J. F. Cooper
Wildtöter
J. F. Cooper

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XV.
Am Marterpfahl

Spalt-Eiche trat noch einmal zu ihm und forderte seinen Skalp. Einige von den jungen Männer traten mit dem Tomahawk in der Hand in den Kreis, sie warteten ungeduldig auf den Beginn der Marterung. Wildtäter wurde gefesselt, die Arme mit Stricken fest an den Leib gebunden und die Beine eng aneinander, so schleppten sie ihn an einen jungen Baum und machten ihn dort fest, daß er sich weder rühren noch fallen konnte. Es galt jetzt, den Tomahawk so genau zu werfen, daß er haarscharf neben dem Kopf des Gefangenen in den Baum schlug. Hierzu wurden allgemein nur die besten Werfer zugelassen, damit nicht ein vorzeitiger Tod des Opfers die Unterhaltung verkürzte. Wildtöter stand unbeweglich, als die ersten Tomahawks neben seinem Kopf einschlugen, er wurde zwar mehrmals leicht gestreift, erhielt aber nie eine gefährliche Wunde. Die unerschütterliche Festigkeit, mit der er auf seine sich wie wild gebärdenden Gegner blickte, besonders als zum Schluß dieses Spiels alle zugleich ihre Eisen nach ihm schleuderten, erwarb ihm die Achtung aller Zuschauer.

Der junge Jäger habe sich wie ein Mann benommen, unterbrach Spalt-Eiche das gefährliche Spiel, er fragte an, ob es der Wunsch der Huronen sei, die Martern fortzusetzen. Einstimmig wurde dies gefordert, und der kluge Häuptling, der noch immer damit rechnete, Wildtöter für seinen Stamm zu gewinnen, mußte zunächst nachgeben. Er rief einige der besten Schützen heran, um den Gefangenen der Büchsenprobe zu unterwerfen. Wildtöter erhoffte sich, als er die Gewehre auf sich gerichtet sah, davon ein baldiges Ende seiner Qualen, denn die geringste Abweichung der Kugel konnte ihm den erlösenden schnellen Tod bringen.

Kugel um Kugel klatschte neben Wildtöter in den Baum, links und rechts um seine Ohren zischend, aber er rührte sich nicht, starrte in die Mündungen der Gewehre, ohne mit den Augen zu zucken. Dergleichen hatte noch keiner von den Huronen erlebt!

»Wir haben Wildtöter zu fest gebunden«, rief Spalt-Eiche aus, »seine Starrheit ist schuld, daß er keine Furcht zeigt, nicht sein kühnes Herz. Bindet ihn los, damit er sich freier bewegen kann!«

Der listige Vorschlag des Häuptlings fand Beifall, und man zerschnitt die Seile, daß unser Held ganz frei dastand und durch Stampfen und Springen und Reiben seiner Glieder sein Blut in Bewegung brachte. Damit fand er auch seine alte Tatkraft wieder, und sein Geist beschäftigte sich nur noch mit den Gedanken an seine Rettung. So sehr er sich in sein Schicksal ergeben hatte, war er doch weit entfernt davon, nur auf seinen Tod zu warten. Zur Ruhe freilich kam er nicht, jetzt war es Sache der Frauen, ihn durch Spotten, Schimpfen und Bosheiten aller Art in Wut zu bringen, damit er den nun folgenden Martern weniger widerstehen solle. Spalt-Eiche ließ Vorbereitungen zu den eigentlichen Martern treffen. Wildtöter wurde wieder an den Baum gebunden und schon liefen einige zu dem Feuer, um die glühenden Stäbchen zu holen, die man ihm ins Fleisch bohren wollte, da kam einer von den Spähern mit einer Botschaft, die alles in Aufregung versetzte. Angetan mit einem prächtigen Brokatkleide und anderen Herrlichkeiten aus der Truhe, trat Judith mit der Gebärde einer Herrscherin in den Kreis, um mit ihrer Erscheinung die Freilassung des Gefangenen zu befehlen. Die grimmigen alten Krieger ließen ein erstauntes »Hugh« ertönen, selbst die Weiber konnten ihr Entzücken über das schöne Bild nicht verhehlen. Wildtöter, erschrocken über die Kühnheit des Mädchens, verdolmetschte dem Häuptling ihre Forderungen.

»Du siehst an meinen Kleidern, Häuptling, daß ich von hohem Rang bin, und weißt, daß wir mehr Soldaten haben als ihr. Ich bin allein gekommen, um euch nicht zu erschrecken. Das Bleichgesicht dort am Marterpfahl ist ein großer Jäger, und in allen Garnisonen berühmt. Es wird einen wilden Kampf um ihn geben, wenn ihr ihn nicht freilaßt. Es ist besser, ihr gebt ihn mir in Frieden heraus!«

»Ich höre einen wundervollen Vogel singen«, antwortete der alte Fuchs, der sich nicht hinters Licht führen ließ, »der Vogel hat schöne bunte Federn, er wird auch einen Namen haben. Komm her, meine Tochter mit dem schwachen Geist, und nenne mir seinen Namen!« Der Häuptling hatte richtig mit der Einfältigkeit Hettys gerechnet. Nicht gewohnt, sich zu verstellen, sagte sie, daß es ihre Schwester Judith sei.

Mit triumphierenden Lächeln wandte sich der Häuptling an seine Krieger, um sich mit ihnen zu besprechen, während Judith einen flehenden Blick auf Wildtöter warf, als ob von ihm, dem Hilflosen, eine Hilfe kommen könnte. »Auf alle Fälle werden sie nicht wagen, euch in meiner Gegenwart zu martern«, meinte das edelmütige Mädchen, »und eine halbe Stunde Aufschub ist ein großer Gewinn für uns. Deine Freunde sind nicht untätig!«

Als Spalt-Eiche jetzt wieder vor seinen Gefangenen trat, war alles Wohlwollen aus seinen Zügen verschwunden. Daß ihn die Tochter Hutters durch ihre Verkleidung angesichts seines Stammes übertölpeln wollte, konnte er nicht hingehen lassen. Dürres Holz wurde herbeigeschleppt, und in der Nähe des Opfers entzündet, daß Rauch und Glut unerträglich wurden. Als auch schon die Flammen Wildtöter erreichten und er zu ersticken drohte, sprang plötzlich Hetty durch die Menge und zerstreute mit einem Stocke die brennenden Zweige nach allen Seiten. Zornige Hände wollten sie zu Boden schlagen, wurden aber von Spalt-Eiche daran gehindert, doch wurde das Feuer aufs neue geschürt. Da machte sich im rechten Augenblick eine Indianerin Bahn durch die Menge und stieß das prasselnde Reisig mit dem Fuß zurück. Als man in der Täterin Wah-ta-Wah erkannte, schlug der laut geäußerte Unwillen in Erstaunen und Freude um, sie wieder zu haben, und alle drängten sich um das Mädchen, sie auszufragen. Vergeblich bemühte sich Wah-ta-Wah, daß man Wildtöter losband, die Mingos waren mißtrauisch geworden. Sie wollten gerade mit den Martern fortfahren, als ein junger Indianer mitten in den Kreis sprang.

Mit drei Sätzen war er an Wildtöters Seite, durchschnitt seine Fesseln und wandte sich jetzt erst den Huronen zu: es war Chingachgook. In seiner Linken hielt er zwei Büchsen, von denen er eine, die berühmte Killdeer, Wildtöter in die Hand drückte. Die plötzliche Gegenwart von zwei bewaffneten Männern machten die Huronen stutzig, die nur Messer und Tomahawk zur Hand hatten, während ihre Büchsen weiter entfernt lagen. »Huronen«, rief Chingachgook den immer noch Verdutzten zu, »diese Erde hat weites Land. Jenseits der Seen ist Raum für die Irokesen, diesseits für die Delawaren. Dort steht meine Verlobte Wah-ta-Wah, der weiße Mann hier ist mein Freund. Ich folgte ihm in euer Lager, um zu sehen, ob ihm kein Unglück widerfährt. Alle Delewarenmädchen warten auf Wah-ta-Wah. Komm, laß uns Lebewohl sagen und unseren Pfad in die Heimat suchen!«

Da erhob sich die krächzende Stimme Briarthons, des zu den Huronen übergelaufenen Verräters, der Wah-ta-Wah entführt hatte: »Huronen, dies ist die Große Schlange der Delawaren! Laßt ihr diesen Teufel entwischen, so werden sich die Spuren eurer Mokassins mit Blut färben von hier bis zu den Seen von Kanada.« Und schon warf er sein Messer gegen die Brust des Delawaren. Durch Wah-ta-Wah, die kein Auge von ihm gelassen hatte, wurde mit schnellem Stoß gegen seinen Arm die Gefahr abgewendet, und Chingachgook warf sein Messer und durchbohrte die Brust seines Gegners, daß er tot zur Erde stürzte.

Der schnelle Ablauf der Ereignisse hatte die Huronen verblüfft, jetzt aber erhob sich ein höllisches Geschrei und die ganze Bande geriet in Bewegung. Zugleich hörte man vom Walde her ein ungewöhnliches Stampfen und Dröhnen, zwischen den Bäumen kamen Gestalten und blinkende Waffen zum Vorschein – eine Abteilung Soldaten in scharlachroten Röcken brach im Sturmschritt aus dem Wald.

Das Wutgeheul der so plötzlich Überfallenen, das Angstgeschrei der fliehenden Weiber und Kinder und das Rufen der angreifenden Truppen vermischten sich zu einem wüsten Lärm und Kampfgetümmel. Wildtöter hatte Judith und Wah-ta-Wah hinter Bäumen in Sicherheit gebracht, aber vergebens nach der von den Huronenweibern mitgerissenen Hetty ausgeschaut. Dann kämpfte er an der Seite Chingachgooks und Hurrys gegen die sich verzweifelt wehrenden Indianer, denen jeder Rückzug abgeschnitten war, bis ein Bajonettangriff der Soldaten den letzten Widerstand der Wilden brach.


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