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Dreizehntes Kapitel.
Quartiere.

In der neueren Kriegskunst sind die Quartiere wieder unentbehrlich geworden, weil weder Zelte, noch ein vollständiges Fuhrwesen das Heer unabhängig machen. Hütten- und Freilager (sogenannte Biwaks), wie weit sie auch getrieben werden, können doch nicht die gewöhnliche Art sein, das Heer zu bergen, ohne daß nach Maßgabe des Klimas bald früher, bald später Krankheiten überhandnehmen und die Kräfte desselben vor der Zeit erschöpfen. Der Feldzug in Rußland im Jahre 1812 ist einer der wenigen, wo in einem sehr rauhen Klima die Truppen während der ganzen sechs Monate seiner Dauer fast gar nicht in Quartiere gelegt worden sind. Was ist aber auch die Folge dieser Anstrengung gewesen, die man eine Extravaganz nennen müßte, wenn nicht diese Benennung noch viel mehr der politischen Idee des Unternehmens gebührte!

Zwei Dinge verhindern das Beziehen von Quartieren: die Nähe des Feindes und die Schnelligkeit der Bewegung. Darum werden sie verlassen, sobald die Entscheidung naht, und können nicht eher wieder bezogen werden, bis diese Entscheidung vollendet ist.

In den neueren Kriegen, d. h. in allen Feldzügen, die wir seit fünfundzwanzig Jahren vor Augen haben, hat das kriegerische Element mit seiner ganzen Energie gewirkt. Es ist in denselben in Rücksicht auf Tätigkeit und Kraftanstrengung meistens geschehen, was überhaupt möglich war; alle diese Feldzüge sind aber nur von kurzer Dauer gewesen, sie haben selten ein halbes Jahr, meistens nur einige Monate gebraucht, um ans Ziel, d. h. zu dem Punkte zu führen, wo der Besiegte sich zum Waffenstillstand oder gar zum Frieden genötigt sah, oder auch, wo beim Überwinder die Siegeskraft sich ausgerungen hatte. Innerhalb dieses Zeitraums der höchsten Anstrengung hat wenig von Quartieren die Rede sein können, denn selbst im siegreichen Zug des Verfolgens, wenn keine Gefahr mehr vorhanden war, machte die Schnelligkeit der Bewegung diese Erleichterung unmöglich.

Wo aber aus irgend einem Grunde der Gang der Begebenheiten weniger reißend ist, wo mehr ein gleichgewichtiges Schweben und Abwägen der Kräfte stattfindet, da ist das Unterbringen der Truppen unter Dach und Fach ein Hauptgegenstand der Aufmerksamkeit. Dieses Bedürfnis hat auf die Führung des Krieges selbst einigen Einfluß, teils dadurch, daß man durch ein stärkeres Vorpostensystem, durch eine bedeutendere und weiter vorgeschobene Avantgarde mehr Zeit und Sicherheit zu gewinnen sucht, teils dadurch, daß man sich weniger von den taktischen Vorteilen der Gegend, von den geometrischen Verhältnissen der Linien und Punkte, als von dem Reichtum und Anbau derselben leiten läßt. Eine Handelsstadt von zwanzig- oder dreißigtausend Einwohnern, eine mit großen Dörfern und blühenden Städten dicht besetzte Straße geben eine solche Leichtigkeit in konzentrierter Aufstellung großer Massen, und diese Konzentrierung gibt eine solche Gewandtheit und einen solchen Spielraum, daß dadurch die Vorteile reichlich vergolten werden, die eine bessere Lage des Punktes geben könnte.

Über die Form der Quartieranordnung haben wir nur einige Bemerkungen zu machen, da dieser Gegenstand zum größeren Teile in die Taktik gehört.

Die Unterbringung der Truppen zerfällt in zwei Arten, indem sie entweder die Haupt- oder die Nebensache sein kann. Ist die Aufstellung der Truppen im Laufe des Feldzuges aus bloß taktischen und strategischen Gründen angeordnet, und sind ihnen zur Erleichterung die in der Nähe des Aufstellungspunktes vorhandenen Quartiere angewiesen, was besonders mit der Kavallerie zu geschehen pflegt, so sind die Quartiere Nebensache und vertreten die Stelle des Lagers, müssen also in einem solchen Umkreise genommen sein, daß die Truppen die Aufstellung zur rechten Zeit erreichen können. Bezieht aber das Heer Erholungsquartiere, so ist die Unterbringung der Truppen die Hauptsache, und die übrigen Maßregeln, also auch die speziellere Wahl des Aufstellungspunktes, müssen sich danach richten.

Die erste Frage, welche hier zu berücksichtigen ist, betrifft die Form des ganzen Quartierbezirks. Gewöhnlich ist diese Form ein sehr gedehntes Oblongum, gleichsam eine bloße Ausbreitung der taktischen Schlachtordnung. Der Versammlungspunkt befindet sich vor demselben, und das Hauptquartier dahinter. Diese drei Bestimmungen sind nun gerade der sicheren Versammlung des Ganzen vor der Ankunft des Feindes sehr hinderlich, fast entgegengesetzt.

Je mehr die Quartiere ein Quadrat oder gar einen Kreis bilden, um so schneller lassen sich die Truppen in einem Punkt, nämlich dem Mittelpunkt, vereinigen. Je weiter der Versammlungspunkt zurückgelegt wird, um so später erreicht ihn der Feind, um so längere Zeit verbleibt uns zur Versammlung. Ein Versammlungspunkt hinter den Quartieren kann niemals in Gefahr kommen. Je weiter aber umgekehrt das Hauptquartier vorgelegt wird, um so eher langen die Meldungen an, um so besser ist der Befehlshaber von allem unterrichtet. Indessen sind jene Bestimmungen nicht ohne Gründe, die mehr oder weniger Rücksicht verdienen.

Mit der Ausdehnung der Quartiere in die Breite beabsichtigt man die Deckung des Landes, welches der Feind sonst zu Lieferungen benutzen möchte. Allein dieser Grund ist weder völlig wahr, noch sehr wichtig. Er ist nur wahr, wenn von den äußersten Flügeln die Rede ist, und gilt nicht von dem Zwischenräume, welcher zwischen zwei Armeeabteilungen entsteht, wenn sich ihre Quartiere mehr um ihren Versammlungspunkt herumziehen; denn in diesen Zwischenraum wird sich kein feindlicher Haufe hineinwagen. Er ist nicht sehr wichtig, weil es einfachere Mittel gibt, die in unserer Nähe befindlichen Bezirke der Gegend den feindlichen Ausschreibungen zu entziehen, als das Verzetteln des Heeres selbst.

Das Vorlegen der Versammlungspunkte hat die Absicht, die Quartiere zu decken. Dies hängt so zusammen. Erstlich hinterläßt eine Truppe, die eiligst unter das Gewehr tritt, in ihrem Quartier immer einen Schweif von Nachziehenden, Kranken, Bagage, Vorräten u. dgl., die dem Feinde leicht in die Hände fallen können, wenn die Aufstellung rückwärts genommen wird. Zweitens muß man besorgen, daß der Feind, wenn er mit Kavallerieabteilungen der Avantgarde vorbeigeht, oder diese überhaupt gesprengt worden wäre, in die vereinzelten Regimenter und Bataillone fallen würde. Eine aufgestellte Truppe, auf die er stößt, wenn sie auch schwach ist und am Ende überwältigt werden muß, bringt ihn doch zum Stehen, und es wird Zeit gewonnen.

Was die Lage des Hauptquartiers betrifft, so hat man geglaubt, dasselbe könne niemals genug gesichert sein.

Nach diesen verschiedenen Rücksichten möchten wir glauben, daß die beste Einrichtung der Quartierbezirke die wäre, wo sie ein dem Quadrat oder Kreis sich näherndes Oblongum einnehmen, den Versammlungspunkt in der Mitte haben und das Hauptquartier sich bei einigermaßen beträchtlichen Massen in der vorderen Reihe befindet.

Was bei der Aufstellung im allgemeinen von der Deckung der Flügel gesagt ist, bleibt auch hier wahr; daher werden von der Hauptmacht rechts und links abgesonderte Korps auch dann noch ihren eigenen Versammlungspunkt, mit der Hauptmacht in gleicher Höhe, haben, wenn man ein gemeinschaftliches Schlagen beabsichtigt.

Wenn man übrigens bedenkt, daß die Natur der Gegend von der einen Seite durch vorteilhafte Abschnitte des Bodens den natürlichen Aufstellungspunkt, von der andern durch Städte und Ortschaften die Lage der Quartiere bestimmt, so wird man wohl einsehen, wie selten die geometrische Gestalt dabei entscheidet; nötig aber war es doch, darauf aufmerksam zu machen, weil sie, wie alle allgemeinen Gesetze, bald mehr, bald weniger vorherrschend sich durch die Allgemeinheit der Fälle fortzieht.

Was sich ferner noch über die vorteilhafte Lage der Quartiere sagen läßt, besteht in der Wahl eines deckenden Abschnittes der Gegend, um die Quartiere hinter demselben zu beziehen, während die feindliche Seite von kleinen, aber zahlreichen Haufen beobachtet wird, oder in dem Beziehen derselben hinter Festungen, die unter solchen Umständen, wo man die Stärke ihrer Besatzung nicht schätzen kann, dem Feinde weit mehr Achtung und Vorsicht einflößen.

Von den befestigten Winterquartieren behalten wir uns vor, in einem eigenen Artikel zu reden.

Verschieden von den Quartieren einer stehenden Truppe sind die einer marschierenden dadurch, daß sie zur Vermeidung der Umwege sich wenig ausbreiten, sondern die Straße entlang ziehen, was, wenn es das Maß eines kleinen Tagemarsches nicht überschreitet, nichts weniger als der schnellen Versammlung ungünstig ist.

In allen Fällen, wo man sich vor dem Feinde befindet, wie der Kunstausdruck ist, d. h. in allen Fällen, wo kein beträchtlicher Zwischenraum zwischen den gegenseitigen Avantgarden ist, bestimmt die Ausdehnung der Quartiere und die Zeit, welche zur Versammlung der Truppen erforderlich ist, die Stärke und Stellung der Avantgarde und der Vorposten, oder wo diese durch den Feind und die Umstände bedingt sind, wird umgekehrt die Ausdehnung der Quartiere von der Zeit abhängen, welche der Widerstand der Vorhut uns gewährt.

Wie man sich diesen Widerstand im Fall vorgeschobener Korps denken muß, haben wir im dritten Kapitel dieses Buches gesagt. Von der Zeit desselben muß man die Zeit der Benachrichtigung und des Ausrückens der Truppen abziehen, und nur was übrig bleibt, ist die Zeit, welche zum Vereinigungsmarsch verwendet werden kann.

Um auch hier am Schluß unsere Vorstellungen in einem Resultat zu fixieren, wie es sich unter den gewöhnlichen Bedingungen ergibt, wollen wir bemerken, daß, wenn die Quartiere die Entfernung der Avantgarde zum Radius hätten, und der Versammlungspunkt ziemlich in der Mitte der Quartiere läge, die durch den Aufenthalt des feindlichen Vorrückens gewonnene Zeit zur Benachrichtigung und zum Ausrücken übrig bleiben würde, was in den meisten Fällen zureichend sein dürfte, wenn auch die Benachrichtigung nicht durch Fanale, Signalschüsse u. dgl., sondern durch bloße Ordonnanzrelais geschieht, was allein die gehörige Sicherheit gibt. Man würde also bei einer drei Meilen weit vorgeschobenen Avantgarde einen Raum von etwa dreißig Quadratmeilen mit den Quartieren einnehmen können. In einem mäßig bevölkerten Lande findet man auf diesem Raum etwa 10 000 Feuerstellen, was für ein Heer von 50 000 Mann nach Abrechnung der Avantgarde etwa vier Mann auf die Feuerstelle, also sehr bequeme, und bei einem doppelt so starken Heer neun Mann auf die Feuerstelle, also immer noch nicht ganz enge Quartiere geben würde. Dagegen wird man, wenn die Avantgarde nicht mehr als eine Meile hätte vorgeschoben werden können, nur einen Raum von vier Quadratmeilen bekommen; denn obgleich der Zeitgewinn nicht in eben dem Maße abnimmt wie die Entfernung der Avantgarde, und man bei der Entfernung einer Meile noch etwa auf sechs Stunden Zeit würde rechnen können, so muß doch auch die Behutsamkeit bei solcher Nähe des Feindes zunehmen. Es würde aber ein Heer von 50 000 Mann in solchem Raum nur in einem sehr bevölkerten Landstrich einigermaßen Unterkommen finden.

Man sieht wohl, welche entscheidende Rolle große oder wenigstens bedeutende Städte hierbei spielen, welche Gelegenheit geben, 10 000 bis 20 000 Mann fast auf einem Punkt unterzubringen.

Aus diesem Resultat würde sich ergeben, daß, wenn man dem Feinde nicht zu nahe steht und bei einer gehörigen Avantgarde, man selbst gegen einen versammelten Feind in Quartieren bleiben könnte, wie auch Friedrich der Große im Anfang des Jahres 1762 bei Breslau, und Bonaparte 1812 bei Witebsk getan hat. Allein wenn man auch selbst gegen einen versammelten Feind bei gehöriger Entfernung und zweckmäßigen Anstalten für die Sicherheit des Zusammenkommens nichts zu besorgen hätte, so muß man doch nicht vergessen, daß ein Heer, welches beschäftigt ist, sich eiligst zu versammeln, in dieser Zeit nichts anderes tun kann, daß es augenblicklich also nicht imstande ist, die sich ergebenden Umstände zu benutzen, wodurch ihm der größere Teil seiner Wirkungsfähigkeit genommen wird. Die Folge hiervon ist, daß ein Heer nur in den folgenden drei Fällen vollständig in Quartiere verlegt werden darf:

  1. wenn der Feind es gleichfalls tut;
  2. wenn der Zustand der Truppen es durchaus notwendig macht;
  3. wenn die nächste Tätigkeit derselben sich durchaus auf die Verteidigung einer starken Stellung beschränkt, und es also auf nichts anderes ankommt, als die Truppen zur rechten Zeit in derselben zu versammeln.

Ein recht merkwürdiges Beispiel von der Versammlung eines kantonierenden Heeres gibt der Feldzug von 1815. General Ziethen stand mit der Avantgarde Blüchers von 30 000 Mann bei Charleroy, nur zwei Meilen von Sombreffe, wo die Versammlung des Heeres beabsichtigt war. Die entferntesten Quartiere des Heeres waren von Sombreffe etwa acht Meilen, nämlich auf der einen Seite über Ciney hinaus, auf der anderen bis gegen Lüttich hin. Gleichwohl waren die über Ciney hinaus verlegten Truppen mehrere Stunden vor dem Anfang der Schlacht von Ligny dort versammelt, und die gegen Lüttich hin verlegten (das Bülowsche Korps) würden es ohne Zufall und fehlerhafte Einrichtung in der Benachrichtigung auch gewesen sein.

Unstreitig war für die Sicherheit des preußischen Heeres nicht gehörig gesorgt; man muß aber auch zur Erklärung sagen, daß jene Verhältnisse angenommen worden waren, als das französische Heer selbst noch in weitläufigen Quartieren stand, und daß der Fehler nur darin bestand, sie nicht in dem Augenblick geändert zu haben, als man die erste Nachricht von Bewegungen im feindlichen Heer und von der Ankunft Bonapartes bei demselben erhielt.

Immer bleibt es merkwürdig, daß das preußische Heer möglicherweise noch bei Sombreffe vor dem Angriff des Feindes hätte vereinigt sein können. Zwar erhielt Blücher den 14. nachts, also zwölf Stunden, ehe der General Ziethen wirklich angegriffen wurde, Nachricht vom Vorrücken des Feindes und fing seine Versammlung an; allein den 15. früh neun Uhr stand General Ziethen schon in vollem Feuer, und in diesem Augenblick kam dem General Thielemann in Ciney erst der Befehl zu, nach Namur zu marschieren. Er mußte also sein Korps erst in Divisionen versammeln und dann 6 ½Meilen bis Sombreffe zurücklegen, was in 24 Stunden geschah. Auch General Bülow hätte um diese Zeit eintreffen können, wenn ihn der Befehl gehörig getroffen hätte.

Bonaparte aber kam nicht vor zwei Uhr mittags am 16. dazu, seinen Angriff auf Ligny zu machen. Die Besorgnis, Wellington auf der einen, Blücher auf der andern Seite gegen sich zu haben, mit andern Worten: das Mißverhältnis der Macht trug zu dieser Langsamkeit bei; man sieht aber, wie selbst der entschlossenste Feldherr durch das behutsame Herumtasten, das bei einigermaßen verwickelten Fällen immer unvermeidlich ist, aufgehalten wird.

Ein Teil der hier aufgestellten Betrachtungen ist offenbar mehr taktischer, als strategischer Natur; wir haben aber lieber etwas hinübergreifen wollen, als uns in der Gefahr befinden, nicht klar zu sein.


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