J. F. Cooper
Wildtöter
J. F. Cooper

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XIV.
Verlorenes Spiel

Auf der Arche brannte noch Licht, Judith erwartete ihn. »Seht, Wildtöter, was ich euch zeigen will . . .« begrüßte sie ihn und zeigte auf die bereits aufgesperrte Truhe, »es sollte mich doch wundern, wenn wir auf ihrem Grunde nicht bald etwas von Tom Hutter und seinem Lebenslauf finden würden.«

Sie begannen auszupacken, und endlich kam ein Bündel zum Vorschein, das sie bei der ersten Öffnung der Truhe nicht untersucht hatten. Es war eine große Schiffsfahne, – die Bestätigung dafür, daß Hutter früher zur See gefahren war.

»Ich will endlich wissen, wer ich bin«, sagte Judith. Sie holte einen kleinen Kasten heraus, den Wildtöter aufbrach, und der mit Briefen und Papieren bis obenhin gefüllt war. Und nun vergingen wohl an die zwei Stunden, in denen Judith mit fiebernder Hast Brief um Brief und Papier um Papier entfaltete. Es ergab sich, daß Hutters wahrer Name Hovey und er früher Seeräuber gewesen war. Er hatte Judiths und Hettys Mutter, eine Witwe, geheiratet und war mit ihr in die Einsamkeit des Glimmersees gezogen. Auch war eine Art Testament vorhanden, nach dem sich die Schwestern die nachgelassene Habe Hutters teilen und zu entfernten Verwandten ihrer Mutter in die Kolonie ziehen sollten.

»Laßt es für heute Nacht genug sein, es wird morgen ein schwerer Tag werden, schlaft über alles und vergeßt!« sagte Wildtöter. Schweigend suchten sie ihr Nachtlager auf.

Schon vor Sonnenaufgang standen Chingachgook und Wah-ta-Wah im ersten Gespräch auf der Plattform. Sie beratschlagten, wie sie Wildtöter helfen könnten und waren sich einig, daß sie alles tun müßten, ihn zu retten. Wildtöter erschien in der Tür der Kajüte und trat zu ihnen.

»Wenn die Sonne über den Fichten steht«, fragte Chingachgook ernst, »wo wird mein Bruder Wildtöter dann sein?«

Der Jäger starrte ihn einen Augenblick an, dann nahm er ihn mit zur Arche hinüber.

»Rede nicht vor den Mädchen davon«, sagte er, »es war unvorsichtig von dir. Kein Sterblicher kann sagen, wo Wildtöter sein wird, wenn morgen die Sonne aufgeht. Aber ich will dich dasselbe fragen: Schlange, wo wirst du sein?«

»Chingachgook wird bei seinem Freunde sein. Wenn er im Lande der Geister ist, wird die Große Schlange mit ihm dort sein. Wenn aber noch die Sonne auf ihn scheint, so wird ihr Licht auf beide fallen!«

»Ich verstehe dich, aber du darfst Wah-ta-Wah meinetwillen nicht im Stich lassen!«

»Wah-ta-Wah ist eine Tochter der Mohikaner. Sie wird ihrem Manne folgen. Beide werden bei dem berühmten Jäger sein, wenn die Sonne wieder über jener Tanne steht!«

»Ich beschwöre euch, wagt keine übereilte Unternehmung. Ihr sollt nicht meinetwegen in die Schlingen der Mingos geraten!«

»Wildtöter kann überzeugt sein, die Delawaren gehen nicht mit geschlossenen Augen in das Lager der Feinde.«

Hetty unterbrach ihr Gespräch und teilte mit, daß das Frühstück bereitet sei. Bald war die Gesellschaft um das einfache Mahl versammelt. Es war noch früh, als sie sich erhoben, und Wildtöter wollte in der Zwischenzeit, bis er zurück mußte, sich selbst und die andern zerstreuen und holte die Büchse Killdeer herbei. Nachdem er das schöne Gewehr abermals in Augenschein genommen hatte, wandte er sich an Judith: »Wenn es dazu käme, daß diese kostbare Waffe wieder ihren Besitzer verlöre, möchte ich sie Chingachgook vermachen.«

»Hinterlasse die Büchse, wem du willst, sie ist dein Eigentum«, antwortete Judith in scheinbarer Fassung, während sie der Schmerz, zu überwältigen drohte. Der Jäger sah aus wie der glücklichste Mann, als er dies seinem Freunde mitteilte und ihm den Wert der Büchse für seinen Stamm begeistert schilderte. Er konnte es aber nicht unterlassen, zunächst die Trefflichkeit des Gewehrs im Wettstreit mit Chingachgook zu erproben.

Inzwischen war die Trennungsstunde herangekommen. Wildtöter machte sich zur Abfahrt fertig und nahm Abschied von Judith und dem Indianerpaar. Es war beschlossen worden, daß Hetty, die nichts Böses von den Indianern zu erwarten hatte, Wildtöter ins Lager begleiten sollte. Die Sonne wollte eben in den Zenith rücken, als Wildtöter mit Hetty an der Landzunge landete, auf der die Huronen jetzt ihr Lager aufgeschlagen hatten.

»Hier bin ich, Mingos«, sagte er in der Sprache der Delawaren, als er in den Kreis der versammelten Wilden trat, die spannungsvoll auf die Rückkehr gewartet hatten, »hier bin ich, und dort oben steht die Sonne. Sie ist den Gesetzen der Natur nicht treuer, als ich es meinem Wort bin. Ich bin euer Gefangener, tut mir mir, was ihr wollt.«

Im Kreis der Krieger erscholl beifälliges Murmeln, viele mochten jetzt wünschen, einen Mann mit so kühnem Geist in ihren Stamm aufzunehmen. Spalt-Eiche trat ihm mit würdevollem Gruß entgegen: »Du bist redlich, Bleichgesicht, mein Volk ist glücklich, einen Mann und keinen Fuchs gefangen zu haben. Wir werden dich als tapferen Krieger behandeln. Wenn du einen der Unsrigen getötet und zum Tode anderer beigetragen hast, so bist du bereit, es mit deinem Leben zu büßen. Ich habe gesprochen, und du weißt, was ich gesagt habe!«

Nun ließ man den Gefangenen, während sich die Häuptlinge besprachen, wohl eine Stunde lang frei herumgehen, aber so scharf bewacht, daß jeder Fluchtversuch unmöglich schien. Endlich wurde er aufgefordert, wieder vor seinen Richtern zu erscheinen. Spalt-Eiche richtete das Wort an ihn. »Falkenauge«, sprach er, den Arm ausstreckend, »hier steht die Witwe des trefflichen Kriegers, den du getötet hast. Du bist wohldenkend und machst gern ein Unrecht wieder gut – hier ist eine geladene Büchse, nimm sie, schieße ein Wild und bringe es der Sumach und nenne dich ihren Mann. So wird mein Volk den verlorenen Krieger wieder haben.«

»Habe mir schon gedacht, daß es darauf hinauslaufen würde, aber ich will der Sache ein Ende machen. Keiner eurer Vorschläge hat bei meinen Freunden willige Ohren gefunden, und es würde mir übel anstehen, ein Indianerweib zu nehmen. Mögen eure jungen Männer selbst für Sumach sorgen!«

Seine Worte lösten einen Sturm der Empörung insbesondere unter der Weibern aus. Am grimmigsten tobte der »Panther«, der Bruder Sumachs, aus dessen funkelnden Augen die Rachgier lohte. »Hund von einem Weißen!« schrie er wutschnaubend, und schleuderte seinen Tomahawk gegen Wildtöter, der ihn mit sicherer Hand auffing. Alle Kraft zusammennehmend, warf er die tödliche Waffe auf seinen Gegner zurück, so unerwartet, daß der Panther nichts unternahm um auszuweichen. So traf ihn die Streitaxt zwischen beide Augen und schwer fiel der Körper der starken Mannes zur Erde, er war tot.

Einen Augenblick sah sich Wildtöter frei, denn alle umdrängten den Gefallenen. Wie ein Hirsch stob er davon, und eine wilde Jagd hob an. Noch ehe die Schildwachen wußten, was vorging, war er bei ihnen durch, sie feuerten hinter ihm her, ohne zu treffen, und Wildtöter verschwand in der Deckung der Büsche am Ufer. Er hatte schon über hundert Schritt Vorsprung gewonnen, als Ordnung in seine Verfolger kam und sie sich nach verschiedenen Richtungen verteilten, um ihm den Fluchtweg auf der engen Landzunge abzuschneiden. Er stürzte weiter den Hang des Hügels vor ihm hinauf, oben sah er sich begierig nach einem Versteck um und schmiegte sich dann so dicht als möglich unter einen gefallenen Baum. Die ersten seiner Verfolger schrien laut, als sie den Hügel erklommen hatten, und sprangen, in der Meinung, ihr Gegner habe sich in der Schlucht verborgen, über den Stamm hinweg und in die Schlucht hinein. Endlich hatten sie alle die Tiefe der Schlucht erreicht und suchten nach der verlorengegangenen Fährte des Flüchtlings. Das war der richtige Augenblick für Wildtöter, unbemerkt schwang er sich über den Baum und rannte in großen Sprüngen zurück den Hügel hinab. An Weibern und Kindern vorbei, die ihm Steine und Äxte in den Weg warfen, lief er zum Ufer und stand bald vor seinem Kanu. Die Ruder waren entfernt, also gab er dem leichten Boot einen gewaltigen Stoß und schwang sich schnell hinein. Ein teuflisches Geschrei zeigte ihm, daß die Verfolger ihn gesehen hatten, und schon drang eine Kugel an seinem Kopf vorbei durch das Kanu, in dem er sich lang auf den Boden gelegt hatte. Zu seinem Schrecken konnte er durch das Loch nun feststellen, daß er nur wenig vom Ufer entfernt war und das Boot eher landwärts als seewärts trieb. Er versuchte mit einem Stecken, den er ins Boot geworfen hatte, das Boot in eine andere Richtung zu bringen, aber ein wohlgezielter Schuß, der ihm den Stecken zerschmetterte, bewies ihm, daß ihn die Indianer genau beobachteten und sicher waren, seiner wieder habhaft zu werden. So ließ er das Boot ruhig treiben. Nach einiger Zeit vernahm er ein Geräusch und sah sich unter dem grünen Laubbach eines Baumes. Er sprang empor und begegnete den Blicken der Spalt-Eiche, der das Kanu ans Ufer zog.

»Du hast das Spiel gewonnen, Spalt-Eiche«, sagte Wildtöter gelassen, als er aus dem Boot stieg und dem Häuptling auf den freien Platz der Halbinsel folgte, »nun bin ich wieder euer Gefangener. Aber ich denke, daß ich im Ausbrechen genau so tapfer bin wie im Worthalten!«

»Mein junger Freund ist ein Elentier, seine langen Beine haben meine Krieger müde gemacht, aber er ist kein Fisch, der seinen Weg im See findet.«

Spalt-Eiche ließ ihn allein, und Wildtöter stellte fest, daß die Indianer seine Bewachung verstärkt und ihm alle Fluchtmöglichkeiten abgeschnitten hatten. Sie schlossen den Kreis um ihr Opfer immer enger, und schon sah er einige mit den Vorbereitungen für die Marter beschäftigt, die ihn erwarteten.


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