Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.
Allgemeine Aufstellung des Heeres.

Von dem Augenblick der ersten Versammlung der Streitkräfte bis zu dem der reifen Entscheidung, wo die Strategie das Heer auf den entscheidenden Punkt geführt, die Taktik jedem einzelnen Teil seine Stelle und Rolle angewiesen hat, findet sich in den meisten Fällen ein großer Zwischenraum; ebenso von einer entscheidenden Katastrophe zur andern.

Früher gehörten diese Zwischenräume gewissermaßen gar nicht zum Kriege. Man sehe nur, wie Luxemburg sich lagerte und wie er marschierte. Wir erinnern an diesen Feldherrn, weil er wegen seiner Lager und Märsche berühmt ist, also für den Repräsentanten seiner Zeit gelten kann, und wir aus der Histoire de la Flandre militaire mehr davon wissen, als von andern Feldherren jener Zeit.

Das Lager wurde regelmäßig mit dem Rücken dicht an einem Fluß oder Morast oder tiefen Taleinschnitt genommen, was man jetzt für Wahnsinn halten würde. Die Richtung, in der sich der Feind befand, bestimmte dabei so wenig die Front, daß die Fälle sehr häufig sind, wo der Rücken dem Feinde, die Front dem eigenen Lande zugekehrt war. Dieses jetzt unerhörte Verfahren ist durchaus nur zu begreifen, wenn man bei der Wahl des Lagers die Bequemlichkeit als die Haupt-, ja fast als die einzige Rücksicht betrachtet, also den Zustand im Lager wie einen Zustand außer dem kriegerischen Akt, gewissermaßen hinter der Kulisse, wo man sich nicht geniert. Daß man dabei den Rücken immer dicht an ein Hindernis lehnte, muß für die einzige Sicherheitsmaßregel gelten, die man dabei nahm, freilich im Sinn der damaligen Kriegführung; denn diese Maßregel paßte durchaus nicht auf die Möglichkeit, in einem solchen Lager zu einem Gefecht gezwungen zu werden. Dies war aber auch wenig zu fürchten, weil die Gefechte fast auf einer Art gegenseitigen Übereinkommens beruhten, wie ein Duell, wo man sich zu einem bequemen Rendezvous begibt. Da die Heere teils wegen der zahlreichen Reiterei, welche am Abend ihres Glanzes besonders bei den Franzosen noch als die Hauptwaffe betrachtet wurde, teils wegen ihrer unbehilflichen Schlachtordnung nicht in jeder Gegend fechten konnten, so befand man sich in einer durchschnittenen Gegend fast wie im Schutz neutralen Gebietes, und da man selbst von den durchschnittenen Teilen der Gegend wenig Gebrauch machen konnte, so ging man dem zur Schlacht anrückenden Feinde lieber entgegen.

Wir wissen wohl, daß gerade Luxemburgs Schlachten von Fleurus, Steenkerken und Neerwinden in einem andern Geiste sind; aber dieser Geist löste sich eben damals unter dem großen Feldherrn von der früheren Methode, und er hatte noch nicht auf die Methode der Lagerung zurückgewirkt. Die Veränderungen in der Kriegskunst gehen nämlich immer von den entscheidenden Handlungen aus, und durch diese werden nach und nach die übrigen modifiziert. Wie wenig man den Zustand im Lager für den eigentlichen Kriegszustand hielt, beweist der Ausdruck: il va à la guerre, welcher für den Parteigänger üblich war, der auszog, den Feind zu beobachten.

Nicht viel anders war es mit den Märschen, wo sich die Artillerie vom Heere ganz absonderte, um sicherere und bessere Wege zu gehen, und die Flügel der Reiterei gewöhnlich die Plätze wechselten, damit ihnen ja die Ehre des rechten Flügels abwechselnd zuteil werde.

Jetzt, d. h. hauptsächlich seit den schlesischen Kriegen, ist der Zustand außer dem Gefecht so sehr von den Beziehungen zum Gefecht durchdrungen, daß sie in der allerinnigsten Wechselwirkung stehen, so daß eines ohne das andere gar nicht mehr vollständig gedacht werden kann. War sonst im Feldzuge das Gefecht die eigentliche Waffe, und der Zustand außer dem Gefecht nur das Heft, jenes die stählerne Klinge, dieses der angeleimte hölzerne Stiel, das Ganze also aus heterogenen Teilen zusammengesetzt: so ist jetzt das Gefecht als die Schneide, der Zustand außer dem Gefecht als der Rücken der Waffe, das Ganze als ein wohl zusammengeschweißtes Metall zu betrachten, in dem man nicht mehr unterscheidet, wo der Stahl anfängt und das Eisen aufhört.

Dieses Dasein im Kriege außer dem Gefecht wird nun jetzt teils durch die Einrichtungen und Dienstordnungen des Heeres, welche dasselbe aus dem Frieden mitgebracht hat, bestimmt, teils durch die taktischen und strategischen Anordnungen des Augenblicks. Die drei Zustände, in welchen die Streitkräfte sich befinden können, sind Quartiere, Marsch und Lager. Alle drei gehören ebensowohl der Taktik als der Strategie an, und beide, die hier vielfältig aneinandergrenzen, scheinen oft ineinanderzugreifen oder tun es auch wirklich, so daß manche Anordnungen zu gleicher Zeit als taktisch und strategisch angesehen werden können.

Wir wollen von jenen drei Formen des Daseins außer dem Gefecht im allgemeinen sprechen, ehe sich noch besondere Zwecke an sie anknüpfen; deswegen müssen wir aber zuvor die allgemeine Aufstellung der Streitkräfte betrachten, weil diese für Lager, Quartiere und Märsche eine höhere, umfassendere Anordnung ist.

Betrachten wir die Aufstellung der Streitkräfte allgemein, d. i. ohne besondere Zwecke, so können wir sie nur als Einheit, nämlich nur als ein zum gemeinschaftlichen Schlagen bestimmtes Ganzes denken, denn jede Abweichung von dieser einfachsten Form würde schon einen besonderen Zweck voraussetzen. So entsteht also der Begriff eines Heeres, wie klein oder groß dasselbe auch sein mag.

Ferner, wo alle besonderen Zwecke noch fehlen, tritt als einziger Zweck die Erhaltung, folglich auch die Sicherheit des Heeres hervor. Daß das Heer ohne besonderen Nachteil bestehe, und daß es ohne besonderen Nachteil sich vereinigt schlagen könne, sind also die beiden Bedingungen. Aus diesen ergeben sich in näherer Anwendung auf die das Dasein und die Sicherheit des Heeres betreffenden Gegenstände folgende Rücksichten:

  1. die Leichtigkeit der Verpflegung;
  2. die Leichtigkeit der Unterbringung der Truppen;
  3. ein gesicherter Rücken;
  4. ein freier Landstrich vor sich;
  5. die Stellung selbst in einem durchschnittenen Boden;
  6. strategische Anlehnungspunkte;
  7. zweckmäßige Teilung.

Unsere Erläuterungen über diese einzelnen Punkte sind folgende.

Die beiden ersten veranlassen das Aufsuchen kultivierter Landstriche und großer Städte und Straßen. Sie entscheiden mehr für das Allgemeine als für das Besondere.

Was wir unter einem gesicherten Rücken verstehen, geht aus dem Kapitel über die Verbindungslinien hervor. Das Nächste und Wichtigste dabei ist die senkrechte Aufstellung auf die Richtung, welche die Hauptrückzugsstraße in der Nähe der Aufstellung hat.

Was den vierten Punkt betrifft, so kann freilich eine Armee nicht einen Landstrich übersetzen, wie sie bei der taktischen Aufstellung zur Schlacht ihre Front übersieht. Aber die strategischen Augen sind die Avantgarde, die vorgeschickten Haufen, Spione u. s. w., und diesen wird natürlich die Beobachtung in einem offenen Landstriche leichter, als in einem durchschnittenen. Der fünfte Punkt ist die bloße Kehrseite des vierten.

Die strategischen Anlehnungspunkte unterscheiden sich durch zwei Eigenschaften von den taktischen, nämlich dadurch, daß sie das Heer nicht unmittelbar zu berühren brauchen, und daß sie andererseits eine viel größere Ausdehnung haben müssen. Der Grund hiervon ist, daß nach der Natur der Sache die Strategie sich überhaupt in größeren Raum- und Zeitverhältnissen bewegt, als die Taktik. Wenn also eine Armee sich in der Entfernung einer Meile von der Küste oder den Ufern eines sehr beträchtlichen Stromes aufstellt, so lehnt sie sich strategisch an diese Gegenstände, denn der Feind wird nicht imstande sein, diesen Raum zu einer strategischen Umgehung zu benutzen. Er wird sich nicht tage- und wochenlang, und meilen- und märscheweit in diesen Raum hineinbegeben. Hingegen ist für die Strategie ein See von einigen Meilen Umfang kaum als ein Hindernis anzusehen; bei ihrer Wirkungsart kommt es auf einige Meilen rechts oder links selten an. Festungen werden in dem Maße strategische Stützpunkte, als sie größer sind und eine weitere Wirkungssphäre für ihre Offensivunternehmungen haben.

Die geteilte Aufstellung des Heeres richtet sich entweder nach besonderen Zwecken und Bedürfnissen oder nach allgemeinen; nur von den letzteren kann hier die Rede sein.

Das erste allgemeine Bedürfnis ist das Vorschieben der Avantgarde mit andern zur Beobachtung des Feindes erforderlichen Haufen.

Das zweite ist, daß bei sehr großen Armeen gewöhnlich auch die Reserven mehrere Meilen weit zurückgestellt werden und also zu einer geteilten Aufstellung führen.

Endlich erfordert die Deckung der beiden Flügel des Heeres gewöhnlich besonders aufgestellte Korps.

Unter dieser Deckung ist nicht etwa zu verstehen, daß ein Teil der Armee genommen werde, um den Raum auf ihren Flügeln zu verteidigen, damit dieser sogenannte schwache Punkt dem Feinde unzugänglich werde; wer würde dann den Flügel des Flügels verteidigen? Diese Vorstellungsart, die so gemein ist, ist völliger Unsinn. Die Flügel sind an und für sich aus dem Grunde keine schwachen Teile eines Heeres, weil das feindliche auch Flügel hat und die unsrigen nicht in Gefahr bringen kann, ohne die seinigen derselben Gefahr auszusetzen. Erst wenn die Umstände ungleich werden, wenn das feindliche Heer uns überlegen ist, wenn die feindlichen Verbindungen stärker sind als die unsrigen (siehe Verbindungslinie), erst dann werden die Flügel schwächere Teile; von diesen besonderen Fällen aber ist hier nicht die Rede, also auch nicht von dem Fall, wo ein Flügelkorps in Verbindung mit andern Kombinationen bestimmt ist, den Raum auf unserm Flügel wirklich zu verteidigen; denn das gehört nicht mehr in die Klasse allgemeiner Anordnungen.

Aber wenn auch die Flügel nicht besonders schwache Teile sind, so sind sie doch besonders wichtige, weil hier wegen der Umgehungen der Widerstand nicht mehr so einfach ist, als in der Front, die Maßregeln verwickelter werden und mehr Zeit und Vorbereitungen erfordern. Aus diesem Grunde ist es in der Allgemeinheit der Fälle immer nötig, die Flügel besonders vor unvorhergesehenen Unternehmungen des Feindes zu schützen, und dies geschieht, wenn stärkere Massen, als zur bloßen Beobachtung nötig wären, auf den Flügeln aufgestellt werden. Diese Massen zu verdrängen, wenn sie auch keinen ernstlichen Widerstand leisten, erfordert um so mehr Zeit und eine um so größere Entwickelung der feindlichen Kräfte und Absichten, je größer sie sind, und damit ist der Zweck erreicht; was weiter geschehen soll, schließt sich an die besonderen Pläne des Augenblicks an. Man kann daher die auf den Flügeln befindlichen Korps als Seitenavantgarden betrachten, welche das Vordringen des Feindes in den über unseren Flügel hinausliegenden Raum verzögern und uns Zeit verschaffen, Gegenanstalten zu treffen.

Sollten sich diese Korps auf die Hauptarmee zurückziehen, und diese nicht zugleich eine rückgängige Bewegung machen, so folgt von selbst, daß sie nicht in gleicher Linie mit derselben aufgestellt, sondern etwas vorgeschoben werden müssen, weil ein Rückzug auch selbst da, wo er angetreten wird, ohne sich in ein ernsthaftes Gefecht einzulassen, doch nicht ganz zur Seite der Aufstellung fallen darf.

Es entsteht also aus diesen inneren Gründen zu einer geteilten Aufstellung ein natürliches System von vier oder fünf abgesonderten Teilen, je nachdem die Reserve beim Hauptteil bleibt oder nicht.

So wie die Verpflegung und Unterbringung der Truppen bei der Aufstellung überhaupt mitentscheiden, so tragen diese beiden Gegenstände auch zur geteilten Aufstellung bei. Die Berücksichtigung beider tritt mit den oben entwickelten Gründen zusammen; man sucht der einen zu genügen, ohne der andern zu viel zu vergeben. In den meisten Fällen werden durch die Teilung in fünf abgesonderte Korps die Schwierigkeiten des Unterkommens und der Verpflegung schon gehoben sein, und durch diese Rücksicht keine großen Veränderungen nötig werden.

Wir haben jetzt noch einen Blick auf die Entfernungen zu werfen, welche diesen abgesonderten Haufen gegeben werden können, wenn die Absicht einer gegenseitigen Unterstützung, also eines gemeinschaftlichen Schlagens, dabei stattfinden soll. Wir erinnern hier an das, was in den Kapiteln von der Dauer und Entscheidung des Gefechts gesagt ist, wonach sich keine absolute Bestimmung geben läßt, weil absolute und relative Stärke, Waffen und Gegend einen sehr großen Einfluß haben, sondern nur das Allgemeinste, gleichsam eine Durchschnittssumme.

Die Entfernung der Avantgarde bestimmt sich am leichtesten; da sie auf ihrem Rückzug auf die Armee trifft, so kann ihre Entfernung allenfalls bis zu einem starken Tagemarsche betragen, ohne daß sie zu einer abgesonderten Schlacht gezwungen werden könnte. Man wird sie aber nicht weiter vorschieben, als die Sicherheit des Heeres erfordert, weil sie um so mehr leidet, je weiter sie sich zurückziehen muß.

Was die Seitenkorps betrifft, so pflegt, wie wir schon gesagt haben, das Gefecht einer gewöhnlichen Division von 8000 bis 10 000 Mann stets mehrere Stunden, ja bis einen halben Tag zu dauern, ehe es entschieden ist; darum trägt man kein Bedenken, eine solche Division einige Stunden, also eine bis zwei Meilen von sich entfernt aufzustellen, und aus eben diesen Gründen können Korps von drei bis vier Divisionen füglich einen Tagemarsch, also drei bis vier Meilen, entfernt werden.

Es wird also aus dieser in der Natur der Sache gegründeten allgemeinen Aufstellung der Hauptmacht in vier bis fünf Teilen und bei den gegebenen Entfernungen ein gewisser Methodismus entstehen, welcher maschinenmäßig das Heer verteilt, so oft nicht besondere Zwecke entscheidender eingreifen.

Aber obgleich wir voraussetzen, daß jeder dieser voneinander getrennten Teile zu einem für sich bestehenden Gefecht geeignet sei, und daß er in die Notwendigkeit eines solchen kommen könne, so folgt daraus doch keineswegs, daß es die eigentliche Absicht der getrennten Aufstellung sei, sich getrennt zu schlagen; die Notwendigkeit dieser getrennten Aufstellung ist meistens nur eine Bedingung des Daseins, welche durch die Zeit gebildet wird. Nähert sich der Feind, um durch ein allgemeines Gefecht zu entscheiden, der Aufstellung, so ist die strategische Dauer vorüber, es zieht sich alles in dem einen Moment der Schlacht zusammen, und damit endigen und verschwinden die Zwecke der geteilten Aufstellung. Wenn die Schlacht eröffnet wird, so hört die Rücksicht auf Quartier und Verpflegung auf; die Beobachtung des Feindes auf Front und Seiten und die Verminderung seiner Schnellkraft durch einen mäßigen Gegendruck hat sich erfüllt, und es wendet sich nun alles zu der großen Einheit der Hauptschlacht hin. Ob dem so sei, die Verteilung nur als die Bedingung, als das notwendige Übel, vereintes Schlagen aber als der Zweck der Aufstellung gedacht worden, ist das beste Kriterium ihres Wertes.


 << zurück weiter >>