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Es ist ein Schnitter …

Es ist um den Tag, da man den Erzengel Raphael feiert.

Wieder einmal will ich einkehren in meinem Heimatort.

Ratternd und fauchend fährt mein Zug durchs Tal. Der junge Schnee glänzt auf den Höhen, über den Muren und Feldern, liegt schwer auf den Zweigen der uralten Tannen des Forst's und leuchtet von den niedern Dächern der Bauernhäuser ringsum.

Erst leise, verhalten, dann immer heller klingt das Läuten einer Glocke herüber; der schlanke, spitze Turm ragt aus dem Wald von knorrigen Obstbäumen, das Dorf liegt vor mir.

Der Zug hält.

Der letzte Ton der Glocke ist verhallt.

Ernste, schweigende Menschen wandeln an mir vorüber; alte, gebeugte Bauernweiber im schwarzen Wollkittel und seidenen Kopftuch, – müde, abgerackerte Männer mit samtenen Leibstückeln und silbernen Talerknöpfen, – junge, handliche Dirnen und riegelsame Weiber in schwarzen Gewändern und florbesteckten Hüten.

»Grüaß di Good, Nackmoarin!« grüßt einer, der alt Sixen.

»Grüaß di Good, Sixen,« erwidert die Bäuerin.

»Gehst eahm aa mit seiner Leich?«

»Ja. Is ja a meiniger Gvatter gwen, der Lehrschneider.«

Ich gehe durchs Dorf – zum Gottesacker.

Da hat der Totengräber schon sein Werk getan, – die Grube, darin der Lehrschneider seine letzte Ruhstatt haben soll, ist gegraben. Ein grauer Erdhügel liegt daneben, morsches Gebein ragt daraus.

Und wieder hebt die Glocke an zu läuten, die zweite folgt, das feine Klingen der Armeseelenglocke mischt sich drein und das klagende Singen des Zügenglöckleins, das dem Toten bei seinem Abscheiden geklungen, tönt dazwischen.

Dort drüben tragen sie ihn aus dem armseligen Haus, und betend folgt die Menge.

Langsam bewegt sich der Zug gegen die weit geöffneten Gittertüren des Freithofs.

Ich wandle durch die Reihen der beschneiten Hügel.

Und hinter der Kirche finde ich den Totengräber schon wieder an der Arbeit.

»Grüaß di Good, Kaschba!«

»Grüaß di Good aa.«

»Für wen muaßt denn aufmacha?«

»Für de alt Leinthalerin. Der Schlag hat s' troffa. Es is halt a weng gar z'viel gwen für sie: der oanzig Bua – und glei ganz hi … ja, ja … der Kriag …«

Durch die Gräberreihen humpelt ein steinalts Leut, tiefgebückt auf seinem Krückstock, – das narrisch Waberl.

Da und dort bleibt sie stehen, betrachtet das verrostete Kreuz hier, – den marmornen Grabstein dort, – und dann redet sie für sich selber: »Gell, bist halt dengerscht aa net überbliebn! – Hast gmoant, weilst Gulden grad gnua hast – triffts di net! Aber der Kriag – gell – Bruader – der Kriag – drei Buam – zwee tot – oana verkemma – ja Bruada – jetz hat di 's Geld aa nimmer gfreut – jetz hast gar an Strick braucht um d' Gurgel – und an Nagel – am Heubodn …«

Sie steht vor einem frischen Erdhügel.

Ein welker, beschneiter Kranz liegt darauf.

»Werd di leicht gar a weng friern da drinn, Buschenreiterin! – Hast es alleweil gern warm ghabt dahoam! – Aber dein Ruah hast … und hast es nimmer dalebt … von deine Buam. – Han brave Soldatn gwen – alle zwee … und jetz hands halt aa dahin … alle zwee … Insa Herr gib enk allsam die ewi Ruah …«

Drunten auf der Dorfstraße, die zum Bahnhof führt, zieht ein Häuflein Rekruten dahin, und ihr Juchzen und Schreien schallt herüber bis zum Freithof:

»Gloria – Gloria! Gloria Viktoria!
Mit Herz und Hand fürs Vaterland –
Fürs Vaterland! – Juch!«

Vorne wird der Lehrschneider eingegraben.

Der Pfarrer redet vom Opfer – vom Krieg.

»Er starb einsam, indes seine Söhne draußen stehen auf dem Felde der Schlachten …

»Und die Vöglein im Walde –
Die sangen so wunder-wunderschön:
In der Heimat – in der Heimat –
Da gibt's ein Wiedersehn!«

Der Wind trägt den Sang der Burschen herüber.

Da kommt einer langsam, den einen Fuß nachziehend, in den Freithof, – ein Soldat – der Rohrmüller.

Er geht an eins der Gräber, steht schweigend, die Mütze in der Hand, und eine Zähre rollt ihm langsam in den Bart.

Er starrt auf die Blechtafel, darauf steht:

»Hier liegt die ehrsame Rohrmüllerin Maria Raindl, gestorben den dritten Oktober 1914 mit dreißig Jahr im Kindlbett. R. I. P.« …

Droben beim Posthalter richtet man zum Leichenessen an für die Freundschaft des Lehrschneiders.

Da kommt der Postbot.

Ein Telegramm für den Wirt.

Die Wirtin nimmt's, – macht's auf .., »heiligs Kreiz …«

Sie fällt in den Stuhl wie ein Baum.

Aber bald rafft sie sich wieder zur Höh, klaubt geschäftig an ihrem Gewand, am Schlüsselbund, an der Geldtasche herum, fährt sich über die Stirn, schaut scheu um sich – und wirft das Papier in die Herdflammen.

Der Wirt trägt einen Kübel voll Fleisch aus dem Schlachthaus, da sieht er den Postboten.

»Hast epps für mi ghabt, Simmerl?«

»Ja – an Telegramm, – d' Wirtin hat'n scho.«

»An Telegramm sagst ..vo wem kann denn der sein?«

»Woaß's net; leicht epps militarischs. – Was is's mit deine Buam, Posthalter? – San s' jetz beinand?«

»Ja. Alle drei hands beim Leibregiment. – Geh, trink schnell a Halbe.«

Er trägt das Fleisch in die Kuchel.

»Muatta, der Simmerl sagt, a Telegramm ..«

Sie steht am Herd und fährt mit dem Schürhaken in der Glut herum: »Ah – nixn is's … a Geld … es is nixn …«

Aber da würgt es in ihr und ein Weinen schüttelt die große Frau.

»Muatta … ums Christi … is's der Sepp … oder der Hans … oder – der – Maxl? …«

»... Alle drei …«

Drinn in der Gaststube verabschieden sich etliche Einberufene: »Aufgehts, Buam!«

Eine Ziehharmonika ertönt, gellende Juchschreie hallen durchs Haus, und die Burschen ziehen singend dahin.

Der Wirt geht aufrecht und stumm aus der Kuchel.

Sein Enkelkind, das Resei, läuft auf ihn zu:

»Großvata! …«

Da knackt der große, hagere Körper zusammen, fällt zur Erden, – ein Schlag hat ihn gestreift, – seine Glieder gelähmt, – seinen Mund verstummen gemacht.

Aufschreiend rennt das Kind in die Küche: »Großmuatta! … Großvata … hilfen! …«

Danach läuft's aus dem Haus und vor zur Nagelschmiedin, ihrer zweiten Großmutter. Denn die Nagelschmieds Resl ist des Posthalters Hansl sein Weib.

Das Kind hängt sich an die altmodische Klinke der Haustür und macht auf, läuft hinein in den Flöz – in die Kuchel – in die Stube: »Großmuatta!«

Aber da sitzt die Großmutter am Tisch, hat die alte Hornbrille in der einen Hand, ein Papier in der andern … und auf dem Papier steht: »Mutter, der Martl liegt tot in Rußland. Ich bin verwundet im Lazarett …«

Starr sitzt sie – ihr Blick aber ruht auf einer alten Zeitung am Tisch. Da stehen die endsgroßen Buchstaben der Aufschrift: »hundertfünfzigtausend Russen liegen tot in den masurischen Seen – hunderttausend sind gefangen …«

Und langsam legt sie den Brief aus der Hand, schaut auf das Kind und wieder auf die Zeitung.

Und setzt langsam wieder die Hornbrille auf und starrt vor sich hin und schlingt die Finger ineinander wie zum Beten.

Dann nimmt sie das uralte, abgegriffene Betbuch vom Fensterbrett, schlägt es auf, setzt das Kind auf ihren Schoß und liest: »Siehe, meine Tage sind einer Hand breit bei dir – und mein Leben ist wie nichts vor dir – denn der Mensch – vom Weibe geboren – lebt kurze Zeit – und ist voll Unruhe – gehet auf wie eine Blume und fällt ab – fliehet wie ein Schatten und bleibet nicht – du lässest ihn dahinfahren wie einen Strom – und er ist wie ein Gras – das da frühe blühet und bald welk wird – und des Abends abgehauet wird und verdorret …«

Das Kind springt plötzlich vom Schoß der Alten und läuft hinaus, denn Gesang wird laut von der Straße her. Und es zieht ein Häuflein Wehrkraftbuben, von einer Übung heimkehrend, gegen den Bahnhof; sie schwenken den mit Tannenreis geschmückten Hut, begrüßen die Bauern, denen sie im Herbst mit frischer Hand die Ernte eingebracht, die Erdäpfel vom Feld geholt und den Traid gedroschen – und singen mit heller Stimme:

»Kein schönrer Tod ist in der Welt,
Als wer vorm Feind erschlagen,
Auf grüner Heid – im breiten Feld,
Darf nicht hörn groß Wehklagen.

Manch frommer Held mit Freudigkeit
Hat zugsetzt Leib und Blute,
Starb selgen Tod auf grüner Heid,
Dem Vaterland zugute.

Kein schönrer Tod ist in der Welt,
Als wer vorm Feind erschlagen,
Auf grüner Heid, im freien Feld,
Darf nicht hörn groß Wehklagen.«


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