Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Allerhand aus der ersten Kriegswoche

Jung Bayern

»Hurra! – Bayern, schiabts! – Da drent is der Feind!«

So tönt's die Lazarettstraße entlang, und eine Horde von zwanzig Schulbuben stürmt gegen die Thorwaldsenstraße.

Ihre weiß-blaue Flagge haben sie an einen Besenstiel genagelt, und ihr Träger schwingt sie hurraschreiend bei seinem Sturmlauf.

Jeder ist bewaffnet. Mit Holzprügeln statt der Gewehre, – mit Hafendeckeln als Brustwehr, – mit groben, selbstgeschnittenen Seitengewehren.

Etliche tragen Kinderhelme aus Pappendeckel mit roten Haarschwänzen darauf; andere solche aus Zeitungen mit reichen fliegenden Büscheln aus Seidenpapier. Die Kommandierenden aber schwingen stolz eine wirkliche Soldatenmütze.

Plötzlich halten sie ein im Lauf.

»Bayern, halt! – D' Franzosen kehrn um! – Jetz gibt's a Schlacht! – Aufstelln! – Prügel herrichten! – Sturmangriff! – – Los! – Hurra!«

Ein Haufen Buben stürmt aus einem Hausgang. Einer schreit: »Vorwärts! – D' Bayern kemman! – Jetz müaßts allsam Fife la franz plärrn und nacha d' Arm in d' Luft strecka und sagn: Bardon Musje!«

»Wenn ma mögn scho!« tönt's zurück; »zuaghaut werd richti – aber franzesisch plärrn – naa! – Dees konnst dir denka! – Pfui Teife!«

Dann folgt die Schlacht.

Mit ihren langen Prügeln dreschen beide Parteien das Straßenpflaster, daß es kracht und die Splitter fliegen. Plötzlich aber werfen die »Franzosen« ihre Waffen weg und nehmen Reißaus, verfolgt von den jubelnden, heulenden »Bayern«.

Etliche sind auch als »tot« oder »verwundet« während der Schlacht umgefallen und werden nun von »Sanitätern« auf rohgezimmerte Tragbahren gelegt, mit Bettvorlagen, Haderlumpen oder mit dem Generalanzeiger der Münchner Neuesten zugedeckt und ins »Lazarett« geschafft. Das ist ein niederes Zelt mit der Roten Kreuzfahne drauf; eine Flammers Seifenkiste, bemalt mit dem Genfer Kreuz, steht vor dem Eingang, und drin hantieren ein paar Mädchen, gekleidet als Krankenschwestern, mit alten Bierflaschen und Kindsfatschen.

Ein Haufen »Franzosen« wird abgefangen, mit Stricken gefesselt und nach den Zelten auf der Zeughauswiese gebracht; sie sind alle geduckt – verärgert – beschämt.

»I mag nimma mittoa!« murrt ein kleiner Kerl; »die ganze Zeit sollt ma a Franzos oder a Ruß sein und si verprügeln lassen! – I mach jetz aa r an Bayern, – daß ihrs wißts!«

Man redet ihm zu: »Ah geh, Schorsche! – Sei do gscheidt! – des is do grad a Gschpui!«

»I pfeif enk auf des Gschpui!«

Er läßt den Kopf hängen und trottet mißmutig dahin gleich den andern Gefangenen.

Nun sind sie bei den Zelten.

Alte Bettziechen, Decken, Vorhänge und Rupfen sind hier über kunstgerechte Stützbauten gehängt; ein kleines Feuer raucht vor dem einen, – eine amerikanische Flagge weht auf einem andern.

Die Gefangenen werden hier mit wahrem Indianergeheul empfangen, gehörig verprügelt und danach in ein Zelt eingeschlossen, daraus sie aber sogleich entweichen und sich zerstreuen.

Eine Trommel ertönt – die Fahne der Bayern weht durch die Gassen, – eine neue Armee bildet sich.

Und dann zieht die Horde dahin, und ihr Gesang schallt frisch und keck die Häuser und Kasernen entlang:

»Es welken alle Blätter,
Sie fallen alle ab; –
Und daß mich mein Schatz verlassen, –
Ja daß mich mein Schatz verlassen, –
Das kränket mich so sehr!«

»Die Lausbuben!« brummt ein alter Herr vor sich hin.

Während nun die einen wieder eine neue »Schlacht« vorbereiten, machen sich etliche an die Kasernen und betteln bei den Soldaten: »Bittschön, schenken S' ma a alte Mützen! – I möcht so gern a ›Bayer‹ sein!«

Erhalten sie dann eine oder ein paar, dann raufen sie sich erst tüchtig drum. Die Sieger aber schwenken das kostbare Ding jubelnd und schreiend: »Hurra! Bayern hoch! – Nieder mit de Feind! – Unser Kaisa soll leben! Unser König daneben! Hurra! Hurra! Hoch!«

 

Der Spion

Aus dem Angerkloster tritt eine Nonne.

Der Schleier umrahmt ein grobgeschnittenes, faltenreiches Gesicht, große, grobe Arbeitshände verbergen sich in den weiten Ärmeln.

Unter dem faltigen Rock stapfen ein Paar ungeschlachte Füße in unförmigen Schuhen.

Mit hastigen Schritten eilt die Klosterfrau über den Platz; ein kleines Mädchen gibt ihr die Hand und grüßt sie – eine rauhe, schier männliche Stimme antwortet dem Kind, das sich danach umwendet und der weitereilenden Nonne nachblickt.

»Was schaugst denn, Kloane?« fragt eine vorübergehende Frau das Mädchen.

»Dera Schwester schaug i nach; die is wia a Mann.«

»Welcher Schwester?« fragt die Alte wieder; aber da sieht sie die Nonne eben in eine Straße einbiegen.

Sie läuft ihr nach, so rasch sie kann.

»Oho! Wo aus denn so eilig, Frau Wimmer?«

»Hab koa Zeit! I hab wem in der Reissen – a Mannsbild in a r an Klosterfrauengwand!«

»Mariand Josef! Den hab i aa grad gsehgn! Da muaß i glei aa mitlaafa!«

Beide rennen nun hinter der alten Nonne her, bis sie ein Bekannter aufhalten will: »Halt, halt, meine Liabn! Da werd nix grennt! …«

»Gengans doch zua und haltn S' uns net auf, Herr Burger! Uns pressierts!«

»Ja freili. Wo brennts denn?«

»Mir verfolgn wem …«

»Ja – a Mannsbild …«

»Ja – als Klosterschwester … dort … sehngs? …«

»Was? – De Schwester? – Sie, de muaß i ma r aa a wengl oschaugn!«

Und er läuft eilends dahin.

Nun sind aber schon etliche Neugierige aufmerksam geworden; und da sie das Wort »Schwester« hören, ist ihr Urteil fertig.

»Was sagn S'? De Schwester? … Ja, das werd halt a Russ' sei … oder a Spion! … Da müaß ma glei aa mit!«

Die Nonne biegt derweil ins Rosental ein. Plötzlich hört sie hinter sich eiliges Laufen. Sie schaut um und sieht, wie ein Trupp Menschen um die Ecke rennt, die Straße überquert und nun ihr gegenüber gleichen Schritt mit ihr hält.

Da greift sie rasch nach ihrem Schleier – befühlt das Gewand, – schüttelt den Kopf und geht weiter.

Drüben wird die Menge immer größer, und ein kleiner Schusterbub plärrt plötzlich: »Maxe, da geh hera! – A Spion!«

»A Spion!«

Plötzlich wird's lebendig in der Horde.

»Fangts'n do, den Kerl, bevor er was anstellt!« ruft einer.

»Hauts'n nieder, den Hund!« ein anderer.

»Verhaften lassen!« – »Niederschiaßn!« – »Dagarma!« so tönt's wild durcheinander.

Die Nonne merkt etwas.

Sie beginnt zu laufen.

»Aha! – Jetz werd eahm Angst, dem Hund!« höhnt einer, und alles rennt hinterdrein.

»Packts'n zsamm!« – »Schlagts'n tot!« –

Die Nonne eilt in fliegender Hast dahin. Plötzlich stürzt sie in ein Haus mit einem Gittertor, schlägt das Tor zu und rennt die Stiege empor.

Eine Köchin tritt eben aus einer Wohnung; da kommt die Schwester.

»Ich bitte Sie um Gottes willen, Fräulein! Schützen Sie mich!«

Ein Schutzmann eilt die Stiege herauf.

Ein Krimminalkommissär folgt.

Drunten tobt und schreit die Horde.

»In Stückln werd er dahackt! – Zu Voressn werd er daschnittn! – In Fetzn werd er daschlagnl«

So tönt's wild durcheinander.

Droben findet inzwischen eine peinliche Untersuchung vor den Schutzleuten, den Hausleuten und der Köchin statt, wobei sich herausstellt, daß die Nonne wirklich ein Weib – eine Nonne ist.

Die trostlose, schluchzende Schwester wird in ein Automobil gebracht und unter dem Johlen und Schreien halbwüchsiger Burschen wieder nach dem Kloster geschafft.

Die Menge aber hat schon wieder einen andern »Spion« auf dem Korn.

 

Die Wasserleitung

Vor den Telegrammtafeln stehen dichte Gruppen Neugieriger.

»Was is's? Gibts no koa neues Telegramm?«

Alles wartet; denn gewöhnlich um diese Zeit kommen die neuen Anschläge.

»Aha! Da kommt er schon!«

Man macht dem Radler Platz; aber sogleich schließt sich ein erdrückender Ring um ihn und alles fragt:

»Was gibt's? – An Sieg?«

Aber der Radler antwortet nicht. Toternst und mit fieberhafter Eile reißt er das alte Telegramm ab, zieht einen roten Zettel aus der Ledertasche, klebt ihn fest, – und stürzt weg, – aufs Rad – und dahin.

Die Menge aber steht starr, – einer blickt den andern an, als hätte er soeben die Posaunen des Jüngsten Gerichts in den Ohren dröhnen gehört, – die Ankommenden fragen ungestüm – keine Antwort; – man sieht hin – liest – und murmelt erbleichend: »Entsetzlich!«

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Schreckenskunde: »Die Münchner Wasserleitung ist vergiftet worden!«

*

Auf Straßen und Plätzen wimmelt's von bleichen, zähneklappernden Weibern – von erbitterten, grimmig und verstört dreinschauenden Männern.

»Gellns – d' Wasserleitung! …«

So tönt's einem überall und unausgesetzt ans Ohr.

»Entsetzlich! – Schauderhaft!« flüstert eine dicke Dame.

»Dees is sauber!« sagt ein Dienstmann.

»Ja, sagn S' nur grad – was soll denn jetz werdn?« ruft am Viktualienmarkt drunten eins dem andern zu. »Des is doch scheußlich! – Da muaß ja Mensch und Viech z'grundgeh!«

»Ja – es is furchtbar. – Cholerabazillen solln drinn sei!« sagt ein alter Herr.

»Naa – i hab ghört, Tiffus is's!« erwidert eine Herrschaftsköchin.

»Ah, gar koa Spur, – Ziankali hams nei!« schreit eine Ganshandlerin dazwischen; »fünf Zentner Ziankali – hat der Meier Toni gsagt – und der muaß's doch wissen als Kuttelwascher!«

»Fünf Zentner Ziankali! – Entsetzlich!«

Ein Frost beutelt jeden.

*

In der Bräuhausküche geht's drunter und drüber.

Da schleppen zwei handliche Köchinnen den endsgroßen Suppenhafen vom Brunnen zum Herd – eine wirft so ein zwanzig – dreißig Pfund Rindfleisch hinein, und die Frau Wirtin gibt Zwiebel und Grünzeug dazu und deckt den großmächtigen Deckel drauf.

In der einen Ecke steht die Nandl und wäscht den Kopfsalat, – in der andern hockt die Theres, die ein Dutzend Brathendln einputzt.

Daneben wird grad in dem breiten Grand das Spülwasser eingefüllt, Teller und Schüsseln hineingeworfen und von etlichen Weibern gewaschen und gespült.

Drüben auf der Glut aber steht ein Endstrumm Wurstkessel, in dem allerhand Weiß- und Bratwürst, Dicke und Dünngselchte, Stockwürst und Gschwollne gebrüht und gewärmt werden.

Vom Büfett her erschallen die Rufe der Kellnerinnen: »Sechs Paar Brat auf drei … fünf Gschwollne auf zwoa … a Tellerfleisch … a Bullio mit und oane ohne Ei!«

Teller und Platten klappern, – die Kathi zieht die Würste aus dem Kessel, wiederholt die Bestellungen und gibt alles ans Büfett.

Die Zenzi schlägt ein Ei in den Suppenteller, löst eine Maggikapsel in kochendem Wasser, gießt ein wenigs von der alten, fetten Hühnerbrüh dazu und richtet die Bouillon mit und ohne Ei.

Die Wirtin läßt ihre Wünsche und Befehle hören, sieht in die Häfen, – rührt in den Töpfen, – schiebt an den Schüsseln und klappert mit den Deckeln; – dann setzt sie sich ans Büfett, wischt sich mit der weißen Leinenschürze den Schweiß von der Stirn und ruft: »Zenzl, mach mir a Naturlimonad!«

Die Zenzi läuft – schwenkt das Glas am Brunnen und bereitet den Trunk.

Zwei Löffel Zucker – umgerührt – die Wirtin leert das Glas auf einen Zug: »Ah –is dees .a Wohltat – so a frischer Trunk!«

In diesem Augenblick stürmt einer aus dem Saal ans Büfettfenster: »Habts es scho ghört – d' Münchner Wasserleitung is vergift! – 's ganz Wasser is voll Cholera und Ziankali! …«

Durch die Küche gellt ein siebenfacher Aufschrei, – dann ist alles wie erstarrt.

Nur langsam löst sich die Zunge der Entsetzten: »Mariand Josix! – Gfeit is's! – Alles is vergift!«

Die Zenzi schreit: »Teats d' Wurscht raus! – Die werdn ja aa vergift!«

»Und's Fleisch ausn Suppenhafa!« ruft bebend die Nandl.

»An Salat ausn Wassa!« befiehlt die Kathi und rennt selber und gießt alles in den Ausguß.

Jede sucht zu retten, – die Wirtin aber lehnt kalkweiß am Büfett und haucht: »Gfeit is's … Holts an Dokta … i bin vergift … Sperrts zua … i bin scho hin …«

*

In der Vorstadt rennt einer von Haus zu Haus, läutet Sturm an allen Nachtglocken und plärrt durch die Stiegenhäuser: »'s Trinkwasser is vergift! – D' Cholera kimmt!«

»Heiligs Kreiz! …«

Die Frau Huber – im Schlafrock – ohne Haar – ohne Zähne –: »Insa liabe Zeit … d' Cholera … Frau Sekretär … Frau Baumeista … O mei, o mei …"

Die Frau Baumeister zittert an Händen und Füßen: »Aber das ist ja scheußlich! … Das ist ja Massenmord!«

»Da geht ja die ganze Stadt München z'grund!« jammert die Frau Huber. »Mit was soll ma denn da unsern Kaffee kochen …«

»Und unser Fleischsuppen? …« stöhnt die Frau Baumeister.

Mit einemmal aber schreit die Frau Huber: »Allmächtiger … meine Zähn! … Mei neus Gebiß! … Des liegt jetz im Wasser … und i trau mirs nimmer 'neinz'toa …«

Jetzt erscheint die Frau Sekretär im weißen Unterrock und rosa Nachtjackerl aus dem Hochparterre, das heiße Onduliereisen im aufgelösten Haar: »Was is denn los? Wo brennts denn?«

»Ach … ham Sie's denn net ghört, Frau Sekretär? … 's Wasser … Gift hams nei … D' Cholera is da!«

»Ach!! …«

Ein gellender Aufschrei.

Das Onduliereisen liegt am Boden – die Frau Sekretär rennt mit fliegenden Haaren zum Haus hinaus, über die Straße und hinauf zum Doktor.

Schrill tönt die Klingel, – der Arzt öffnet, – die Frau windet und krümmt sich: »Herr Dokta … helfen S' … Cholera … au … 's Trinkwasser … mei Kaffee …«

Sie stürzt hinein ins Sprechzimmer; – aber da sitzen und lehnen schon ringsum jammernde Weiber – klagende Mütter mit schreienden Säuglingen. –

Und draußen zieht schon wieder jemand wie wahnsinnig an der Klingel.

Der Arzt sucht sie alle zu beruhigen.

Er geht zum Telephon – fragt an – wartet – spricht – dankt – hängt ab.

»Also, meine Damen – gehn S' nur wieder heim! – Das mit der Wasserleitung ist Schwindel, sagt das Gesundheitsamt. – Das Wasser ist vollkommen rein!«

Ungläubige Mienen – schmerzverzogene Gesichter.

»Des glaabn S' aba scho selber net, Herr Dokter! Schaugn S' eahna mei Büaberl o – des werd scho ganz schwarz!«

»Und mir zreißts meine Därm!«

»Und i verlier scho 's Bewußtsein …«

Der Arzt lächelt.

Dann geht er einen Augenblick hinaus, – man hört ihn den Brunnen aufreiben – das Wasser sprudeln – ein Glas schwenken – vollaufen; – er bringt es hinein zu den Frauen und – ein Aufschrei – er trinkt vor ihren Augen das Glas leer.

»Soo,« sagt er lachend; »in einer Stunde dürfen Sie wiederkommen und nachschauen, ob ich noch lebe, – Inzwischen können Sie ja Choleratropfen aus der Apotheke holen – ich habe die Ehre!«

Draußen hat er sie.

Auf der Stiege begegnet den Frauen das Kocherl vom ersten Stock. Sie trägt zwei große Kupfereimer voll Wasser.

»Mir kochen heut mit Weihwasser!« sagt sie lachend. »In der Kirch drübn habn s' gestern frisch gweicht!«

Da tritt ihr Dienstherr aus der Tür: »Was is's mitn Weihwasser? … Was? … kochen? … Sie san wohl übergschnappt! … Zu was brauchen denn mir überhaupts a Wasser? … Für was hat ma denn a Bier? … Marsch, sag i! – Sofort wieder zruck damit! Und heut koch i … verstanden! … Holn S' vier Ripperl und drei Radi, a Pfund Butter und drei mal drei Quartl Bier! – Punktum!«

 

Beim Automobilfang am Land

Droben in der Kirche war grad der Seelgottesdienst für die alt Staudenweberin, Gott hab sie selig, zu End, und die Leut gingen gruppenweise, diskutierend und über den Krieg jammernd, heimzu.

Da kam der Herr Wachtmeister samt dem Gendarmen in größter Eile über den Marktplatz gelaufen und schrie: »Obacht! D' Straßen absperrn! A Automobil voll Russen is von Rosenhoam her gmeldt! – Aufhalten und de ganz Bande zu mir bringa!«

Heißa! Das traf!

Die alten Weiber kreischten auf – schlugen das Kreuz und riefen alle Heiligen um ihren Schutz an, während jede so schnell wie möglich heimzukommen trachtete. –

Die Bauern schüttelten den Kopf, fluchten und ballten die Faust und gingen danach ins Wirtshaus, wo man besser über die verdammte Gschicht reden konnte, wie daheim.

Die Jungen aber – und die Handwerker des Markts! – Bruder – denen stieg's heiß auf!

Die sprangen heim und holten, was sie fanden: Schießprügel und Pistolen – Revolver und Säbel – Dreschflegel und Mistgabeln, Wagendeichseln und Sensen!

Dann wurde die Staatsstraße am obern und untern Ende des Marktes mit Heuwagen, Pflugscharen und Wiesbäumen verbarrikadiert, und Posten ausgestellt, die dreinschauten, wie dreizehn Teufel, alle Augenblick giftig ausspaizten und drohend sagten: »Solln si nur dawischn lassen! – De hängan so gschpaßi drobn auf der Telegraphenstang – ohne Ohrwaschl und ohne Kopf! – Dene zoagn ma's!«

Ein Haufen Buben schloß sich ihnen mit Tremeln und Steinen an, und dahinter standen die zitternden und verzagten Weiber mit ihren schreienden Kindern am Arm, und jammerten und klagten: »Insa liabe Zeit – wia werds ins geh! De schiaßn gwiß alles übern Haufa und schmeißen des ganz Ort voll Bomben und Granaten o! – Mir woaß's ja – was dees für Ungeheuer san – d' Russen!«

Kein Mensch denkt an die Arbeit – keins ans Kochen – ans Essen. Alles steht, harrt, fürchtet.

Der Vormittag geht dahin, es läutet elf Uhr.

Da kommt eine Sommerfrischlerin von Münster her und berichtet: »Nach Münster is telephoniert worden, daß ein fremds Auto durch Helfendorf gfahrn is und gegen's Münsterer Holz zua ghalten hat. Sie sollen an Haufen Gold habn und a Kisten voll Bomben!«

»Herrgottseiten! A Geld hams dabei! Und Bomben! – Mei Liaber – dene gehts schlecht!«

Sofort wird ein Wagen mit einem Odelfaß über die Straße von Münster her gestellt und ein dickes Wagenseil von einem Baum zur Telegraphenstange gegenüber gespannt.

Die Leut werden immer mehr – die Wut immer größer. Plötzlich heißt's: »Von Zinneberg her kommt ein Auto!«

»Was? Vo Zinneberg her? – Des muaß ja vo Rosenhoam her kemma!«

»Macht nix, – der Wegmacher hats gsehgn!«

Im selben Augenblick hört man auch schon das Rattern des Motors.

Die Weiber laufen eilig und kreischend in die Häuser, die Posten legen an – schußfertig richten sich ein Dutzend Gewehrläufe und Revolvermündungen auf das Auto; – der Wagnermartin schreit drohend: »Absteign!« und fuchtelt mit einer nagelneuen Wagendeichsel vor dem Automobil herum.

Da hält der Wagen, – dem Martin bleibt das Maul offen – die Schießprügel der Burschen sinken – und aus dem Wagen steigt fluchend und schimpfend der Herr Tierarzt.

»Ja, Himmel Kreiz … Was fallt enk denn ei, ihr Flegel! – Vorn kann ma scho net 'rein – da kann ma net naus – zum Teufel nomal! – Wenn enk nur euere Viecher alle verreckatn, dahoam – ös Hannackn, verfluachte!« …

Inzwischen kommen die Radfahrer schweißtriefend den Baldhamer Berg herab: »A Militärautomobil is unterwegs von der Stadt her! Zwischen Münster und Egmating han d' Russen ins Holz. Der Wirt hat gsagt, daß s' fünf Milliona dabei ham!«

»Geh, hörts doch mit euerm Unsinn auf!« schimpft der Tierarzt; »de wern akrat zu euch Bauernlackl herkemma und sich schö brav fanga lassn! – Aufgmacht jetz da! I muaß weiter!«

Nachdem er durch ist, sagen etliche giftig: »Fahr zum Teife – Siemgscheider! – Was woaß denn der! – Mir kriagns scho no, de wo ma kriagn wolln!«

»Aber a so net!« mischt sich eine Weiberstimme ein; »de wenn durchsausen, de fahrn über alles drüber nüber! Dees müaßts gscheider macha: an Draht über d' Straß spanna, und a fuchzg Meter vorderhalb an Posten hin. Kimmt eppa, na schreit der Posten ›Halt!‹. Haltns an, na is's a so recht – und sausn s' weiter, na gschichts eahna grad recht! – Denn: an Kopf hat koana mehr! Den schneidts an jeden ab!«

»Bravo! Gut hast gredt, Nanni! – Ganz richti: Köpfa solln sa si!«

Augenblicklich wird der Schlosser und der Zinngießer ausgeraubt, und alle Straßen zugesperrt.

Etliche bleiben überall als Posten, die andern rennen alle Münster zu.

Die Aufregung wird jetzt immer größer; denn als zuvor ein paar mit dem Zug angekommen waren, hatten sie schreckliche Dinge berichtet: »Hundert Russen und Franzosen hat man in der Stadt erschossen! Alle Bahngleise liegen voll Bomben! Alle Wasserleitungen sollen vergiftet werden! In Berlin und Wien ist die Cholera und Paris steht in Flammen!«

Radler sausen dahin, über Baldham, Kreuz, Windach. Die zu Fuß rennen den kürzern Weg durchs Holz gegen Münster.

In der Ferne hört sich was wie ein Autosignal an.

Da verdoppeln die Radler ihre Schnelligkeit, arbeiten mit Händen und Füßen und wetzen mit den Hosenböden, daß die Sättel krachen und die Joppen fliegen.

Abermals das Signal. Diesmal näher.

»Fahrts zua, Buam, was Zeug halt!« schreit der erste, und saust über das schmale Stegbrett des Moorgrabens.

»San ma scho da!« erwidern die andern und strampeln dicht hinter ihm drein, gegen den Graben.

Rrrt! Der erste ist drüben. Rrrt – der zweite auch; aber beim dritten hört man ein leises Krachen, – beim vierten ein stärkeres, – und der fünfte liegt im Graben.

Der sechste fährt auf ihn drauf und purzelt über ihn weg, und der siebente gleichfalls. Die andern drei – vier lachen, springen drüber, nachdem sie das Rad ins Kornfeld drüben vorausgeschickt, und dann geht's weiter.

Tropfnaß und auf und auf voll Schlamm folgen die Verunglückten.

Droben beim Windacher Bauern sitzt alles grad beim Dreibrot.

Da sausen die Burschen vorbei.

»Ja, wo rennan denn de zua?« fragt die alt Großmutter.

»Zum Russenfanga!« schreit ihr der Knecht ins Ohr; »sechs Russen kemman mit an Auterl, – de ham zwanzg Milliona Mark z' Rosenhoam gstohln! Und 's Wasser vergift! Und Paris ozündt! 's ganze Paris brennt scho!«

Die Alte fällt mit weitaufgesperrten Augen und sperrangeloffenem Maul auf ihren Sitz zurück. Da rennt der Bauer hinten hinaus und kommt gleich drauf wieder zurück mit dem Ruf: »Sie kemman scho! D' Russen hams!«

Der Knecht ist der erste, draußen. Die Bäuerin rennt ihm nach – über den Misthaufen – durch den Obstgarten – an den Kreuzweg.

Die Magd folgt, – der Bub, – die Jüngste. Aber beim Sprung vom Misthaufen fallen beide in die Odellache.

Also – am Kreuzweg stehen zwei Automobile.

Das eine ist ein Militärauto, besetzt mit vier handfesten Landwehrmännern.

Jeder hat das Seitengewehr aufgepflanzt.

Im andern Auto – – – ja, das ist der Herr Teufel, – im andern sind keine Russen, sondern ganz gewöhnliche Bayern in Zivil, die schon seit in der Früh die Straße zwischen Perlach und Rosenheim durchrasen, ohne was zu finden von den Russen.

»Also bei euch ist nichts vorgefallen?« fragt ein begleitender Offizier.

»Naa, bis jetz no net. Mir warten ja aa scho lang drauf!«

»Es wern halt koa da sei,« sagt der alt Lechnerbauer.

»Des werst jetz du wissen, alter Bock!« tönt's gereizt zurück. »Sie san do avisiert!«

»Allerdings,« bestätigt der Offizier; »sie sind auch bereits gesehen und verfolgt worden. Ihr müßt's halt alle Straßen hier sperren und nachts Posten ausstellen! … Also – fahren wir weiter! Vorwärts!«

»Viel Glück!« schreit einer.

»Heil und Sieg!« ein anderer.

Dann geht's wieder dahin.

Der kleine Weiler wird also ringsherum verrammelt und verschlossen.

Was irgendwie, an Wagen, Eggen, Pflugscharen, Stricken und Wiesbäumen entbehrlich ist, das wird auf die Straßen gebracht.

Kein Eisenbahnzug wäre heil drüber gekommen; wie viel weniger ein einschichtigs Auto.

Und der alt Lechner stellte sich drunten mit der Stallatern Posten, der Knecht vom Schindler droben.

Aber so eine Nacht ist lang – die Arbeit am Tag war hart – zudem ging dem Hans die Latern bald aus und er lehnte im Dunkeln am Heuwagen dran.

Da dachte er sich: »Bal eppa kimmt, hör i 's scho,« und legte sich auf den Wagen, zog den Janker über die Ohren und schnarchte.

Und der alt Lechner zog alle Augenblick eine Schnapsflasche aus dem Sack und stärkte sich; aber es half nicht viel, und als es zu Münster zwölf Uhr schlug, da nahm er seine Latern, sagte zu sich selber: »Mi kinnts gern habn! Vo dera Seitn kemman s' z'erscht net!« Und ging heim ins Bett.

Aber um drei Uhr in der Früh gab's plötzlich auf dieser Seite einen großen Spektakel, und der Hans vom Schindler lief mit schlotternden Knien heim, weckte die Leut und sagte zähnklappernd: »Sie han da. Aufn Lechner seiner Seitn hans. An Lechner glaab i, ham s' scho umbracht.«

Da standen alle auf, beim Bauern wurde alles geweckt und beim Bendl, beim Himsler und beim Lechner.

Laternen und Wachslichter brannten auf, alles bewaffnete sich mit Sensen, Drischeln, Gabeln, Prügeln – und man zog gegen die Feinde.

Aber als man gegen die Barrikaden kam, erscholl ein lautes: »Mmuh«, – und da man näher leuchtete, da standen dem Hirner von Kreuz seine neugekauften Ochsen in dem Verhau, hatten die Hörner in den Stricken und die Füße in der Egge – und brüllten hilflos.

Und unter dem Mistwagen lag der Hirner und schnarchte.

Und als man ihn hervorzog, da begann er gottslästerlich zu fluchen und sagte, daß er zu Holzkirchen die Viecher gekauft und danach ein paar Maß getrunken hätte.

»Und na hab i hoamtreibn wolln. Aber moanst, daß i vom Fleck kemma waar! – An jeder Straß steht a so a Teifeskarrn, – stößst dir's Hirn an an Wiesbaam o – oder fallst gar in a Pfluagmesser eine! Gfluacht und gscholtn hab i … aber was konnst toa – jetz hab i mi halt, wia meine Viecher zletzt stecka bliebn sand und 's Prügln nix mehr gholfa hat dabei, – hab i mi halt da her glegt.«

Er befreit seine Ochsen und treibt heim.

Und die Windacher warten heut noch auf die fünf Russen.

Und die andern auch.


 << zurück weiter >>