J. F. Cooper
Wildtöter
J. F. Cooper

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V.
Wildtöters Falkenauge bewährt sich

Es dämmerte schon, als der junge Mann die Augen aufmachte. Er fuhr sofort von seinem harten Lager in die Höhe, um festzustellen, wo er sich befand. Der leise Wind hatte in der Nacht etwas zugenommen und so waren die federleichten Kanus doppelt so weit getrieben, als er gerechnet hatte, sie waren dem Fuß des Gebirges, das steil von der östlichen Küste aufstieg, bereits so nahe gekommen, daß er schon die Vogelstimmen deutlich hören konnte. Noch schlimmer war, daß das dritte Kanu dieselbe Richtung eingeschlagen hatte und auf eine Landspitze zutrieb, auf die es im nächsten Augenblick auflaufen mußte! Wildtöter tat ein paar schnelle Ruderschläge, aber es war schon zu spät, er konnte es nicht mehr einholen, bevor es strandete.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die Indianer eine Menge Späher ausgeschickt, um die Ufer des Sees nach Fahrzeugen abzusuchen, ihnen mußte der kleinste Gegenstand auffallen, der darauf herumschwamm. So ruderte er vorsichtig der Landspitze zu, wo das Boot hängengeblieben war, mit äußerster Behutsamkeit und auf alle Ueberraschungen gefaßt. Hundert Schritt vom Lande erhob er sich im Boot, gab ihm mit drei, vier Schlägen einen mächtigen Stoß nach vorn und nahm die Büchse hoch, als ein Schuß krachte und eine Kugel zischend an ihm vorbeifuhr. Gleich darauf warf er sich der Länge nach auf den Boden des Kanus nieder. Ein gellender Schrei folgte, ein Indianer setzte aus den Büschen hervor und sprang über die Lichtung der Landzunge auf das gestrandete Boot zu. Darauf hatte Wildtöter nur gewartet, als er sich wie getroffen hinwarf. Er richtete nun sein Gewehr auf den ungedeckten Gegner. Aber er zauderte, abzudrücken, der andere schien ihm zu sehr im Nachteil. Dieses Zögern rettete dem Indianer das Leben, er lief ebenso schnell wieder in Deckung zurück, wie er hervorgekommen war. Nun sprang auch Wildtöter an Land und in Deckung, wo er beobachten konnte, wie der Indianer mit dem Laden seines Gewehrs beschäftigt war. In ehrlichem Kampfe wollte er ihm nun gegenübertreten.

Sowie der Indianer neu geladen hatte, sah er um sich und trat vor, ohne die wirkliche Stellung Wildtöters zu kennen und sich nach der falschen Seite sichernd. Wildtöter rief ihn an: »Hierher, Rothaut, hierher, wenn du mich suchst! Ich bin zwar noch unerfahren im Kriegführen, aber nicht so sehr, daß ich mich auf freiem Feld aufpflanze, um mich wie eine Eule bei Tageslicht abschießen zu lassen. Es liegt nun bei dir, ob Krieg oder Frieden zwischen uns sein soll, ich bin ein weißer Mann, und halte es nicht für eine Heldenstück, einen Menschen aus dem Hinterhalt umzubringen.«

Der Wilde war nicht übel erschrocken, als er sich der Gefahr bewußt wurde, in die er hineingetappt war. Er ließ sich seine Bestürzung aber nicht anmerken, sondern stellte den Kolben seines Gewehrs zur Erde, als wäre weiter nichts, und machte eine Gebärde großartiger Höflichkeit. Doch flammten und funkelten seine Augen wie bei einem Raubtier, das sich plötzlich gehindert sieht, den todbringenden Sprung auszuführen.

»Zwei Kanu,« sagte, er in den tiefen, gurgelnden Tönen seiner Rasse, und hielt zwei Finger in die Höhe, um nur ja verstanden zu werden, »zwei Kanu – eins für dich und eins für mich.«

»Nein, Mingo, so handeln wir nicht!« erwiderte Wildtöter, »dir gehört überhaupt keins, und solange ich es verhindern kann, sollst du auch keins kriegen. Ich weiß wohl, daß Krieg zwischen deinem und meinem Volk ist, das ist aber kein Grund, einander umzubringen wie wilde Tiere, die im Wald aneinandergeraten. Geh also deinen Weg und laß mich den meinen gehen. Wenn wir uns in ehrlicher Schlacht gegenüberstehen sollten, wird der Himmel unser Schicksal entscheiden.«

»Gut!« rief der Indianer, »mein Bruder Missionar – große Reden!«

»Stimmt nicht, alter Krieger, ich bin vorläufig nur ein Jäger, und es kann sein, daß ich auch gegen deine Leute Krieg führen muß, aber nicht um ein elendes Kanu.«

»Gut! Mein Bruder sehr jung, aber sehr weise. Kleiner Krieger, großer Redner!«

Damit näherte sich der Wilde zutraulich und bot lächelnd seine Hand. Sie schüttelten sich kräftig die Hände, jeder eifrig bemüht, den anderen von seiner Friedfertigkeit und Aufrichtigkeit zu überzeugen. »Jeder das Seine haben,« sagte der Wilde, »ich mein Kanu, du dein Kanu.«

»Das wäre recht und billig, Mingo, aber diesmal bist du im Irrtum. Doch Sehen ist Glauben, laß uns ans Ufer gehen, damit du dich mit eigenen Augen überzeugen kannst.«

Bei den Booten angekommen, deutete der Wilde sofort auf das erste und sagte: »Weißen Mannes Arbeit – nicht mein Kanu! Aber das andere roten Mannes Kanu!«

»Bist im Irrtum, Rothaut, vollständig im Irrtum! Das Kanu gehört dem alten Hutter nach jedem Gesetz. Sieh doch die Arbeit an – das hat kein Indianer gemacht.«

»Gut! Mein Bruder wenig alt – aber viel Weisheit. Indianer das nicht gemacht.«

»Freut mich, Mingo, daß du so denkst. Es hätte sonst doch noch Händel gegeben. Ich will gleich das Boot beseitigen, um weiteren Streit zu vermeiden.« Mit diesen Worten setzte Wildtöter den Fuß an das Ende des leichten Bootes und gab ihm einen kräftigen Stoß, daß es weit in den See hinausschoß. Der Wilde stutzte bei diesem entschiedenen Verfahren, und Wildtöter entging der Blick nicht, mit dem er gierig das andere Boot betrachtete, in dem alle Ruder lagen. Aber dann hatte er seine freundliche Miene wieder und sagte in scheinbarer Zufriedenheit: »Gut, gut! Junger Kopf, alter Verstand. Weiß wie Streit schlichten. Lebewohl, Bruder. Weißer Mann zur Wasserburg, Indianer ins Lager, Häuptling sagen, daß kein Kanu zu finden.«

Über diesen schnellen Abschied war Wildtöter um so mehr erfreut, als er die Mädchen im Kastell nicht länger ohne Schutz lassen wollte, und so nahm er die dargebotene Hand des Indianers freundlich an. Sie schieden mit friedlichen Worten, der rote Mann, ohne sich auch nur ein einziges Mal mißtrauisch umzusehen, schritt ruhig dem Walde zu, Wildtöter wandte sich dem Boote zu, die Büchse friedlich in der Hand, ohne jedoch den Indianer aus den Augen zu lassen. Doch schien sein Mißtrauen völlig ungerechtfertigt zu sein, und beschämt sah er endlich weg und stieß den Nachen vom Ufer ab. Als er dann zufällig sein Auge noch einmal dem Lande zukehrte, sah er mit dem sicheren Blick seines geübten Auges, in welcher Gefahr er schwebte: durch eine schmale Öffnung in den Büschen starrten die funkelnden Augen des Wilden und der Lauf des Gewehrs schien auf ihn gerichtet zu sein.

Jetzt kam Wildtöter seine lange Übung als Jäger zugute: gewohnt, auf das Wild im Sprunge zu schießen, hatte er im Nu die Büchse hochgerissen und ohne erst lange zu zielen, feuerte er dorthin, wo das schreckliche Gesicht den heimtückischen Gegner vermuten ließ. Beide Schüsse fielen zu gleicher Zeit, ihr Schall vermischte sich, und von den Bergen rollte ein einziges Echo zurück. Wildtöter stand aufrecht und unerschütterlich wie eine der Tannen in der Stille des Morgens, den Erfolg abwartend, während der andere mit gellendem Schrei, den Tomahawk schwingend, über die Lichtung auf ihn zueilte. Als der Mingo nur noch etwa zwanzig Schritt von ihm entfernt war, schleuderte er seine gefährliche Waffe gegen Wildtöter, aber mit so unsicherer und schwacher Hand, daß der gewandte Jäger sie auffangen konnte. In diesem Augenblick taumelte der Indianer und brach entkräftet zusammen.

»Ich wußte es,« sagte Wildtöter vor sich hin, der eben wieder laden wollte, »als ich seine blutdürstigen Augen gesehen hatte. Man zielt schnell, wenn das eigene Leben in Gefahr ist. Um den Bruchteil einer Sekunde war ich schneller als er, sonst wärs mir schlecht ergangen. Seine Kugel hat mich noch an der Seite gestreift.«

Er warf den Tomahawk ins Kanu und schritt auf sein Opfer zu. Auf seine Büchse gelehnt, sah er mit trüben Augen auf ihn hernieder. Es war das erstemal, daß er einen Mann im Kampfe hatte fallen sehen. Der Indianer lebte noch, mitten durch den Leib geschossen, lag er auf dem Rücken, und nur seine Augen beachteten jede Bewegung seines Gegners. Er wartete auf den Gnadenstoß, oder gar darauf, den Skalp lebendigen Leibes verlieren zu müssen. Wildtöter erriet seine Gedanken.

»Keine Angst, Rothaut, hast nichts mehr von mir zu befürchten. Ich bin ein Bleichgesicht, das Skalpieren ist nicht meine Sache. Ich will nur deine Büchse holen, dann komme ich wieder, dir beizustehen. Lange freilich kann ich hier nicht bleiben, denn drei Schüsse – das wird mir wohl bald einige von deinen Teufeln auf den Hals bringen.«

Wildtöter hob die Büchse des Wilden auf und legte sie und seine eigene ins Boot, dann kam er zu der sterbenden Rothaut zurück. »Sei getrost, Rothaut,« sagte er, »unsere Feindschaft ist ausgelöscht, und ich will an dir nach weißen Mannes Art anständig handeln.«

»Wasser!« stieß der Unglückliche hervor, »gib armen Indianer Wasser!«

Wildtöter nahm ihn auf seine Arme und trug ihn an den See hinunter, wo er ihn in bequemer Lage trinken ließ. Dann setzte er sich auf einen Stein und nahm den Kopf des Wilden in seinen Schoß, um ihm Trost zuzusprechen. Der Sterbende fragte nach seinem Namen. »Wildtöter« meinte er, »guter Name für Knaben, nicht für Krieger. Keine Furcht, Auge sicher, Finger schnell – – Falkenauge, nicht Wildtöter!«

Wildtöter oder Falkenauge, wie der junge Jäger jetzt zum erstenmal genannt wurde, nahm die Hand des Sterbenden, dessen letzte Blicke mit Bewunderung an seinem Gegner hingen, der soviel Mut und Entschlossenheit bewiesen hatte. Sein Atem entfloh, Wildtöter drückte ihm die Augen zu. Er lehnte den toten Indianer aufrecht mit dem Rücken gegen einen Felsen, wie es indianische Sitte war, dann ging er ins Boot, und entfernte sich vom Lande. Er ließ das Kanu treiben und überlegte seine Lage.

Das zuerst ausgesetzte Kanu trieb unter dem Winde dahin, vielleicht eine Viertelmeile entfernt von ihm, und näher am Ufer, als ihm lieb sein konnte, denn er mußte annehmen, daß noch mehr Indianer in der Nähe waren. Das andere, das er von der Landspitze weggestoßen hatte, sah er nur wenige Ruderschläge vor sich, er hielt darauf zu und nahm es ins Schlepptau, um nun das andere einzuholen.

Es kam ihm sonderbar vor, daß das Kanu dem Lande schon viel näher war, als der schwache Wind erwarten ließ, er bemühte sich, es einzuholen unö bemerkte bei genauerem Hinblicken einen nackten Arm, der über den Rand des Kanus ins Wasser hing und sich regelmäßig bewegte. Ein Indianer lag in dem Fahrzeug und trieb es, sich seiner Hand als Ruder bedienend, emsig nach dem Ufer. Wildtöter durchschaute sofort die Kriegslist: Als er mit seinem Gegner am Waldrand zu tun hatte, war ein anderer Mingo nach dem Kanu hinausgeschwommen und hatte sich seiner bemächtigt.

Wildtöters energischer Aufforderung aus dem Boot zu springen, wenn er nicht mit seiner Büchse Bekanntschaft machen wolle, kam er schnell nach und verschwand. Wildtöter befestigte das Boot und ruderte in Richtung auf das Kastell zu.


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