J. F. Cooper
Wildtöter
J. F. Cooper

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X.
Wah-ta-Wah wird befreit

Hutter ging mit dem Riesen in die Arche, wo sie lange in geheimer Unterredung beisammen saßen. Endlich erschien der alte Tom wieder auf der Plattform und teilte ihnen allen soviel von seinen Plänen mit, als er für angemessen hielt. Auf die Kriegserklärung hin mußte Wildtöters Plan, sich auf die Arche zurückzuziehen, vollends als das einzige Mittel erscheinen, um dem Verderben zu entgehen. So wurde die Wasserburg, nachdem sie das Feuer gelöscht hatten, verschlossen, die Kanus wurden hinter den Palisaden hervorgezogen und an der Arche befestigt und alle schifften sich ein wie Flüchtige.

Vor einer leichten Brise trieb das Fahrzeug mit gesetztem Segel in die Nacht hinaus. Hurry und der alte Mann legten sich bald auf die Pritschen und überließen es Wildtöter und seinem Freund, auf den Kurs zu achten. Er hielt die Arche möglichst im Schatten der Wälder, um nicht die Aufmerksamkeit der Indianer zu erregen, denn schon hatten sie sich dem Platz genähert, wo Chingachgook mit Wah-tah-Wah zusammentreffen wollte. Chingachgook wies schweigend nach vorn. Ein kleines Feuer brannte zwischen den Büschen auf der Landzunge. Die Indianer hatten ihr Lager verlegt und lagen nun unweit der Stelle, wo Wah-tah-Wah ihre Befreier erwartete.

Wildtöter und der Delaware waren darüber nicht wenig bestürzt, jetzt war es ein Wagnis, an Land zu gehen und das Mädchen zu holen. Auf keinen Fall durften Hutter und Hurry geweckt werden, denn es war zu vermuten, daß ihnen die unerwartete Nähe des Irokesenlagers neue Lust auf Skalpe machen würde.

An der Landspitze brachte Wildtöter die Arche in eine solche Lage, daß Buschwerk zwischen ihr und dem Feuerschein lag, dann gab er Chingachgook das verabredete Zeichen, den Anker auszuwerfen und das Segel einzuholen.

»Und jetzt«, sagte Wildtöter zu der neben ihm stehenden Judith, »es ist Zeit, daß ich mit Chingachgook ins Kanu klettere. Der Stern wird bald aufgehen, und Wah-ta-Wah wird pünktlich sein. Hoffentlich haben die Mingos nicht Lunte gerochen und halten sie fest, oder haben sie als Locktaube dasitzen und die Kerle lauern uns auf.«

»Ich wünschte, ihr ginget nicht, Wildtöter«, stieß Judith hervor, »versprecht mir wenigstens, daß ihr euch nicht unter die Rothäute wagt und nicht mehr tut, als unbedingt nötig ist, um die Delawarin zu retten!«

Wildtöter hatte seinem Freunde schon das Zeichen zum Aufbruch gegeben, sie stiegen in das Kanu und stießen ab. Judith sah ihnen schweigend nach. Sie fuhren nicht direkt auf die Landspitze zu, sondern zunächst auf den See hinaus, um den Feind immer nur vor sich und nie in der Flanke zu haben. Mit äußerster Vorsicht hoben und senkten sie die Ruder, als sie auf etwa hundert Schritt der Landspitze nahe gekommen waren, nahm Chingachgook das Gewehr hoch. Unhörbar glitt das Kanu dem Ufer näher, knirschte leise beim Auflaufen an den Strand, genau an der Stelle, an der auch Hetty an Land gegangen war.

Chingachgook stieg aus und suchte, zuweilen bis an die Knie im Wasser watend, das Ufer sorgfältig ab, doch war niemand zu sehen. Als er zurückkam, stand auch schon sein Freund an Land. Sie berieten sich miteinander, als sich die Wolken zerrissen und der Abendstern prächtig glänzend aufleuchtete. Das war ein freundliches Zeichen, und die beiden Männer lauschten mit verdoppelter Aufmerksamkeit, ob nicht ein Schritt herankäme. Zuweilen hörten sie wohl Stimmen, ein Kind weinte, dazwischen ertönte das Lachen einer Indianerin; das Lager mußte ganz in der Nähe sein. So verging eine geraume Zeit in angespannter Erwartung. Endlich schlug Wildtöter vor, mit dem Boot rings um die Landzunge zu fahren, um das Lager von der anderen Seite sehen zu können. Chingachgook weigerte sich entschieden, den Platz zu verlassen, denn komme das Mädchen in seiner Abwesenheit, wisse es nicht mehr ein noch aus. Das sah Wildtöter ein, und so fuhr er allein, während Chingachgook in den Büschen versteckt warten sollte.

Nach einiger Zeit geriet Wildtöter in den Feuerschein des Lagers, konnte aber kaum gesehen werden, solange die Indianer selbst im hellsten Lichte standen. Diese hatten, durch die Einrichtung des neuen Lagers in Anspruch genommen, eben erst ihr Mahl gehalten. Er sah auf den ersten Blick, daß nur ein Teil der Krieger im Lager war. Spalt-Eiche saß neben dem Feuer und zeigte vergnügt einem Stammesbruder den wunderbaren Elefanten, andere Krieger lagen um das Feuer herum oder standen angelehnt an die Bäume, während in einer Ecke des Lagers Weiber und Kinder lachend und scherzend beisammensaßen. Auf den Ruf einer häßlichen Alten brachten ein junger Indianer und ein Mädchen Wah-ta-Wah in diesen Kreis, und er schloß daraus, daß sie bewacht wurde. Mit dieser Kundschaft kehrte er zu dem Delawaren zurück und sie beschlossen nun zu handeln.

Zuerst zogen sie das Kanu an Land, so daß Wah-ta-Wah es sehen mußte, wenn sie allein an die verabredete Stelle kam. Dann stiegen sie eine Anhöhe hinauf, von der sie bequem das Lager überblicken konnten. Die Indianer saßen noch immer um das Feuer versammelt, in ihrer Mitte Wah-ta-Wah. Chingachgook ahmte das Pfeifen eines Eichhörnchens so ähnlich nach, daß Wildtöter, der den Ton schon oft vernommen hatte, unwillkürlich nach oben blickte. Auch von den Mingos wurde der natürliche Ruf nicht weiter beachtet, nur Wah hörte plötzlich auf zu sprechen, ohne jedoch ihre Beherrschung zu verlieren und nach der Richtung zu sehen, von wo das Zeichen, das ihr so vertraut war, gekommen war.

Als das Zeichen nach einiger Zeit noch einmal erklang, erhob sie sich gähnend, als ob sie schläfrig sei, und ging ihrer Hütte zu. Dort sollte sie von der alten Hexe bewacht werden, die gerade jetzt von einem der Krieger aufgefordert wurde, Wasser zu holen. Sie rief Wah-ta-Wah zu sich und watschelte mit einer Kürbisflasche und Wah-ta-Wah an der Hand der nahen Quelle zu. Ihr Weg führte sie an dem Baum vorbei, hinter dem die Freunde sich versteckt hatten, doch hinderte Wildtöter den Häuptling daran, sich mit seinem Tomahawk auf die Alte zu stürzen. Es schien ihm nicht menschlich, die Alte so zu überfallen, zudem mußte das Geschrei sie verraten. Sie folgten den beiden Frauen bis zur Quelle, und als die Alte ihre Flasche gefüllt hatte, fühlte sie sich von Wildtöter so heftig an der Kehle gepackt, daß sie nur noch einen gurgelnden Ton hervorbringen konnte. Chingachgook versicherte sich schnell des Mädchens und trug Wah-ta-Wah auf seinen Armen durch das Gebüsch zum Kanu.

Wildtöter hielt indessen die Alte fortwährend an der Kehle, sie nur dann und wann Atem holen lassend, damit sie nicht erstickte. Dabei gelang es der Alten, ein Kreischen auszustoßen, das im Nu das Lager alarmierte. Schon standen einige Krieger auf der Anhöhe, wo sie sich gegen den Hintergrund des Lichts wie die Gestalten eines Schattenspiels abhoben. Es war höchste Zeit für den Jäger, sich davonzumachen, er warf die Alte zu Boden und eilte dem Strande zu, indem er seine Büchse schußbereit hielt und sich ein paarmal umschaute wie ein umstellter Löwe.

Es gelang ihm, das Ufer zu gewinnen, wo Chingachgook schon mit dem Mädchen im Boote saß. Wildtöter warf seine Büchse hinein und war eben im Begriff, das Boot vom Ufer abzustoßen, als ihm ein riesiger Indianer wie ein Panther auf den Rücken sprang. Mit einer verzweifelten Kraftanstrengung stieß Wildtöter das Boot mit Chingachgook und Wah-ta-Wah weit in den See hinaus, fiel aber selbst dabei mit dem Indianer kopfüber ins Wasser. Der Wilde mußte sein Opfer loslassen, um wieder über Wasser zu kommen, dann standen beide aufrecht und umklammerten sich mit den Armen, um sich gegenseitig am Gebrauch des Messers zu hindern. Während dieses verzweifelten Ringens kamen neue Wilde hinzu, um ihrem Stammesgenossen beizustehen, und Wildtöter blieb nichts anderes übrig, als sich seiner Gefangennahme durch diese Übermacht zu fügen. Mit Würde trug er, der sich so aufopferungsvoll verhalten hatte, sein Los.

Er wurde dem Lagerfeuer zugeführt, während der Delaware mit seinem Kanu außer Schußweite war und mit seinem kostbaren Raube der Arche zusteuerte.


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