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Drittes Kapitel.

Sir Peter stand vor dem Kamin, überblickte die im Halbkreise vor ihm sitzenden Glieder des Familienrathes und sagte:

»Meine Freunde, im Parlament muß, wenn ich nicht irre, bevor irgend eine Discussion über einen Gesetzentwurf stattfindet, dieser Gesetzentwurf eingebracht werden.«

Er hielt einen Augenblick inne, klingelte und sagte zu dem eintretenden Diener: »Sagen Sie der Kinderfrau, daß sie das Kind herbringt.«

Herr Chillingly-Gordon: »Ich sehe nicht ein, wozu das nöthig ist, Sir Peter. Es bezweifelt wohl niemand von uns die Existenz des Kindes.«

Herr Mivers: »Es kann dem Rufe von Sir Peter's 21 Werk nur zum Vortheil gereichen, wenn es sein Incognito bewahrt. Omne ignotum pro magnifico.«

Der Ehrw. John Stalworth Chillingly: »Ich kann mich mit der cynischen Leichtfertigkeit solcher Bemerkungen nicht einverstanden erklären. Natürlich müssen wir alle begierig sein, den künftigen Vertreter unseres Namens und Geschlechts in seiner frühesten Kindheit kennen zu lernen. Wer möchte nicht wünschen, den Tigris oder den Nil an seiner Quelle zu betrachten, und wäre diese auch noch so klein.«

Fräulein Sally (kichernd): »Hihihi!«

Fräulein Margarethe. »Schäme Dich, Du albernes Ding!«

Das Kind erscheint auf dem Arme der Wärterin. Alle stehen auf und schaaren sich um dasselbe mit einziger Ausnahme von Herrn Gordon, der nicht mehr nächster Erbe ist.

Der Kleine erwidert die Blicke seiner Verwandten mit dem Ausdruck der geringschätzigsten Gleichgültigkeit.

Fräulein Sibylle äußert zuerst eine Ansicht über die Eigenschaften des Kindes. In feierlichem Flüsterton sagt sie: »Welch ein himmlisch trauernder Ausdruck! Das Kind scheint sehr betrübt darüber, daß es sich von den Engeln hat trennen müssen.«

Der Ehrw. John: »Sehr hübsch gesagt, 22 Cousine Sibylle; aber das Kind muß sich zusammennehmen und sich durch diese sterbliche Welt mit frohem Muth durchschlagen, wenn es einmal wieder zu den Engeln zurück will! Und ich denke, das will es. Ein hübsches Kind!«

Er nahm es der Wärterin ab, hob und senkte es, als wolle er es wägen, und sagte heiter: »Ungeheuer schwer! Wenn es einmal zwanzig Jahre alt ist, wird es einem Preisfechter gewachsen sein.«

Mit diesen Worten trat er auf Gordon zu, der, wie um zu zeigen, daß er jetzt keinen Theil mehr an den Interessen einer Familie nehme, die ihn durch die Geburt dieses Kindes so schlecht behandelt habe, die »Times« zur Hand genommen und sein Gesicht mit dem großen Blatte bedeckt hatte. Der Pfarrer schlug die Zeitung kurzweg mit der einen Hand beiseite, hielt statt dessen mit der anderen Hand vor die entrüsteten Augen des cidevant nächsten Erben das Kind und sagte:

»Küssen Sie es!«

»Küssen?« wiederholte Chillingly-Gordon, indem er seinen Stuhl zurückschob. »Küssen! Bah, mein werther Herr! Bleiben Sie mir vom Leibe! Ich habe mein eigenes Kind nie geküßt und werde auch ein fremdes nie küssen. Nehmen Sie das Kind weg. Es ist häßlich, es hat schwarze Augen.«

23 Sir Peter, der kurzsichtig war, setzte seine Brille auf und sah sich das Gesicht des Neugeborenen näher an. »Es ist wahr«, sagte er, »es hat schwarze Augen – sehr merkwürdig, ominös; der erste Chillingly, der je schwarze Augen gehabt hat.«

»Seine Mama hat schwarze Augen«, bemerkte Fräulein Margarethe. »Es schlägt nach seiner Mama, es hat nicht die blonde Schönheit der Chillinglys, aber es ist nicht häßlich.«

»Ein süßes Kind«, seufzte Sibylle »und so gut, es schreit gar nicht.«

»Es hat noch nicht ein einziges Mal geschrieen oder gekräht, seit es geboren ist«, sagte die Wärterin. »Gott segne es!«

Sie nahm dem Pfarrer das Kind wieder ab und machte die Rüsche seines Mützchens, die zerknittert war, wieder glatt.

»Sie können wieder gehen, liebe Frau!« sagte Sir Peter. 24


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