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Im Dorfwirtshaus

»Grüaß di Good, Nickl.«

»Grüaß enk Good aa.«

Der Pentenrieder holt sich einen Stuhl und setzt sich zu den Bauern, die bereits um den langen Ahorntisch hocken.

»Nickl, kriagst a Halbe?« fragt die Nanni.

Aber der Pentenrieder sagt gar nichts, tut einen grohnenden Seufzer und rückt näher an den Tisch.

»Hast scho an Botschaft vo deine Buam, Nickl?« fragt jetzt der Wimmer von Berg.

»Ja.«

»Soo. – Wo hand s'?«

»Gega Frankreich.«

»Hast an Brief?«

»Zwee.«

»Was schreibn s' denn?« sagt der Wirt, der Posthalter.

»Lies selm!« erwidert der Pentenrieder und holt zwei Feldbriefe aus dem Sack.

»Geh, Posthalter, lies laut, daß mar aa epps hörn!« meint der Weber von Kreuz.

Und dann wird's ganz still in der Gaststube, und die Nanni macht die Kucheltür zu, daß man das Geschirrklappern nimmer hört.

Und der Posthalter beginnt:

 

»Meine geliebte Eltern!

Sendet Euch aus dem feindlichen Frankreich, wos aber noch deutsches Elsaß heißt.

Indem daß mir den 14ten August in Sirey im Franzosenland standen und mit den roten Hosen zsammgrumpelt sind.

Mir ham uns auf einem Berg vor dem großen Saarburger Holz verschanzt ghabt und ham gwart, bis angeht.

Da sans ganz tantschig hintern Ort aufzogn und ham auffagschaugt zu uns.

Jetz hats aufamal ghoaßn: Auf gehts – und mei Hauptmann hat gsagt: Das ist die Feuertaufe – und na hats kracht.

Kreuzsakra. Da ham ma gschaugt. Das war so a Gaude. Mir ham gmoant, des geht wie beim Manöver. Derweil san aufamal die Kugeln daherkommen wie d' Schauerstoanl und mir ham denkt, gfeit is.

Bals ghoaßen hat, Feuer! na hat's es ja no tan; aber dazwischen! Einer nach dem andern hat gsagt: Pfui Teife und scheußli.

Nämlich waren es leichtlich zehn Regimenter bei den Franzosen, und mir nur eins.

Da hats gheißen: ein bißl zruck!

Liebe Eltern, da san mir alle hinunter über den Berg und hintre ins Holz.

Aber es hat nixn gholfen.

Die Franzosen waren zviel und mir zwenig. Und so hats halt wieder gheißen: Zruck.

Also san ma wieder durchs Holz zruck: ganzes Batalion in Marschkolonne.

Und die Franzosen ham uns schön brav nachpfeffert und gschossen, was s' nur grad außabracht ham.

Aber zhoch.

Über uns sans gflogn die Gschoß und Kugeln und san umapflitzt wie d' Impen im Fruahjahr, bal d' Königin ausfliagt.

Aber mir ham uns nimmer gschiecha und san ganz gemüatli furtgangen bis auf Saarburg.

Da hats ghoaßen: Auf dem Zinglberg verschanzen.

Überall, auf alle Berg herentahalb Saarburg san unsere bayrischen Regimenter gstanden und ham glauert, wann der Franzos kimmt.

Mein Hauptmann hat gsagt, großartig, die werden jetzt hereingelockt und nachher werdns droschen.

Ja, meine lieben Eltern, die san droschen worn wie der Woaz im Winter!

Also, mir liegen in unserne Unterständ, die mit Bruckenwägen, Stadeltoren und Haustüren eingedeckt waren, und warten.

Da geht am 18ten der Tanz los.

Rumm! Bumm! So hat unser schwermüatige Hottollrie angfangt.

Und von drenten sans daherkommen: Ssss … und Huiji!

Gräusli pfeifens die Ludergranaten! Unserne Haubitzen ham si aa dreingmischt in die Musi – und mir ham derweil Erdäpfel klaubt.

Bis jetz hams uns also no net daraten ghabt, die Roten.

Auf oamal schreit mei Hauptmann: Da her, Leut! Da schaugts nüber, nachher könnts was sehgn!

Ja, da sans daherkommen, die Roten. Zuerst Kavallrie – a ganzer Haufen – gschlossen. Großeich hat der Ort gheißen.

Auf amal bumperts bei uns, – und – patschti – hat scho einghaut mitten in die ganz Reiterei.

Die – auseinander – oa Haufa roast in Obstgarten, der ander neben an Bauernhof. Aber – rumm – bumm! Die unsern hams scho wieder ghabt.

Und so hat unser Hottollrie die ganz Kavallrie zsammgschossen.

Derweil fahrt a französische Battrie auf; schön, nobel, mit Schwung; ohne Deckung, fahrns bei Kleineich in an Baumgarten und protzen ab.

Aber – unsere Schwermüatinga hams scho ghabt. Bumm! Mitten drin in der Battrie sans gsessen!

Wie im Theater hat mas sehgn könna, die Gaude.

Und so is der Tanz dahingangen den ganzen Tag, die ganz Nacht und wieder den ganzen Tag.

Und nachher is die große Schlacht kommen in Saarburg, am 20ten.

Da muaß ja der Ferdl aa dabeigwesn sein; denn da hat des erschte Regiment und d'Leiber des mehrane gmacht.

Mir ham ja leider Gott net viel z' toan ghabt an dem Tag; und doch hätts mi bald dawischt dabei!

Also – so um a achte in der Fruah tuats aufamal knapp über unserm Unterstand: huijji! – Und – krach – hauts eppan dreißg Meter hinterhalb ein.

Glei drauf kommen zwoa, die krepiern so fufzehnzwanzg Meter vorderhalb.

Aus is, denk i mir; jetz hams uns daglängt!

Und kaum hab i des denkt, da tuats aa schon an Sauser – an gräuslichen Kracher – a furchtbars Gstank – neben uns, im fünften Unterstand hats' gschnacklt.

Gott steh uns bei! sagn meine Kameraden und schlagen den Rockkragen über d' Ohren. Und i nimm mei Büchs und denk, jetz werds do bald hoaßen: Sturm!

Da – ein Donnerschlag wie selbigsmal, wo der Blitz bei uns eingschlagn hat – und – geliebte Eltern – mein Unterstand war hin. Und meine Kameraden hats durch den Luftdruck hinghaut und dermalmt.

Ja – unser Herrgott hat mirs gut gmeint an dem Tag! I bin ein Stückl auf d Seiten gflogn – hab meine Sinn verlorn – und lieg also unter dem Schutthaufen.

Da hör ich, wie ich wieder zu mir komm, eine Stimm: Herr Feldwebel! In Nummer drei hats aa einghaut!

Und ich fang an, mich auszugrabn. Aber mei rechter Hax war so eingrammt in die Trümmer, daß i net raus hab können. Da kommt mein Feldwebel – mitten im größten Granathagel, – räumt ganz allein alles von mir weg und ziagt mi mit furchtbarer Müh aus mein Grab.

Mein Stiefel is drin stecken bliebn; und mein Haxen hätts aa bald kost.

Aber gangen ists, und der Herr Feldwebel, dem i also mei Lebn verdank, hat mi hintregstampert zum Verbandplatz und hat gsagt: Soo, mei Liaber, jetz schaugst aber, daß di druckst, – sunst dawischts mi aa no!

Also, geliebte Eltern, ich liege hier im Lazarett und hoffe, daß ich bis in acht Tagen wieder laufen kann.

Denn – d Franzosen müassen boarisch wern, ehnder gebn ma koan Ruah!

Es grüßt Euch alle

Euer Hans,
Gefreiter im zweiten bayrischen Infantrieregiment.«

 

Der Posthalter hat geendet und legt den Brief langsam vor den Pentenrieder hin.

Die Bauern trinken stumm, einer schnupft bedächtig, und der Pentenrieder nimmt den Brief und schiebt ihn ein.

Dann sagt er seufzend: »Ja ja,« und langt nach seinem Bier.

»Soll i den andern aa no lesen?« fragt der Wirt.

»Freili sollst des!« rufen die Bauern.

»Ja, lies nur!« sagt der Pentenrieder und stützt das Kinn auf beide Hände, die den groben Hackelstecken halten.

Da zündet der Wirt bedächtig die große Lampe überm Tisch an, stellt sich nahe dazu und liest:

 

»Lieber Vater und Mutter!

Ich ergreife die Feder, um dies Brieflein an Euch zu richten.

Indem daß ich verwundet im Lazarett hier liege an einem Granatsplitter.

Geht aber schon besser.

Es ist mir passiert bei der großen Schlacht von Lothringen, wo mir mit unserm bayrischen Kronprinz Rupprecht die Franzosen so schön brav droschen ham.

Besonders in Saarburg, und das will ich Euch kurz mitteilen.

Alsdann: Das ist uns recht zwider gwen, wie mir mittendrin den Befehl kriegt haben: Zurück!

Indem daß mir schon siegreich ins Frankreich mit Hurra eingezogen waren und ham glaubt, jetz gehts so dahin bis auf Paris.

Aber unser Hauptmann hat gsagt, er weiß selber nimmer, was los ist, aber der deutsche Soldat tut was er muß.

Da sind mir halt wieder zruck, ohne Sang und Klang und mit großem Schmerz und Zorn im Herzen.

Hinterhalb Saarburg hat sich schon alles gut verschanzt ghabt; die Leiber, das zweite, mir und die Zwölfer.

Und unsere Artollerie und alle Haubitzen sind angesaust kommen und haben sich eingedeckt und zsammgricht.

Derweil hats also auf einmal gheißen, der Franzos is da.

Mit Trommeln und Regimentsmusik sind sie eingezogen, mit fliegenden Fahnen und großer Herrlichkeit.

Nachher ham sie überall große Plakaten aufpappt von der Befreiung vom Elsaß und ham Reden ghalten über die barbarische Knechtschaft und gsagt, jetz muaß jeder wieder französisch wern.

Na hams alle Schildl von die Läden weg, wo deutsch warn, und hams französisch überschrieben, ja – sogar alle Uhrn hams neu aufzogn und auf französische Zeit gstellt.

Des ham uns darnach alles die Leut in Saarburg erzählt, und auch, daß etliche Großkopfate den Franzosen Bleamelsträuß und Triumphbögn verehrt habn.

Und eine hat sich eigens neue Schuach anglegt und hat gsagt: Mit dene tanz i, wann meine Freund, d Franzosen, kommen!

Die hat aber bald austanzt ghabt.

Denn am 18ten August hat unser Oberst gsagt: So, jetzt wirds bald krachen.

Und wirklich, glei drauf geht der Tanz schon los.

Da donnert unsere Feldartollerie vom Dinkelsberg und vom Stinzelberg, von Saaraltdorf und von Rieding her.

Dahinter krachen die schweren Feldhaubitzen und Mörser vom ersten und dritten Fußartollerieregiment von Hilbesheim her, und vom 18ten Fußer von Rauweiler her.

Unsere Pionier ham garbat, daß eahna grad s Wasser runtergronnen ist, und unser Reiterei hat schon paßt aufs Losgehn.

Unser großer Luftballon is aufgstiegn und unsere Flieger san drobn umanandkarossiert, daß s a Freud war.

Aber die andern ham aa ihrene Flieger loslassen, und die ham unsere Stellungen grad a so auskundschaft, wie mir die ihrigen.

Und auf amal hauts ein bei uns! So lang i draußen war, hab i ja net viel gsehgn davon; aber da herinn im Lazarett verzähln sies: ganze Unterständ hams zsammgschossen, – ganze Battrien hams vernicht. Aber – mir san die tapfern Bayern; mir ham uns net irr machen lassen!

Zwee Täg hat das furchtbare Gspiel dauert, und was da die unsern in der Schneid und Tapferkeit gleist ham, des is net zum sagn.

Oan hats das rechte Ohrwaschel weggrissen; macht nixn! hat er gsagt; i kimm mit oan Ohr grad so gschwind auf Paris!

Dem andern reißts a Trumm von sein Stiefel und zwee Zehen weg; seine Kameraden fragn: Brauchst an Dokta? An Dokta wer i braucha! sagt der giftig; schaugts liaber, daß s an Schuasta herbringts!

Und wies grad am allerärgsten ist, da sagt unser Hauptmann: So Kinder, jetz heißts Reu und Leid gmacht, und, amal in d Händ gspuckt und dann drauf wie der Teufel!

Herrgott! Wie hat jeder von uns brennt vor Wut und hat gwart auf den Befehl: Zum Angriff vor!

Endlich, am 20ten August, glutheiß wars, hat die Warterei ein End ghabt.

Der Franzos war mürb und sein Artolleriefeuer ist kleiner und kleiner wordn.

Und z Mittag um elfe hats plötzlich gheißen: Vorwärts! Ausschwärmen!

Da hätt bald oana den andern überrumpelt vor lauter Rennen!

Und dann ists gangen: Hinlegen! – Sprung auf – marsch marsch! – Hinlegen! Sprung auf!

Dazu hats aus den Kirchtürmen und von der Kasern her die Maschinengewehrkugeln nur bloß so gschneibt!

Daß man da nicht wie ein alter Suppenseiher durchlöchert worden ist, das wundert mich heut noch.

Plötzlich auch noch Schrapnell- und Granatfeuer.

Sprung auf, – marsch marsch! schreit mein Leutnant; – da haut ihm eine Schrapnellkugel das Schädeldach durch und er ist dahin.

Mein Feldwebel springt vor mir her; vor einer Stauden wirft er sich hin, springt aber sofort wieder in d Höh und wirft sich etliche Meter seitwärts nieder. Da, wo er zerst war, wirft sich jetzt ein Kamerad hin; – hujii – krach – der Bursch is in Fetzen.

Das Maschinenfeuer ist immer narreter worden und ein Kamerad um den andern hat was erwischt.

Aber dahin ists gangen, wies heilig Donnerwetter und vorbei an dem Elend.

Auf einmal kommt der Feind hübsch nah in Sicht.

Und drüben in der Stadt ertönt das Hornsignal von den Leibern: Kartoffelsupp – Kartoffelsupp!

Da heißts auch bei uns: Stellung! Die Kompanie schießt auf die Schützen im Friedhof!

Ha, da ist ihnen anders worden bei unsern Salven!

Waren aber schon wieder andere da; und mir sind drauf los wie die Hund auf d Hasen.

Eine Salven um die ander, ham mir ihnen naufpfeffert, und am Gottesacker hat man darnach vor lauter Leichen kein Grab nimmer gsehgn.

Bei uns hats ja furchtbar ghaust; alle Augenblick hats ein erwischt.

Mein Freund, den Schmid Sepp, auch; der feuert no, springt auf, und mittendrinn schreit er: Herr Feldwebel, jetz glaub i, is, mir a Kugel in Magn abigrumpelt!

Und fällt um und is tot.

Derweil is aber Unterstützung kommen, zum Sturm wird blasen, d Trommeln schlagen, und mir drauf und nei in d Kirch!

Herrgott, hats da ausgschaut! Da liegen Manner, Weiber, Kinder, drinn eingsperrt, jammern, beten, schrein.

Die ganzen Leut hams zsammtriebn ghabt in die Kirch, ham ein Maschinengewehr aufn Turm und ham den Gottesacker als Schützengrabn hergnommen.

Na, mir hams ihnen schon zeigt, wo der Kapuziner sein Schmalz holt – mir san ferti worn damit.

Und meine Regimentskameraden ham derweil den Rebenberg packt, und d Leiber d Stadt, und wieder andere Hof und Eich – kurz und guat – mir ham, wies so um d Mitternacht war, gwußt, daß mirs gewonnen ham.

Am andern Tag hats gheißen, Versprengte und Versteckte suchen.

I hab zwar über Nacht auf einmal in der rechten Achsel ein hübschen Wehdam gspürt, aber i hab mir denkt, es wird nix gefährlichs sein, und hab mittan.

Den gleichen Tag hats noch Biwack geben in Imlingen. Aber meine Achsel hat immer besser wehgetan, und so bin ich zum Verbandplatz, wo es gheißen hat – ein Granatsplitter.

Jetz ist er heraußen, und ich hoffe, daß ich bald wieder hinauskann zu meinen Kameraden.

Es grüßt Euch Euer

Sohn Ferdl
Gefreiter im 1. bayr. Inf.-Regt.«

 

Der Pentenrieder sitzt immer noch stumm, auf den Stock geneigt.

Der Posthalter gibt ihm den Brief:

»Die ham was derlebt, deine Buam, Nickl! Die können verzähln!«

»Ja ja,« sagt der Alte wieder einsilbig und schiebt auch den zweiten Brief ein; »'s Korn muaß halt jetz no droschen wern – 's Brotmehl werd knapp. An Knecht sollt i halt jetz kriagn statt meine Buam.«

Dann trinkt er aus und sagt: »No a Halbe, Nanni.«


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