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Neunzehntes Kapitel.

Kenelm Chillingly rückte sich schweigend einen Stuhl dicht an Tom heran und legte seine Hand schweigend auf die seines Gegners.

Tom Bowles nahm Kenelm's Hand in seine beiden Hände, hielt sie neugierig an das Mondlicht, betrachtete sie, wog sie, schleuderte sie dann mit einem Ausruf, der halb wie Stöhnen, halb wie Lachen klang, als ein ihm feindliches, aber verächtliches Ding von sich, stand auf, verschloß die Thür, setzte sich wieder auf seinen Stuhl und sagte in trotzigem Ton:

»Was wollen Sie jetzt von mir?«

»Ich will Sie um eine Gefälligkeit bitten.«

»Gefälligkeit!«

»Die größte, die ein Mensch von einem andern 331 erbitten kann – Freundschaft. Sie sehen, mein lieber Tom«, fuhr Kenelm fort, indem er sich's ganz bequem machte, den einen Arm auf die Lehne von Tom's Stuhl legte und die Beine behaglich von sich streckte, wie man es vor seinem eigenen Kamine zu thun pflegt, »Sie sehen, mein lieber Tom, daß Männer wie wir, die jung und unverheirathet sind und nicht übel aussehen, Liebchen in Fülle finden können. Wenn die eine uns nicht mag, so wird uns schon eine andere mögen; Liebchen wachsen überall wie Nesseln und Disteln. Aber das Seltenste im Leben ist ein Freund. Jetzt sagen Sie mir aufrichtig: Sind Sie auf Ihren Wanderungen je in ein Dorf gekommen, wo Sie nicht einen Schatz hätten finden können, wenn Sie nach einem solchen Verlangen getragen hätten? Und wenn Sie einen solchen Schatz gefunden und ihn wieder verloren hätten, glauben Sie, daß es Ihnen die geringste Schwierigkeit gemacht haben würde, einen andern zu finden? Aber haben Sie außerhalb Ihrer eigenen Familie in der weiten Welt je einen echten Freund gefunden? Und wenn Sie einen solchen Freund gefunden hätten, einen Freund, der Ihnen in allen Lebenslagen beistehen, Ihnen Ihre Fehler ins Gesicht sagen und Sie hinter Ihrem Rücken für Ihre guten Eigenschaften loben, kurz, der Alles, was in seiner Macht stände, thun 332 würde, um Sie vor einer Gefahr zu warnen, und falls Sie wirklich in eine solche Gefahr gerathen wären, Alles aufbieten würde, Sie wieder aus derselben zu befreien, ich sage, wenn Sie einen solchen Freund gefunden und wieder verloren hätten, glauben Sie, daß Sie, und wenn Sie Methusalem's Alter erreichten, einen zweiten finden könnten? Sie antworten mir nicht. Sie schweigen. Nun, Tom, ich bitte Sie, mir ein solcher Freund zu sein und ich will Ihnen ein solcher Freund sein.«

Tom fand sich durch diese Anrede so völlig außer Fassung gebracht, daß er wie sprachlos dasaß. Aber ihm war zu Muthe, als ob ein Sonnenstrahl durch die finsteren Wolken in seiner Seele bräche. Endlich aber stellte sich die zurückgedrängte Wuth, wenn auch mit schwankenden Schritten, wieder bei ihm ein und er brummte zwischen den Zähnen:

»Ein schöner Freund, wahrhaftig, der mir mein Mädchen raubt. Gehen Sie Ihrer Wege!«

»Sie war so wenig Ihr Mädchen, wie sie das meinige war oder je werden kann.«

»Was, Sie sind nicht hinter ihr hergewesen?«

»Ganz gewiß nicht. Ich gehe von hier nach Luscombe und bitte Sie, mit mir zu kommen. Glauben Sie, daß ich Sie hier lassen will?«

333 »Was geht das Sie an?«

»Sehr viel. Die Vorsehung hat mir gestattet, Sie vor dem schwersten Kummer, den es geben kann, zu bewahren. Denn denken Sie nur, kann es einen schwerer zu verwindenden Kummer geben, als Sie ihn erlebt haben würden, wenn Sie an Ihrem Wunsche festgehalten, wenn Sie ein Mädchen gezwungen oder durch Furcht dahin gebracht hätten, Ihre Lebensgefährtin zu werden, bis der Tod Sie getrennt hätte, wenn Sie sie immer so geliebt hätten, sie Ihnen Ihr Leben lang geflucht hätte und Sie sich Tag und Nacht hätten sagen müssen, daß gerade Ihre Liebe sie unglücklich gemacht habe, und wenn ihr Unglück Sie wie ein böser Geist unablässig verfolgt hätte? Vor diesem Kummer habe ich Sie bewahrt. Möge die Vorsehung mir gestatten, mein Werk zu vollenden und Sie auch vor dem unsühnbarsten aller Verbrechen zu bewahren. Rufen Sie sich die Gedanken vor die Seele, welche den ganzen Tag über und nicht am wenigsten in dem Augenblick, wo ich Ihre Schwelle betrat, in Ihnen aufstiegen, Ihre Vernunft gefangen nahmen und Ihr Gewissen stumm machten, und dann legen Sie die Hand aufs Herz und sagen Sie, wenn Sie können: Mich trifft nicht der Vorwurf, von einem Morde geträumt zu haben.«

334 Der unglückliche Mensch sprang auf und richtete sich drohend empor, brach aber, als er Kenelm's ruhigem, festem, mitleidigem Blick begegnete, nicht weniger plötzlich wieder zusammen, sank zu Boden, bedeckte sein Gesicht mit den Händen und stieß einen furchtbaren, halb schluchzenden, halb heulenden Schrei aus.

»Bruder«, sagte Kenelm, indem er neben ihn hinkniete und seinen Arm um die wogende Brust des Mannes schlang, »es ist jetzt vorüber, mit diesem Schrei ist der Dämon, der Dich irregeführt hat, für immer von Dir gewichen.« 335


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