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Zwanzigstes Kapitel.

Als Kenelm etwas später das Zimmer verließ und zu Frau Bowles hinunterkam, sagte er in heiterem Ton: »Alles in Ordnung, Tom und ich haben ewige Freundschaft geschlossen. Uebermorgen, Sonntag, gehen wir mit einander nach Luscombe; schreiben Sie, bitte, ein paar Zeilen an Tom's Onkel, um ihn auf dessen Besuch vorzubereiten, und schicken Sie seine Kleider voraus; denn wir wollen zu Fuß gehen und uns bei Zeiten in der Frühe auf den Weg machen. Jetzt gehen Sie hinauf und reden Sie mit ihm; er bedarf der zärtlich beschwichtigenden Zusprache einer Mutter. Er ist ein grundbraver Mensch und wir werden eines Tages noch alle stolz auf ihn sein.«

Auf seinem Rückwege nach dem Pachthause begegnete Kenelm Herrn Lethbridge, der zu ihm sagte: »Ich 336 komme von Herrn Saunderson, wo ich Sie gesucht habe. Bei der Unterhandlung über Frau Bawtrey's Laden bin ich auf ein unerwartetes Hinderniß gestoßen. Nachdem ich Sie diesen Morgen gesprochen hatte, traf ich Herrn Travers' Schulzen, der mir sagte, daß ihr Miethcontract ihr nicht das Recht gibt, ohne Genehmigung des Squire wieder zu vermiethen, und daß, da das Haus ursprünglich zu sehr billigen Bedingungen an einen respectablen und von Herrn Travers begünstigten Miether überlassen worden ist, Herr Travers schwerlich die Uebertragung des Miethcontracts auf einen armen Korbmacher gutheißen, kurz, daß er zwar Frau Bawtrey's Rücktritt annehmen, dies aber nur zu Gunsten eines Reflectanten, dem er gefällig zu sein wünscht, thun wird. Nach dieser Mittheilung ritt ich sofort nach dem Herrenhause hinüber und sprach Herrn Travers selbst. Aber er war taub für meine Verwendung. Alles, wozu ich ihn bringen konnte, war, daß er sagte: ›Lassen Sie den Fremden, der sich für die Sache interessirt, herkommen und mit mir darüber reden. Ich möchte den Mann wohl sehen, der diese Bestie Tom Bowles durchgewalkt hat; wenn er mit dem fertig geworden ist, so bringt er mich vielleicht auch herum. Bringen Sie ihn morgen Abend zu meinem Erntefest mit.‹ Wollen Sie mit mir kommen?«

337 »Ja«, sagte Kenelm widerstrebend; »wenn er mich aber nur eingeladen, um eine gemeine Neugierde zu befriedigen, so werde ich schwerlich viel Aussicht haben, Will Somers zu dienen. Was meinen Sie dazu?«

»Der Squire ist ein guter Geschäftsmann, und wiewohl ihn Niemand ungerecht oder habsüchtig nennen kann, ist er doch für menschenfreundliche Regungen wenig zugänglich und wir müssen zugeben, daß ein kränklicher Krüppel wie der arme Will kein sehr wünschenswerther Miether ist. Wenn die Sache daher lediglich von dem Erfolge Ihrer Unterhaltung mit dem Sauire abhinge, so würde ich dem Ausgange mit nicht sehr sanguinischen Hoffnungen entgegensehen. Aber wir haben einen Verbündeten in seiner Tochter. Sie hält sehr viel auf Jessie Wiles und ist sehr gütig gegen Will. Und überhaupt gibt es kein anmuthigeres, wohlwollenderes, sympathischeres Wesen als Cecilia Travers. Sie hat großen Einfluß auf ihren Vater und durch sie können Sie ihn vielleicht gewinnen.«

»Ich habe eine specielle Abneigung gegen jede Berührung mit Frauen«, sagte Kenelm mit rücksichtsloser Derbheit. »Geistliche verstehen es, mit ihnen fertig zu werden. Sie, mein werther Herr, sind sicherlich besser dazu geeignet als ich.«

»Erlauben Sie mir gegen die Richtigkeit dieser 338 Behauptung bescheidene Zweifel zu hegen. Man wird nicht sehr leicht mit einem Mädchen fertig, wenn man die Last der Jahre auf seinem Rücken fühlt. Wenn Sie aber je der Hülfe eines Geistlichen bedürfen sollten, um Ihre eigene Werbung zu einem glücklichen Abschluß zu bringen, so werde ich mich unendlich freuen, in meiner Eigenschaft als Geistlicher die verlangte Ceremonie zu vollziehen.«

» Dii meliora!« sagte Kenelm feierlich. »Es gibt Leiden, die zu ernster Natur sind, um sie auch nur scherzend zu berühren. Was Fräulein Travers betrifft, so erfüllt mich grade das, was Sie von ihrer Menschenfreundlichkeit sagen, mit Grausen. Ich weiß zu gut, wie ein menschenfreundliches Mädchen beschaffen ist: überbeflissen, ruhelos, nervös, mit einer Stulpnase und einer Masse Tractätchen in der Tasche. Ich werde nicht zu dem Erntefest gehen.«

»St!« sagte der Pfarrer leise. Eben gingen sie an Frau Somers' Häuschen vorüber, und während Kenelm gegen menschenfreundliche Mädchen declamirte, blieb Herr Lethbridge vor dem Häuschen stehen und blickte verstohlen durchs Fenster. »St, kommen Sie her – sachte.«

Kenelm that, wie ihm geheißen war, und sah durchs Fenster. Will saß auf seinem Stuhle, Jessie Wiles 339 hatte sich zu seinen Füßen niedergesetzt, hielt seine Hand mit ihren beiden Händen und blickte zu ihm auf. Nur ihr Profil war sichtbar, aber der Ausdruck desselben war unaussprechlich sanft und zärtlich. Sein Gesicht, das zu ihr herabgeneigt war, hatte einen tieftraurigen Ausdruck, ja, die Thränen rollten ihm über die Wange. Kenelm horchte und hörte sie sagen: »Rede nicht so, Will, Du brichst mir das Herz, ich bin Deiner nicht würdig.«

»Pfarrer«, sagte Kenelm, als sie zusammen weitergingen, »ich muß doch zu dem verwünschte Erntefest gehen. Ich fange an zu glauben, daß etwas Wahres an dem ehrwürdigen Gemeinplatz von der Liebe in der Hütte ist. Und Will Somers muß rasch heirathen, damit er gehörige Zeit hat, seinen Schritt zu bereuen.«

»Ich sehe nicht ein, warum ein Mann es bereuen soll, ein gutes Mädchen, das er liebt, geheirathet zu haben.«

»Antworten Sie mir aufrichtig: Sind Sie nie einem Manne begegnet, der es bereut hätte, geheirathet zu haben?«

»Gewiß und zwar sehr oft.«

»Gut, bitte, denken Sie wieder nach und antworten Sie mir ebenso aufrichtig. Sind Sie je einem 340 Manne begegnet, der es bereut hätte, nicht geheirathet zu haben?«

Der Pfarrer sann nach und schwieg.

»Herr«, sagte Kenelm, »Ihr Schweigen beweist Ihre Redlichkeit und ich respectire sie.« Mit diesen Worten ging er davon und ließ den Pfarrer stehen, der ihm laut nachrief: »Aber – aber –« 341


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