Conrad Ferdinand Meyer
Jürg Jenatsch
Conrad Ferdinand Meyer

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Drittes Kapitel

Auch der Hauptmann trat durch die Pforte der Maria gloriosa. Er sah sich mit einem schnellen Blicke um und wandte sich dann unbemerkt links unter die hohen Bogen des Seitenschiffs, in dessen Mitte die Gesellschaft des Herzogs ein Altarblatt betrachtete. Langsam vorschreitend näherte er sich der Gruppe.

Der Herzog schien gedankenvoll in das Bild vertieft, während ihm seine Gemahlin mit entzückten Gebärden und einem Strome von Worten ihre Bewunderung des von ihr bis jetzt ungenossen gebliebenen Meisterwerks ausdrückte. – Einen Schritt abseits ließ sich Herr Waser von dem hinter ihm stehenden Küster mit leiser Stimme die verschiedenen Figuren des Bildes erklären und schrieb deren Namen in feiner Schrift über die Köpfe einer in Kupfer gestochenen winzigen Kopie, die er aus seiner Brieftasche gezogen hatte.

»Die edle Familie Pesaro«, erläuterte in gedämpftem singenden Tone der Küster, während um seine Füße schmeichelnd ein weißes Lieblingskätzchen strich, das, ebenso heimisch im Dom wie sein Meister und ebenso scheinheilig wie er, ihm auf Schritt und Tritt folgte,«die edle Familie Pesaro, der allerheiligsten Madonna vorgestellt durch die Schutzpatrone St. Franziskus, St. Petrus und St. Georg. –« Hier verbeugte er sich gegen die Heiligen und machte eine ehrerbietige Pause. Dann bat er im Flüstertone, auf das dem Beschauer zugewandte lieblich blasse Köpfchen der jüngsten, höchstens zwölfjährigen Pesaro hinweisend, den aufmerksamen Herrn Waser, eine wundersame Eigenschaft ihrer durchsichtigen braunen Augen nicht außer Acht zu lassen. »... Diese zaubervollen Blicke, Herr, richten sich unverwandt auf mich, von woher ich immer das süße kleine Fräulein beschaue. Sie begrüßen mich, wenn ich zum Altar trete, und wohin ich immer geschäftig mich wende, die leuchtenden Sterne verlassen mich niemals.«

Während Herr Waser seine Stellung zu wiederholten Malen wechselte, begierig zu erfahren, ob sich diese Behauptung auch zu seinen Gunsten erprobe, wurde das Interesse der jungen Edelleute, welche sich, um die Herzogin ungestört ihrem Kunstgenusse zu überlassen, etwas im Hintergrunde hielten, durch ein anderes Augenspiel angezogen. Die Blicke, die sie fesselten, waren nicht die wunderbaren des von Tizian gemalten Kindes, auch durfte der Küster sich nicht erst bemühen, sie auf diesen natürlichen Zauber aufmerksam zu machen. Am Fuße des nächsten Pfeilers knieten ein paar Venetianerinnen. Jugendlich weiche Gestalten! Durch die das Angesicht verhüllenden schwarzen Spitzenschleier schienen schwärzere Brauen und Wimpern und flogen Blicke, deren schmachtendes Feuer zwischen der Himmelskönigin und ihren kriegerischen Beschauern sich teilten. Nicht zu Ungunsten der letztern, die ihrerseits den Dank nicht schuldig blieben.

»Wie schön wäre diese Gruppe«, sagte jetzt die ebenso kunstbegeisterte als gut protestantische Herzogin, indem sie den Arm erhob und mit dem geöffneten Fächer die Madonna mit den drei Heiligen ihrem Blicke verdeckte. »Wie schön wäre diese Gruppe, wenn die gottesfürchtige Familie ihre Andacht ohne die Vermittlung dieses obern Hofstaates vor den Thron des Unsichtbaren brächte!«

»Ihr sprecht als gute Protestantin«, lächelte der Herzog, »aber ich fürchte, Meister Tiziano wäre nicht mit Euch zufrieden. Ihr müßtet schließlich über die ganze heilige Kunst den Stab brechen; denn unser Himmel und was darinnen ist läßt sich nicht mit Linien und Farben darstellen.«

Bei den Worten der Herzogin wagte es der kleine Wertmüller hinter dem Rücken der Dame seinem Landsmanne Waser einen spöttischen Blick zuzuwerfen, worüber dieser in Entsetzen geraten wäre, wenn nicht beide nun plötzlich den Fremden wahrgenommen hätten, welchem Wertmüller schon eine Stunde früher auf der Schwelle des Zuckerbäckers begegnet war.

»Für den heiligen Georg, gnädigste Frau, muß ich ein Wort einlegen«, sagte jetzt, aus dem Schatten tretend und vor der Herzogin sich verbeugend, Hauptmann Jenatsch. »Ich bin ein erprobter Protestant; wenigstens habe ich für die reine Lehre geblutet; doch zu St. Jürg, meinem Namenspatron, halt' ich jeweilen Andacht. Der heilige Drachentöter befreite vor Zeiten mit seiner tapfern Lanze das kappadocische Königstöchterlein. Ich aber weiß ein viel beklagenswerteres Weib, das an den starren Felsen geschmiedet und von den Krallen eines feuerspeienden Drachen zerfleischt, den vom Himmel gesandten Retter mit Sehnsucht erwartet. Die edle Magd, sie ist mein armes Vaterland, die Republik der drei Bünde; der sie aber aus den Klauen des spanischen Lindwurms reißen wird, ihr siegreicher St. Georg, steht leibhaftig vor mir.«

»Ihr seid ein Bündner?« sagte der Herzog, angenehmer berührt durch die hinreißende Wärme des Redenden als durch die stark aufgetragene Schmeichelei, die der Herzogin ein gewogenes Lächeln entlockt hatte. »Irr' ich mich, oder seid Ihr der Hauptmann Georg Jenatsch?«

Dieser verneigte sich bejahend.

»Ihr habt aus Zara an mich geschrieben«, fuhr der Herzog fort. »Aus den Antworten meines Adjutanten Wertmüller«, und er stellte dem Hauptmann den schmächtigen Zürcher vor, der des Bündners Auftreten nicht ohne Mißtrauen scharf beobachtet hatte und bei der Nennung seines Namens nun hinzutrat, »aus Wertmüllers Antworten habt Ihr ersehen, daß Eure Mitteilungen über die Zustände Eures Vaterlandes mir alle Beachtung zu verdienen scheinen und die beigelegten Karten mir von Nutzen waren. Wäre meine Zeit durch die Vorbereitung des Feldzuges nicht vollständig aufgezehrt, so hätt' ich mir nicht versagt, Euch persönlich meine Zustimmung in den meisten Fällen, in andern meine Zweifel und Einwürfe mitzuteilen. Um so willkommener ist mir nun Eure Gegenwart in Venedig. Mehr als einmal, seit ich in brieflichen Verkehr mit Euch getreten, hab' ich mich bei meinem Freunde, dem Provveditore Grimani um eure Rückberufung aus Dalmatien verwendet. Immer vergeblich. Ich erhielt die Antwort, Ihr wäret dort unentbehrlich. Eure Gegenwart überrascht mich. Was ist der Grund Eurer beschleunigten Rückkehr?«

»Größtenteils mein glühender Wunsch, Euch zu sehen, erlauchter Herr, und mein Eifer, Euch zu dienen«, sagte Jenatsch. »Dies Verlangen stärkte meine Erfindungskraft und ließ mich zur Erreichung des Ziels die kühnsten Mittel ergreifen. Meine Aufgabe in Zara ist gelöst, und wenn ich nach Venedig zurückeilte, bevor der Provveditore mir eine neue Herkulesarbeit auf irgend einer fernen Insel aussann, so wird es Euch leicht werden, wofern Ihr mir geneigt seid, diese Dienstunregelmäßigkeit in ein günstiges – in ihr wahres Licht zu stellen und bei meinem Vorgesetzten zu entschuldigen.«

Der forschende Blick des Herzogs versenkte sich eine Weile in das feurige Gesicht des Bündners, das für ihn mit irgend einer fernen Erinnerung zusammenhing; doch dieser Blick wurde immer wohlwollender, bestochen durch die innige Bitte der finster beschatteten Augen.

Während dieses Gesprächs hatte sich die Gesellschaft dem Ausgange zubewegt. Der Küster hob den schweren Damastvorhang der Pforte und empfing mit devoten Bücklingen das Goldstück des Herzogs und die sorgfältig in ein Papier gewickelte Gabe des Herrn Waser.

»Ein gutes Wort bei Grimani für Euch einzulegen, Signor Jenatsch, das werd' ich mir noch heute angelegen sein lassen«, sprach der Herzog, als sie draußen in der sonnigen Luft standen. »Er speist bei mir. Diesen Abend, nachdem Ihr mir Zeit gelassen habt, ihn zu Euren Gunsten zu stimmen, stellt Euch bei mir ein, ich habe dann Muße, mich mit Euch über Eure Angelegenheiten zu unterhalten. Die Interessen Eures Vaterlandes sind auch die meinigen. Ich erwarte Euch zu früher Abendstunde in meiner Wohnung am Canal grande. – Wertmüller«, rief er, »bis dahin begleitet den Hauptmann. Ihr haftet mit Eurer Liebenswürdigkeit dafür, daß mein Gast nicht anderwärts in dem verlockenden Venedig gefesselt wird. Unterhaltet ihn geistreich, bewirtet ihn standesgemäß und bringt mir ihn pünktlich.«

Die Herzogin war schon huldvoll grüßend in eine der harrenden Gondeln getreten. Nun schied auch der Herzog und nur Waser, welcher mit einigen Herren des Gefolges die zweite zu benutzen willens war, blieb noch einen Augenblick zurück.

Er hatte die Unterredung des Herzogs mit seinem Jugendgenossen, den er eine Reihe von Jahren aus den Augen verloren, nicht stören wollen. Auch hatte er nicht ungern die Erkennungsszene um einen Moment hinausgeschoben, den er benutzte, um sich in Jürgs gegenwärtiger Gestalt zurecht zu finden. Seit jenem hoffnungslosen Abschied in Zürich waren nur zufällige Nachrichten von Jenatsch und dessen Schicksalen in verschiedenen protestantischen Heeren an sein Ohr gelangt. Da war die Rede gegangen von häufigen Lagerduellen mit unvermutet tödlichem Ausgange für den oft höher gestellten Gegner, halsbrechenden Abenteuern und blutigen Überfällen. Auch von bewunderten Kriegstaten in ehrlicher Feldschlacht sprach das Gerücht, doch alles schwebte und schwankte in unbestimmten Umrissen. Im Laufe der Zeit hatte sich Jürgs Bild in Wasers Seele zu einer rätselhaften Traumfigur verzogen. –

So drückte er ihm denn freundschaftlich, aber etwas förmlich und verlegen die Hand und beschränkte sich darauf, angelegentlich nach seinem gegenwärtigen Befinden und jetzigen Range sich zu erkundigen. Dann bestieg er die Gondel und die beiden Offiziere standen sich auf dem Campo dei Frari allein gegenüber.

»Wenn es Euch genehm ist, Herr Hauptmann«, begann Wertmüller, »erfülle ich von meinen drei Aufträgen den mittleren zuerst und führe Euch auf dem Markusplatz in das von mir erprobte und gutgeheißene Gasthaus zu den Spiegeln. Hernach lustwandeln wir ein Stündchen in den Arkaden unter den venetianischen Schönheiten. Erfreut sich dieses Programm der Zustimmung des Herrn Kameraden?«

Der streng wissenschaftlich geschulte, ehrsüchtige Wertmüller glaubte sich die vertrauliche Anrede dem älteren, aber in regelloser Laufbahn vorgedrungenen Kriegsmanne gegenüber erlauben zu dürfen.

»Wie Ihr meint, Wertmüller«, sagte Jenatsch anscheinend mit heiterer Einwilligung, »doch schlag' ich zuerst noch eine kleine Spazierfahrt vor, – nach Murano?«

Diese laut mit fröhlicher Stimme gesprochenen Worte wurden augenblicklich von zwei Gondolieren aufgefangen, die im Vorüberfahren die beiden Offiziere auf dem Campo erblickt und an der Landungstreppe auf die glänzende Beute gelauert hatten. Schon hatten sie ihr leichtes offenes Fahrzeug von der Mauer gelöst und die Ruder ergriffen.

Der Hauptmann sprang rasch in die Gondel und Wertmüller folgte.


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