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Die Siegesfahne der Totenpackerlies

»Liesl, was is jetz dees mit dir, daß du gar nia an Fahna aussi tuast!«

So fragt der Herr Hauptlehrer Spiegel die alte Totenpackerin nach der Leiche des seligen Herrn Schweighofer, grad beim Verlassen des Friedhofs.

»Ja mei!« meint die Liesl; »Herr Hauptlehrer, wann Sie oan aussahängan, so hats do an Wert! Sie ham a Schulhaus – und Schulkinder, die wo si da dro a Beispiel nehma kinnan! – Aber mei –i als Totenpackerin – warum sollt i da aa no mittoa! – Meine Kundschaften ham aa, ohne daß i an Fahna aussihäng, die ewige Ruah!«

»Aber Liesl!« sagt der Herr Lehrer; »wia kannst so was sagn! – Zwegn die Toten is's do net! – Zwegn die Lebendigen doch! – Zwegn die tapfern Soldaten, wo allemal dabei warn, wann mir an Sieg habn! – Und zwegn dem guatn Beispiel!«

»Ah mei!« sagt die Liesl wieder; »auf mei oaschichtigs Beispiel werds net okemma! – Und zwegn die Soldaten … o mei Herrgott … seit drei Monat woaß i nix mehr von mein Girgl! – Is mir recht loade um mein Buam, Herr Lehrer! – Eppan is eahm gar was zuagstößn – da möcht i wirkli net übermüati werdn und so an gscheckatn Fetzn vürs Fenster hänga!«

Und damit sagt sie ihm pfüa Good und geht mit gesenktem Kopf heimzu.

»Es is halt a Kreiz!« murmelt der Herr Hauptlehrer für sich und schaut ihr nach; »jetz hätt ma glücklich alle Bauern und Häusler so weit, daß s' tean, was s' nur grad toa können, – a jeder Fretter hat sei Siegesfahnerl, – unser ganze Gemeinde is vorn dran mit der Erkenntlichkeit, – und die alt Raffel mag net! – Sie alloa mag net!«

Er seufzt und geht dem Schulhaus zu.

Der Postbote begegnet ihm auf dem Rad.

»Gibts was Neus?« fragt ihn der Herr Lehrer.

»Przemysl is gfalln, Herr Hauptlehrer!« schreit der Bote; »grad muaß i an Herrn Baron 's Telegramm bringa!«

»Was! Przemysl! – Ja – da muaß i glei …«

Der Lehrer rennt wie der Blitz davon.

Etliche Minuten später hängen zwei endslange Fahnen von seinen Dachfenstern nieder, seine Kinder rennen durch den Ort und schreien: »An Sieg! An Sieg! Schemisl is gfalln!« – und er selber läutet in der Pfarrkirche mit allen Glocken.

»An Sieg!« heißts; »an Sieg ham ma! Läuten teans! D' Fahn aussa!«

Und ein Haus ums ander wird beflaggt, die Leute stehen in Häuflein beisammen, Fröhlichkeit herrscht überall.

Nur bei der Totenpackerlies rührt sich auch diesmal nichts.

Die sitzt in ihrer Kammer am Tisch, hat einen Briefbogen vor sich liegen und ihren Rosenkranz, den Federhalter und das Tintenglas; und sie wischt mit dem Schurzzipfel über das Augenglas, setzt es auf und greift nach der Feder.

Lange sitzt sie so.

Und von Zeit zu Zeit taucht sie ein, schlenkert die Feder aus, beugt sich tief übers Papier und schreibt mit ungelenker, zittriger Hand.

Endlich ist sie fertig.

Sie legt den Federhalter an das Tintenglas, nimmt das Briefblatt auf und hält es gegen das Licht des niedern Fensters.

Und dann liest sie halblaut: »Mein lieber Girg – wennst du schon tot bist – dann ist es vorbei – und ich hab dich nimmer – wennst du aber noch lebst – dann mach dein Sach guat – und denk an deine Mutter – wo für dich betet – bis daß du wieder heim kimmst. Schreibe mir einmal – daß ich weiß – obst du noch lebst – daß ich für dich beten kann – als für einen lebendigen – ansonst muß ich halt für dich beten – als für einen abgeschiedenen. Deine Mutter.« – – –

Drei – vier Wochen sind seitdem vergangen.

Die herinnen tun ihr Tagwerk in Haus und Werkstatt und Acker, – die draußen kämpfen weiter; – und die Fahnen lehnen hinterm Kasten oder neben dem Ofen, bis man einmal wieder läutet und einen Sieg verkündet.

Eine alte Bäuerin hat in der vergangenen Nacht die Augen für immer zugemacht, und der Bauer macht sich auf den Weg zur Totenpackerlies, daß sie ihr Werk an seinem Eheweib verrichte.

Die Lies steht grad beim Fenster, da der Bauer eintritt, und nagelt ein Stück Zeug an ihren Besenstiel.

»Glei, Bauer!« sagt sie geschäftig; »glei wer i's habn! I mach grad no gschwind mein Fahna, daß i'hn ausse stecka kann!«

Und schlägt den letzten Nagel ein und trägt das Werk hinaus vors Haus, an den Gartenzaun, wo sie es anbindet.

Da hängt nun die Fahne: ein Stück von ihrer blauen Rupfenbettzieche, und dran hingenäht der Unterstock eines groben Leinenhemdes.

Der Bauer folgt ihr voll Verwunderung; – auf der Straße bleiben etliche stehen, andere rennen und holen die Nachbarn; – endlich fragt der Alte: »Was tuast denn da? Zu was ghört denn der Hadern?«

Die Lies schaut ihn bitterbös an: »Hadern sagt er! – Zu mein boarischen Fahn – weiß und blau! – Geh! Mach mi net harb! – – Aber – i woaß's gar net, daß ma heunt so lang net läut't! – Daß si koa Mensch net rührt!«

Und sie läuft nach der Kirche, zieht an allen Glockensträngen – und läutet, daß ihr schier der Atem ausgeht.

Und da die Leute aus den Häusern rennen, zu sehen, was es gibt, da haspelt sie von einem zum andern und schreit: »D' Fahna aussa! – An großen Sieg ham ma! – Mei Girgl hat a Festung erobert! – A ganz a große! – Mir kanns gar net nenna, so schwaar gehts zum sagn! – Er hats gwunna! – Mit hunderttausend Gfangte! – Da schaugts her und lests!«

Und sie zieht eine Feldpostkarte aus dem Sack und hält sie dem nächsten hin.

Der liest: »Liebe Mutter! Ich bin jetzt nicht mehr in Frankreich, sondern gegen den Ruß. Die letzten Tage war es recht hart. Viel Arbeit. Die große Festung Przemysl im Sturm genommen und viele Tausend Russen dabei erwischt samt Kanonen und Gewehr. Das ist ein sehr großer Sieg. Aber viel Arbeit. Gruß dein Sohn Girgl.«

Da fangen die Leute, eines ums andere, schön still zum Lachen an, – schütteln die Köpfe und deuten auf die Stirn.

Und gehen lachend heim, indes die Lies mitten auf dem Kirchplatz steht, die Karte ihres Sohnes zwischen den Fingern dreht und den Blick groß und leer weit, weit hinaus richtet, bis langsam eine Träne um die andere über ihre furchigen Wangen rinnt und auf den Spenzer tropft.

Endlich rafft sie sich zusammen, schiebt die Karte wieder ein und sagt zu sich selber: »Macht aa nixen, wann sie's net glaabn. Mei Bua lüagt net. I glaabs eahm. Und an Siegfahna hat er. Vo mir.«

Dann geht sie zu der toten Bäuerin und tut ihr Werk.


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