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Einundzwanzigstes Kapitel.

Herr Saunderson und Kenelm saßen in der Laube, jener seinen Grog schlürfend und seine Pfeife rauchend, dieser mit einem ernsten und doch zerstreuten Blick, als ob er es versuchen wolle, die Sterne der Milchstraße zu zählen, zu dem sommerlichen Nachthimmel aufschauend.

»Haha!« sagte Herr Saunderson, der eben mit der Begründung einer Behauptung zu Ende war, »Sie sehen es jetzt ein, nicht wahr?«

»Einsehen? Durchaus nicht. Sie erzählen mir, daß Ihr Großvater und Ihr Vater Pachter waren und daß Sie selbst seit dreißig Jahren Pachter sind, und aus diesen Vordersätzen ziehen Sie den unlogischen und irrationellen Schluß, daß deshalb auch Ihr Sohn Pachter werden müsse.«

342 »Junger Mann, Sie mögen sich für sehr klug halten. weil Sie auf der Universität gewesen sind und eine Masse von Gelehrsamkeit von da mit fortgenommen haben –«

»Halt«, sagte Kenelm. »Sie nehmen es als ausgemacht an, daß eine Universität gelehrt sei.«

»Nun ja, das nehme ich an.«

»Aber wie kann sie gelehrt sein, wenn die, welche von ihr abgegangen sind, die Gelehrsamkeit mit fortgenommen haben. Wir lassen sie alle hinter uns in der Obhut der Lehrer. Aber ich weiß, was Sie sagen wollten: daß ich, weil ich mehr Bücher gelesen habe, mir darum keine Airs geben und mir einbilden dürfe, das Leben besser zu kennen als ein Mann von Ihren Jahren und Ihrer Erfahrung. Das gebe ich als allgemeine Regel zu. Aber zieht es nicht jeder noch so gescheidte und geschickte Arzt vor, wenn es sich um seine eigene Gesundheit handelt, sich bei einem andern Arzte, und wäre derselbe auch eben erst in die Praxis eingetreten, Raths zu erholen? Und wenn man erwägt, daß die Doctoren als Körperschaft betrachtet ungeheuer gescheidte Kerle sind, sollte es da nicht gerathen sein, das von ihnen gegebene Beispiel zu befolgen? Beweist es nicht, daß kein noch so weiser Mann ein competenter Richter über einen Fall ist, der 343 ihn selbst betrifft? Nun ist der Fall Ihres Sohnes in der That Ihr eigener Fall. Sie sehen denselben durch das Medium Ihrer Neigungen und Abneigungen und bestehen darauf, einen viereckigen Pflock in ein rundes Loch zu drängen, weil Sie, der Sie ein runder Pflock sind, sich in einem runden Loch behaglich fühlen. Das nenne ich nun irrationell.«

»Ich sehe nicht ein«, sagte der Pachter verdrossen, »was mein Sohn für ein Recht hat sich einzubilden, daß er ein viereckiger Pflock sei, wenn sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater runde Pflöcke gewesen sind, und es ist gegen die Natur aller Geschöpfe, nicht ihrer Gattung zu folgen. Ein Hund ist ein Jagdhund oder ein Schäferhund, je nachdem seine Vorfahren Jagdhunde oder Schäferhunde waren. He«, rief der Pachter triumphirend, indem er die Asche aus seiner Pfeife klopfte, »nun habe ich Sie doch wohl zum Schweigen gebracht, junger Herr, nicht wahr?«

»Nein, denn Sie sind von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Gattungen sich nicht gekreuzt haben. Wenn Sie aber den Fall setzen, daß ein Schäferhund eine Jagdhündin heirathet, sind Sie sicher, daß sein Sohn nicht mehr von der Jagdhündin als von dem Schäferhunde an sich haben wird?«

Herr Saunderson suchte durch das Stopfen 344 seiner Pfeife Zeit zu gewinnen und kratzte sich den Kopf.

»Sie sehen«, fuhr Kenelm fort, »daß Sie selbst Ihre Gattung gekreuzt haben. Sie haben die Tochter eines Kaufmanns geheirathet, und vermuthlich waren ihr Großvater und ihr Urgroßvater auch Kaufleute. Nun arten aber die meisten Söhne nach der Mutter und daher artet Herr Saunderson junior nach seiner Gattung auf der weiblichen Seite und kommt auf die Welt als ein viereckiger Pflock, der sich nur in einem viereckigen Loch behaglich fühlen kann. Es hilft Ihnen nichts, noch weiter zu argumentiren, Pachter; Ihr Junge muß zu seinem Onkel und damit hat die Sache ein Ende.«

»Bei Gott!« sagte der Pachter, »Sie scheinen zu glauben, daß Sie mich um meinen Verstand reden können.«

»Nein, aber ich glaube, daß, wenn es nach Ihrem Wunsche ginge, Sie Ihren Sohn zu etwas bewegen würden, was ihn schließlich ins Arbeitshaus brächte.«

»Was? Wenn er an der Scholle haften bliebe wie sein Vater vor ihm?«

»Lassen Sie einen Mann an der Scholle haften und die Scholle wird an ihm haften, nun lassen Sie aber einen Mann am Koth haften, so wird auch der 345 Koth an ihm haften. Sie bewirthschaften Ihren Pachthof mit Ihrem Herzen, Ihr Sohn aber würde ihn nur mit seinen Füßen bewirthschaften. Muth! Sehen Sie nicht, daß die Zeit ein Carrousel ist und daß Alles wieder auf denselben Fleck zurückkommt? Jeden Tag verläßt einer das Land und geht ins Geschäft. Nach und nach wird er reich und dann ist es sein größter Wunsch, wieder aufs Land zurückzukehren. Er verließ es als der Sohn eines Pachters und kehrt als Squire dahin zurück. Ihr Sohn wird, wenn er fünfzig Jahre alt ist, seine Ersparnisse in Land anlegen und wird selbst Pachter haben. Du lieber Gott, wie wird der sie zwiebeln! Ich würde Ihnen nicht rathen, einen Hof von ihm zu pachten.«

»Darauf kann er lauern«, sagte der Pachter. »Er würde einen ganzen Apothekerladen auf meine Brachfelder ausschütten und das Fortschritt nennen.«

»Lassen Sie ihn auf seinen Feldern doctern, wenn er seine eigenen Pachthöfe hat, und hüten Sie sich, daß er die Ihrigen nicht in seine chemischen Klauen bekommt. Kommen Sie, ich will ihm sagen, daß er seine Sachen packen und nächste Woche zu seinem Onkel gehen soll.«

»Nun meinetwegen«, sagte der Pachter in einem 346 resignirten Ton, »so ein eigensinniger Mensch muß nun einmal seinen Willen haben.«

»Und das Beste, was ein verständiger Mann thun kann, ist, einem solchen Starrkopf nicht im Wege zu sein. Herr Saunderson, reichen Sie mir Ihre rechtschaffene Hand. Sie sind einer von den Männern, welche die Söhne guter Väter an diese erinnern, und ich denke an meinen Vater, wenn ich sage: Gott segne Sie!«

Kenelm sagte dem Pachter gute Nacht und kehrte ins Haus zurück, wo er Herrn Saunderson junior auf seinem Zimmer aufsuchte. Er fand den jungen Mann noch auf, bei der Lectüre einer beredten Abhandlung über die Emancipation des menschlichen Geschlechts von jeder tyrannischen Controle, sei sie nun politischer, socialer, geistlicher oder häuslicher Art.

Der Bursche blickte verdrossen auf und sagte, als er Kenelm's melancholischem Gesichte begegnete:

»Ah, ich sehe! Sie haben mit dem Alten gesprochen. Er will aber nichts davon hören.«

»Vor allem«, antwortete Kenelm, »erlauben Sie mir, Ihnen, da Sie sich doch so viel auf Ihre höhere Erziehung zu gute thun, zu rathen, Ihre Muttersprache in den Werken der älteren Autoren zu studiren, welche trotz des Fortschritts unserer Zeit noch immer 347 von höhergebildeten Männern geschätzt werden. Niemand, welcher sich dieses Studiums befleißigt, ja Niemand, welcher die zehn Gebote in unserer Sprache studirt hat, begeht den Mißgriff zu glauben, daß ›der Alte‹ ein synonymer Ausdruck für Vater sei. Zweitens müssen Sie, da Sie auf die höhere Bildung Anspruch machen, welche das Ergebniß einer höheren Erziehung ist, lernen, sich selbst besser zu kennen, bevor Sie sich zu einem Lehrer der Menschheit aufwerfen. Entschuldigen Sie die Freiheit, die ich mir nehme, weil ich es wahrhaft gut mit Ihnen meine, wenn ich Ihnen sage, daß Sie für jetzt noch ein eingebildeter Narr, kurz das sind, wofür ein Junge den andern einen Esel schilt. Aber wenn Jemand einen schwachen Kopf hat, so kann er doch das durchschnittliche Gleichgewicht der Menschheit dadurch wiederherstellen, daß er den Reichthum des Herzens vermehrt. Versuchen Sie den des Ihrigen zu vermehren. Ihr Vater erklärt sich unter Aufopferung all seiner Lieblingswünsche damit einverstanden, daß Sie Ihre Laufbahn selbst wählen. Das ist eine schmerzliche Prüfung für den Stolz und die Liebe eines Vaters und wenige Väter bringen solche Opfer mit guter Grazie. So habe ich mein Ihnen gegebenes Versprechen gelöst und Ihren Vater zu Gunsten Ihrer Wünsche umgestimmt, weil ich sicher 348 bin, daß Sie ein sehr schlechter Landwirth geworden wären. Es kommt jetzt auf Sie an zu zeigen, daß Sie ein sehr guter Kaufmann werden können. Sie sind mir und Ihrem Vater gegenüber moralisch verpflichtet, Alles aufzubieten, um das zu werden, und inzwischen überlassen Sie die Aufgabe, die Welt auf den Kopf zu stellen, denen, die kein Geschäftslokal in derselben haben, das bei dem allgemeinen Umsturz draufgehen würde. Und damit gute Nacht!«

Diesen Worten der Ermahnung, sacro digna silentio, hörte Saunderson junior mit herabhängender Unterlippe und mit Augen zu, die wie von einem Zauber gebannt vor sich hinstarrten. Ihm war zu Muthe wie einem kleinen Kinde, dem die Wärterin einen raschen Schlag versetzt hat und das von dieser Manipulation so überrascht ist, daß es nicht weiß, ob es ihm wehgethan hat oder nicht.

Eine Minute nachdem Kenelm das Zimmer verlassen hatte, erschien er wieder an der Thür und sagte in einem versöhnlichen Flüsterton: »Nehmen Sie es sich nicht zu Herzen, daß ich Sie einen eingebildeten Narren und einen Esel genannt habe. Diese Ausdrücke sind ohne Zweifel ebenso anwendbar auf mich selbst. Aber es gibt einen noch eingebildeteren Narren und einen noch größeren Esel, als einer von uns 349 beiden es ist, und das ist das Zeitalter, in welchem geboren zu sein wir das Unglück haben, ein Zeitalter des Fortschritts, Herr Saunderson junior, ein Zeitalter der Wichtigmacher.« 350


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