesen, jede Auskunft verweigern!«

»Da lägen die Dinge doch ganz anders!«

»Keineswegs! Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Ich bin nicht deine Magd, die sich geduldig zu fügen hat, sondern deine Frau, der das gleiche Recht zusteht, wie dir.«

»Du wählst eine wenig passende Stunde für eine derartige Auseinandersetzung,« sagte Harald, an seinen Schreibtisch tretend. Und als wolle er andeuten, daß er das Gespräch zu beenden wünsche, zog er sein Notizbuch aus der Brusttasche, um darin zu blättern. Dabei entging es ihm, daß sich gleichzeitig mit dem Buch ein feines, gesticktes Taschentuch herausschob und zu Boden flatterte. Im nächsten Moment stand Magdalene, das Tuch in der Hand, vor ihm.

»Wem gehört das?« fragte sie, und in ihrer Stimme lag ein drohender Ton.

Harald blickte auf.

»Einer Patientin,« antwortete er ruhig.

»Einer Patientin? Etwa derjenigen, die du jetzt so häufig besuchst?«

»Ja. Gieb es her!«

»Da hast du's!«

Mitten durchgerissen flog ihm das zarte Gewebe vor die Füße.

»Was soll das heißen?« brauste er auf.

Sie trat mit den kleinen Füßen auf das Tuch und schaute ihn zornflammend an. Trotzdem die seelischen Leiden, die sie in den letzten Monaten hatte erdulden müssen, nicht spurlos an ihr vorübergegangen waren, in diesem Augenblick war ihre Schönheit wieder von überwältigendem Zauber. Der kleine, trotzig geschürzte Mund, die feinen, in der Erregung leicht zitternden Nasenflügel, die großen, schwarzen Augen, in denen eine fast beängstigende Willenskraft loderte – das alles verband sich zu einer Schönheit, deren Eindruck auch Harald sich nicht zu entziehen vermochte.

Unwillkürlich mußte er an Miß Kitty White denken, und etwas wie Scham und Zorn gegen sich selbst kam über ihn. Er fing an, sich wieder auf sich selbst zu besinnen, als er Vergleiche zwischen Magdalene und Kitty anstellte, und verächtlich erkannte er sich als einen Sklaven des Goldes, der den Sinn für die höheren Lebensziele und für jedes Innenglück verloren hatte. Fast ohne daß es in seiner Absicht lag, öffneten sich seine Arme und schlossen sich um seine schöne Frau, die, ihren Sinnen nicht trauend, beinahe furchtsam zu ihm emporblickte. Erst als sie seine Küsse auf ihren Lippen fühlte, als sie die zärtlich kosenden Worte hörte, die so lange nicht an ihr Ohr geklungen waren, und das süße Wort »Verzeihung«, da erst erwachte sie aus der Betäubung ihres Herzens.

Magdalene war glücklich und dankbar zugleich. Sie erhob nicht den geringsten Widerspruch, als Harald ihr klar zu machen suchte, daß sie keinen Anlaß zur Eifersucht hätte.

»Ich habe jetzt viel zu thun,« beruhigte er sie, »und abgesehen davon, daß meine kleine Frau viel zu lieb und schön ist, um den Platz in meinem Herzen an eine andere abtreten zu müssen, würde ich gar nicht über die erforderliche Zeit verfügen.«

Es gelang ihm thatsächlich, die Zweifel seiner Gattin zu zerstreuen. Magdalene war völlig beruhigt, als sie, um noch einige Stunden des Schlafes zu genießen, Harald verließ, und machte sich fast Vorwürfe darüber, daß sie den geliebten Mann so schwer gekränkt hatte. Sie fühlte sich beglückt in dem Gedanken, daß seine Liebe zu ihr noch nicht erloschen war, wie sie in ihrer Verlassenheit bisher geargwöhnt hatte. Wenn er seiner Liebe zu ihr in letzter Zeit auch weniger herzlich Ausdruck gegeben, so lag das zweifellos nur an den Sorgen um die Existenz, die ihn bedrückten. Jetzt, da durch Steiners Hilfsbereitschaft die Zukunft sich freundlicher anzulassen schien, jetzt würde sich auch ihr eheliches Verhältnis wieder freudvoller gestalten.

Während Magdalene von Glück und neuer Hoffnung träumte, saß ihr Gatte im Nebenzimmer an seinem Schreibtisch und versuchte vergeblich die Gedanken zu verscheuchen, die gleich nach seiner Trennung von Magdalene ihn wieder befallen hatten. Sein Auge, das kurz zuvor noch so liebevoll auf seiner jungen Gattin geruht hatte, blickte jetzt düster und unruhig. Die Zukunft mit ihren bangen, ungelösten Fragen war es, die ihn beschäftigte, denn schon die nächsten Wochen mußten den Ruin, vor dem er stand, offen vor aller Welt aufdecken. In solchen Tagen der Hoffnungslosigkeit pflegt sich die Mannesfaust sonst fester zusammenzuballen, um den Kampf um die Existenz mit ernstem Willen durchzuführen. Harald aber war kein innerlich selbständiger Charakter, und darum versagte auch in diesen Tagen der Gefahr sein Mannesstolz, und in der Erkenntnis seiner Ohnmacht erwartete er Hilfe von fremder Hand, weil er die eigene Kraft nie ernstlich erprobt hatte.

Der Zufall hatte ihm ja auch die rettende Hand geboten, er brauchte sie nur zu ergreifen, um befreit von allen Sorgen einer beneidenswerten Zukunft entgegenzugehen.

Die junge Amerikanerin war reich, und ihr Besitz würde ihn mit einem Schlage von all den Sorgen befreien, die auf ihm lasteten. Würde Magdalene niemals der Stimme der Vernunft Gehör schenken, würde er sie nicht allmählich überzeugen können, daß die Trennung von ihm nicht nur sein Glück begründen würde, sondern auch das ihre?

Die einmal heraufbeschworenen Gedanken ließen sich nicht so leicht bannen. Sie verfolgten ihn als wirre Träume, auch dann noch als er endlich, von Müdigkeit überwältigt, sein Lager aufsuchte.


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