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Fünftes Kapitel.

Recht als ein Palmenbaum über sich steigt,
Hat ihn erst Siegen und Sturmwind gebeugt,
So wird die Lieb' in uns mächtig und groß
Nach manchem Leiden und traurigen Los.

(Volkslied.)

Kurt war in unbeschreiblicher Seelenstimmung in seiner Behausung angelangt. Trotz seiner äußeren Fassung und eisernen Selbstbeherrschung fühlte er sich doch bis ins Innerste getroffen und erschüttert. Sein ganzes Dasein schien ihm verödet und des Ziels und Inhalts beraubt. Nicht nur die Braut hatte er verloren, nein, auch den Bruder, der seinem Herzen so teuer gewesen. Nichts verband ihn mehr mit dem Manne, der ihm so namenlos wehe gethan und sein Vertrauen in so empfindlicher Weise getäuscht hatte. Er war ein einsamer, verbitterter Mann geworden und wollte es bleiben, bis der Tod ihm die müden Augen zudrücken würde.

Der Gedanke kam ihm, seinem wertlos gewordenen Leben schon jetzt ein Ziel zu setzen, doch im nächsten Augenblick änderte er seinen Sinn.

»Nein,« murmelte er und schüttelte energisch sein Haupt, »es wäre feige; noch bin ich nötig. Ich habe zu wachen über Magdalenens Glück.«

Lange schritt der Oberförster mit gefurchter Stirn, den schwersten Kampf seines Lebens kämpfend, in den Räumen des Forsthauses auf und ab, als er in seinen Träumereien durch ein Klopfen unterbrochen wurde und aufschauend seinen Bruder gewahrte, der zögernd in der geöffneten Thür stand.

Er sah blaß und verstört aus.

Kurt fühlte, wie der mühsam niedergezwungene Groll wieder Macht über ihn zu gewinnen drohte. Stürmisch hämmerte ihm das erregte Blut in den Schläfen.

»Was willst du?« herrschte er den Bruder an. »Woher nimmst du den Mut, mir vor die Augen zu treten?«

»Ich hatte das Gefühl, daß ich dir eine Erklärung schuldig bin.«

»Was hast du mir zu deiner Rechtfertigung zu sagen?« donnerte der Oberförster den Bruder an, »eine Entschuldigung giebt es für deine Handlungsweise nicht!«

»Dein Zorn gegen mich ist berechtigt,« erwiderte Harald ruhig und fest, »aber es spricht doch auch manches für mich. Das Herz ist ein eigentümliches Ding. Schon als du mich in das Feldernsche Haus einführtest, war ich entzückt von Magdalenens Schönheit. Als ich dann nach Heidelberg ging, stand mein Herz in hellen Flammen, und wenn ich gewußt hätte, was ich heute weiß, daß meine Neigung schon damals Erwiderung fand, so hätte ich mich wahrscheinlich eher mit Magdalene verlobt.«

»Nun? Und weiter?«

»Als ich in Heidelberg war und alle Kräfte anspannen mußte, um das mir gesteckte Ziel zu erreichen, trat Magdalenens Bild mehr und mehr in den Hintergrund, und ich dachte kaum noch an sie, als plötzlich deine Anzeige von eurer Verlobung in meine Hände kam.«

»Und dann?«

»Da freilich sprühte der unter der Asche noch immer glimmende Funke wieder auf. Kein Wunder, daß der Gedanke, Magdalene für immer für mich verloren zu wissen, die fast erloschene Glut wieder entfachte. Ich tobte, ich raste, ich glaubte ohne sie nicht leben zu können. Das ging wochenlang so fort, dann legte sich der Sturm, und ich kam ganz ruhig und gefaßt zurück, denn die Vernunft sagte mir: Ein junger Arzt ohne Vermögen darf nicht nach seinem Herzen wählen.«

»In der That, eine höchst vernünftige Reflexion!« warf Kurt ironisch ein.

»Du fordertest mich auf, dich zu dem Professor zu begleiten. Ich lehnte ab, aber du bestandest auf deinem Willen, und doch glaubte ich meiner nicht sicher zu sein. Als ich dich später bat, Magdalene malen zu dürfen, leitete mich nur ein künstlerisches Interesse.«

»Ist das Wahrheit?«

»Sei überzeugt davon! Aber dann, als wir uns stundenlang allein gegenüber saßen, und ihre wundervollen Augen in meine Seele brannten, da ging mir das stürmische Herz mit dem Verstande durch. Es ist mir aufrichtig leid, daß ich dich kränken mußte.«

»Du willst also Magdalene heiraten?«

»Wie kannst du daran zweifeln?«

»Bei deinem ungefestigten Charakter ist die Frage wohl berechtigt. Und du glaubst, daß dir Professor Feldern die Zukunft seiner Tochter anvertrauen wird?«

»Ich wüßte nicht, warum er meine Werbung zurückweisen sollte.«

»Er hatte niemals Vertrauen zu dir, und nach dem jüngsten Vorkommnis dürfte sein Mißtrauen gegen dich noch mehr Nahrung erhalten haben.«

»Aber nach den Erklärungen, die ich dir soeben gegeben, stehe ich doch weniger schuldbeladen da.«

»Deine Rechtfertigung steht auf sehr schwachen Füßen. Kein Mensch ist frei von Eigennutz und Fehlern, und ich bin's natürlich auch nicht; aber eher hätte ich verhungern mögen, als die Hand nach etwas ausstrecken, das dir gehörte. Gleiches Pflichtgefühl durfte ich bei meinem Bruder voraussetzen. Der aber sagte nicht ehrlich und aufrichtig: ›Kurt, laß mir Magdalene. Du bist der Stärkere von uns beiden und wirst überwinden‹ – nein, er handelte wie ein ehrloser Dieb an mir, der ihm nie etwas verweigerte, an mir, seinem treuesten Freund und Wohlthäter.«

»Kurt!«

»Nicht diesen drohenden Ton, mit dem richtest du bei mir nicht das Geringste aus! Höre mich weiter an! Du hast Magdalene aus ihrer ruhigen, friedlichen Bahn herausgerissen! Jetzt aber thue deine Pflicht als Mann, arbeite und strebe, um Magdalenens Liebe zu verdienen. Ich selbst will mich bei dem Professor dafür verwenden, daß er dir seine Tochter giebt.«

»Kurt, das wolltest du thun? Wie dankbar bin ich dir!«

»Ich lehne deinen Dank ab, verlange aber, daß du alles thust, um Magdalene glücklich zu machen. Ich werde dir die Mittel geben, daß du deinen ärztlichen Beruf beginnen und ihr einen eurer gesellschaftlichen Stellung entsprechenden Haushalt führen könnt. Höre ich aber jemals, daß Magdalene durch dich unglücklich geworden ist, bei Gott, ich wäre im stande, dich niederzuschießen wie eine Bestie. Also hüte dich! Und jetzt geh', zu lange schon habe ich deinen Anblick ertragen. Was du an Sachen hier hast, werde ich dir zugehen lassen, sobald ich deine neue Adresse kenne.«

Trotzig verließ Harald das Zimmer und begab sich nach der Stadt, wo er die Nacht in einem Gasthause zubrachte. Am nächsten Tage ließ er sich bei Feldern melden, der inzwischen bereits mit Kurt eine Zusammenkunft gehabt hatte.

Feldern empfing ihn eisig und ließ den jungen Arzt deutlich fühlen, wie ungern er ihn als Schwiegersohn annahm. Dann sagte er:

»Meine Tochter reist noch heute abend zu ihrer Tante, wo sie bis Weihnachten bleibt. Ich kann natürlich nichts dagegen haben, wenn Sie ihr schreiben. Die öffentliche Verlobung aber, das ist mein ganz bestimmter Wunsch, findet erst zu Weihnachten statt. Zu Ostern mag dann die Vermählung folgen, vorausgesetzt, daß Sie dann meine Tochter noch lieb haben.«

Feldern teilte dem jungen Manne noch mit, daß er für die Ausstattung seiner Tochter sorgen und es auch an einem bescheidenen Jahreszuschuß nicht fehlen lassen werde. Dann machte er ihm eine kühle Verbeugung und schritt, die Thür hinter sich schließend, seinem Arbeitszimmer zu.

Harald knirschte vor Wut mit den Zähnen und sandte seinem zukünftigen Schwiegervater eine wenig schmeichelhafte Bemerkung nach, als Magdalene ins Zimmer trat. Sie hatte den Geliebten kommen sehen und wollte die Gelegenheit, ihm Lebewohl zu sagen, nicht unbenutzt vorübergehen lassen.

Sie sah den Unmut, der aus seinen Augen leuchtete, und die Ursache erratend, sagte sie:

»Sei dem Vater nicht böse, Harald! Es ist ihm alles so überraschend gekommen, und Kurt steht seinem Herzen so nahe, daß es wohl begreiflich ist, wenn er uns grollt. Die Zeit wird ihn mit dem Gedanken an unsere Verbindung aussöhnen.«

Ihm schwebte eine heftige Entgegnung auf den Lippen, doch sie sah ihm so herzlich bittend in die Augen, daß er nicht den Mut dazu fand.

»Ist es wahr,« fragte er sie, »daß du noch heute zu deiner Tante reisest?«

»Ja, Harald. So schwer ich die Trennung von dir ertragen werde, es geht nicht anders. Ich muß dem Vater recht geben, wenn er unsere Verlobung bis Weihnachten hinausgeschoben wünscht. So würden wir uns doch nur selten sehen können, zumal du ja die Stadt auch bald verlassen wirst, um deine Berufsthätigkeit auszuüben.«

»Ich wüßte allerdings nicht, was mich noch länger hier zurückhalten könnte, wenn du nicht mehr hier bist. Morgen schon fahre ich nach H., um mich dort als Arzt niederzulassen und alles vorzubereiten, damit meine liebe, kleine Frau ein freundliches und behagliches Heim findet.«

Noch lange plauderten sie. Immer fröhlicher wurde ihre Stimmung, immer sorgloser ihr Gemüt, und als sie sich endlich trennten, lag der Himmel ihrer Zukunft klar und sonnig vor ihnen, und weder Harald noch Magdalene dachten daran, daß jemals ein Wölkchen ihn trüben könnte.

Kurt verkehrte mit Feldern nach wie vor aufs herzlichste, obzwar er nur selten das Haus des Professors aufsuchte. Er war wohl noch ernster und einsilbiger geworden als früher, und wenn auch der Freund alles sorgfältig vermied, was ihn an Magdalene hätte erinnern können, so sah er doch, daß Kurt den schweren Schlag, der ihn so jäh vom höchsten Gipfel des Glückes herabgeschleudert, auch nach Monaten noch nicht verwunden hatte.

Je näher das schöne Weihnachtsfest rückte, desto mehr suchte Kurt die Einsamkeit auf. Stundenlang streifte er durch den verschneiten Wald, nur begleitet von seinem schwarzen Dachshund. Und als von den Türmen die Glocken den Weihnachtsabend einläuteten, als Harald in Gegenwart des Professors, des Majors und Alexandras der Geliebten den blitzenden Reif auf den Finger streifte, da stand unter den schneebedeckten Aesten eines knorrigen Eichbaums ein stiller, ernster Mann. In heißem Weh preßte er beide Hände gegen die Brust, und eine scheue Thräne rann nieder in seinen Bart. Zu seinen Füßen aber stand, mit der Rute wedelnd, ein kleiner, schwarzer Dachshund, der mit den klugen, treuen Augen aufmerksam zu ihm emporschaute, um sich dann winselnd an ihn zu schmiegen. –

Während Harald bereits am zweiten Feiertage nach dem Orte seiner Berufsthätigkeit zurückkehrte, blieben der Major und seine Tochter noch bis nach Neujahr. Auch diesmal setzte Alexandra alles daran, mit Magdalene ein besseres Einvernehmen herbeizuführen. Aber diese wies jede Annäherung zurück.

Alexandra fühlte sich tief verletzt, aber trotzdem verschwieg sie ihr wehes Empfinden dem Professor, um die Kluft zwischen Vater und Tochter nicht noch mehr zu erweitern.

Unter solch unerquicklichen Verhältnissen nahte der Hochzeitstag des jungen Paares heran, den Feldern auch für seine Vermählung mit Alexandra bestimmt hatte. Die Osterglocken läuteten zugleich den feierlichsten Abschnitt auch in Alexandras und Magdalenens Leben ein.

Magdalene stützte sich fest auf den Geliebten, als sie mit ihm den Wagen verließ und durch das freundliche Gotteshaus nach dem Altar schritt. In dem schimmernden Atlaskleid und dem grünen Schmuck der Myrte sah sie wunderbar schön aus, zumal die Erwartung der feierlichen Stunde rote Rosen auf ihr sonst so blasses Gesicht gezaubert hatte. Kurt von Kroneck, der auf die inständigen Bitten Felderns es über sich gewonnen hatte, der Doppelfeier beizuwohnen, fühlte einen stechenden Schmerz in seiner Brust, als sie an ihm vorüberschritt. Aber kein Zug seines Gesichtes verriet, wie schwer er litt, und niemand in der zahlreichen Menge, die das Gotteshaus füllte, ahnte, daß auf seinen Lebensweg ein düsterer Schatten gefallen war.

Alexandra hatte geglaubt, daß der weihevolle Akt der Vermählung die Kluft überbrücken würde, die zwischen ihr und Magdalene bestand. Aber sie sah sich getäuscht, und bitter empfand sie es, als ihre warmen Glückwünsche nicht mit jener Herzlichkeit aufgenommen und erwidert wurden, die ihr echt weibliches Herz von der Tochter ihres jetzigen Gatten zu empfangen gehofft hatte. Magdalene schien sich innerlich losgelöst zu haben von ihrer Familie und betrachtete alle ihr entgegengebrachten Liebesbezeigungen als einen Akt konventioneller Höflichkeit. Sie, die nur ein Herz für ihren Gatten hatte, vermochte sich nicht mehr in das Gefühlsleben derer hineinzuversetzen, die mit selbstloser Liebe Anteil nahmen an ihrem jungen Glücke.

Selbst bei dem Hochzeitsmahle widmete sich Magdalene fast ausschließlich ihrem Gatten und fand für alle die Toaste, die zur Verschönerung ihres Hochzeitstages ausgebracht wurden, kein freudig bewegtes Wort des Dankes.

Schon früh zog Magdalene sich zurück, um das Brautkleid mit einem einfachen Reisegewand zu vertauschen. Alexandra bemerkte ihre Absicht und folgte ihr.

»Du gestattest, liebe Magdalene, daß ich dir behülflich bin?« sagte sie freundlich. »Es drängt mich, dir die Hand zum herzlichen Einvernehmen zu bieten, bevor wir uns vielleicht auf lange Zeit trennen. Weise sie nicht zurück, Magdalene, und nimm zugleich die Versicherung, daß ich treu und mit aller Hingebung über dem Wohl deiner Lieben wachen werde.«

Magdalene ergriff die weiche Hand, die sich ihr liebevoll entgegenstreckte, und drückte sie wortlos an ihre Lippen.

»Magdalene, erschwere mir meinen heiligen Beruf nicht,« bat Alexandra. »Ich liebe deinen Vater und schätze mich glücklich in dem Gedanken, deinen Geschwistern die Mutter zu ersetzen.«

»Das werden Sie nicht können,« sagte Magdalene kalt.

»Magdalene, ich bitte dich, weise in dieser feierlichen Stunde meine Liebe nicht zurück. Wir Frauen brauchen ein Frauenherz, das uns versteht. Es kann einmal der Tag kommen, an dem du des Rates und des Beistandes einer Freundin bedarfst.«

Magdalene sah ihre junge Stiefmutter fragend an.

»Ich stehe allein in der Welt,« sagte sie mit bebender Stimme, »ich habe keine Heimat, kein Vaterhaus mehr. In meinem Gatten ruht meine Zukunft, er nur kann mir Freund und Berater sein.«

Alexandra verlor ihre Ruhe und Sanftmut nicht. »Es liegt mir fern, Magdalene, dir meine Freundschaft aufdrängen zu wollen, doch entsage ich der Hoffnung nicht, daß du mich besser verstehen lernen wirst.«

Magdalene hatte ihren Toilettewechsel beendet. Nachdem sie ihrer alten Dienerin Christine noch eingeschärft hatte, das Grab der Mutter stets sorgsam zu pflegen, kehrte sie zu ihrem Gatten und den Gästen zurück, um Abschied zu nehmen.

In tiefer Bewegung schloß Feldern sie in seine Arme.

»Laß es dir gut gehen, mein Kind,« sagte er leise, nur ihr verständlich, »und denke daran, daß, wo du auch seiest, immer ein Herz warm für dich schlägt, das Herz deines Vaters.« Und zu Harald sich wendend und ihm die Hand reichend, sagte er:

»Hüten Sie mir mein Kind, suchen Sie es glücklich zu machen. Meine besten Wünsche für Ihre Zukunft begleiten Sie.«

Harald dankte in sichtbarer Erregung. Magdalene sprach kein Wort. Aber um ihre Lippen zuckte es, als sie sich auf des Vaters Hand niederbeugte und einen heißen Kuß darauf drückte. So fremd er ihr im letzten Jahre geworden, jetzt, da sie den bedeutungsvollen Schritt ins Leben thun sollte, wurde sie doch weich, und als sie die Geschwister umarmte, da bemächtigte sich ihrer ein Gefühl tiefster Rührung, das erst wich, als sie mit Harald im Eisenbahnwagen saß und dem sonnigen Süden entgegenfuhr.

*

Sechs Wochen währte die Hochzeitsreise, und wenn es auf Harald allein angekommen wäre, so würde sie wohl ebenso viele Monate gedauert haben. Aber so tief auch der Eindruck war, den die Wunder Italiens auf Magdalene machten, so glücklich sie sich in der Liebe ihres Gatten und in dem Gedanken, alle diese Herrlichkeiten mit ihm gemeinsam genießen zu können, auch fühlte, nach und nach kam doch eine gewisse Unzufriedenheit über sie, zu der sich die Sehnsucht nach der eigenen, geregelten Häuslichkeit gesellte. Sie bat daher Harald, die Reise abzubrechen und nunmehr den Weg in ihre neue Heimat zu nehmen.

Harald war von dieser Bitte sehr unangenehm überrascht.

»Aber, Magdalene,« sagte er, »bist du denn unseres jungen Glückes schon überdrüssig? Ich hatte gehofft, wir würden noch einen kleinen Abstecher nach Griechenland machen, und du drängst schon zur Heimfahrt?«

»Ich würde den eigenen Wunsch nach der Heimat und nach ruhiger, häuslicher Beschäftigung gern zum Schweigen bringen,« erwiderte sie, »aber wir müssen auf unsere Verhältnisse Rücksicht nehmen. Die Reise hat bereits zu tief in unsere Kasse gegriffen.«

»Ich habe doch nicht geheiratet, um aus der Bevormundung meines Bruders in die meiner Gattin überzugehen,« sagte Harald, scheinbar scherzend.

Doch sein zürnender Blick war Magdalene nicht entgangen, und erschrocken blickte sie zu ihm auf.

Es war das erste Mal, daß sie sich mißverstanden fühlte, und doch hatte sie es nur gut und pflichtgetreu gemeint.

Auf Harald mußte ihre sorgenvolle Miene einen tiefen Eindruck gemacht haben, denn zärtlich nahm er ihre Hand in die seine und blickte ihr tief ins Auge, als wollte er Abbitte leisten.

»Du hast im Grunde recht, mein geliebtes Hausmütterchen, aber es ist so schön hier, daß man völlig vergessen könnte, daß man nicht ewig hier bleiben kann. Wir müssen Maß halten; ich danke dir für deine Mahnung, und wenn du damit einverstanden bist, treten wir schon morgen die Heimreise an.«

Leise legte er seinen Arm um sie und zog sie sanft an sich. Magdalene aber fühlte sich beglückt in dem Gedanken, auf Harald einigen Einfluß ausgeübt zu haben, sie, das schwache Weib, das sonst nur in willenloser Liebe dem Geliebten ergeben war.

*

Wenige Tage später traf das junge Paar in H. ein.

Harald hatte seinen Diener Franz von der bevorstehenden Rückkehr in Kenntnis gesetzt und ihn gleichzeitig beauftragt, alle Vorbereitungen zu einem festlichen Empfange zu treffen. Franz hatte nicht nur die Thür mit einem grünen, von den schönsten Frühlingsblüten durchwundenen Laubgewinde umkleidet, auch in den einzelnen Zimmern hatte er Vasen und Gläser mit frischen, duftenden Blumen aufgestellt.

Mit inniger Freude musterte Magdalene ihr nunmehriges Hauswesen. Sie hatte seit dem Tode der Mutter dem väterlichen Haushalt vorgestanden und sich dabei eine Umsicht angeeignet, die ihr jetzt in hohem Maße zu statten kam. Unterstützt wurde sie auch durch ihren feingebildeten, künstlerischen Geschmack, der sie hier ein kleines Bild, dort einige Nippes aufstellen ließ, und mit dessen Hilfe sie ihrem vornehmen Heim auch den Stempel der Gemütlichkeit aufdrückte. Was sie aber auch that, alles geschah, um Harald eine Freude zu bereiten. Ihn glücklich zu sehen, war ja der Inbegriff ihres Lebens. Ihre hohe Auffassung von der Heiligkeit der Ehe mochte dazu beitragen, aber in erster Linie war es doch ihre grenzenlose Liebe, die sie bei all ihrem Thun und Lassen leitete.

Und was sie anstrebte, das erreichte sie auch. Harald fühlte sich in der That glücklich und vergalt seinerseits die Liebe seiner Gattin durch allerlei kleine Aufmerksamkeiten, die ihren Reiz auf ein zartes Frauengemüt niemals verfehlen. Wenn er von einem Patientenbesuche nach Hause kam, versäumte er nie, ihr einige Blumen mitzubringen, mit denen er sie unter tändelndem Gekose schmückte, und auch wenn er genötigt war, sie allein zu Hause zu lassen, hatte er immer eine Aufmerksamkeit für sie, um ihr das Alleinsein erträglich zu machen.

»Du wirst mich verwöhnen, lieber Harald!« sagte sie, als er ihr etwa acht Tage nach ihrem Einzuge in das eigene Heim einen kostbaren dunkelroten Seidenstoff zu einem neuen Kleide überreichte. »Wenn ich daran denke, wie einfach ich mich vor meiner Hochzeit zu kleiden pflegte, so muß ich unwillkürlich an das Märchen vom Aschenbrödel denken.«

»Für meine schöne, kleine Frau,« sagte er lächelnd und ihr mit einem Kusse den Mund verschließend, »kann gar nichts vornehm genug sein. Auch sollst du nicht nur in meinem Herzen als Königin walten, sondern auch in der Gesellschaft, in der wir uns nun wohl notgedrungen bekannt machen müssen.«

»Weißt du, Harald,« erwiderte sie, ihr Köpfchen an seine Brust schmiegend, »am liebsten wäre es mir, wenn wir ganz für uns leben könnten, fern von allem gesellschaftlichen Verkehr. Fast fürchte ich die vielen fremden Menschen, die gewiß neugierig sich zu Zeugen unseres stillen Glückes machen werden.«

»Du hast recht, mein Schatz,« erwiderte Harald zustimmend, »wie aber soll denn ein Arzt einen gesicherten Boden für seine und seiner Familie Existenz gewinnen, wenn er nicht in der Gesellschaft verkehrt, um sich dadurch einen größeren Bekannten- und Freundeskreis zu erwerben? Wir werden sogar einen möglichst umfangreichen gesellschaftlichen Verkehr pflegen müssen, und dein liebenswürdiges Wesen wird uns, denke ich, auch diejenigen Kreise öffnen, die mir als Junggesellen bisher nicht zugänglich waren. Und nun«, fuhr er fort, »habe ich noch eine Ueberraschung für dich. Mach' dich fertig, Lieb! Ich habe zwei Billets fürs Stadttheater besorgt, und es ist Zeit, daß wir uns auf den Weg machen.«

Jubelnd schlug sie in die kleinen Hände.

»Ins Theater?« rief sie, stürmisch ihre Arme um seinen Hals schlingend. »O wie gut und lieb du bist! Als ob du mir meine heimlichen Wünsche an den Augen absehen könntest!«

Während so der Himmel ihres Liebeslebens in ungetrübtem Blau erstrahlte, war Magdalene auch sorgsam bedacht, ihre Pflichten als Hausfrau in vollem Umfange zu erfüllen. Von Hause aus daran gewöhnt, früh aufzustehen, blieb sie auch als junge Hausfrau dieser Gewohnheit treu. Und oft, wenn Harald noch in tiefem Schlummer lag, eilte sie schon geschäftig umher, überall ordnend und säubernd Hand mit anlegend. Es erfüllte sie mit einem gewissen Stolz, sich nicht auf die Arbeit der Dienstboten allein verlassen zu müssen und ihrem Gatten zeigen zu können, daß sie geschickt sei, ihr Hauswesen in Ordnung zu halten.

Die Besuche, die Harald mit ihr bei einigen verheirateten Aerzten und anderen mit ihm gesellschaftlich auf gleicher Stufe stehenden Bekannten machte, waren weniger unangenehm, als Magdalene gefürchtet hatte. Freilich blieb sie auch jetzt dabei, daß sie sich am wohlsten fühle, wenn sie mit Harald allein in ihren vier Pfählen wäre; aber sie verschloß sich den Schönheiten des gesellschaftlichen Lebens um so weniger, je liebenswürdiger sie in allen Kreisen, mit denen sie in Berührung kam, aufgenommen wurde. Ihre eigenartige Schönheit, die Fülle von Liebe und Glück, die ihr Wesen ausströmte, ihre herzliche, unbefangene Art, zu plaudern, gewannen ihr die Herzen, und es gab manchen, der Harald um seine Frau beneidete.

So wäre ihr Leben sorglos und heiter dahingeflossen, wenn nicht ein unvorhergesehener Umstand einen leichten Schatten auf ihr Glück geworfen hätte. Ein so freundliches Entgegenkommen nämlich das junge Paar in gesellschaftlicher Beziehung fand, auf Haralds Praxis blieben die vielfachen Verbindungen mit den ersten und wohlhabendsten Kreisen ohne nennenswerten Einfluß. Nahm man an seinem jugendlichen Alter Anstoß oder traute man dem gewandten Lebemann nicht die erforderliche Vertiefung in den Ernst der Wissenschaft zu – sein Wartezimmer war jedenfalls meistens leer, und die Nachtglocke wurde so selten gezogen, daß sie kaum hätte vorhanden zu sein brauchen.

Leichtlebig, wie er war, legte Harald der Sache anfangs keine Bedeutung bei. Als aber Wochen und Monate vergingen, ohne daß der Kreis der von ihm behandelten Kranken ein größerer wurde, da war es mit seinem Gleichmut vorbei. Brauchte er sich vorläufig auch noch keine Sorgen um die Existenz zu machen, so verletzte es doch seinen Ehrgeiz, daß seine Bekannten seine ärztliche Hilfe niemals oder doch nur ausnahmsweise in Anspruch nahmen. Wie in der Gesellschaft, so hatte er auch als Arzt gehofft, glänzen zu können, und nun, da er sich in seinen Erwartungen getäuscht sah, griff eine Mißstimmung in ihm Platz, die von Woche zu Woche stärker wurde und auf die Dauer auch Magdalenen nicht verborgen bleiben konnte.

Die junge Frau litt nicht minder als Harald darunter, daß seine Sprechstunden so wenig besucht waren, aber sie zeigte es nicht. Immer gleichmäßig heiter und liebevoll, war sie sorgfältig bemüht, ihm seine Sorgen von der Stirn zu scheuchen. Sie lebte ja in ihm, ging vollständig auf in seiner Person, seinem Willen, seinen Plänen. Ihr war er nicht nur der geliebte Gatte, er ersetzte ihr die Heimat, das Vaterhaus, die Familie, von der sie sich losgelöst hatte. Aus dem Reichtum ihrer warmherzigen Natur schöpfend, gab sie mit nimmerleeren Händen, und wenn sie sah, daß unter ihrer Liebe die Falten von seiner Stirn schwanden, so fühlte sie sich frei und glücklich.

Harald empfing zwar mehr, als er gab, aber das vermochte sie nicht zu beunruhigen, so lange sie nicht ahnte, daß er sich ihre Zärtlichkeit wohl ganz gern gefallen ließ, sie aber als etwas Selbstverständliches hinnahm. Er liebte seine junge Gattin und that alles, um sie in heiterer und glücklicher Stimmung zu erhalten. Aber das überschwengliche Empfinden Magdalenens verlor mit der Zeit den Reiz für ihn, und je mehr sein Gemüt darunter litt, daß er als Arzt wenig zur Geltung kommen konnte, desto öfter kamen Stunden, in denen er sich fast Zwang anthun mußte, um sich gegen seine junge Frau nicht unliebenswürdig zu zeigen.

Es ist keine seltene Erscheinung, daß Ehemänner, die berufliche Sorgen irgend welcher Art haben, gegen ihre Frauen nicht diejenige Rücksicht beobachten, die jede Frau zu verlangen hat. Von ihren eigenen Angelegenheiten mehr oder weniger erfüllt, haben sie keinen Sinn für die kleineren oder größeren Wünsche derjenigen, die ihnen auf der Welt am nächsten steht. Die zarter fühlende und weicher empfindende Frau fühlt sich verletzt und kann, auch wenn sie zu verzeihen geneigt ist, doch nicht so bald vergessen. Ein Stachel bleibt zurück, und es vergehen manchmal Tage und Wochen, ehe er sich wieder aus dem Herzen der gekränkten Frau löst.

Ließ es nun Harald, von seinen eigenen Sorgen in Anspruch genommen, auch nicht an Rücksicht auf seine Gattin fehlen, so ermangelte er doch zuweilen jener zärtlichen Regungen, in denen Magdalene den untrüglichen Beweis wahrer und inniger Liebe erblickte. Zum Teil lag das daran, daß er, der schon reichlich genossen hatte, was das Leben zu bieten vermag, für ihren Wunsch, ihm alles zu sein, wie er ihr alles bedeutete, nicht das richtige Verständnis hatte. Magdalene war ihm teuer, aber nicht so, daß sie sein ganzes Dasein ausfüllte, wie er den Inhalt ihres Lebens bildete.

Je deutlicher dies der jungen Frau zum Bewußtsein kam, mit um so angstvollerer Zärtlichkeit suchte sie ihn an sich zu fesseln, je mehr sie fürchten zu müssen glaubte, daß ihr Glück nicht von Bestand sein würde, um so krampfhafter suchte sie es festzuhalten mit ihren schwachen Händen und ihrem energischen Willen. Harald blieb für sie, was er ihr von Anfang an gewesen: der Gott, von dem alles kam und kommen mußte, zu dem sie sich hinneigte, ängstlich, schüchtern und doch stürmisch, heftig. Wenn sie, als sie noch seines Bruders Braut war, ihm gesagt hatte, daß seine Liebe Lebensbedingung für sie sei, so hatte das auch heute noch, ja in erhöhtem Maße, Geltung, nachdem sie alles für ihn geopfert hatte.

Anfänglich stand Harald immer noch unter dem Zauber, den ihre Schönheit schon damals auf ihn ausgeübt hatte, als er sich sagen mußte, daß sie niemals die Seine werden könne. Er war stolz auf sie und ihre Liebe, und es machte ihm Freude, daß man ihm sein Glück neidete. Aber sein leichter, an völlige Freiheit gewöhnter Sinn empfand es alsbald unangenehm, daß Magdalene im Ernst verlangen konnte, er solle ausschließlich ihr leben. Es gab Augenblicke, in denen er sich die Frage vorlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn er sich die Freiheit gewahrt hätte, und wenn er auch, über sich selbst unwillig, solche Gedanken immer schnell von sich wies, sie kehrten wieder und setzten sich allmählich fest. Das war die Zeit, da Magdalene zu fühlen begann, daß ihr etwas vorenthalten blieb, was nur Harald geben konnte: die Herzenswärme.

Nicht, daß sie sich über einen wahrnehmbaren Mangel an Liebe hätte beklagen können. Er war zärtlich und aufmerksam gegen sie, ja es gab Tage, wo er sie mit einer so sorgfältigen Liebe umgab, wie in den ersten Tagen ihrer Ehe. Aber manchmal kam es ihr doch vor, als fülle sie sein Denken und Empfinden nicht mehr ganz aus. Das erfüllte sie mit banger Sorge und Mißtrauen und gab ihrem Wesen etwas Unsicheres, das auch in denjenigen Stunden nicht gänzlich von ihr wich, da er ihr gegenüber seine alte Liebenswürdigkeit zeigte.

Magdalene hatte bisher nur selten an ihren Vater geschrieben, und immer waren es nur einige flüchtige Zeilen gewesen, die sie an ihn gerichtet. Nun, da fast ein halbes Jahr verflossen war, seit sie ihn verlassen, stellte sich bei ihr öfter das Bedürfnis eines Gedankenaustausches mit ihm ein. Allerdings war sie sorgsam bemüht, in ihren Briefen alles zu vermeiden, was den Vater auf den Gedanken hätte bringen können, daß sie sich nicht so glücklich fühle, wie sie es als Mädchen erhofft hatte. Und so vollständig gelang ihr das, daß Feldern auch nicht im entferntesten argwöhnte, seine Tochter könnte nicht ganz glücklich sein. Er wähnte, Magdalenens eheliches Verhältnis sei ein durchaus harmonisches, und das gab auch seinen Gedanken an Harald etwas Versöhnliches. –

Fast ein Jahr war seit Magdalenens Vermählung dahingegangen, als Feldern von ihr einen Brief erhielt, in dem sie ihn benachrichtigte, daß er nahe Aussicht habe, Großpapa zu werden, und ihn bat, ihr die alte, treu ergebene Christine zu schicken. Feldern entsprach gern ihrer Bitte. Bald darauf traf von Harald ein Schreiben bei ihm ein, des Inhalts, daß Magdalene ihm ein Söhnlein geschenkt habe, und daß Mutter und Kind sich wohlbefänden.

Tiefbewegt und kaum im stande, seiner innigen Freude über die Geburt des Enkels Worte zu geben, reichte er den Brief seiner Gattin. Wie gern wäre er zu der Tochter geeilt, wie gern hätte er sein erstes Enkelkind in die Arme genommen, um es zu herzen und zu küssen und unter seinem süßen Stammeln den Rest dessen zu verscheuchen, was zwischen ihn und sein Kind getreten war.

Alexandra hatte gleichfalls in stiller Rührung den Brief gelesen. Jetzt sagte ihr ein Blick ihres Gatten, welche Gedanken ihn erfüllten, und sanft ihre Hand auf seinen Arm legend, äußerte sie:

»Fahre hin, Theo, und begrüße deinen Enkel! Ich sehe, daß es dir ein Herzensbedürfnis ist, und dem Zuge des Herzens soll man folgen.«

»Ich würde es thun,« erwiderte Feldern, »wenn ich wüßte, daß Harald und Magdalene sich über unsern Besuch freuten. Denn selbstverständlich würde ich die Reise nur von dir begleitet machen.«

»Ich kenne in dieser Hinsicht keinen Stolz und bin gern bereit, ihr die Hand zu bieten. Magdalene hat dir durch ihre wiederholten Briefe gezeigt, daß sie in treuer Kindesliebe deiner gedenkt. Sie ist auch kein störrisches, unerfahrenes Kind mehr, sondern Frau und Mutter. Sie wird anders, ruhiger und gerechter zu denken gelernt haben und dankbar dafür sein, daß von unserer Seite alles vergessen und vergeben ist.«

Feldern erhob zwar noch einige Bedenken, aber zuletzt gab er doch nach. Und er that es mit unverhohlener Freude. Es war ein schöner, warmherziger Zug seiner Gemahlin, daß sie seinen Wünschen stets in einer Weise entgegenkam, als handle es sich um ihre eigenen und als erbitte sie ihrerseits eine schwer zu erlangende Gunst von ihm.

Vierzehn Tage später trafen beide in H. ein. Harald war nicht zugegen, als sie seine Wohnung betraten, und Feldern war über diesen Zufall umsomehr erfreut, weil ihm die Abwesenheit des Schwiegersohnes Gelegenheit zu einer zwangloseren Aussprache mit seiner Tochter ermöglichte. Aus diesem Grunde bat er auch Alexandra, ein wenig zurückzubleiben, als er, von Christine geleitet, in seiner Tochter Zimmer trat.

Ein überaus lieblicher Anblick bot sich ihm da. Magdalene, in ein elegantes Morgenkleid gehüllt, ruhte auf dem Sofa und sang mit halblauter Stimme eines jener rührenden Lieder, mit denen junge Mütter ihre Kinder einzuschläfern pflegen. In ihren Armen wiegte sie den Sohn, dessen kleines Köpfchen aus der Flut von Spitzen, in die er gehüllt war, wie eine zarte Rosenknospe hervortauchte, und auf dessen Wangen noch ein paar helle Thränen lagen.

Als sie des Vaters ansichtig wurde, unterdrückte Magdalene nur mit Mühe einen Schrei des Jubels. Halb lachend, halb weinend, legte sie den Kleinen vorsichtig in sein Bettchen und warf sich dann ungestüm an Felderns Brust, voll inniger Zärtlichkeit seinen Mund und seine Hände mit Küssen bedeckend.

»Mein lieber, lieber Papa,« jubelte sie, »welche Ueberraschung! Wie lange und wie schmerzlich habe ich dich entbehrt! Aber nun bist du da, und alles ist gut! Ist mir's doch wie ein schöner Traum, daß ich dich sehe, daß ich dich umarmen und küssen kann.«

»Mich zog's ja auch allgewaltig zu dir hin, mein liebes, teures Kind!« erwiderte der Professor, sie herzlich an die Brust drückend. »Aber wart', da ist noch jemand, den du freundlich und liebevoll begrüßen kannst, jemand, der es von ganzer Seele gut mit dir meint.«

Er öffnete die Thür, und Alexandra trat über die Schwelle. Aber kaum hatte Magdalene gesehen, um wen es sich bei den letzten Worten des Vaters gehandelt, so nahm ihr Gesicht wieder jenen zurückhaltenden Ausdruck an, den es stets in Alexandras Gegenwart erhielt.

»Ah! Die Stiefmama! Wie gütig von Ihnen!« lautete Magdalenens kühler Gruß.

»Sage doch Mutter!« bat Feldern, und in seinen Augen, die eben noch so freundlich geblickt, leuchtete es unmutig auf.

»Dazu sehe ich doch wohl noch nicht ehrwürdig genug aus!« versuchte Alexandra zu scherzen. »Aber wenn du mir eine große Freude machen willst, Magdalene,« fuhr sie fort und streckte ihr lächelnd beide Hände entgegen, »so betrachte mich als deine Freundin und nenne mich bei meinem Vornamen.«

Die junge Frau verneigte sich, vermied aber in der Folge, mit Alexandra zu sprechen und richtete das Wort fast ausschließlich an den Vater.

Sie zeigte ihren Gästen den kleinen Hans mit einem so glückseligen Stolz, als läge nicht ein irdisches Menschenkind in dem Bettchen, sondern ein Engel. Mit hellen Augen schaute der Kleine umher. Als aber Feldern in stummer Rührung sich über sein Enkelkind beugte, um auf den kleinen, kirschroten Mund einen Kuß zu drücken, verzog sich das zarte Gesichtchen zum Weinen, und gleich darauf begann Hänschen so entsetzlich zu schreien, daß alle Versuche der jungen Mutter, ihn zu beruhigen, vergeblich waren und sie sich keinen andern Rat wußte, als ihn mit Christine hinauszuschicken.

»Das scheint Feldernsche Art zu sein,« lachte der Professor; »ich soll als Kind ebenfalls ein ganz furchtbares Stimmorgan gehabt haben, und was meine Kinder anlangt, so weiß ich aus eigenster Erfahrung, daß sie in dieser Beziehung meine Natur geerbt haben. Aber nun erzähle mir etwas von dir und deinem Familienleben,« wandte er sich an Magdalene. »Du hast mir zwar in letzter Zeit öfter Nachricht gegeben, als früher, aber ein rechtes Bild habe ich doch nicht gewinnen können. Mir schien es immer, als nähmest du dir gar nicht Zeit, die an dich gerichteten Fragen auch nur zu lesen, denn fast alle blieben unbeantwortet.«

»Lieber Vater, es ist nicht leicht, alle deine Fragen zu beantworten,« entgegnete Magdalene.

»Meine Fragen gipfelten sämtlich in der einen, mein Kind: Bist du glücklich?«

Sie wich seinem forschenden Blicke aus und sagte etwas verlegen:

»O ja, Papa, ich bin's! Freilich ließ mich Harald in letzter Zeit öfters allein, und wenn ich dann hier so einsam saß, dann kamen mir manchmal recht dumme Gedanken, die wohl unbegründet waren, die zu bannen ich jedoch nicht im stande war.«

Haralds Eintritt gab dem Gespräche eine andere Wendung. Er kehrte von einem Spaziergange zurück und zeigte sich angenehm überrascht, als er Felderns und seiner Gattin ansichtig ward. Seiner Liebenswürdigkeit und gesellschaftlichen Gewandtheit gelang es bald, den kleinen Kreis in die beste Stimmung zu versetzen, und je länger Feldern ihn und seine Tochter beobachtete, um so mehr gewann er die Ueberzeugung, daß Magdalene kaum Grund zur Klage habe, daß Harald vielmehr ernstlich bemüht sei, seine junge Frau glücklich zu machen.

»Wie steht's mit der Praxis?« fragte er gelegentlich, als er mit dem Schwiegersohne allein war.

»Sie läßt leider zu wünschen übrig,« erwiderte Harald. »Die Zahl der Aerzte ist in den letzten Jahren derartig gestiegen, daß auf bessere Einkünfte nur rechnen kann, wer bereits einen Namen hat oder durch irgend einen glücklichen Zufall mit einem Schlage ein berühmter Mann wird. Hätte ich Gelegenheit, an einer schwierigen Krankheit zu zeigen, was ich zu leisten vermag, und würde dann in der nötigen Weise über diesen Fall gesprochen und geschrieben, dann würde ich mich sicherlich vor Besuchen kaum noch retten können. Aber ebenso gut könnte ich meine Hoffnungen auf das große Los setzen. Seit Jahr und Tag suche ich nach einem Kranken, dessen erfolgreiche Behandlung mir einen Namen schaffen könnte. Aber finde ich wohl einen? So geht jeder an meinem Hause vorüber, und die Armseligkeit nimmt kein Ende.«

»Und trotzdem sind Sie in der Lage, einen so vornehmen Haushalt zu führen?« meinte der Professor befremdet. »Die Zinsen Ihres bescheidenen Erbteils sowie der Zuschuß, den ich meiner Tochter gewähre, können doch unmöglich dazu ausreichen!«

»Je nun – lassen wir das!« erwiderte Harald etwas verlegen. »Es wird schon noch anders und besser werden.«

»Ich möchte gleichwohl wissen –«

»Nun?«

»Woher Sie die Mittel nehmen, allerlei höchst kostspielige Sachen anzuschaffen, drei Dienstboten zu halten und einen anscheinend überreichlich ausgestatteten Weinkeller zu unterhalten? In meinen jungen Jahren konnte ich mir das nicht gönnen und auch heute noch muß ich mir so manchen Genuß versagen.«

»Ihr Beruf stellt auch nicht solche Anforderungen an Sie, lieber Papa, wie der meinige. Ein Arzt muß mit einem gewissen Glanz auftreten und dem Geschmack der Zeit Zugeständnisse machen, wenn anders er nicht von vornherein auf eine bessere Stellung verzichten will. Die Leute, die heute den Rat des Arztes suchen, wollen von einem Diener empfangen werden und in einem vornehm ausgestatteten Wartezimmer sitzen, und wenn ich ihren Erwartungen – wohlverstanden, ihren rein äußerlichen Erwartungen – nicht entspreche, dann gehen sie eben zu einem andern Arzt, der sich den Zeitverhältnissen besser anzupassen weiß.«

»Das mag alles sein, aber meine Frage ist damit noch immer nicht beantwortet. Ich fürchte, Sie gehen über Ihre Verhältnisse hinaus und haben wohl gar Schulden gemacht.«

»Allerdings, doch werde ich sie früher oder später bezahlen. Mein Gläubiger drängt mich nicht.«

»Dieser Gläubiger ist doch nicht etwa Kurt?«

»Aber ich begreife Sie nicht, lieber Papa! Natürlich ist's Kurt. Er streckte mir einige tausend Mark vor, als ich mich hier niederließ.«

Mißbilligend schüttelte der Professor den Kopf.

»Was Sie da sagen und als ganz natürlich betrachten, setzt mich in das größte Erstaunen. Ich würde an Ihrer Stelle dieses neue Opfer unter keinen Umständen angenommen haben.«

»Ich bitte Sie, zu bedenken, daß ich nur dem Gebot der Notwendigkeit folgte, als ich meines Bruders Anerbieten annahm. Leicht ist es mir wahrlich nicht geworden. Aber was sollte ich thun? Fast alle jungen Aerzte folgen, wenn sie heiraten, der Vernunft – mit andern Worten, sie machen eine Geldheirat. Ich folgte dem Zug des Herzens, und Sie konnten Magdalene wenig mehr als eine hübsche Ausstattung geben. Was Kurt anlangt, so kann ich die Unterstützung, die er mir bei meiner Niederlassung am hiesigen Ort gewährt hat, als ein schweres Opfer nicht anerkennen. Er ist im Besitze eines beträchtlichen Vermögens, hat eine gute Stellung und für seine Person fast gar keine Bedürfnisse.«

»Einerlei!« beharrte der Professor. »Mir wäre es nicht möglich gewesen, Nutzen aus der Großmut eines Mannes zu ziehen, der durch meine Schuld zu einem vereinsamten Leben verurteilt ist.«

»Wie Sie das wieder auffassen! Kurt ebnete mir lediglich den Weg zum Ziele, und sobald ich es erreicht habe, erhält er sein Geld mit Zinsen zurück. Sie meinen, ich hätte ihn zu einem unglücklichen Manne gemacht? Ueberlegen Sie doch, bitte, ob die lebhafte Natur Magdalenens, ihr spröder Sinn zu der ruhigen, weichen und gleichmäßigen Art meines Bruders gepaßt hätte! Magdalene ist meine allerliebste Frau, aber ein ganz klein wenig Tyrannin, und ihr Eigensinn hat doch Ihnen selbst schon genugsam zu schaffen gemacht. Magdalene und Kurt, – es ist wirklich nicht auszudenken!«

»Das klingt ja fast, als lebtet ihr nicht sehr friedlich?«

»Wo denken Sie hin, Papa! Zuweilen gewittert's wohl ein wenig, aber das kommt wohl in jeder Ehe vor, und glücklich diejenigen, bei denen es nicht länger dauert, als bei uns.«

Den Professor befriedigte diese Erklärung so wenig, daß er das Gespräch gern noch fortgesetzt hätte. Aber Magdalene mit Hänschen auf dem Arm betrat soeben das Zimmer. Sie lächelte dem Vater froh und zufrieden zu und zeigte auch in der Unterhaltung eine so heitere Unbefangenheit, daß Feldern die Zweifel an dem Glück der jungen Leute, die in ihm aufgetaucht waren, bald wieder aufgab.

Der kurze Urlaub nahte rasch dem Ende. Feldern reiste mit seiner Gattin ab, und Christine begleitete sie.

»Wir haben Harald doch wohl zu streng beurteilt,« sagte Alexandra, als der Zug sich in Bewegung setzte.

»Ich will's hoffen,« erwiderte Feldern zögernd. »Es giebt da so manches, was mir nicht gefällt. Aber davon sprechen wir noch später.«

»Magdalene ist glücklich – diese Ueberzeugung haben wir gewonnen, und das muß uns die Hauptsache sein.«

Der Professor nickte. Auch er glaubte, in dieser Beziehung beruhigt sein zu können. Und doch lag es auf ihm wie ein unbehaglicher Druck, der nicht weichen wollte. War es das alte Mißtrauen gegen Harald, das ihn besorgt um der Tochter Zukunft machte, oder war es ihr eigenes sprödes Wesen, das ihn für das Glück dieser Ehe fürchten ließ?

Er wußte es nicht. Aber er fühlte, daß seine Sorgen um Magdalene noch nicht zu Ende wären.


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