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Mobilmachung

Auf dem Marktplatz eines Kirchdorfs

»Stegrainer, was muaßt hergeben?«

»Zwee Ross' und zwee Wagn, Nickl.«

Der Nickl von Reuth schnupft; dann sagt er langsam: »Soo. Zwee Ross' sagst und zwee Wagn. Ja mei. Bei mir sand's zwee Buam, der Knecht, drei Ross' und oa Wagn. – Und beim Posthalter vier Ross' und vier Buam. – Da kannst halt nix macha.«

»Naa,« erwidert der Stegrainer von Berganger; »da kann ma nix macha. – Beim Marottn is vor acht Täg 's Wei gstorbn – ausn Kindlbett, – des Kloa gsund – siebn Kinder da, – jetz muaß er furt – zwee Knecht furt – a paar Ross' furt … Ah was! – I bin stad. – Es is ja doch oa Ding! D' Hauptsach is, daß si nixn feit.«

»Naa, mei Liaber! Fein tuat si nixn!« sagt der Nickl fest. »Mir zoagn 's eahna scho! – De ham si schwaar verrechnet! – Anno siebazg hams Prügl kriagt; aber jetz – Bua – jetz kriagns no mehra! – Bal mir kemman – mir …«

»Grüaß di Good, Nickl! – Grüaß di Good, Stegrainer!«

»Ah – der Hintermoare!«

Der Briefbote will an ihnen vorbei. Sie rufen ihm nach: »He, Hintermoar, wo aus denn?«

»Furt, auf Münga – Reservemann!« – – –

Sein Weib, die hagere, bleiche Postbotin, kommt eilends hinterdrein: »Vata, – i muß dir no epps sagn, – wenn grad d' Bachmoarin ehender kalben tät – i laß halt 's Kaibe da und stells auf. – Eppan werds a scheene Kalm, bis d' wieder kimmst. – Und der Zinneberger hat dir no dees Packerl da gschickt mit an Gruaß – … Und tua mi net ganz vergessen z' Frankreich hint … Jessas! – Der Bua und 's Dirndl!«

»Pfüat di Good, Vata! – Gell – vergiß fei mein Sabel net, wennst oan findst!« schreit der Bub.

»Und für mi aa was bringa!« bettelt das Maidl.

Die Postbotin gibt dem Vater stumm das Päcklein, dann sagt sie rauh: »Hoam jetz! … Vata … es werd Zeit … schreib ma … kimm wieder …!«

 

Am Bahnhof

»Juhu! – Mir san de tapfern Bayern …«

Singend und auf der Harmonika blasend kommt ein Häuflein Reservisten zum Zug.

»Jujujuh! – Michei! Franzei! – Ja grüaß enk! – Dahin gehts! Juhu!

Mir marschieren ins feindliche Rußland hinein – Und zeigens den Serben unsern Mut, – Mir machens den Franzosen gar viele große Pein – Und verspritzen das englische Blut – ja Blut – –«

Ein Haufen lachender Bauerndirnen kommt eilig auf den Bahnhof.

»Mir ham Kränzn da! – Insane Buam solln no Kränzn kriagn und Buschn!«

Jede leert ihre Schürze aus: »Hansei! – Pfüate!« – »Gregori – i wünsch dir Glück!«

»Wastl …!«

Die Rosl vom Lebzelter geht aufweinend von dannen.

Der Wastl steht mit stierem Aug' am Fenster des Wagens – »Rosl …!«

Ein rauhes Juchzen – daun hilft auch er die Kränze und Buschen an die Wagen binden.

Die Lokomotive wird aufgeputzt wie eine Hochzeiterin, und der Schwaiger Ludwig hängt ihr eine großmächtige Tafel um: »Nach Rußland und Paris.«

Die alte Kramerschusterin kommt schnaufend und hustend zwischen den Holzstößen auf dem Bahngleis daher, ein volles Binkeltuch in der einen Hand, ein Paar Rohrstiefel in der andern.

»Franzl!« schreit sie; »Franzl! Der Vata moant, du sollst do liaber seine Kanonastiefe aa mitnehma! Er sagt, er is des andermal aa so gutding auf Paris kemma damit – leicht gehst di du aa gschwindsa!«

Und langt ihm die Stiefel hinauf und das Tuch: »Und a paar Nudl hab i dir no bettlt bei der Grislmüllerin – daß dir da Magn net laar werd auf der Roas. – Und a alts Schkapulier vo insana Frau von Altnotting …«

Ein Pfiff – ein Hutschwenken – Juchzen – Tücherwinken – dahin geht's.

 

Auf der Fahrt

Wie ein dunkler Wurm kriecht das Zuglein über die Brücke, durch die Wiesen – durchs Moor.

Da rennt einer den Adlinger Berg herab, rennt, läuft, springt, – schwenkt sein graues Kofferl und schreit was er kann: »Öh Eisnboh! Öha, sag i! – I muaß no mit – in Kriag – insa Kini braucht mi!«

Drinn im Zug haben sie ihn schon gesehen.

Etliche springen auf – rennen hinaus – ein Sprung vor zum nächsten Wagen – durch – hinaus – hinauf aufs Dach des Postwagens, – und dann schreien sie dem Lokomotivführer hinüber: »Halten! Anhalten! Es kimmt no oana! – Langsamer! – Öh! – Gott sei Dank – er derwischt 'n no!«

Der Zugführer hat ihn jetzt gesehen. Er bremst, – der Bursch springt auf – die andern kraxeln wieder zurück, und dann geht's mit lautem Hüa! und Juhu! wieder weiter.

In Grafing heißt's umsteigen.

Da stehen schon leicht an die hundert Burschen und Männer, alle mit Buschen und Blumen geschmückt, lachend – singend – scherzend.

Von Ebersberg her fährt soeben auch ein Zug ein, geschmückt und bekränzt wie der unsere.

Eine Schar Einberufener springt heraus.

Ein baumlanger Bursch gibt einen Befehl. Alle ordnen sich in Reih' und Glied – eine Ziehharmonika wird laut, und die Gesellschaft marschiert juchzend und schnackelnd durch die Sperre des Bahnsteigs.

Lachend vereinigen sich die Anwesenden mit ihnen; es ist ein gerechter Haufen.

Indem sagt der Bahnsekretär: »Jetzt wird gleich ein Österreicher-Zug durchfahren – der dritte heut – ganz voll Reservisten.«

Im gleichen Augenblick wird er auch schon sichtbar; da – wieder ein Befehl des Langen – die ganze Horde springt über die Sperre – stellt sich in Parade stramm, – die Ziehharmonika spielt den Radetzkymarsch, und ein unbändiges »Hurra! – Heil!« erschallt.

Und »Heil! – Hoch Bayern! Heil!« ertönt's hundert- und tausendfach aus dem reichbekränzten, schier endlosen Zug, und Tücher und Hüte winken daraus, bis er hinter dem Wald verschwindet.

Inzwischen werden große Zuber voll Wasser geschöpft, ganze Körbe voll Brot, Wurst, Obst, Zigarren und Zigaretten auf den Bahnsteig geschleppt – ein Karren mit Limonaden und Selterswasser aufgefahren.

Der Rosenheimer Zug fährt langsam ein, geschmückt wie eine Stadt im Antlaß – mit Birken und Eichenlaub.

Gellende Juchschreie erschallen – viel hundert Köpfe drängen sich an den Fenstern – Frauen und Mädchen rennen eilig hin und her und beschenken alle, so lange sie haben.

Bald sind die Körbe geleert, die Flaschen verteilt, die Pferde getränkt – die Unsern abgefertigt.

Unter den schreienden Tönen der Harmonika marschieren sie zum Zug; bald wurlt und wimmelt's drinnen in den Wagen von Soldaten.

Fröhliches Grüßen – kernhafte Witze – Jauchzen und Singen; es ist, als wollten alle zu einer großen Kirchweih fahren oder sonst zu einem Fest.

Dann geht's: »Wo ghörst denn hin?«

»Zu der Hottollerie; erschtes bayerisches Zuckerhuat-Regiment!«

»Und mir zu de Schwaarreiter.«

Andere mischen sich ein: »Je! Des waar aa no was – zu de reitadn Milliweiba! – Da san halt mir Leut! Mir ghörn zu de ganz grimmign – mir san d' Aufschlitza!«

Jeder zieht sein Griffestes aus dem Sack: »Insane Vereinszeichen ham ma aa dabei, – daß 's koan Irrtum net gibt bei de Franzosen! Ah – mei Liaba! A so a richtige, grechte Raaferei – wo d' Stiesesteckl und d' Stuihhaxn grad a so umafliagn – ah – Bua – des is scho eppas scheens!«

»Ah – des glaab i! – Und – was d' Hauptsach is: bei dera Raaferei derfan d' Staatsanwalt und d' Amtsrichter selm mittoa!«

Ein Pfarrer tritt zwischen die Gesellschaft: »Kinder Gottes – net so gach! Im Krieg geht's mit den Geboten fein grad so genau, wie im Frieden! Da heißt's halt kämpfen aus Gehorsam – aber grauft wird nix!«

»Ja freili!« schallt's ihm da entgegen. »Jetz hören S' aber auf, Herr Pfarrer! – Für was hätt' ma denn nachher insane Seitengwehr?«

»Jawoi! Und zu was wern nachher jetz insane Sabel so guat gschliffa? – Naa, Herr Pfarra – an Kriag ohne Raafa – des kann i mir net denka!«

Die Ziehharmonika wird wieder laut; einer singt:

»An Herr Pfarra, den muaß ma achten,
An Herr Lehrer, den muaß ma ehrn;
Und d' Franzosnrammel muaß ma niederschlagn,
Daß d' Stiefesteckl umkehrn!«

Die andern fallen ein; der Pfarrer lacht und setzt sich wieder in seine Ecke.

Etliche Burschen ihm gegenüber haben grad ein Trutzgsangl beendet.

Jetzt zieht einer aus jedem Sack eine Flasche Bier, steht auf und hält sie dem Pfarrer unter die Nase: »Herr Hochwürden – was moanan S' jetz, daß da drinn is? – Da drinn, sehng S', da san Franzosen – und da drinn san Russen. De wern jetz allsam verschluckt! – Oans … zwoa … drei …«

Der geistliche Herr starrt den Burschen entsetzt an … Auf ja und nein sind beide Flaschen leer.

Und der Ander wischt sich lachend das Maul und sagt: »Soo. Und de zwee Flaschna – de ghorn für d' Engländer; de schlag i eahna so lang um an Schädl uma, bis eahna d' Scherbn bei de Nasnlöcha außaschaugn …!«

Der Zug hält.

Juchzen erschallt und Singen, Grüßen und Lärmen.

Und vor der Sperre des Bahnsteigs steht einer, der hat sieben Buben wie Orgelpfeifen vor sich: »Also – halts enk guat! – Machts ma koa Schand – schreibts, wenns epps brauchts – und kemmts wieder allsam gsund hoam …«

Ein bärtiger, hagerer Mensch zeigt seinen Paß. Dann tritt er noch ans Gitter und eine abgehärmte Frau redet zu ihm: »Also … Vata … bals a Bua is … i gib eahm halt dein Nam … Angst is ma scho … so ganz alloa … wenn nur 's Lisei oder 's Kathei scho größer waar … daß s' aufs Marei und aufs Resei a bisl aufschaugn kunntn … Abgeh werst ma scho, Vata … aber des macht nix. Du kimmst ja wieder … Eppan kann er gar scho steh derweil – bis d' wieder kimmst … Und tua di net kümmern zwegn insa … i bring ins scho durch … a Arbat findt si scho …«

»Einsteign! … Fertig!«

Langsam rollt der Zug dahin.

Stramm und aufrecht steht der Alte, schwenkt den Hut und juchzt seinen sieben Söhnen nach, – totenbleich lehnt das Weib am Gitter … die Augen starren leer dem entschwindenden Zug nach … dann wird's hart in dem schmächtigen Gesicht; ein Seufzer … sie strafft sich und geht heimzu …

Draußen aber auf Äckern und Wiesen halten die Mähder inne, da der Zug vorüberfährt; jauchzend kniet das Maidl auf dem beladenen Wagen und winkt … die Knechte schreien Heil und Glück, und die alte Großmutter läßt den Rechen fallen … schaut und schaut … und schüttelt sinnierend den Kopf: »Ha, so viel Buam. – Und alle fürn Kini …«

Ganz nahe der Münchnerstadt aber haben sie eine große Schultafel mitsamt dem Gestell an den Bahndamm geschleppt; Gewinde von Laub und Blumen ranken sich darum und, mit Kreide geschrieben, stehen die Worte drauf:

»Mit Gott für König und Vaterland!«

Und eine Schar von Kindern steht dabei, wirft Blumensträußlein in die Wagen und jubelt: »Hurra und Hoch!«

Da erheben sich die Männer, die Burschen werden ernst – einer beginnt: »Gott mit dir, du Land der, Bayern …« und dann schallt es mächtig durch die Halle des Bahnhofs: »Gott behüte diese Fluren – schirme unsrer Städte Bau – und erhalte uns die Farben – deines Himmels: weiß und blau!«

 

In München

»Aufgehts, Buam! – Aussteign! – Da san ma beim Dasein!«

Alles greift nach dem Hut, nach dem Koffer, nach dem Bündel. Die einen stürmen vorn aus den Wagen – die andern hinten; etliche steigen gar aus den Fenstern, weil's ihnen durch die Tür zu lang dauert.

»Hallo! – Wo aus jetz!«

Ein dichter Knäuel von Burschen und Männern windet sich durch die Berge von Koffern und Kisten, Schachteln und Fahrrädern, die unaufhörlich mit Rollwagen angefahren und in die Versenkungen geschafft werden.

In der großen Halle ist kaum ein Durchkommen.

Da stehen Soldaten aller Truppen, Hunderte von Reservisten, Gruppen von Offizieren. Dazwischen drängen sich die Wartenden, Abschiednehmende – Neugierige.

Frauen und Mädchen drücken sich durch das Gewirr, – die einen lachend – grüßend – scherzend, – andere ernst und betrübt, – etliche Blumen und Zigaretten an die Truppen verteilend.

Hier ein Österreicher-Zug.

Eilig stürmt ein Haufen junger Gesellen hinein, singend und lärmend.

»Heil und Sieg!« tönt's hundertfach. »Grüaßts den alten Franzl! – Hauts enk guat! – Heil!«

Einer steht am Trittbrett eines Wagens; – ein junges Weib vor ihm. Er nagt und zerrt an seinem Schnurrbart, – sie schaut trüb ins Leere …

»Alsdann, Weiberl! … Tua di net sorgnen! … Wer waaß, wias geht! … Wanns will – kumm i ja eh wieder heil zruck … und wanns net will …«

Ein Ruck – hilflos starrt sie ihm ins Gesicht – »Leb wohl … Lieber … an den Hochzatstag denk i …«

Aufweinend stürzt sie davon.

»Mali! … Weiberl! … Alsdann! … Himmel Herrgott – – – Fahrts zua, sag i! … Auf nach Serbien …«

Wieder drängt ein Haufen zu den Wagen.

Ein abgerackerter, armseliger Kerl schleppt ein endsgroßes Bündel, – ein kleinwinzigs Wuzerlein hängt dran und ruft weinend: »Müad … Papa … Karle müad!«

Aber der Vater hört nicht.

Ein Mädchen und drei Buben rennen hinterdrein, – die Mutter mit einem Wickelkind im Arm folgt als Letzte schnaufend und hüstelnd.

»Steig ein, Alter – steig ein!« mahnt sie. »I hab Sorg, er geht uns davon, bevor wir drinn sand! … Mach a weng, Alter! … Sunst kimmst z' spat zum Daschiaßn!«

»Laß ma do mein Ruah! … Waarts halt dablieben – Bagasch! I brauch do ka Famülie net, wann i in Kriag geh!«

»Natürli! Da hat ma's wieder!« schimpft sie, indem sie ihm das Wickelkind hinaufreicht und danach mit den andern in den Wagen steigt. »Ka Famülie! … Gell … abdampfen … und die arm Frau samt dre Hascherl im Stich lassen … das kanntest! …Da waar dir der Kriag grad gwunschn kemman! … Aber oha, mei Freinderl! … Mir gengan mit … bis ins Schlachtfeld auße … wanns sein muaß …!«

Schon schrillt das erste Pfeifen den Zug entlang; da kommt noch einer – im Arbeitsgewand, – ohne Hut, – ohne Habe, – nur im Besitz eines unbändigen Rausches.

»Se – bin i da recht – auf Wean – in d' Kaiserstadt? – Net daß i wo anderst hinfahr – und der Herr Feldwebel – der schimpft na recht …«

Der Schaffner schiebt ihn lächelnd in ein Abteil, – noch ein Pfiff und »Heil und Sieg! – Heil!« – Fort geht's.

Die Unsern werden derweil von Unteroffizieren aller Truppenteile in Empfang genommen, wobei es an ein Lärmen und Schreien geht wie beim großen Viehmarkt.

»Infanterie! – Erschtes Infanterie!«

»Leibregiment!«

»Siemtes Feld! – Artillerie!«

»Erschtes Feld!«

»Schwerreiter eins!«

Jeder brüllt seinen Truppenteil und seine Regimentsnummer, bis er heiser ist; alles sammelt sich – ordnet sich – bildet Kolonnen, – und dann geht's über den Bahnhofplatz und durch die Straßen dahin zu den Kasernen oder Quartieren – singend – juchzend – lachend.

Etliche blasen auf der Mundharmonika, – einer führt sein Piston an die Lippen, – und bald hallt's durch die Straßen: »... Ihr woll'n wir unser Leben weihn – der Flagge schwarz-weiß-rot!«

Menschen sammeln sich ringsum – grüßend – winkend; an den Ladentüren stehen sie – aus den Fenstern rufen sie; durch die Gassen schiebt sich die Menge, und ein Haufen Kinder marschiert neben den Einberufenen.

Ein paar Offiziere kommen des Wegs.

»Tritt gefaßt! – Achtung! – Augen rechts!«

Die Offiziere winken lächelnd: »Schon recht, Kinder!«

»Rührt euch!«

Lachen und Scherzen hebt wieder an.

Rufe werden laut, wenn sich ein junges Mädchen, ein handliches Kocherl zeigt.

Ein Bursch steht vor einem Wirtshaus, da die Kolonnen vorbeimarschieren. – Plötzlich erkennt er unter ihnen einen Freund. – Aber die Straße – hinein in die Reihe – das ist eins.

»Ja Franze! – Grüaß di der Himmel – Ja – wennst du eine muaßt – na geh i aa eine! – Mir Freind ghörn zsamm!«

Der Unteroffizier faßt ihn rauh an: »Raus da – Sie – aus der Reih! – Sie ghörn doch da net rein!«

»Was ghör i? – Aber scho schö ghör i! – Wo mei Freind is – da bin i aa! – I geh mit auf Frankreich – und geht's, wie's mag!«

Vergebens mahnt – schimpft – flucht der Gestrenge; der Freund bleibt an der Seite des Freundes, – und im nächsten Augenblick stimmen beide den Sang an:

»Wir sitzen so fröhlich beisammen,
Ja wir haben einander so lieb,
Und wir versüßen einander das Leben – ja Leben,
Ja – wenn es nur immer so blieb!«

Sogleich fallen mehr Stimmen ein – die Mundharmonika bläst dazu, – und dann schallt's durch die Straßen:

»Es kann ja nicht immer so bleiben,
Wohl unter dem Wechsel des Monds, –
Und der Krieg muß den Frieden vertreiben – vertreiben,
Und im Krieg da wird keiner verschont!
Da kommen die stolzen Franzosen daher,
Mir Bayern – mir fürchten sie net, –
Und wir stehen so fest wie die Mauern – ja Mauern
Und mir legens die Waffen nicht weg!«

 

Im Massenquartier

»Alle Kasernen besetzt – alle Bräuhäuser besetzt – Quartier beziehen in dem und dem Schulhaus!«

»Was? – In d' Schul müß ma geh? – Ja – mir gangst! – Dös hätt ma schö dick!«

Ein Brummeln und Murren wird bei manchem hörbar; aber dem eisernen Befehl: »Rechts schwenkt marsch!« widersteht doch keiner.

Also geht's ins Schulhaus.

Die Frau Hausmeisterin öffnet die Tore sperrangelweit, hält verlegen den Schürzenzipfel an den Mund und seufzt: »Insa liabe Frau – de Leit! – Wern de an Dreck macha! – Mir graust, wann i drandenk!«

Langsam verschwinden die Massen in den Gängen. Die Tore schließen sich. Ein Posten wird ausgestellt.

Ein Lastautomobil fährt vor; Feldwebel, Unteroffiziere, Soldaten in Felduniform springen ab und treten ins Quartier.

Dann folgt Wagen auf Wagen; alle beladen mit Strohsäcken, Uniformen, Stiefeln, Mützen. Ungeheuere Mengen Brot kommen an, und der Posten reißt Augen und Maul auf.

»Was schaugst denn?«

»Wos des viele Sach so gschwind herbracht habts!«

»Ja, mei Liaba! – Des war alles scho parad für enk!«

»Für ins! – Mir san ja selm grad kemma! – Wia habts denn ös des gwißt? …«

»Gschmeckt ham mas – Rindviech! – Auweh – der Schane …«

Geschäftig läuft der Sprecher hin und her, indes der Posten langsam auf und ab wandelt.

»Soo – raus da – anpacken!« befiehlt der aus dem Tor tretende Sergeant; und im Nu sind die Strohsäcke drin in den Klassenzimmern und Turnsälen.

»Wachmannschaft hierher!« ruft ein Unteroffizier aus dem Ersteklass'zimmer. »D' Schulbänk alle aufeinand im Eck! – Zwoa Strohsäck rein! – A bißl schneller – schneller da! – Ihr tragts ja an euere Strohsäck, als wenns an Napoleon sein Paradiesbett in Händen hätt's!«

Daneben im Schulzimmer der zweiten Mädchenklasse wird ausgeräumt.

»Alles naus! – Die Plakatn da von de Wänd weg – die Affen und Elefanten! – Jetz kommens so in Natura rein!«

Zwei schleppen einen rohgezimmerten Tisch hinein, – andere bringen alte Gartenstühle vom Hackerkeller; – eine lange Bank wird aufgestellt, etliche Bierbanzen kommen darauf.

Einer löscht das Abc auf der Schultafel aus und schreibt mit verschnörkelter Schrift darauf:

»Bier per Halbe 13 Pf.
Preßsack 10 Pf.
Zwei Paar Wiener 20 Pf.«.

Eine große Kiste wird aufgebrochen und die deckellosen Maßkrüge, die Keferloher, herausgenommen und an den Fensterbrettern aufgereiht.

Körbe mit allerhand Würsten werden in das Zimmer geschleppt, und der Unteroffizier hängt sie sauber an die Nägel der »Plakate«.

Unterhalb des Wandherrgotts hängt der Schwartenmagen und daneben die Dünngselchten.

Vor der Tür draußen aber steht einer auf der Staffelei, kehrt die Tafel mit der Aufschrift: »Zweite Klasse b« um und malt groß und massig das Wort »Kantine« drauf.

Aus dem ersten Stock brüllt derweil ein Feldwebel hinab in den Hausflur: »Rauf mit de Strohsäck! – Monturstücke da nei! – Sie da! – Können Sie net hörn, was i sag! – Monturstücke da nei, hab i gsagt!«

»'Befehl, Herr Feldwebel!« …

»Alle Schulbänk in der Mitten vom Zimmer zsammstelln als Tisch! – Strohsäck an die Wänd mit drei Schritt Abstand voneinand! – Was is denn das wieder – Sie dahinten! – Was geht denn Eahna der menschliche Körperbau an? – Sie wern wohl auf der Zielscheibn aa ohne Anatomie an Kopfschuß von a r an Bauchschuß unterscheiden könna! – – Mack, was ham denn Sie alleweil auf der Landkarten rumz'vagieren? – Was? – Paris? – London? – Nix da! Da gibts nix zum schaugn! – Unsere tapfere Artillerie wird euch den Weg schon zeigen, den wos ihr zu gehen habts – verstanden! – Runter mit dem Glump!«

Er geht ab.

Ein Unteroffizier tritt ein, steigt zum Katheder empor und schreit: »Antreten! – Daß mir keiner an Dreck reimacht in d' Stuben! – Daß mir keiner auf die Bänk kratzelt! – Daß mir keiner auf dem Fußboden rumspuckt! – Daß i koan derwisch, der wo mir da herinn raucht! Den erschtn, den wo i siech mit der Schpreizn im Maul – der kann si gfreun! – – Weggetreten!«

Nun schreibt einer mit Kreide über jede Lagerstatt einen Namen auf den grünen Ölfarbsockel. Danach geht er an die Schultafel und malt steif und dick die Belegschaftsaufschlüsse, die Hausordnungsgebote und den Befehl drauf: »Bei Feueralarm durchs östliche Ausgangstor!«

Hierauf wird jedem sein Lager gewiesen, und einer nach dem andern legt sein Reisekofferl unters Kopfende, betrachtet den Strohsack und murmelt: »Is des alles? – Was is's denn mitn Kopfkiss' – und mit der Zuadeck?«

Aber da plärrt schon der Herr »Unter«: »Was möchts? – A Kopfkiss' – a Zuadeck? – Des glaab i! – Nix vorhanden – muaß erscht gstift' wern! – Einstweiln hoaßts ganz einfach aufn Hintern liegn und mitn Bauch zuadecka! – Wann oaner nachher no a guats Gwissen extra hat – na schlaft er aso wia in a r an Steiners Reformbett!«

Er wird abgerufen; – an die Mannschaften aber ergeht der Befehl: »Antreten zum Monturfassen!«

Alles rennt und rumpelt zusammen; dann geht's hinab über die Stiegen und vorbei an Zimmern und Sälen, bis endlich der Befehl »Halt« ertönt.

»Dritte Klasse a« steht hier über einer Tür; darunter aber ist der Vermerk zu lesen: »Kompagniekammer – Abteilung a – Drillich-, Feld-Hosen – Röcke – Mützen.«

Daneben, am Eingang zur dritten b-Klasse, hängt eine Tafel: »Komp.-Kam. Abt. b – Stiefel – Helme – Binden – Leibriemen.«

Hier sind ganze Berge von Uniformen und Ausrüstungsstücken aufgeschichtet, und über allem thront auf einer hohen Staffelei der Herr Kammersergeant.

Er hat die Mütze in der Hand, wischt sich den Schweiß von der geröteten Stirn, bläst schwül vor sich hin und beginnt sodann von oben herabzuschreien: »Antreten! – Kleider ablegen! – Soo – a bißl fix da! – – Achtung!« …

Mit großer Schnelligkeit beginnt er nun, Stück um Stück von den hochaufgetürmten Ballen zu ziehen, schleudert jedem ein Trumm in die Arme oder an den Schädel und befiehlt: »Anprobiern!«

Dann hält er eine Weile still und betrachtet schmunzelnd das Bild unter sich.

Und dann geht's los: »Ja, Himsel! – Mensch! – – Wie schaun denn Sie aus! – Eahna hängt ja der Rock dran, wie dem Goliath sein Nachthemd einer Vogelscheuch! – Tauschens amal mitn Maierle! – Der Kerl schaut aus, wie a aufgesprungene Dampfwurscht! – – Was is mit euch dahint? – Was is rupfern? – Für euch werd ma 's nächstemal gloriaseidane Drillchmonturen liefern lassen – des könnts euch denken! – – Huber! – Ja ums Himmels willen! – Mensch! – Sie ham ja den Hosenboden bei de Knia drunt! – Runter damit! – D' Nummer! – Da – da hams a längere!«

Wieder fliegt jedem ein Stück an den Kopf; die Mützen werden probiert.

»Baumann! – Malefizkerl! – Setzens ma eahna Mützen net so schiaberisch auf, sag i! – – Is jetz alles fertig? – – Jessas, Jessas naa! – Ortler! – Hornochs! – Ham denn Sie gar koane Augn? – Z' kurz natürli!«

Die Staffelei wackelt, so wettert und werkt der Herr Sergeant.

»Jessas, Jessas naa! – Hab i denn lauter Trottln in meiner Kompanie! – Runter mit der Hosen, sag i!« –

Krampfhaft verbeißt er das Lachen, sucht fluchend eine andere Hose und wirft sie dem schmunzelnden Ortler zu: »Da – die is länger! – Aber rasch a bißl, jetz! – Rasch, sag i!«

Er steigt keuchend und scheltend von seinem Sitz herab und verfolgt mit rollenden Augen alle Bewegungen des Ortler, der sich mit fieberhafter Eile wieder anzieht.

»Zivilmontur zsammlegn! – Übern Arm! – Antreten! Rechts schwenkt – marsch!«

Wieder wischt er sich mit dem Schnupftuch übers Gesicht. Nun geht's hinaus aus der Kammer und nebendran hinein.

Hier werden Tornister und Feldstiefel gefaßt.

Der Herr »Kammer« schleudert jedem ein Paar Stiefel hin und dann beginnt das Probieren.

»Melde gehorsamst, Herr Schaschant, i komm net nei!«

»Was? – Net nei? – Schragn herzoagn! – – Jessas, Jessas, hat der Kerl a Paar Trittling! – Da durft oana ja a Paar Dampfschiff baun – für solchene Plattformen!«

Er sucht, dann wirft er ihm ein anderes Paar hin. »Da – die hat der Schuaster zwar fürn Schichtl sein größten Stanglaffen gmacht – aber – sie wern Eahna aa grad recht sein!«

In diesem Augenblick großes Gepolter in der Ecke. Zwei haben sich gegenseitig brüderlich stützen wollen beim Schuhanziehen, dabei sind beide umgefallen; nun hat der eine im Sturz eine Säule von Tornistern eingerannt.

Wieherndes Gelächter.

Er liegt unter dem Haufen begraben.

Da ein furchtbares Donnerwetter des Gestrengen, der selber das Lachen gewaltsam verbergen muß.

»Ja – Himmelherrgott … Saustall verfluchter … Was müaßts denn ihr mit euere Christbaambrettln bei de Tornister umanandfahrn? – Könnts ihr euere Haxn net bei euch lassen! – Ihr Malefizhallodri! …«

Endlich ist jeder ausgerüstet, und alles trägt seine Sachen hinauf in die Schlafräume, nachdem noch die Gewehrkammer heimgesucht wurde.

Nun stehen die Schießprügel sauber in Pyramiden beisammen; die Leute aber packen ihre Zivilkluft ins Kofferl, legen den Tornister als Kopfpolster zu Häupten des Strohsacks und schnallen den Mantel, sorgfältig gerollt, um den Tornister. –

Nach sechs Uhr heißt's dann Menage fassen.

In der Schulküche stehen noch die Stöße Geschirr, Teller und Platten, Schüsseln und Näpfe, die sonst von den Mädchen der Haushaltungsschule benützt wurden. Nun aber werden sie alle von den Soldaten requiriert.

Eine Weile später sieht man die Mannschaften in Kolonnen zum nächsten Bräuhaus ziehen, wo sie vorläufig verköstigt werden, bis aus der Schulküche eine Mannschaftsküche gemacht ist.

Jeder hat ein Trumm unterm Arm: dieser eine ovale Fleischplatte mit Goldrand, – der eine viereckige Gemüseschüssel mit Rosenmuster; einer eine Suppenterrine für drei Personen und der andere den Deckel davon.

Ein Haufen Neugieriger drängt sich heran.

Etliche stecken den Soldaten Zigarren oder Zigaretten zu; – andere teilen Obst aus, und eine alte Mutter fragt teilnehmend: »Ja ha, wo schlafts denn ös? – Habts denn ös aa r a Bett, Buam?«

»Naa!« sagt einer verstohlen; »mir liegn alle auf der Haut!«

»Ach Gott! – Die arma Teifeln!«

Sie läuft von Gruppe zu Gruppe, die Alte: »Ham Sie's ghört, Frau Meier! – Die arma Kerln müaßn direkt auf der Haut liegn! – Koana hat a Bett! – Also – da muaß doch was gschehgn dafür! – Geh, Frau Schmid – Frau Huber – wissen S' gar neamd, der wo a paar übrige Decken hat – oder Kissen? – – Zwoa Kissa und a Deckn hab i selber. – I wer glei gehn und werd s' holn!«

Nun geht's wie ein Lauffeuer durch die Menge, und eins fragt das ander: »Wer hat Kissen – Decken? – – D' Soldaten von der Schul liegen am kalten Boden – ohne Bett – ohne Zudeck!«

In einem Augenblick ist die Straße leer.

Dann aber kommen sie daher, wie die Bauern zum Opfergang, wenn ein Requiem ist: eine hinter der andern, und dazwischen Buben und Mädchen.

Alle wandern dem Schulhaus zu – jedes aufgepackt mit Decken und Betten.

Und als nach einer Weile die Mannschaft mit gefüllten Schüsseln zurückkommt, da kann ein jeder billig lachen.

Da gibt's Paradekissen und Barchentpolster, Schlummerrollen und Sofakissen mit Stickereien; hier: »Gute Nacht«, dort: »Schlafe wohl«; auf dem: »Nur ein Viertelstündchen«, auf dem andern: »Behüt dich Gott« samt dem rotgestickten Trompeter von Säkkingen. | Und Decken!

Rote kommen und blaue, kameelhaarene und baumwollene, altdeutsche und im Jugendstil.

Ein herzliches Danken lohnt die Wohltat; dann schließen sich die Tore wieder. –

Gemach wird es dunkel.

Da und dort flammen die Lichter auf, und in den Turnsälen des Quartiers sammeln sich die Männer.

Auf manchem Gesicht liegt jetzt ein düsterer Ernst, – von manchem ist die Fröhlichkeit gewichen.

Da langt einer seine Zither herbei, – einer holt seine Zupfgeigen; – der mit der Mundharmonika gesellt sich zu ihnen, – und dann ertönt ein herber Ländler.

Einer stiftet eine Runde Bier. Etliche singen. Da und dort liegt einer auf dem Strohsack und schaut für sich.

Draußen aber, vor dem Quartier, steht mancher bei seinem Weib – bei seinen Kindern, – indes ein anderer einsam abseits an der Mauer lehnt und trüb in das Licht der Straßenlampe starrt. –

Dann kommt die Nacht.


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