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XXVII

Atemraubende Folgen von Ereignissen und Veränderungen ließen in den nächsten Tagen das Gemeinwesen der Krotoniaten nicht zur Ruhe gelangen. Und immer größer, immer führender, immer unbezwinglicher wuchs in der Einbildungskraft die hehre Gestalt des fremden Weisen empor, der gleichsam ein Gottgesandter zu sein schien. Die ihn zunächst umgaben, waren sich über das Rätsel seines Einflusses nicht viel klarer als die Menge des Volkes, die Märchen und Sagen spann; die uralte Prophezeiungen hervorholte, um die Erklärung dieser Persönlichkeit zu finden und sich damit tröstete, daß eben die Götter sein Auftreten gewollt hatten; denn vieles von dem, was er bisher schon vollbracht hatte, war nicht dazu angetan, die ungeteilte Begeisterung des Volkes zu erwecken.

Wehklagende, haßerfüllte Buhlerinnen, vom Gipfel irdischen Wohlbehagens und bestimmender Bedeutung über Nacht herabgestürzt, schürten gegen den unterweltlichen Geist (wie sie ihn nannten) und versuchten, offene Empörung gegen den Beschluß des Rates zu entfachen. Ihre Aufwiegelung fand jedoch nicht großen Widerhall. Denn viele der Kebsweiber hatten denselben Weg durchmessen wie alle Emporgekommenen und hatten es, als sie einst das Ziel des Wunsches erreicht gehabt hatten, an Prunksucht und Hochmut gegen die eigenen Familien nicht fehlen lassen; so daß sie jetzt, als sie, aller äußeren Übermacht entblättert, wieder ins Elternhaus zurückkehrten, eher mißachtet als bemitleidet wurden. Verziehen war ihnen ihre Auflehnung gegen alle Sittsamkeit worden, solange sie dafür Glanz eintauschten; als aber nichts zurückblieb als der Verlust der Ehrbarkeit und Keuschheit, prallten sie gegen eine unerwartete Sittenstrenge der Angehörigen, die mit Mühe und Fleiß kaum den bescheidensten Lebensunterhalt errangen.

Gewiß war viel Haß gegen die Vornehmen übrig. Aber als Anlaß zum Bürgerkriege, zur Meuterei und zum Umsturz reichte die Kränkung nicht aus. Wozu noch kam, daß gegen Pythagoras selbst kaum ein trotziger Gedanke sich aufbäumte. Nicht etwa, weil man sein Auftreten als solches würdigte. Nein! Dem großen Haufen des Demos war er nicht mehr als ein ungemein anregender Gesprächsstoff, ein Naturereignis von spannendster Abwechslungsfähigkeit und Neuheit.

So entschlossen sich eines Tages eine große Zahl der verstoßenen Nebenfrauen, nach Sybaris auszuwandern, um dort vielleicht durch die Macht ihrer willigen und erfahrenen Schönheit Rächer ihres harten Schicksals zu gewinnen.

Zufällig – und dieser Zufall wurde wieder als Vorzeichen gedeutet – entbrannte zur gleichen Zeit in Sybaris ein Aufstand der Aristokraten, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Macht des pseudodemokratischen Tyrannen zu zerschmettern. Telys aber war stärker und behielt die Oberhand. Und verbannte fünfhundert der edelsten Sybariten, nachdem er ihr Vermögen eingezogen hatte. Diese Vertriebenen wandten sich nun in geschlossener Zahl nach Kroton, um hier die Wucht ihrer Verschwörung durch die Hilfe gleichgesinnter Bürger zu verstärken und um vielleicht mit krotonischer Hilfe wieder ihre Vaterstadt zu gewinnen. Damals, so wurde erzählt und geglaubt, habe Pythagoras es als Sinnbild hingestellt, daß Sybaris den Zuwachs schlechter krotoniatischer Weiber, Kroton dagegen die Einwanderung bester sybaritischer Männer erhalte. Und er habe hinzugefügt, daß sich eben jedes Gemeinwesen in seiner Art ergänze.

Der Rat von Kroton aber bekümmerte sich vorläufig noch nicht um das gärende Geschehen, sondern wollte die große Neuordnung der sittlichen Harmonie sogleich weiter ausdehnen und beauftragte daher den Pythagoras, noch vor den unmündigen Kindern und vor den Frauen zu sprechen. Der Samier leistete der Bitte selbstverständlich keinen Widerstand und hielt eine herrliche Rede vor den Kindern im Heiligtume des Apollon, in der er vor allem den Mut der schüchternen Seelen dadurch stärkte, daß er ihnen erzählte, wie sehr die Götter eben den Kindern hold gesinnt seien. Ein Kind dürfe ungestraft zu jeder Zeit jeden Tempel betreten und würde auch stets vorangesandt, wenn es gelte, die Götter um Außergewöhnliches anzuflehen. Solcher Liebe aber müßten sie sich würdig zeigen. Und er unterließ es nicht, alle Tugenden, deren Kinder fähig sind, in leuchtender Größe vor ihren gläubigen Gemütern hervorzuheben und die kleinen Laster, die ihre unschuldige Seele schon versuchen konnten, in herber Ablehnung zu geißeln.

Den Frauen aber, die der Rat im Heiligtume der Hera versammelt hatte, setzte er auseinander, was sie ihren Gatten an Dank für den großen und schmerzlichen Entschluß der Entsagung, den die Männer eben zur Tat hätten werden lassen, schuldig wären. Er begnügte sich jedoch nicht damit, die gewöhnlichen Tugenden und Laster der Frauen zu erörtern. Neue Ausblicke vielmehr entrollte er vor ihnen, die allgemeines Staunen erweckten. So beschwor er sie, nur Opferspenden darzubringen, die sie mit eigenen Händen für die Gottheit bereitet hätten, wie Kuchen, Backwerk und Räuchergewürz. Der blutigen Opfer aber sollten sie sich enthalten, denn es stehe einer Frau schlecht an, mit blutbefleckten Händen vor der Gottheit zu erscheinen. Eine höhere Erkenntnis des Göttlichen lasse den strengen Unterschied zwischen der Bedeutungslosigkeit eines Tierlebens und der hohen Würde des menschlichen Daseins nicht gelten; vielmehr sei vor dem Auge dieser höchsten Wesen Blut dem Blute gleich. Denn im Kreislaufe der Geburten durchwandere die nämliche Seele zur Sühnung die Leiber zahlloser Geschöpfe.

Dann glitt seine Rede auf den Prunk bei der Darbringung der Opfer hinüber und er meinte lächelnd, er habe Frauen aus bloßem Hochmute schon so viel opfern gesehen, daß jeder fürchten mußte, sie würden überhaupt nicht mehr an den Altar treten, da sie sich das eine Mal schon vollständig ausgegeben hätten.

Prunk und Schaustellung von Sachbesitz sei überhaupt verdammenswert. Denn wohin müsse es kommen, wenn stets eine Frau die andre übertreffen wolle? Wieviel edle Familien seien schon durch diesen falschen Ehrgeiz der Frauen zugrunde gegangen!

Nachdem er dann noch manches besprach, empfahl er ihnen schließlich, sich im Widerstreite mit den Männern stets dann als Siegerinnen zu betrachten, wenn sie nachgäben.

Die Reinheit der Frauen, eine Tugend, die sich sosehr von selbst verstehe, daß nur ihr Fehlen einer Erörterung bedürfe, sei nie durch Formen oder Sühnemittel zu ersetzen. Er wisse, daß es allgemeine Übung in Hellas sei, vor dem Eintritte in ein Gotteshaus oder vor dem Opfer die Befleckungen der Umarmung durch reinigende Gebete und Gebräuche zu bannen. Er wage es aber, hier die Richtigkeit dieser Ansicht zu bestreiten. Denn es gäbe in diesem Punkte nur eine Entscheidung, die dem wahren Wesen des Göttlichen entspreche: Aus den Armen des eigenen Mannes könne ein Weib stets ohne jede Sühnung vor die Altäre treten. Rein sei sie, denn sie habe ja nur Gottgewolltes getan. Aus den ehebrecherischen Armen eines fremden Mannes dagegen dürfe sie sich nie wieder vor das Göttliche wagen. Denn keinerlei Reinigung könne sie mehr vom Fluche der Untreue befreien!

Daher sollten sie mit dem Ruhme des Odysseus wetteifern, der hier, in nächster Nähe Krotons, auf seinen Irrfahrten vorbeikam und der die eheliche Treue so hoch hielt, daß er um seiner Gattin Penelope willen die Unsterblichkeit aus der Hand der Nymphe Kalypso verschmähte. –

Wie nach allem, was sich bisher zugetragen hatte, nicht anders zu erwarten war, nahmen die Frauen die Rede des Mannes, der sie von Kummer und Schmach befreit hatte, nicht bloß mit freudigster Bejahung auf, sondern versuchten, durch die Tat seinen Worten Gefolgschaft zu beweisen.

Schon am nächsten Tage bewegte sich ein langer Zug von vornehmen Frauen zum Tempel der Hera und legte dort als Opferspende viele Tausende von Prunkkleidern nieder. Und munteres Räucherwerk und zarte, kunstvolle Honigkuchen knisterten auf den Altären und erfüllten Kroton mit süßem Dufte.

Pythagoras aber ward von diesem Tage an »der Göttliche« genannt, obgleich er die Häupter der Stadt beschworen hatte, von einem solchen Beinamen abzusehen, da er geradezu das Urwesen des Göttlichen beleidige.

Von anderen Städten kamen bereits Neugierige und Gottbegeisterte nach Kroton, ja der Zufall fügte es sogar, daß samische Kaufleute, die in Leontinoi weilten, ihren Heimweg über Kroton nahmen, um den berühmten Mitbürger zu bestaunen. Pythagoras empfing sie lächelnd. Als er ihnen jedoch in kurzen Worten erzählt hatte, welche Förderung ihm die Vaterstadt habe angedeihen lassen, gerieten sie in große Bestürzung und Beschämung und behaupteten, daß ihm solches nie mehr widerfahren würde, wenn er es noch einmal unter den jetzigen Umständen mit seinen Landsleuten versuchte.

Pythagoras aber lachte gutmütig über ihre Reden und erwiderte, er wolle lieber dort geehrt sein, wo man seinen begeisterten Glauben von Anfang an mit gleicher Begeisterung erkannt und vergolten habe. Denn auch einem milesischen Tuchweber würde man nicht zumuten, wieder in Milet zu arbeiten, wenn man seine Ware in der Heimatstadt erst dann anerkennte, wenn sie von allen sybaritischen Schlemmern als vorzüglich befunden worden wäre.

Da lachten auch die Kaufleute, stimmten dem Weisen zu, baten aber, sie selbst vom gerechten Tadel gegen Samos auszunehmen. Sie würden auch alles tun, um die Berühmtheit des hervorragenden Mitbürgers in der Heimatstadt entsprechend bekanntzumachen. Vielleicht würde darauf Samos eine Kolonie nach Kroton oder ins krotonische Gebiet entsenden, wenn es die Krotoniaten erlaubten. Um so wieder mit dem verkannten Weisen in einer Stadt leben zu dürfen, fügte der eine der Kaufleute artig scherzend hinzu.

Pythagoras aber beschenkte die Kaufleute, die auch ihm seltene Kostbarkeiten aus Kyme gespendet hatten, und trug ihnen Grüße und Botschaften an seine Verwandten auf. Insbesondere bat er sie, am Grabe seines Vaters zu beten, der die Augen geschlossen hatte, bevor er selbst aus Samos fortgereist war.

*

Die krotoniatische Ärzteschule, der Demokedes vorstand, überragte selbst die altberühmten Schulen von Kos, Knidos und Kyrene bei weitem. So war es nicht verwunderlich, daß in den letzten Jahren aus allen Teilen des hellenischen Gebietes Männer ihr zugeströmt waren, die entweder die Heilkunst von den Anfangsgründen an erlernen oder das anderswo erworbene Wissen ergänzen und bereichern wollten. Demokedes selbst, in dessen Gemüt die magische Lehre Zoroasters einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hatte, der zudem den Grundsockel seines geistigen Gebäudes auf dem Gegensatze der guten und bösen Kräfte in Natur und Menschenkörper errichtete, faßte den Beruf des Arztes, obwohl gerade er durch den bisherigen Gelderfolg seiner Kunst hätte geblendet sein können, von viel höherem Gesichtspunkte auf und sorgte dafür, daß sich die krotonischen Ärzte nicht bloß durch reiche Kenntnisse, sondern auch durch Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue hervortaten. So ließ er seine Schüler, wenn sie reif waren für die Erfüllung ihres Wirkungskreises, vor der ersten Ausübung der Tätigkeit den berühmten Eid schwören, worin der Schüler versprach, seinen Meister den Eltern gleich zu ehren, ihm in aller Not beizustehen und dessen Nachkommen unentgeltlichen Unterricht zu erteilen. Den Kranken, so schwor der Schüler weiter, werde er stets nach bestem Wissen und Vermögen helfen, jeder Übeln oder verbrecherischen Anwendung der Kunstmittel sich aber aufs strengste enthalten. Gift werde er auch denen nicht darreichen, die ihn darum bäten, desgleichen werde er das keimende Leben niemals zerstören und die Verschneidung selbst dort nicht vornehmen, wo Heilzwecke sie erforderten. Schließlich werde er sich jedes, zumal des aphrodisischen Mißbrauches seiner Stellung, Freien und Sklaven gegenüber, enthalten und über alle Heimlichkeiten, von denen er in der Ausübung seines Berufes oder außerhalb desselben Kunde erhalte, unverbrüchliches Stillschweigen bewahren: Im ganzen aber stets eingedenk des Wahlspruches der krotonischen Ärzte bleiben: »Wo es an Menschenliebe nicht fehlt, da wird auch kein Mangel an Berufsliebe sein!«

Als nun Pythagoras auf Andringen des Rates und der höheren Bürgerschaft beschlossen hatte, nicht nur in gelegentlichen Reden, sondern in fortlaufender, zusammenhängender Weise sein Wissen den Krotoniaten zur Verfügung zu stellen, da war es sein erster großer Erfolg, daß die gesamte Ärzteschule ohne jeden Vorbehalt seinen Unterricht aufsuchte. Und es war nur selbstverständlich, daß diese weithinleuchtende Stellungnahme der berühmten Heilkundigen tiefen Eindruck auf ganz Groß-Hellas und noch weit darüber hinaus übte; so daß außer den krotonischen Bürgern, die in mächtiger Zahl erschienen, von allen Seiten Wißbegierige zuzuströmen begannen. Ja sogar drei Fürsten autochthoner italiotischer Völkerschaften, die Beherrscher der Lukaner, Peuketier und Messapier, nahmen für längere Zeit in Kroton Aufenthalt, um die Hauptlehren des Weisen sich anzueignen.

Die Zahl dieser Akusmatiker, der Zuhörer bei den abendlichen Vorträgen, erreichte bald über sechshundert und machte besondere Vorkehrungen erforderlich, die der Rat der Stadt in großzügiger und freigebiger Weise unterstützte, indem er dem Philosophen gestattete, seine Lehrtätigkeit, die er im Hause Milons begonnen hatte, auf den Ratsplatz zu verlegen. Noch eine zweite wichtige Verfügung aber wurde getroffen. Man durchbrach die altüberkommene hellenische Sitte, daß Frauen und Jungfrauen an Männerversammlungen nicht teilnehmen durften, und gestattete ihnen den Zutritt. Eine Maßregel, die ein neues Band der Harmonie und Freundschaft in die Familien der Krotoniaten flocht.

Der Weise aber blieb sich diesen Akusmatikern gegenüber wohl bewußt, daß er Hörer vor sich hatte, die nach angestrengter Tagesarbeit am Abende ihr Wissen in leichter und zugänglicher Form ergänzen wollten. Er beschränkte sich also darauf, ihnen die Ergebnisse mitzuteilen und verlegte überhaupt das Schwergewicht seiner Vorträge in das Gebiet des Glaubens und des sittlichen Handelns. Insbesondere die Lehre vom Kreislaufe der Wiedergeburten machte er zum Gegenstande eingehender Erörterungen.

Wenn nun auch diese Tätigkeit seinen Ruhm ins Ungemessene vermehrte und ihm einen ungeheuren Einfluß auf die Gemüter sicherte, so gewährte sie ihm doch nicht vollste Befriedigung. Denn wer, so fragte er sich, würde nach seinem Tode die eigentlichen Quellen und Wurzeln seiner Erkenntnisse weiterbilden? Wer auch nur die Überlieferung dieser dunklen Gebiete der Größen- und der Zahlenlehre sichern und bewahren?

Seinen Sorgen jedoch kam bald die Wißbegierde und die Begeisterung der Jünglinge auf halbem Wege entgegen. Man bat ihn, – und auch die Eltern schlossen sich der Bitte an – einen Kreis von engeren Schülern heranzuziehen, die das Wissen, das er besaß, in seiner Gesamtheit und Begründung überblicken und so den Krotoniaten auch auf geistigem Gebiete die führende Rolle in Hellas sichern könnten. Räumlichkeiten für die neue Schule wurden kostenlos zur Verfügung gestellt; so daß auch diese letzte Sehnsucht des Philosophen erfüllt schien.

Pythagoras zögerte trotzdem noch einige Zeit. Denn er schwankte, ob er, gleichwie bei den Akusmatikern, die Mathesis, den höheren Unterricht, frei zugänglich machen solle. Oder ob es nicht der Sache dienlicher sei, in seinen Schülern, dem ägyptischen Vorbilde folgend, eine Art Priesterklasse heranzuziehen, die zu strenger Geheimhaltung des Erlernten verpflichtet werden müßte.

Nach langer Überlegung siegte in ihm die Überzeugung, daß er den zweiten Pfad beschreiten solle, da höchstes Wissen nur mit höchster Tugend vereinbar, ja geradezu von ihr abhängig sei.

*

So war er eben damit beschäftigt, die Satzungen dieser Schule der Mathematiker, der seiner höheren Lehre Beflissenen, auszuarbeiten und an die Aufnahmen heranzutreten, als ein folgenschweres Ereignis die Künste des Friedens zu Kroton übertönte und über Nacht zu unheimlich drohender Größe heranwuchs.

Der Rat von Kroton hatte nämlich auf Bitten der verbannten Sybariten beschlossen, eine Gesandtschaft von dreißig Bürgern nach Sybaris zu entsenden, die Telys bestimmen sollten, den Beschluß der Verbannung rückgängig zu machen und den Ausgestoßenen Heimkehr zu ermöglichen.

Es waren einige Tage vergangen, an denen man mit Spannung den Erfolg des Schrittes erwartete. Plötzlich aber war bleich und verstört ein sybaritischer Aristokrat in Kroton erschienen und hatte dem sofort einberufenen Rate die furchtbare Kunde überbracht, daß die Volksmenge in Sybaris unter stillschweigender Duldung des Telys die Gesandten ermordet und ihre Leichname über die Stadtmauer den wilden Tieren zum Fraße vorgeworfen habe.

Ein furchtbarer Schrei der Empörung über diese nie dagewesene Verhöhnung des Völkerrechtes gellte in Kroton zum Himmel. Trotzdem aber legte sich bleischwer die gräßliche Sorge auf die Gemüter, was zu tun sei. Denn mit Sybaris, der größten und mächtigsten Stadt von Hellas, den Kampf aufzunehmen, schien um so gewagter, als vor nicht allzu langer Zeit eben Kroton bei einem kriegerischen Zusammenstoße mit dem Nachbarn eine schwere Niederlage erlitten hatte. Damals auch hatten die Sybariten erklärt, sie sähen nur mit Rücksicht auf den Beginn der lakinischen Festspiele von einer Zerstörung Krotons ab, würden jedoch bei einem künftigen Kriege keinerlei Gnade mehr walten lassen und die Stelle, auf der Kroton stehe, in einen Weideplatz für Rinder und Esel verwandeln. Daß aber eine solche Drohung äußerst ernst zu nehmen war, darüber war sich niemand im geringsten unklar, am wenigsten Milon, der oberste Heerführer der krotoniatischen Streitkräfte.

Man mußte also vorläufig die namenlose Schmach ungesühnt lassen und die Verhandlungen möglichst lange hinziehen, um in der Zwischenzeit vielleicht die Bundesgenossenschaft anderer hellenischer Städte zu gewinnen, die die Empörung über den gräßlichen Frevel teilten. Man hoffte, daß Sparta, das aristokratischeste Staatswesen der Hellenen, sich des gemeinsamen Gedankens der Regierungsform annehmen und ein Hilfsheer senden würde. Dann, so glaubte man, würden sich auch noch andere Bundesgenossen in solchen Gemeinwesen finden, die dem großen Beispiele Lakedaimons stets nacheiferten.

Man schickte daher einen der reichsten Männer Krotons, den klugen und tapferen Alkaios, einen begeisterten Akusmatiker des Pythagoras, nach Sparta und gab ihm eine namhafte Anzahl von großen Schiffen mit, damit er ohne Verzögerung Hilfsmannschaften nach Kroton überführen könne.

Pythagoras aber, der ja schon das grausige Ende der ägyptischen Herrschaft miterlebt hatte, wurde in diesen aufgeregten Tagen stets wieder von Erinnerungen an diese längst versunkene Zeit heimgesucht. Und tiefste Angst um seine neue Heimat durchbebte ihn. Doch ein helles, freudiges Gefühl, das stets wie ein Sonnenspeer durch die geballten Wolken der düsteren Sorge stieß, festigte ihn zum Schlusse in der Ahnung, daß sich alles zum Guten wenden würde. Und er deutete das Gefühl als Vorzeichen einer friedlichen Entwirrung der Feindschaften.


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