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XI

Obwohl zu beiden Seiten der Heerstraße senkrecht und schwindelhoch kahle Felshänge ragten, obwohl nur ein schmaler Streifen des Himmels zu Häupten sichtbar war und die Sohle der Schlucht in blauschwarzem Schatten lag, brodelte der Grund von unaussprechlicher Hitze.

Wankend, dicht aneinandergepreßt, zerfaserte Seile um Fußknöchel und Lenden, die sich in wirrer Verkreuzung von einem zum anderen spannten, schob sich, so weit das Auge in den gewundenen Felsdurchbrüchen reichte, ein staubbedeckter Zug von Gefangenen.

Rohe, heisere Wutausbrüche zügelloser, an dieser Stelle allmächtiger Perser, die in ihren langen Schuppenpanzern hin- und widerrannten und sausende Geißeln unbarmherzig in die Masse der Erschöpften hineinhieben, durchschnitten die stickige Luft und brachen sich im Echo der Felswände; bis sie von den Wehschreien der Geprügelten, vom Keuchen der Niederbrechenden und vom Trotzgemurmel Verzweifelter übertönt wurden.

Dicker Schweiß lief über die Antlitze der persischen Wächter. Er lief unter den spitzen Helmen hervor, sickerte in die zernarbten, sonnverbrannten Wangen und träufelte schließlich in die pechschwarzen Barte. Alles dampfte, Staub lag über dem Zuge und die schreckliche Luft mit ihrem Pesthauche wurde trüb und flimmernd.

Doch was nützte alles Aufbäumen gegen das Fürchterliche? Perser und gefangene Ägypter wußten, daß der gleiche Feind sie bedrohe: Die Araber und die Kamele mit den Wasserladungen hatten sich verspätet, waren scheinbar irgendwo im Gebirge aufgehalten worden. Und zehn Stunden bedeuteten in diesem Gebirge, in dieser brennenden Sonnenhitze, eine Unendlichkeit, ja vielleicht Leben oder Tod der Tausende, die sich durch die Pässe wälzten.

Mitten unter ihnen, alle überragend und deshalb öfter vom schneidenden Schlage der Peitschen getroffen als die anderen, schritt hoheitsvoll und entrückt, fast teilnahmslos, Pythagoras und stützte mit seinen mächtigen Armen, deren unglaubliche Sehnen aus den zerfetzten Priestergewändern herausschwollen, zwei todmüde Greise, zwei Propheten des Amun, indem er sie umfaßt hielt und beinahe vorwärtstrug.

Es währte auch nicht lange, bis die Wächter, der Wut und Verzweiflung satt und nach Ablenkung lüstern, auf den Gefangenen aufmerksam wurden und Bemerkungen über ihn austauschten.

»Das ist kein Mann aus Ägypten!« raunte der eine. Ein andrer aber sagte: »Jeder Perser wäre froh, solche Arme zu besitzen. Siehst du? Er hat noch nicht genug. Er schleppt zwei dieser elenden Ägypter.« Ein dritter endlich drängte sich durch, stieß Pythagoras von hinten bärenhaft unsanft an und fragte in gebrochenem Hellenisch: »He da, du bist wohl so ein Bursche aus Jonien? Wie kommst du zu diesen falschgläubigen Priestern? Wärst du lieber daheim geblieben!«

Pythagoras aber lächelte ob der Ungeschlachtheit des Urteiles, lächelte trotz der schrecklichen Pein. Was wußte dieser durch alle Welt gejagte Krieger des Kambyses von Zielen, von Schicksalen? So antwortete er ohne jedes Zögern in freundlichem Tone:

»Du hast recht, Perser! Nämlich damit, daß ich aus Jonien stamme. Doch denke ich, daß ich auch in meiner Heimat nicht vor euren Heeren sicher gewesen wäre. Darum muß ich mich wohl in mein Geschick fügen!«

Der Soldat verstand den Doppelsinn der Rede nicht. Im Gegenteile: Er hörte nur das heraus, was ihm schmeichelte, und wandte sich an seine Kameraden:

»Seht ihr, daß ich es erriet?! Er ist ein Jonier. Dazu noch einer, der genau weiß, daß wir die Beherrscher des Erdkreises sind. Ja, dieses hellenische Räubergesindel ist ein Volk von Riesen. Trotzdem werden wir sie bald alle haben!«

Zu weiteren Gesprächen kam es nicht. Denn plötzlich, nach einer scharfen Biegung der Schlucht, lag ein weiter, vertiefter Talkessel vor ihnen, in den die Heerstraße hinableitete. Auf der gegenüberliegenden Seite aber stieg sie wieder scharf an und verschwand neuerlich zwischen kahlen gelben Schroffen. Diese jenseitige Talsohle aber lag weitaus höher und auch die Breite der Schlucht war eine ungleich größere.

Die Spitze des Gefangenenzuges hatte die Mitte des öden sandigen Kessels bereits überschritten. Bevor sie hinaustraten, stockten die Gefangenen einen Augenblick, denn ihre Augen, müde der ewigen Eintönigkeit begleitender Felswände, wollten wenigstens für kurze Zeit die Schau freieren Himmels genießen. Und sie wanderten mit ihren Blicken den Felsumwallungen entlang und musterten die vielfach gebogene bunte Schlange des gefesselten Zuges. Die Wächter aber ließen sie gewähren, da sie selbst froh waren, für einige Herzschläge des unablässigen Vortreibens enthoben zu sein.

Jählings aber ward die schmale Rast unterbrochen. Denn an der Spitze der Menschenschlange entstand eine wilde Bewegung und ein vielstimmiges Geschrei tönte dünn und wirr herauf. Hände reckten sich zur Höhe, Kleiderfetzen flatterten und plötzlich war die Ordnung gelöst. Laufend, wie fliehend, auseinanderstrebend, dann wieder durch die Wucht der Seile gegeneinandergerissen, strebten die Massen in wildem Laufe bergan und schleppten die hinten Stehenden mit sich. Zwischen den ersten Tausend, die eine zusammenhängende Abteilung bildeten, und der nächsten Schar klaffte bereits eine breite Lücke, die noch mächtiger wurde, als die Gefesselten rechts und links der Straße ausschwärmten und sich zu einer tiefen Querlinie entwickelten. Man sah, daß die Wächter diesem Treiben unverständlicherweise nicht Einhalt geboten, sondern den Haufen sich selbst überließen und in Rudeln voranliefen.

Plötzlich aber pflanzte sich die Lösung des Rätsels jubelnd von Mund zu Mund nach hinten fort. Und im gleichen Augenblicke ergleißten zahllose Lanzenspitzen und Panzer am gegenüberliegenden Schluchteingange.

»Das Wasser, das Wasser!« jauchzte es. »Droben in den Felsen warten die Kamele!« »Vorwärts zu den Schläuchen!«

Was aber die Wächter der ersten Abteilung unterlassen durften, wäre den anderen verderblich geworden. Denn die gestaute Masse hätte allzuleicht den Eingang der jenseitigen Straße versperren und Hunderte zerquetschen und zermalmen können. Daher rannten die Soldaten von allen Seiten herbei, und wieder lag Staub, Peitschenknall und heiseres Brüllen in der Luft. Doch achtete keiner mehr der Schmerzen. Denn ein einziger Gedanke, ein einziger gräßlicher Durst hatte sie alle gepackt, so daß es nur dem Einschreiten der Bedeckungsmannschaften des Wassertransportes gelang, den wilden Zug halbwegs geordnet in die breite Hochschlucht zu führen, wo am Straßenrande, in unabsehbaren Reihen, die schlauchbeladenen Kamele standen und andere Lasttiere und Karren mit zuhauf geschichteten Tongefäßen und groben Eßwaren bepackt waren.

Die Nähe der Erfüllung und der Anblick der ausreichenden Menge hatte die Ordnung wiedergebracht.

So lagerten jetzt schon seit geraumer Zeit die erschöpften Gefangenen und hatten kaum einen neidischen Blick für die Soldaten übrig, die leckere Bissen, Obst und dunklen Wein miteinander teilten.

Pythagoras lehnte im Schatten einer ausgehauenen Felswand und labte mit seinem Tonbecher die beiden Greise. Als sie sich aber sattgetrunken hatten und ermüdet in jähen Schlaf sanken, blickte er sich um. Langsam aß er ein dunkles hartes Brot und rieb sich ab und zu die Stellen, an denen ihm Fesseln und Peitschenhiebe die Haut fortgescheuert hatten. Plötzlich haftete sein Blick an einer zierlich ausgemeißelten Inschrift, die, bunt gemalt, in den geglätteten Felsen eingehauen war und den großen Ramses im Gespräche mit dem erhabenen Gotte Rā darstellte. Und, halb unbewußt, las er die schimmernden Reihen der Hieroglyphen.

Zuerst wandte er sich zur Rede des Gottes, dessen Haupt die farbensatten Federn schmückten. Und er las:

»Ich bin dein Vater, deine Glieder sind in göttlichem Glanze von mir erzeugt worden. Ich habe deine Gestalt gebildet, gleichend der des mendesischen Gottes. Ich habe dich erzeugt mit deiner ehrwürdigen Mutter. Die Mächtigen und Herrlichen versammeln sich festlich um deine königliche Person, die hohen Göttinnen von Memphis und die Hathoren von Pithom. Ihre Herzen sind freudig, in ihren Händen halten sie Tamburine, und Hymnen der Anbetung erschallen, sobald sie deine glorreiche Gestalt erblicken. Du bist ein Herr wie die Majestät des Sonnengottes Rā. Die Götter und Göttinnen preiisen deine Wohltaten und beten an und opfern vor deinem Bilde. Ich gebe dir das Firmament und alles, was darinnen ist, ich verleihe dir die Erde und alles, was darauf ist. Ich verlange von jeder Kreatur, die auf zwei oder vier Beinen geht, die fliegt oder flattert, von der ganzen Welt, daß sie dir ihre Erzeugnisse darbringe. Du, o erlauchter Herr, dem die vierzehn Seelen des großen Rā eignen!«

Der große Ramses aber antwortete:

»Es ist mein Vater Rā, der alle diese Dinge angeordnet hat. Er hat alles, was zu mir gehört, für mich bestimmt, das Licht des Auges, das auf seinem Diadem glänzt. Alle Länder, alle Völker, der ganze Umfang des Sonnenkreises, alle kommen sie zu mir als meine Untertanen. Der Gott hat meine Grenzen bis zu den äußersten Enden des Himmels ausgedehnt, den ganzen Kreis des Himmels hat er dem gegeben, der mit ihm ist. Die ganze Welt in ihrer Länge und Breite, der Osten und Westen soll meine Wohnung sein!«

Ja, so hatte der sprechen können, der mit seinen fünfzigmal zehntausend muskelstarrenden, erlesenen Kriegern, funkelnd im Schmucke seiner haarscharfen Waffen, durch diese Schluchten nach Osten gezogen war. Und erst wieder heimkehrte, als der Weltkreis zu seinen Füßen lag.

Woher hatte Sonchis mit unbestechlicher Klarheit gewußt, daß die Zeiten der Größe für Kemi vorbei waren? Woher hatte er diese Überzeugung, da doch damals vor dem Kampfe aus allen Teilen des Reiches die Krieger zusammengeströmt waren, kaum viel weniger zahlreich als zur Zeit des Ramses? Und noch verstärkt waren durch die jugendliche Stoßkraft der Hellenen? Was waren diese Perser? Sonderliche Stärke, sonderlichen Mut konnte er an ihnen nicht wahrnehmen. Eher sklavenhaften Gehorsam. War es also Wille und Glaube, Ahnung und Wunsch, was die Schlachten entschied? Oder nur Zufall, Schicksal, geheimnisvoller Beschluß des kosmischen Werdens? Allein, auf sich selbst gestellt, würden die Hellenen diese Barbaren blutig zurückjagen. Das wußte er, obwohl das Schicksal Joniens dagegen sprach, wußte es so sicher, wie Sonchis den Untergang Kemis vor sich gesehen hatte.

Und plötzlich stand all das Grauenhafte der letzten Monde vor ihm, aller Umschwung des Geschickes, und riß ihn zurück bis in die Zeit, da er Sonchis in die ewige Wohnung geführt und das Gebet Suten-hotep-ta über dem Sarge gesprochen hatte.

Und er entsann sich der ersten jubelnden Siegesbotschaften, die vom pelusischen Nilarme heraufgeschollen waren und das Volk in Taumel versetzt hatten. Dann aber war es Schlag auf Schlag gefolgt und hatte kein Ende mehr genommen bis zum heutigen Tage: Wut und Haß und Blut, Elend und Verwüstung und Tollheit.

So hatte es begonnen: Zwischen den Heeren, die plänkelnd in den pelusischen Niederungen einander gegenübergelegen waren, hatten die hellenischen Söldner ein ehernes Becken aufgestellt. Und hatten die Söhne des Phanes vorgeschleppt und im Angesichte ihres verhaßten Vaters geschlachtet wie Opfertiere. Das Blut aber hatten sie im Becken mit Wein vermischt, aus Bechern den entsetzlichen Trunk getan und waren dann brüllend und tosend gegen die Barbaren gestürzt. Beispiellos war das Gemetzel. Auch die Regimenter Kemis hieben wild auf die Gegner ein, der junge Psamtik war im Streitwagen in die Feinde gesaust. Der Kampf schwankte hin und wider. Einen Augenblick aber hatte es gegeben, einen rätselhaften, unfaßbaren Augenblick, in dem die Perser nur mehr vorstießen, die Ägypter aber langsam wichen. Und sie waren nicht mehr zum Gegenhiebe gekommen und hatten eilends das Feld geräumt, um Memphis zu schützen.

Höhnend hatte Kambyses Boten in die Stadt des Ptah gesandt, die von Psamtik Übergabe und Unterwerfung heischten. Als Antwort hatte das Volk Kemis die Herolde erwürgt.

Höher war der Haß aufgeschossen, neues Blut floß in Strömen. Memphis fiel, Psamtik ward gefangen. Alles tat Kambyses, um ihn zum Satrapen zu gewinnen. Nicht fehlte es an Drohung, nicht an scheußlichem Zwange, nicht an Martern: Psamtik blieb fest und entgegnete dem Zwingherrn mit geringschätziger Verachtung.

Da verwirrte sich das Hirn des Persers in toller Wut. Er zog nach Sais und schändete den Leichnam des Amasis, ließ ihn mit glühenden Nadeln stechen und verbrennen. Eine Tat, die gleicherweise die heiligsten Gefühle der Perser und Ägypter verletzte.

Inzwischen aber war, raunend und nachtgeboren, die große Verschwörung entstanden, die Kemi die Freiheit wiedergeben sollte. Alles stand bereit. Im ganzen Süden sammelten sich neue Truppen, Kambyses war ahnungslos. Da, einen Tag vor dem Losschlagen, erfuhr der Perser das Geheimnis. Und nun war alles dahin! Psamtik vergiftet, die Edelsten hingerichtet, frische Soldatenscharen von allen Seiten zusammengezogen. Und Phanes hatte seinen Lohn verlangt, er, der sich rühmte, die Eroberung Kemis ermöglicht zu haben. Der Lohn ward ihm. Der Perser, schäumend, daß einer es wagte, seinen Ruhm zu schmälern, ließ ihn tagelang mit glühenden Ruten peitschen und die Wunden stets wieder mit Salz einreiben, bis er elend seine verräterische Seele aushauchte.

Rauch, Brand, Blut, Wahnsinn toste über Kemi. Manchmal, in sprunghafter Laune, hatte Kambyses den ägyptischen Göttern geopfert und die Priester beschenkt. Am nächsten Tage ließ er Gräber schänden und Heiligtümer verheeren. Und seine Heersäulen stampften nilaufwärts gegen die hunderttorige Stadt. Denn er wollte das Land Kasch erobern. Ungeheuer war die Rüstung, prunkvoll der Ausmarsch. Wieder atmete das Land für kurze Monde auf, da die Feldherren der Perser, die im Lande zurückgeblieben waren, Dareios voran, der die Truppen in Memphis befehligte, Maß und Ziel nicht überschritten.

Da kehrte ein Zug von Gespenstern zurück. Sie kamen vom Süden, siech, matt, mit hohlen Augen und zerfetzten Panzern. Und erzählten, noch schaudernd, von den Schrecknissen, von der Wüste, den Löwen, vom Hunger, der sie schließlich gezwungen hatte, zu losen und einander gegenseitig aufzuzehren. Wie zuerst Kambyses einen Ratgeber nach dem andern, der zur Umkehr mahnte, grausam getötet, wie er aber dann aus Furcht vor den menschenfressenden Kriegern wieder nordwärts den Rückzug angetreten hatte. Dort, fern im Süden, lägen die Kameraden, und die Löwen hätten mehr als einen zerrissen, Schlangen seien um die Leiber der Erschöpften gekrochen und Wolken von Stechfliegen hätten ihr Blut gesogen.

Kambyses jedoch machte Kemi für sein Unglück verantwortlich. Die Krieger des Unglückszuges schickte er ins Delta und gestattete Plünderung. Achtzigtausend neue Soldaten aber stellte er bereit und befahl ihnen, die Wüste zu durchqueren und die Oase des Amun-Rā, das herrliche Wüsteneiland im Westen der Pyramidenstadt, zu erobern. Neuen Glanz, Vergessen seiner Niederlage gegen die Naturgewalten des Landes Kasch, erhoffte er von dieser Unternehmung.

Doch jene acht herrlichen Männer, jene Helden, beseelt vom Geiste des großen Ramses, deren Namen an verborgenen Stellen sofort eingemeißelt wurden, von denen die Inschriften, unsichtbar den Persern, sagten: »Ihre Namen werden unvergessen sein, solange Amun- Rā am Himmel Tag und Nacht erzeugt, und jedermann in Kemi wird ihrer gedenken. Ihr Gedächtnis wird ewig sein im Lande!« – jene acht Männer hatten es anders beschlossen. Führer waren sie, Wegekundige, bedroht von gräßlichen Strafen, falls sie nicht unversehrt das Perserheer zur Oase hinleiteten. Ihre Namen aber waren: Hefrat, der Wagenlenker; Anch-Amrat, der Landwirt; Merinum, der Häuserbesitzer; Sefferhet, der Sargmacher; Nuter-Rem, der Erzeuger von Schwertern und Messern; Chuenphra, der Hierogrammateus; Fendak, der Zöllner, und Taketnut, der Hauptmann.

Und diese acht hatten jeder zehntausend Perser erschlagen. Dadurch, daß sie für das geliebte Kemi des Todes nicht achteten und das Heer in die Sandwirbel und Dünen der unendlichen Wüste hineinlockten, fernab der heiligen Oase, bis es verschmachtet war. Kein Mann des strahlenden Heereszuges hatte die Oase erreicht, keiner war zurückgekehrt. Ihre Spur war verweht vom Schemen, der über den Leichenhaufen brauste und ihn knisternd, rieselnd mit gelblichem Sande bedeckte.

Kambyses aber hatte den Gipfel der Raserei fast schon erreicht. Sinnlos wütete er gegen Gefolge, Feldherren, Ratgeber, gegen die Tempel der hunderttorigen Stadt, gegen die Gräber der Nekropolis; und Schläuche Weines stürzte er hinab, um aus tollen Räuschen zu doppelter Scheußlichkeit zu erwachen.

So auch hatte er die Priester und Vornehmsten Thebens, soweit nicht Meuchelmord sie traf, mit Stricken fesseln lassen und sie hinausgetrieben durch die Schluchten der östlichen Berge; damit sie fern von Kemi als Knechte und Verbannte in Babylon, in Persepolis ihr Leben beschließen sollten und das letzte Rückgrat Kemis so zerbrochen sei. –

Die Erinnerung des Pythagoras blaßte langsam ab. Zuviel des Grauens hatte sein Gedächtnis eben durchmessen. Und er sah sinnend gegen die Felseninschrift.

Und plötzlich kam ihm eine Erleuchtung, ein Trost.

Die Worte des Persers in der Schlucht stiegen in ihm auf. War er ein Mann aus Kemi? Hatte Kemi nicht durch Jahrtausende im Glücke gelebt und unzählige andre Völker zertreten? Konnte es sich nicht wieder erheben? War es undankbar von ihm, wenn er mit einem Schlage sich bewußt ward, Hellene zu sein, Hellene mit Leib und Gemüt? Hatte er sich feige dem Schicksale entzogen, war er geflohen, als seine Freunde Unglück traf? Nein, er war ein Hellene! Und aus seinem Volke würde auch einst ein Mann erstehen, groß und hehr wie der mächtige Ramses! Und der würde den Weltkreis niederzwingen. Und hellenische Art, vertieft und geläutert durch das Wissen Kemis, würde Gesetz werden für Ost und West. Jedes Volk gebar einmal seinen Ramses! Einmal nur, so wollte es scheinbar das Geschick; einmal, wenn unerforschliche Kräfte des Alls gleichzeitig aufschossen und zusammentrafen.

Und er entsann sich der Worte des erhabenen Sonchis, der ihm die Weisheit Kemis, den tiefsten Kern alles in diesem Menschheitskreislaufe durch die Ägypter Errungenen als Erbe anvertraut hatte.

Tiefe Schatten warfen die Schroffen. Murmelnd, flüsternd, unterhielten sich die gesättigten Scharen der Gefangenen. Ab und zu aber dröhnte das wiehernde Gelächter eines betrunkenen Soldaten auf.

Da lehnte sich Pythagoras an den kühlen Felsen und schlummerte lächelnd und sorglos ein. – – –


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