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Kriegserklärung

Krieg! – Ein Weltkrieg! –

Wer hatte dies Wort geprägt?

Dies Wort, das so ungeheuerlich, so furchtbar ist, daß es vordem fast nur von alten Kaffeebasen und von Wahrsagerinnen in den Mund genommen wurde.

Die hatten ja schon immer gesagt: So und so – und wer das Jahr 1920 erleben will, der muß einen eisernen Kopf haben – denn da kommt der Weltkrieg.

Aber das glaubten nur die wenigsten im Volk; – ja – es gab so manchen, der trotz dieser seit Jahren wirklich drohenden Gefahr über solchen vermeintlichen Unsinn lachte.

Zwar hatte heuer im Juni da drunten in Serajewo ein Serbe sich am Leben des österreichischen Thronfolgerpaares vergriffen. Doch das war in Bosnien geschehen, und in Bayern regte man sich nicht lange darüber auf. Man verdammte den elenden Mordbuben, bedauerte aufrichtig die Unglücklichen, die seinem Anschlag zum Opfer gefallen waren, und hatte ein herzliches Mitleid mit den verwaisten Kindern und dem hartgeprüften alten Kaiser Franz Josef.

Man erwartete Sühne, – aber nur einzelne dachten an die möglichen Folgen und schüttelten bedenklich den Kopf.

Und dann kam es.

Mitten in den großen Fremdentrubel – mitten in das wohlig-gemütliche Ausruhen und sommerliche Rasten vieler Tausender schlug die Botschaft wie eine Bombe ein:

Österreich fordert Sühne! –

Österreich hat an Serbien ein Ultimatum gestellt! – Stunden beklemmender Spannung folgten.

Was wird Serbien tun? –

Am Samstag, den 25. Juli abends, traf dann aus Wien die Nachricht ein: Serbien nimmt das Ultimatum nicht an! –

Es gibt Krieg! –

Wie überall, so auch in München, wirkte das Wort »Krieg« in diesem Augenblick wie eine Erlösung.

Im Blut jedes einzelnen begann es zu wurlen und zu zucken, – man atmete auf, – man erhob sich, – lief hinaus in die Straßen, man tat, was jeder tat. –

Wie ein ungeheuerer Strom flutete tut Innern der Stadt die unendliche Menge dahin, – man wußte nicht, wo sie sich gesammelt – man redete nicht darüber, wohin es ging.

Ein Wogen – Brausen – Jubeln – Vorwärtswallen! »Hoch Österreich! – Hurra, Kaiser Franz! – Es lebe der Kaiser! – Der König hoch! – Nieder mit Serbien! Hurra! Hurra!«

Dazwischen weithinschallender Gesang.

Dann vor der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft. – Ein vieltausendstimmiges, brausendes Hochrufen; – plötzlich ein Augenblick der Stille – einer spricht – man lauscht, weint, – Hurra! Hoch! –

Der Gesandte erscheint auf dem Balkon.

Er dankt allen, die da kamen, und spricht die Hoffnung aus, Deutschland und Österreich möchten durch ewige Freundschaft und Waffenbrüderschaft verbunden bleiben. –

Und dann donnert's abermals und tost's durch die Menge: »Hoch! Hurra!«

Langsam bewegt sich der gewaltige Zug weiter. »Auf! Zum König!«

Vor dem Wittelsbacher Schloß dasselbe Schauspiel. Brausende Hochrufe.

Dazwischen tönt die Königshymne und »Deutschland, Deutschland über alles«.

Der König aber war in Leutstetten, und so wogte die Menge wieder weiter.

Im Innern der Stadt, in den Bierhallen, in den Kaffeehäusern – überall sammelten sich Hunderte – Tausende.

Stürmisch wurden von den Musikkapellen vaterländische Lieder verlangt und von der Menge stehend mitgesungen.

Eins dieser Kaffeehäuser ging dann an jenem Abend in Scherben; infolge eines Mißverständnisses, wie es später hieß. –

Auch sonst mag mancher in diesen Tagen gewerkt und geschrien haben, dem es besser angestanden wär, zu schweigen; aber das lag halt in der Natur der Sache. –

Eine Woche voll drückender Ungewißheit folgte dieser kurzen, erregten Zeit.

Was wird Rußland tun? – Was Frankreich und England? –

Mittlerweile kehrten die Fürsten in ihre Residenzen zurück, die Sommerfrischler kamen wieder in die Hauptstadt, und die alten Weiber liefen nach der Stadtsparkasse, ihre paar Gräten heimzuholen und im Strumpf oder Strohsack zu verwahren.

Neue Botschaften! –

Rußlands drohende Haltung – Beschießung von Belgrad – nächtlicher Ministerrat in Paris – und schließlich: Rußland mobilisiert!

Mit der darauf in Deutschland folgenden Verhängung des Kriegszustandes begann in München eine allgemeine Flucht der Fremden. Ein Sturm auf alle nach dem Norden gehenden Züge setzte ein, und neben den Bergen von Koffern und Körben schob sich eine ungeheuere, aufgeregte, rufende und fragende Menge durch die Sperren des Bahnsteigs. –

Der nächste Tag, es war Samstag, der 1. August, brachte noch Nachrichten von letzten Vermittlungsversuchen: Der Großherzog von Hessen reist nach Rußland. – Deutschland fragt amtlich in Petersburg an, – Deutschland verlangt Antwort innerhalb zwölf Stunden. –

Rußland schweigt. –

Und dann …

Berlin, 1. August 1914, 6 Uhr 30 Minuten abends: »Seine Majestät der Kaiser ordnete die Mobilmachung des deutschen Heeres und der Flotte an.«

Zu Hunderten drängte sich die Menge um die Telegrammtafeln, – wie ein Aufatmen ging es durch die ganze Stadt: Mobil! –

Als dann kurz darauf vom König ebenfalls die Mobilmachung für die bayerische Armee befohlen wurde, hatte schon alle eine ungeheuere Bewegung ergriffen.

Die Tageszeitungen sagten dazu lakonisch: »Die Bekanntmachung wurde von der Bevölkerung mit stürmischer Begeisterung aufgenommen.«

Ja – wahrlich! – Wer in diesen Tagen unser Bayernvolk sah, – hörte, – der konnte guten Muts für kommende Schrecken sein, – konnte kecklich mit einstimmen in den tausendfachen Sang: »... Fest steht und treu die Wacht – die Wacht am Rhein!«

So war's in Bayerns Hauptstadt.

Draußen aber, in den Märkten und Dörfern, auf Feldern und Fluren – da war in den letzten Julitagen nicht vieles anders denn die Jahre vorher.

Da mähten die einen, banden die andern; Fuder um Fuder ward schweigsam im Schweiß des Angesichts aufgebaut – heimgefahren – abgeladen.

Der Bauer gab kurz seine Befehle – tat sein Tagwerk; die Bäuerin wirtschaftete im Haus und im Stall, die Söhne und Knechte schafften ihr Werk wie immer.

Da und dort war auch einer auf dem Feld, der trug den Rock des Königs, – und von den Söhnen war der und jener Soldat, – hatte dieser und jener seinen Ernteurlaub. –

Still und geruhig ging's überall her; man nützte die Tage und sah kaum nach den drohenden Wettertürmen am Himmel, – sah kaum in die Zeitung, die jetzt voll von allerhand Kriegsgerede und Alarmnachrichten war, und machte einen Acker um den andern leer, – eine Tenne um die andere voll mit Heu, Klee, Korn, Weizen.

Aber wenn sie zu den Mahlzeiten im kühligen Hausflöz beisammensaßen und mit dem Löffel langsam bald in die Schüssel über, bald unter den Dreifuß fuhren, da nahm der Bauer die Zeitung, las eine Weile, führte seinen Löffel bedächtiger zum Mund und sagte danach: »Schaugts, daß's firti werds draußt, – i fürcht, es geht bald los.«

»Ah was! Dös hoaßts scho wie lang alleweil!« meint die Bäuerin.

»Ja – wenns nur grad amal losgang!« ruft der jüngere Sohn, einer vom Leibregiment.

»Vo mir aus gibts heunt no an Kriag!« sagt der ältere, Gefreiter bei der Feldartillerie.

»Was nur alleweil habts mit enkan Kriag! Es gibt koan Kriag net, sag i!« brummt die Hausmutter und macht das Kreuz und betet: »Himmlischer Vater, wir danken dir, daß du uns gespeist hast …«

Da tritt der Postbot ein – mitten unterm Beten. »Hans! A Telegramm! – Sepp! – Für di aa oans! – Pfüat enk Good.«

»Gelobt sei Jesus Christ,« schluckt die Bäuerin. »In Ewigkeit. Amen,« sagt halblaut der Bauer.

»Muata – i muaß glei furt – eirucka,« kommt's von den Lippen des Jüngeren.

»Vata – i muaß abfahrn – glei auf der Stell?« tönt's vom Mund des Älteren.

Und sie weisen den Alten ihre Befehle.

»Jess Maria – daß Gott derbarm!«

Die Bäuerin schlägt nochmals ein Kreuz.

»Jetzt grausts ma; jetz bring i mei Sach nimmer hoam.«

So sagt der Bauer und starrt auf die Telegramme. »Ja no – des is halt a so.«

Langsam deckt die Dirn ab, – langsam legt die Bäuerin das härwene Tischtuch in die Schublade.

Da geht der Bauer in die Kammer.

Nach einer Weile kommt er wieder, zählt zwanzig Talerstücke auf den Tisch und sagt zu seinem Weib: »Dreißg Mark für an jeden. Richt eahna d' Sach zsamm, Muata!«

Nach einer Weile ein helles Juchzen im Hof.

Vom Stall her antwortet ein zweites – von der Straße her ein weiteres.

Da steht der Sepp in der Uniform des Leibregiments; die Mutter schneidet, ihm ein Zweiglein Rosmarin vom Stock, – der Vater reicht ihm den braunen Handkoffer: »Schaug halt, daß d' wieder kimmst, Sepp.«

Der Hans tritt aus dem Stall: »Juhu! – Vater – schnell no an Schapfa Bier her! … He! Kurbei! – Wastl! – Da gehts hera! … Mir gengan aa glei mit! … Trinkts no schnell amal, ehvor!«

Die Dirn steigt eilends hinab in den Keller und bringt etliche Flaschen.

Der Bauer langt die blaue, bauchige Krugl vom Fenstersims und schenkt ein: »Soo. Trinkts, Buam! – Daß's wieder hoam kemmts!«

»Dös tean ma schon. Aber zerscht müaß ma no auf Paris eine!«

»Und auf Petersburg!«

Alle lachen – juchzen – trinken.

Der Hans besteckt sich mit Balsaminen und Georginen, – der Wastl vom Nachbar bettelt sich ein Rosmarinsträußl, – und der Kurbei vom Häusler beginnt zu singen: »Siegreich wolln mir 's Frankreich schlagen …»

»'s Rußland hoaßts jetz – du Ochs!« verbessert ihn der Wastl, und ein lustiges Lachen ertönt.

Dann ein kurzer Abschied.

»Also – pfüat enk der Himmel! Mir arbatn scho, daß koana einakimmt auf Bayern – koa Franzos und koa Ruß! –Geh – woan net Muata! – Mir san ja no net daschossn! – Des hat do no Zeit bis darnach!«

»Pfüat di Good, Vata. Mir kemman scho wieder.«

»Pfüa Good. Bauer.«

»Pfüa Good.«

»Juhu! Jujujuhu! – – – Siegreich wolln mir 's Frankreich schlagen – sterben als ein tapfrer Held …«

Stumm geht der Bauer an die Arbeit.

Die Bäuerin läuft die Stiegen hinauf und steht lange auf der Laube, wo die dreien Geranien feuerrot blühen, steht und schaut lang hinaus, bis der Wald die Dahingehenden aufnimmt.

Schweigsam geht der Tag dahin; – schweigend sitzt man bei der Abendsuppe.

Bald darauf dröhnt der Hausriegel, – der Bauer verwahrt sein Sach heut ehender denn sonst, – er ist müd.

Die Bäuerin folgt stumm und mit rotgeweinten Augen.

Ums Gebetläuten liegt alles ringsum in der Ruh, – nirgends mehr sitzt einer auf der Hausbank.

Da – um halb zehn Uhr fährt der Bauer auf. Die Hunde geben wütend Laut – Stimmen von Männern dringen vom Hof herein. –

Jemand rüttelt an der Haustür: »He da! – Aufmacha! – Auf da! – Bauer! – Ortsführer!«

»Was gibt's?« fragt der Bauer aus dem Fenster.

»Der Kriag is erklärt! – Unterschreiben! – Der Ortsführer muaß unterschreibn!«

»Der bin i net. Naa. Der Kriag, sagts? … Der Windl drent … Der Nachba is Ortsführer … Is er vom Kini selber erklärt …?«

Aber die hören ihn nicht mehr; schon dröhnen ihre Stiefel an die Tür des Nachbarhauses.

»Aufgemacht da! – Der Kriag is erklärt! – Unterschreibn! – Ortsführer, auf …!«

Langsam vergeht die Nacht, – in mancher Kammer verlöscht das Licht erst beim Morgengrauen.

Am andern Tag sagt der Bauer: »I muaß an Knecht habn; – der Woaz muaß hoam, daß ma in d' Mühl fahrn kinnan – der Kriag is erklärt …«

 


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