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XIII

Tausende von harten Hammerschlägen schollen hinaus in die weite Ebene, an deren jenseitigem Rande sich in bläulichem Dunste die lange Gebirgskette streckte. Am Horizonte standen diese Schroffen, fern im Westen, woher sie gekommen waren aus den babylonischen Niederungen. Dort schimmerte Susa hinter den Bergen, dort erhoben sich, himmelragend und erfüllt von Harzluft, die wasserreichen Hochwälder und die saftigen Weiden; dort war die Luft kühl und frisch, und alle Umrisse zeichnete eine helle Sonne in scharfgeschnittenen Linien.

Auf den unermeßlichen steinbelegten Plattformen von Persepolis aber rasten die unzähligen Hämmer gegen den schwärzlichgrauen glitzernden Marmor. Hoch wuchteten diese Terrassen mit ihrer spiegelnd glatten Oberfläche. Wohl hundert Ellen mochte die Kante der senkrechten Böschungsmauern über dem Bergfuße liegen, der sich in sanftem Falle gegen die Ebene hinabsenkte. Flachgeneigte Riesentreppen, breit genug, um für zehn Reiter Raum zu geben, leiteten in doppeltem Anstiege zur Brüstung. Und über die Fläche der Terrasse hinweg erhob sich weiter im Süden, wieder von Treppen gleicher Art erklommen, eine zweite, weit höhere Akropole, auf der, fast vollendet, der kleinere Palast des Dareios ragte. Im Osten aber stieg lotgerade und schwindelhoch das diesseitige Randgebirge der Ebene empor, wuchs förmlich aus der Glätte der Terrassen. Und nur zierliche, balustradengesäumte Zickzackwege und schlanke Torbogen schienen vergeblich den Versuch zu unternehmen, die furchtbaren Steilwände und Schroffen zu überwinden. So verliefen sie auch schon nach kurzer Zeit in den Felsen, mündeten in Erker und Nischen, und kleine Säulenhallen grüßten aus den Höhen.

Die großen Terrassen aber wimmelten von Tausenden schwer schaffender Werkleute. Aus der Ebene, dort, wo ein blitzender Fluß die grünen Fluren in riesigem Bogen durchschnitt, dort, wo die Stadt Persepolis in gehäuftem Glanze lag, kamen die langen Züge hochbeladener Kamele und Karren. Und Hölzer und Steinblöcke, Ziegel und Kacheln, Metallbarren und dünne gehämmerte Erzplatten wurden auf kreischenden Rollen die Treppen heraufgeschleppt oder schwebten an ächzenden Stricken an den Brüstungsmauern. Oben aber, auf den Plattformen, beugten sich unabsehbare Doppelreihen von Männern entlang den Seilen und hoben unter dem herrschsüchtigen Gebrüll der Aufseher, eine Handbreite nach der andern, die furchtbaren Lasten.

Dazwischen rasten die Hämmer, und die Splitter des Marmors stoben empor. Dort, wo schon schlanke, zehnmal mannshohe Säulen in ungeheurer Zahl nebeneinanderstanden, um ein Wunder zu bilden: den großen Palast des Dareios, die Halle der hundert Säulen.

Schlank waren die Schäfte, fast gebrechlich und ihre Mantelfläche war tief gekehlt. Die Kapitäle aber wuchsen aus den Schäften in sonderbarer, übermäßig langer Form hervor: Zuerst das Blütenkapitäl, dessen Blätter sich abwärts richteten. Darauf die zierliche Doppel-Volute; doch nicht nach unten eingedreht wie bei der jonischen Säule. Nein! Hier lagen in chiastischer Art die zwei Doppelschnecken mit der Bandseite Rücken an Rücken, so daß von den vier Voluten zwei unten und zwei oben sich auswärts ringelten. Aber noch nicht bedeutete das die Krönung des Kapitäls. Denn oberhalb der Schnecken luden zu beiden Seiten erst die Tiergestalten aus, zwei mächtige Einhörner, zusammenwachsend in der Leibesmitte, Hals und Kopf weit über den Durchmesser des Pfeilers hinausreckend. Auf ihren Köpfen ruhten dann endlich die langen Zedernbalken, die sich wie ein Netz schon von Säule zu Säule spannten und die zukünftige Riesengröße der Decke andeuteten.

Pythagoras aber, dessen Kenntnisse die persischen Baumeister in kurzer Zeit zu schätzen gelernt hatten, der zudem manches Wissen um das Heben von Lasten und die Behandlung schwersten Gesteines von Kemi her besaß, das hier wie ein Wunder angestaunt wurde, lehnte an einer der Säulen und beaufsichtigte eine vielköpfige Gruppe von Werkleuten. Fast ebenso bunt, ebenso vielgestaltig wie in Babylon vermengten sich hier die Stämme der Völker. Waren doch zu diesem Baue fast aus allen Ländern des ungeheuren Perserreiches die Gefangenen und Unterworfenen zusammengetrieben worden.

Und eben begann er wieder über den Kreislauf der Völker, über Herrschaft und Niedergang zu sinnen, als ihn eine ungewöhnliche Bewegung im ganzen Bereiche des Arbeitsfeldes aus seinen Träumen riß. Zuerst glaubte er, es sei, wie schon so oft, durch den Bruch eines Seiles, durch Einsturz einer Brüstung oder durch Zerknicken einer Rolle ein Unfall eingetreten und er machte sich bereit, helfend beizuspringen. Doch nach kurzer Zeit schon hatte er so viel Überblick gewonnen, daß er sah, wie die Arbeiten im Wesen ihren regelmäßigen Verlauf nahmen. Herrschte doch eben dort am meisten Unruhe, wo ein nur halbwegs gefährlicher Unglücksfall sich gar nicht ereignen konnte.

Da blitzte zitternd etwas im Strahle der Sonne auf, etwas, das über die Treppen von der Akropole herabkam, und Hornstöße nahmen ihm den letzten Zweifel: Dareios, der König der Könige, wie er sich selbst nannte, der arische Herr aus arischem Stamme, der Meister der magischen Weisheit, nahte mit seinem Gefolge, um den Fortgang der Arbeiten zu prüfen.

Schon wurden die hohen Gestalten der Leibwache sichtbar, wie sie langsam und feierlich voranschritten. Die »Unsterblichen« waren es, die Kerntruppe des Großkönigs. Und sie hielten die langen Lanzen in den Händen, deren breite Spitzen gleißten, trugen den zweigehörnten, straffen Bogen auf der linken Schulter, daß die Sehne hinter ihrem Rücken senkrecht stand und sich an den breiten Köcher lehnte, von dessen oberem Rande die Schnüre und Kugeln der furchtbaren Geißel herabbaumelten. Niedere Tiaren deckten, rotumrändert, die bärtigen Köpfe der Krieger und ihre langen, prächtigen, rosenfarbigen Gewänder waren über und über mit Stickerei und Borten verziert.

Der König selbst aber saß, umgeben von der blendenden Pracht des Gefolges, in einer Sänfte und das Blau und Weiß seiner goldumkrönten, edelsteinglimmernden Tiara leuchtete satt über den Häuptern der »Unsterblichen«.

Ab und zu machte der Zug halt. Dann neigte sich wohl der Großkönig aus seiner Sänfte und nahm den Vortrag der obersten Baumeister, die sich ehrfürchtig dem Gefolge angeschlossen hatten, entgegen. Die Werkleute aber warfen sich, soweit die Sänfte vorschritt, mit dem Antlitze zu Boden und wagten nicht, einen Blick zur Majestät ihres Bezwingers zu erheben.

So war der König der Könige langsam bis zu den werdenden Säulenwäldern seines großen Palastes vorgerückt. Plötzlich aber starrte allen das Blut, die um ihn waren. Denn mitten unter den Sklaven, mitten unter den Gefangenen, deren zahllose Leiber, flach zu Boden geduckt, wie ein erstarrtes Meeresbranden dalagen, stand hoch und aufrecht die mächtige Gestalt eines Mannes, der kaum das Haupt neigte und nur die Handteller grüßend dem Meister der magischen Weisheit entgegenstreckte. Und hundert Lanzenspitzen bebten, den Frevler auf der Stelle zu durchstoßen. Doch keiner wagte die kleinste Bewegung.

Forschend blickte Dareios hinüber zur ungewohnten Erscheinung. Wie leichter Zorn zuckte es in seinem Antlitze auf. Als er jedoch die Gestalt, die zwingenden, herrlichen Augen, die sich furchtlos seiner Schau boten, voll umfaßt hatte, kam plötzlich ein Lächeln in seine Mienen, ein tiefes, heiteres Lächeln, das auch in seinem Angesichte all die machtvolle Schönheit bloßlegte, die darin verborgen ruhte. Und er winkte dem Pythagoras, näherzutreten.

Die furchtbare Spannung wich von den Seelen der Gefolgsleute. Vom Gemüte des Demokedes, des Leibarztes, vor allem, der sogleich in Pythagoras den hellenischen Stammesgenossen erkannt hatte.

»Frage ihn, Demokedes, warum er mir den schuldigen Gruß verweigert!« sagte Dareios, noch immer lächelnd. »Er scheint ein Hellene zu sein!«

Doch bevor noch der Leibarzt den Mund aufgetan hatte, erwiderte schon Pythagoras in persischer Zunge:

»Großer König, du errietest richtig, daß ich ein Hellene bin. Die Sitte meines Landes eben verbietet mir den Fußfall! Nicht Mangel an Ehrfurcht war es, was mich so handeln ließ. Leistete ich dir doch den Gruß, wie ich ihn dem Sohne der Sonne, dem Herrn Ägyptens darzubringen gewohnt war. Und der bist du, bist es für mich, da ich Priester Kemis bin, solange ich nicht wieder hellenischen Boden betrat!«

Dareios horchte erstaunt und belustigt auf:

»Priester Ägyptens bist du? Du willst mich wohl durch Spaße unterhalten? Im übrigen scheint es dir unbekannt zu sein, daß ich alle Priester Ägyptens in ihre Heimat entließ.«

»Es ist mir nicht unbekannt, Sohn der Sonne!« entgegnete Pythagoras. »Mein Geschick wollte es nicht, daß ich nach Kemi zurückkehrte. Deine Beamten haben nämlich beschlossen, mich zurückzuhalten, da ich von Geburt Hellene bin. Ich wähnte, es sei in deinem Auftrage erfolgt!«

Dareios sah seine obersten Würdenträger fragend an.

»Er spricht die Wahrheit, Herr!« sagte einer. »Wir hielten ihn zurück, da wir sein großes Wissen um die Baukunst in den Dienst deiner Pläne stellen wollten; da wir weiters auch nicht einsehen konnten, was ein Landfremder unter den Priestern Ägyptens zu suchen habe.« Und flüsternd fügte er bei: »Herr, es ist besser, wenn die Hellenen nicht in allzunaher Verbindung mit den Ägyptern sind!«

Dareios nickte. Dann aber sprach er weiter:

»Es sei denn! Ich nehme deine Entschuldigung entgegen, – da du mich als den Herrn Ägyptens betrachtest. Du magst versichert sein, daß ich mich nicht schäme, die doppelte Krone zu tragen. Doch sollst du mir noch sagen, warum du dein Land verließest und wie es kam, daß dich die stolzen, unnahbaren Ägypter zu ihren noch geheimnisvolleren Göttern Zutritt finden ließen!«

Da richtete sich Pythagoras auf:

»Alle Prüfungen des Herzens und Verstandes, die die ältesten Weisen Kemis von mir verlangten, habe ich bestanden, o Sohn der Sonne! Die Kraft aber, dies zu vollbringen, hat mir das Schicksal gegeben. Denn ich war ausgezogen, um für mein Land die Urgötter zu suchen, die Götter, die es im Wahne scheinbar vergessen hatte und deren Wesen dort zu finden war, wo vieltausendjährige Weisheit aufbewahrt und aufs neue stets durchforscht wird!«

Da lachte Dareios hell heraus:

»Und dieses Volk, diese Hellenen, die nach deinen eigenen Worten die wahren Götter nicht kennen, die also nur Daevas, nur unreine Geister anbeten; dieses Volk scheut sich, dieses Volk ist zu stolz, vor dem Herrn der Welt das Haupt zur Erde zu neigen? Wie lassen sich solche Widersprüche vereinen? Oder ist Unwissenheit und Hochmut so nahe verwandt? Antworte mir nicht, Hellene! Sprich nichts mehr, denn ich fürchte, daß Zorn mich überkommt und ich der Milde vergesse, die ich dir zusicherte! Da du aber auszogst, um das Wesen der Urgötter zu suchen, da du Mühe und Gefahr nicht scheutest, soll dir eine Gunst gewährt sein. Demokedes wird dich an die Stätten führen, wo du endgültiger, magischer, zoroastrischer Weisheit teilhaftig werden kannst. Damit du sie vielleicht einst zu deinen Stammesgenossen bringst – falls du je nach Hellas zurückkehrst. Dies aber ist unbestimmt! Denn du mußt bei uns bleiben, bis meine Paläste vollendet sind!«

Dareios wandte sich ab und winkte den Sänftenträgern, ihn weiterzutragen. Demokedes aber trat zu Pythagoras und fragte:

»Wer bist du, der du solches wagtest?«

»Ich wagte nichts!« erwiderte Pythagoras. »Mir ist es noch nicht bestimmt, zu verderben. Mein Name aber ist Pythagoras aus Samos!«

Da zuckte Demokedes empor:

»Du, der Schüler des Thales? Du, Pythagoras? Von dem die Sage geht, er weile längst nicht mehr im Lichte des Lebendigen? Schweig und warte! Ich werde dich zu den Magiern führen, wie es Dareios befahl. Vielleicht wird sich bald dein Schicksal ändern! Leb wohl!« und er mengte sich wieder unauffällig unter das Gefolge des großen Königs, der inzwischen schon anderen Ereignissen, anderen Teilen der Bauwerke sein wißbegieriges Auge lieh.


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