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Meine Herren,« sagte Sir Archibald Plug, »in allem anderen Ihr ergebener Diener, aber Sie werden mir doch nicht einreden wollen, daß ein guter Tropfen bei solcher Fahrt zum Schaden gereichen kann! Schiff ist Schiff, ob es nun im Wasser herumschwimmt oder in der Luft, und wer zu Schiff ist, muß einen wärmenden und belebenden Tropfen durch die Kehle in die Seele rinnen lassen! Glauben Sie mir, darin habe ich meine Erfahrungen!«
Der kugelrunde kleine Herr hatte in jedem Arm eine Weinflasche und verteidigte sie gegen den Einspruch Standertons und Baumgarts, die von solchen künstlichen Auffrischungsmitteln nichts wissen wollten bei einer solchen Fahrt.
»Also gut, bester Sir Plug, auf der Probefahrt mag es sein, aber wenn es ernst wird, dann wird der edle Alkohol nur in kleinen Dosen aus medizinischen Gründen verabfolgt; darin müssen Sie sich fügen. Denken Sie, mir fällt es nicht eben so sauer, meine Pfeife aufgeben zu müssen? Was sein muß, muß eben sein!«
»Ich sage Ihnen zum zweitausendsten Male, lieber Standerton, machen Sie es wie ich, gewöhnen Sie sich an den edlen Schnupftabak, und Sie sind aller Sorgen enthoben!«
»Ich will's versuchen!« 236
»So lassen Sie uns einsteigen, meine Herren. Kowenrott und Samha sind bereits bei der Maschine. Je länger wir warten, je größer wird das Getümmel. Schon sehe ich Scharen von Menschen drüben auf der Straße herbeiströmen.«
Man hatte den Tag des Probefluges so geheim gehalten wie irgendmöglich. Vor allem war auch Graachten gebeten worden, Tag und Stunde nicht in seinem Blatte bekanntzugeben. Ihn selbst und seinen Redaktionsstab hatte man selbstverständlich benachrichtigt, und die Zeichner, Photographen und Berichterstatter waren denn auch vollzählig am Platze und gut postiert. Graachten unterhielt sich eben noch mit Hawthorn über verschiedene Einzelheiten. Seine Redaktion würde die erste drahtlose Depesche vom »Stern von Afrika« jenseits des Luftmantels der Erde erhalten, und es waren ihm auch die ersten Bilder, die der eingebaute Kinematograph aus der gewaltigsten Höhe, die je ein Mensch erreicht, von der entschwindenden Erde aufnehmen sollte, zugesagt worden.
Das Flugschiff lag auf einer schrägen Gleitbahn und glitzerte in der Sonne, die endlich einmal wieder das mächtige Gewölk der letzten Wochen siegreich überwunden. Arbeiter der Usambaranit-Werke waren eben dabei, mittels einer starken Winde den Kopfteil des »Sterns von Afrika« noch höher zu richten, die Halteklötze beiseite zu schaffen.
Es war erst kurz nach sechs Uhr morgens. Man hatte die frühe Stunde absichtlich gewählt, um möglichst ungestört zu sein. Kaum hundert Personen waren verständigt und geladen worden, aber dennoch hatte sich sehr schnell die Nachricht verbreitet, daß der »Mondflieger« seinen 237 Probeaufstieg unternehmen würde, und schon stand ein großer Kranz von Menschen auf den umliegenden Hügelwellen, den Straßen, die nach Wellington, Stellenbosch und Mowbray führten. Am Strande, zwischen dem alten Fort Knockle und Craig-Turm, jenseits der Bahn, sah man eine schwärzliche Masse auf- und abfluten. Immer neue Zuschauer aber rückten von Kapstadt selbst heran. Dennoch hatten die Massen Disziplin genug, den abgesteckten Raum zu respektieren. In allernächster Nähe der Granate, besonders rückwärts ihrer Flugbahn, war die Sache zudem nicht recht geheuer wegen der Explosionsgase.
Baumgart trat noch einmal zu Hawthorn und Elizabeth, um die sich ein Kreis von geladenen Persönlichkeiten gebildet hatte.
»Ist auf See alles bereit?« fragte Coliman, der Regierungsvertreter des Kaplandes, ein vornehmer alter Herr, der, auf einen Stock gestützt, ein wenig besorgt die letzten Vorbereitungen betrachtete.
»Alles, Herr Coliman! Die Hafenbehörde hat uns eben benachrichtigt, daß die elektrischen Schnellboote wie die Hebeschiffe drahtlos ihre Ankunft an den vereinbarten Plätzen gemeldet haben. Der südlichste Posten steht bei den Kerguelen-Inseln. Auch bei Kap Guardafui, ferner im Arabischen Meer, an der Westküste Vorderindiens, auf Ceylon, im Bengalischen Meer, auf Sumatra und Java, an der West- und Südküste Australiens sind die Hafenstationen auf dem Posten. Indessen, sie werden keine Mühe mit uns haben, der Flug wird ganz ungefährlich sein. Immerhin werden wir uns bestimmt über dem 238 Indischen Ozean halten, um im Gesichtsfelde der Stationen zu bleiben; freilich werden sie uns bald nur noch in den kräftigsten Fernrohren erspähen.«
»Und Sie glauben wirklich, daß zum mindesten bei diesem Probeflug alle Gefahren ausgeschlossen sind?«
»Ganz ohne Zweifel! Sehen Sie, hier steht ja nichts besonders Kompliziertes zur Erwähnung. Im Luftmeer der Erde fahren wir dahin, wie das alle Granatflugzeuge bisher taten. Dieses Luftmeer erstreckt sich, immer dünner werdend, bis auf etwa 180 Kilometer Höhe, was uns die in dieser Entfernung aufleuchtenden Sternschnuppen verraten, die also schon einen geringen Luftwiderstand finden. Aber eine eigentliche Grenze gibt es gar nicht. Langsam, unmerklich geht unsere Lufthülle in den leeren Weltenraum über, den jetzt allerdings in weiter Entfernung um uns her die Svendenhamsche Wolke einnimmt. In etwa zwölf Kilometern Höhe schweben die letzten zarten Eisnadelwölkchen. Wir werden ja nun schnell sehen, ob unsere Granate in den obersten dünnen Luftschichten und darüber hinaus in der Materie der Staub- und Gaswolke noch vorwärts kommt, was ich eben auf Grund meiner Berechnungen annehme. Ist es nicht der Fall, so gleitet unser ›Stern von Afrika‹ gewissermaßen von selbst wieder zurück in das Element, in dem er sich fortzubewegen vermag. Eine Gefahr ist also hier nicht vorhanden. Findet unser Fahrzeug aber bei seiner großen Geschwindigkeit genügend Widerstand, so werden wir weiter in den Raum hinausfliegen, etwa bis auf tausend Kilometer Entfernung von der Erdoberfläche, und dann zurückkehren, denn die Probe ist gemacht, und wir werden weiter hinaus, dem Monde zu, keine anderen Verhältnisse 239 antreffen, als sie tausend Kilometer jenseits des festen Bodens dieses Planeten herrschen!«
»Und welche Zeit werden Sie zu diesem Fluge gebrauchen?« fragte Benjamin Graachten.
»Die Geschwindigkeit des Flugschiffes beträgt 500-Stunden-Kilometer. In zwei Minuten sind wir jenseits der Wolkengrenze, in zwanzig Minuten haben wir die Grenze der Atmosphäre erreicht, und nach zwei Stunden sind wir tausend Kilometer jenseits der Erde inmitten der Materie der Svendenham-Wolke. In dieser Entfernung wollen wir dann zwei Probeabwürfe der Nachrichten-Zylinder vornehmen.«
»Hoffentlich wird man sie finden,« sagte Graachten.
»Wie bewerkstelligen Sie die Abwürfe? Ich höre zum ersten Male von dieser Einrichtung!« erkundigte sich Coliman.
»Wir haben diesen Plan auch erst in der letzten Woche erwogen, und Standerton hat mit Mühe noch die kleine Umänderung vorgenommen. Es handelt sich um hohle, leichte Stahlzylinder, in die wir Nachrichten hineinstecken. In Kurzschrift werden sie auf dünne Platintäfelchen mit dem Stahlstichel graviert. Diese Zylinder tragen oben ein Flügelrad, so daß sie beim Eindringen in die Erdatmosphäre sofort ihren Flug verlangsamen und mählich niedergleiten. Setzt sich das Flügelrädchen in Bewegung, so entzündet es einen Satz Magnesiumpulver, der längere Zeit brennt. Auf diese Weise wird ein solcher Zylinder der Aufmerksamkeit der Beobachtungswarten nicht entgehen. Er ist leicht genug, um auf dem Wasser schwimmen zu können, dürfte also selbst beim Niedergleiten auf die Fläche eines Ozeans gefunden werden.« 240
»Und Sie beabsichtigen, diese Zylinder während Ihrer Fahrt zum Monde abzuwerfen?«
»So ist es! Standerton hat eine Abwurföffnung im Boden unserer Granate angebracht. Wir legen den Zylinder in diese kleine Kammer, schließen den inneren Deckel und öffnen dann durch einen Hebel den äußeren Verschluß. Der Zylinder gleitet in die Tiefe, wird von der Erde angezogen, fliegt auf sie zu, dringt endlich in die Erdatmosphäre ein, wo sich infolge des Luftwiderstandes das Flügelrädchen in Bewegung setzt und langsam niederschwebend den Feuersatz entzündet. Freilich können wir diese Nachrichten nur senden, solange wir noch im Bereiche der Erdanziehung sind. Jenseits einer gewissen Linie regiert die kleinere Kugel des Mondes, und unser Zylinder würde also zum Monde niederfallen!«
»Fürchten Sie nicht,« – sagte Elizabeth, die bisher schweigend neben Baumgart gestanden und ihn mit resignierender Trauer im Blick betrachtet, – »fürchten Sie nicht, daß man diese Nachrichtenträger trotz ihres Leuchtens übersehen wird?«
»Nein, Fräulein Hawthorn! Man wird vielleicht nicht alle sehen, aber doch die meisten, denn wir werden alle Abend zur selben Zeit ein solches allermodernstes Rohrpostbriefchen fallen lassen, und da wir eine ganz genaue Bahn innehalten müssen, um nach 32 Tagen mit dem Monde an derselben Stelle des Raumes zusammenzutreffen, so werden diese Zylinder immer aus einer bestimmten, leicht vorauszuberechnenden Richtung kommen und auch zu einer leicht vorauszuberechnenden Zeit in die Erdatmosphäre eintreten, die abhängig ist von unserer Entfernung vom Erdball. Alle diese Tabellen sind 241 sämtlichen Sternwarten zugegangen, sind auch den ausfahrenden Schiffen bekanntgegeben worden, sollen ferner in allen Zeitungen erscheinen, und man wird in den Schulen die Jugend darauf aufmerksam machen. Es müßte doch sonderbar zugehen, wenn sich all diesen unzähligen Augen, die sich berufsmäßig oder aus Enthusiasmus der Beobachtung widmen, der Bote aus dem Sternenraum entziehen sollte! Mancher freilich mag verloren gehen, und wir werden deshalb stets zwei Exemplare zugleich hinaussenden zu unsern fernen Freunden!«
Baumgart schwieg und blickte mit einem kaum merklichen Zwinkern der Augen in Elizabeths ernstes Gesicht. Verstohlen drückte er leise ihre Hand. Sie gab ihm ein kleines Zeichen, und er trat mit ihr heraus aus dem Kreise der disputierenden Männer. Noch ein paar Abschiedsworte unter vier Augen brauchte Hawthorns blonde Tochter, das fühlte auch der Alte, der die beiden jungen Leute dahinschreiten sah. Er freute sich dessen, denn sein Kind gefiel ihm gar nicht in all diesen Wochen. Und nun sah er, wie Elizabeth die taufrische zarte Rose, die sie selbst bei Sonnenaufgang aus dem Garten geholt, dem schlanken Mann an ihrer Seite in die Hand drückte. Dann schoben sich einige Gruppen Arbeiter mit Balken des Gleitgerüstes zwischen ihn und die beiden, und jetzt rief Standertons mächtige Stimme seinen Namen. Er drängte sich durch den Kreis der ihn Umstehenden und strebte dem »Stern von Afrika« zu, diesem ersten Raumschiff, das die Erde verlassen sollte und das für alle Zeiten auch seinen Namen, den Ruf seiner Werke in die Menschheitsgeschichte tragen würde. Wohlgefällig glitten seine Augen über den 242 langgestreckten spiegelnden Körper, die kunstvoll angeordneten Tragflächen.
Eben zwängte sich Sir Archibald Plug mit seinen Weinflaschen durch das runde Seitenfenster. Lachend half Standerton-Quil von draußen nach, und Kowenkott unterstützte von drinnen. Einen Augenblick sah man nur die umfangreiche rundlichste Rundung des rundlichen alten Seemannes, und das wirkte in all dieser aufgeregten, fast feierlichen Erwartung erlösend heiter. Jeder empfand, daß Sir Plug seinem Namen in diesem Moment Ehre machte, denn er saß in der Tat wie ein Flaschenstöpsel in der runden Einsteigluke der Granate.
Nun aber war er drinnen und schaute mit hochrotem Gesicht vergnügt noch einmal ins Freie. »Drinnen wär' ich, bester Standerton, ob ich aber nach zweiunddreißigtägiger Mast-Gefangenschaft auf dem Monde wieder aussteigen kann, das wird sich zeigen!«
»So werden wir eine Hungerkur verordnen müssen,« sagte Hawthorn und schüttelte dem allzeit lustigen Seemann noch einmal die Hand.
Baumgart hatte Abschied genommen. Er setzte den Fuß auf die kleine Stahlleiter und schwang sich leicht durch die Oeffnung. Standerton gab die letzten Anweisungen. Die letzten Haltekeile wurden fortgezogen, dann stieg auch er in das Innere des Fahrzeuges.
Ein paar Händedrücke noch. Elizabeth trat zurück.
Drinnen schraubte man das dicke Kristallfenster gegen die Gummiwandung. Man sah einen Augenblick Kowenkott mit der Luftmaske am kleinen Ausguck des Maschinenraumes. 243
Hawthorn übernahm draußen das Kommando. Eine Sirene ertönte. Alles verließ den abgesteckten Raum.
Der Alte stand mit dem Chronometer in der Hand. Es fehlten noch zwei Minuten an sieben Uhr. Punkt sieben sollte nach Vereinbarung mit allen Beobachtungsposten der »Stern von Afrika« hinausgeschleudert werden in den Raum.
Eine feierliche Stille herrschte plötzlich ringsum, und doch klopften tausend Herzen in Erregung. Die Menschenmauer am Strande jenseits der Bahn stand unbeweglich. Rings auf den Hügeln saß eine andächtig harrende Menge. Auf der Straße nach Wellington und Mowbray stauten sich hundert Gefährte, sie war schwarz und weiß gefleckt, denn Tausende von Männern und Frauen bedeckten sie in ihrer ganzen Breite.
Eine Minute vor sieben!
Hawthorn trat zu dem Flaggenmast. Das Banner der Vereinigten Staaten stieg knatternd empor. Ein Rauschen ging durch die Massen, dann wieder Stille; der Augenblick war gekommen.
Ein seltsames Signal drang aus dem Innern des Flugschiffes. Noch zehn Sekunden. Hawthorn trat ebenfalls aus der Umzäunung.
Elizabeth zitterten die Knie. Sie preßte die Hand auf das Herz, setzte sich auf einen Bretterstapel. – –
Zwei, drei scharfe Explosionen hintereinander, der »Stern von Afrika« zitterte auf seiner Gleitbahn.
Eine neue knatternde Salve, und nun stieg er aufwärts in einem Trommelwirbel von Entladungen.
Die Gleitbahn fuhr kreischend rückwärts in ihren Schienen, dann kippte sie und wäre umgestürzt, wenn die 244 schweren Eichenpfähle der Umzäunung sich nicht entgegengestemmt.
Ein brausendes Rufen ging durch die Massen. Hastig arbeiteten die Photographen des »Herald«, man sah ein Meer von rötlichen Flecken, die Gesichter der Zehntausende, die emporstarrten zum Himmel, wo ein blinkender Körper sich – kleiner und kleiner werdend – im Blau verlor. –
* * *
Die fünf Menschen, die da durch den Raum flogen wie Ameisen, die man in eine Zinnbüchse eingeschlossen, machten einen merkwürdigen Eindruck in ihrer seltsamen Vermummung. Im »Salon« waren zurzeit nur Baumgart und Archibald Plug anwesend. Standerton stand selbstverständlich im Führerraum, Kowenkott und Samha bedienten jetzt noch gemeinsam den Automaten, um alle Handgriffe genau kennenzulernen. Später, nachdem die wichtige Frage geklärt war, ob die Materie das Schiff zu tragen vermochte, sollten nacheinander auch Baumgart und Plug unter Aufsicht Standertons die Führung des Fahrzeuges übernehmen. Des alten Kapitäns war sich Standerton gewiß, von dem technischen Verständnis des gelehrten Deutschen hielt er nicht viel; der konnte nur im äußersten Notfall in Frage kommen.
Der Ingenieur steuerte aufwärts und vorwärts. Es galt, über der Mitte des Indischen Ozeans zu bleiben. In der Ferne sah man da und dort dunkle Punkte, die Schiffe, die den Flug überwachten, jeden Augenblick bereit einzugreifen, wenn der »Stern von Afrika« niedersinken 245 sollte in die Wassermassen. Standertons hartes Gesicht überflog ein Lächeln. Das war nicht zu befürchten. Die Regierung war überängstlich. Immerhin, sie tat, was sie konnte.
Baumgart und Plug standen an dem großen Rundfenster und starrten hinab in die Tiefe, die zu einem langsam zusammenschrumpfenden Gemisch farbiger Flicken wurde, bei denen das grüne Tuch der Wiesenflächen, das dunklere der Wälder vorherrschte. Seltsam, phantastisch sahen die Männer aus mit ihren Masken, aus denen die geringelten Rüssel der Luftschläuche hervorragten, die in den Lufttornistern auf der Brust endeten. Die riesigen runden Glimmerfenster der Brillen gemahnten an die Augen vorweltlicher Tiere, die eigenartigen Ohrhauben, aus denen die elektrischen Leitungsdrähte der Telephone heraushingen, vervollständigten den fast gespenstischen Eindruck.
Sir Archibald Plug steckte seine Kabelschnur in die kleine Messinghülse auf dem Brustschilde Baumgarts.
»In zwanzig Minuten werden wir wissen, bester Freund, ob Ihre Voraussetzungen richtig sind, oder ob dieser Jussuw-Drammen von der Gelehrsamkeits-Fabrik in Timbuktu recht hat! Es ist doch eine verdeibelte Situation, und ich gestehe Ihnen offen, daß mein Herz schlägt wie ein Pferdehuf!«
»Das ist natürlich, bester Sir Plug! Mir geht es nicht wesentlich anders. Man kann noch so überzeugt sein von einer Theorie, die Praxis macht uns doch alle etwas unsicher. Es ist mehr eine Sache der Nerven als des scharf prüfenden Verstandes!« 246
»Wenn nur dieser gewaltige Spektakel der Explosionen nicht wäre. So ähnlich muß einer Maus zu Mute sein, die während der Ouvertüre in die große Trommel des Orchesters gekrochen ist!«
Baumgart nickte. Plug zog das Verbindungsstück wieder heraus und trat an das gegenüberliegende Fenster. Er empfand, daß der Deutsche jetzt mit seiner fiebernden Erwartung allein sein wollte. In der Ferne schimmerte nur noch gelblich, und teilweise von Frühnebeln, die aus dem Meere aufstiegen, verschleiert, die Küste Afrikas. Ein weißer Streifen schien darum geheftet: die Brandung. Unter ihnen lag die See, eine gleichmäßige, graugrüne Fläche. Ein paar Wattebäuschchen schwammen darauf; in Wahrheit weiße Wolken in mehr als fünftausend Metern Höhe über dem Meeresspiegel. Ein kleiner schwarzer Punkt war dicht darüber sichtbar. War es ein Vogel? Nein, das konnte nicht stimmen, man hätte ihn unmöglich sehen können. Sir Plug griff zum Glase. Es war ein großes Flugzeug, das landwärts fuhr und wohl den »Stern von Afrika«« in seinem Element begrüßt hatte. Da und dort glaubte der alte Seemann im Glase tief drunten als winzige Punkte Schiffe zu erkennen. Vielleicht aber war es eine Täuschung.
Baumgart trat an seine Seite, stellte die Sprechverbindung her.
»Merken Sie nichts?«
»Nichts Besonderes! – – Halt, doch! Das verdammte Geräusch der Explosionen ist schwächer geworden; ganz bedeutend schwächer!«
»Ganz recht! Wir sind der Grenze des Luftmantels nahe! Der Schall kann nicht mehr in der alten Stärke 247 an unser Ohr dringen, weil die Luft, die ihn trägt, bereits sehr dünn geworden ist. Im luftleeren Raum werden wir von außen überhaupt kaum noch ein Geräusch hören, und nur die Luft im Innern unseres Fahrzeuges wird Schallträger sein!«
Die kleine rote Signallampe, Standertons Zeichen, blinkte auf. Die beiden Männer traten an das Fenster, das einen Blick in den Führerraum gestattete. Der Ingenieur wandte sich um. Er zeigte auf das Barometer. Man befand sich bereits über 100 Kilometer hoch. Die Nadel wurde unsicher, sie spielte kaum noch ein, machte alle Erzitterungen des fliegenden Körpers mit. Gleichzeitig ließ der Geschwindigkeitsmesser erkennen, daß der»Stern von Afrika« jetzt schneller dahinschoß, entsprechend dem verminderten Luftwiderstande.
Sir Plug machte auf die Nadel des Apparates für drahtlose Telegraphie aufmerksam. Sie zeigte, daß man anrief. Baumgart trat hinzu. Auf dem schmalen Papierband entstanden in Zeichenschrift Buchstaben und Worte. Nun fiel die Nadel in die Ruhestellung zurück.
»Herald Kapstadt. Haben Sie aus den Augen verloren. Erbitten Bericht über Flug und Befinden.«
»Die können's nicht erwarten,« sagte Sir Plug. »Telegraphieren Sie, daß wir sogleich die erste Flasche auf das Wohl des alten Marabu trinken werden und die Absicht haben, unsere Reise bis zum Monde fortzusetzen!«
Baumgart lächelte, dann gab er durch die feinen Metalldrähte, die wie Fühlfäden an den Seiten des merkwürdigen Flugtieres dahinflatterten, zurück: »Stern von Afrika. Sind über hundert Kilometer hoch. Bisher alles 248 in Ordnung und kein Grund zu Besorgnissen. Grüße an Hawthorns Haus.«
Wenige Minuten später schlug die Nadel abermals aus. Es lief folgender Fernspruch ein: »Wachtschiff Kondor, stationiert bei Mauritius, an Flugschiff Stern von Afrika. Sie sind in sechsfüßigem Teleskop noch eben sichtbar. Sendet drahtlos Signal vor Abwurf der Nachrichtenzylinder.«
»Sehn Sie! Die sind auf dem Posten. Wachtschiff ›Kondor‹. Das befehligt der alte Günzenbroich. Kenne ihn von Jugendtagen. Hoffentlich muß ich nicht erleben, daß er mich aus dreitausend Metern Tiefe aus dieser Konservenbüchse herausfischt.«
»Standerton garantiert, daß der ›Stern von Afrika‹ nicht untersinkt, wenn er ins Meer stürzt. Aber er wird zudem nicht stürzen!«
Wieder leuchtete die Lampe des Ingenieurs auf. Er winkte Baumgart näher zu treten. Der kroch durch die kleine Verbindungstür und trat an die Seite Standertons. Es war so eng in dem kleinen Raum, daß der zweite Mann nur gebückt neben dem Steuer stehen konnte. Der Ingenieur verband sich mit dem Sprechapparat seines Gefährten.
»Ich habe Bedenken! Wir sind nahe an der Grenze der letzten Luftreste. Das Steuer reagiert nicht mehr recht, es findet zu wenig Widerstand. Wir müssen es auf jeden Fall noch größer machen. Die Geschwindigkeit hat wesentlich zugenommen, aber das Fahrzeug hat die Tendenz durchzufallen, wenn ich es steiler stelle. Dennoch! Wir wollen das Aeußerste wagen. Die nächsten zehn Minuten entscheiden über die Ausführbarkeit unserer Pläne!« 249
Baumgart sagte nichts. Hier waren Worte überflüssig. Die Tatsachen allein hatten zu sprechen. Er hielt es für geraten, den Ingenieur allein zu lassen, und stieg wieder zurück in den Salon.
»Nun, wie steht es? Kommen wir durch?«
Der Deutsche zuckte die Achseln. »Noch einige Minuten Geduld, bester Freund. In zehn Minuten werden wir in der Svendenhamschen Wolke dahinschwirren oder uns niedergleiten lassen zur Erde!«
Erst jetzt fühlte er die starke Kälte, die ihn umwehte. Längst hatte Sir Plug den dicken Pelz übergeworfen. Schon machte sich der eisige Odem des Weltenraumes bemerkbar. Immerhin war es erträglich, solange man in den Strahlen der Sonne dahineilte, die die Schiffswände erwärmten. Das Heizröhrenwerk fing zudem mählich an, den Raum zu erwärmen. Gleichwohl mußte man darauf bedacht sein, sich für den eigentlichen Flug wärmer anzuziehen und bei den Polarfahrern in die Schule zu gehen. Einstweilen tat der Pelz seine Dienste.
Die Erde sah merkwürdig aus von dieser Höhe, die nie zuvor ein Mensch erreicht. Man hatte die Täuschung, über einer hohlen Schale zu schweben. Der Indische Ozean war zu einer gleichmäßig graugrünen Fläche geworden. Die Insel Madagaskar schwamm darin wie ein großes Stück Borke, und man sah die breiten Schatten, die die Sonne von ihren Bergzügen entwarf in solcher Schärfe, daß es ein leichtes gewesen wäre, eine genaue Reliefkarte ihres Gebietes anzufertigen. Als eine merkwürdig verschwommene gelbliche Masse lag am westlichen Horizont die Küste Südafrikas. 250
In Gedanken versunken starrten die Reisenden hinab. In ihnen allen fieberte die Erwartung, die sie nicht recht zum Genuß des wunderbaren Bildes kommen ließ. Alles Fragen, alles Diskutieren war überflüssig in diesem Augenblick, und so grübelten sie vor sich hin. Standerton verharrte unbeweglich an seinem Steuer, jeden Augenblick bereit, die ganze Maschine herumzuwerfen, zurück in den rettenden Luftmantel, der die alte Mutter Erde umwallt. Zum ersten Male in seinem Leben vibrierten seine Nerven so stark, daß er seine ganze Energie einsetzen mußte, Herr zu bleiben über sein Tun. Eins war klar, das Steuer mußte bedeutend vergrößert werden, wahrscheinlich auch die Tragflächen. Langsam aber gewann er nach anfänglich schwersten Besorgnissen die Ueberzeugung, daß der »Stern von Afrika« das dünne Medium durchschneiden, sich in ihm weiterbohren würde. Andernfalls hätte die Maschine längst versagen müssen.
Da fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Baumgart stand neben ihm, den Chronometer weisend. »Dreißig Minuten! Die letzten Spuren der Erdatmosphäre liegen hinter uns. Wir gleiten bereits in der Nebelwolke dahin. Das Spiel ist gewonnen!«
In der Tat! Man war mehr als zweihundertfünfzig Kilometer von der Oberfläche des Planeten entfernt. Auch die Nadel des Barometers zeigte keinen Druck mehr an. Das Geräusch der Explosionen hatte stark an Heftigkeit verloren, und ein seltsames Knistern und Rauschen an den Fenstern bezeugte das Vorhandensein eines feinen Staubstromes, in dem der»Stern von Afrika« dahinglitt. 251
Die Züge des Ingenieurs belebten sich. Er ergriff die Hand des gelehrten Freundes und sagte nichts weiter als: »Gott sei Dank. Wir sind durch!«
Baumgart eilte zurück zu Sir Plug.
»Wir schaffen es! Wir sind mitten in der Wolke, kommen weiter!« Da erhob sich der Pelzball und machte einen wohlgemeinten Versuch, den Deutschen zu umarmen. »Mein Kompliment und meine Gratulation, Kopernikus und Kolumbus redivivus! Großartig, unerhört prächtig! Nicht für einen Wald voll Affen möchte ich die letzte Viertelstunde noch einmal erleben! Ich sah diese Sardinenbüchse schon im Geiste abwärtssinken, sah uns als traurige Pelzmilben wieder in Kapstadt aus dem Bottich hervorkriechen, ausgepfiffen von unseren Widersachern! Hören Sie, das muß gefeiert werden, und womit, nun womit? Halt, wo sind meine Flaschen Tripolitaner?«
Er stürzte zu einem der Wandschränkchen.
Baumgart aber trat in den Maschinenraum, reichte Kowenkott und Samha die Hände. »Es ist erreicht, wir haben gewonnen! Die Wolke trägt uns!«
Der gute Tropfen des wackeren Sir Plug fand diesmal eine freudige Aufnahme. Selbst Standerton verschmähte ihn nicht an seinem Steuerrad. Und der alte Kapitän hatte endlich Gelegenheit, selbst eine Weile die Hand anzulegen an die Zügel des stählernen Flugpferdes.
Indessen gab Baumgart drahtlose Nachrichten an den »Herald«, an Hawthorn, an die Regierung. Sie wurden überall aufgefangen, brausten in wenigen Minuten weiter durch die Welt bis zu den fernsten Fernen. Die Zeitungen brachten Extrablätter, überall besprach man das Ereignis, und jene freudige Interessiertheit breitete sich in 252 langen Wellen über die Welt, die immer dort einsetzt, wo eine kühne Idee durch die Tat zum Eigentum der Menschheit wird, wo irgendein alter Traum plötzlich durch die schöpferische Energie eines neuen Zeitalters Gestalt gewinnt und Wirklichkeit.
In siebenhundert Kilometern Höhe setzt sich Baumgart an den Tisch und ritzt mit dem Stahlstichel Worte der Freude und Grüße an Elizabeth in ein Platinblättchen. Ein zweites trägt eine Meldung an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Afrika, und ein drittes gibt dem »African Herald« einen kurzen Bericht. – Wenige Sekunden später gleiten die drei Nachrichtenzylinder durch das Abwurfrohr in die ungeheure Tiefe. Einen Augenblick sieht man sie in der Sonne blinken wie Glassplitter auf dem Grunde eines Bächleins, dann sind sie verschwunden im Bodenlosen.
Man fand zwei von diesen seltsamen Briefen auf. Den einen fischte das Wachtschiff »Kondor« aus dem Wasser, der zweite Zylinder fiel mit noch immer sprühender Magnesiumflamme in den großen Hof einer Weberei zu Itremo auf Madagaskar. Der dritte Zylinder blieb unauffindbar; er war für den »Herald« bestimmt. – Freilich erreichten die metallnen Grüße erst nach zwei Tagen ihren Bestimmungsort, aber ein glückliches Lächeln ging über Elizabeth Hawthorns Gesicht, als sie das dünne glänzende Blatt in ihrer Hand hielt. Fünfzig Jahre lang war dieser Gruß aus dem Blauen ihr ein Heiligtum! Man sagt, sie habe dieses Metallkärtchen auf ihrem Totenbette so fest in der Hand gehabt, daß sie damit bestattet wurde. –
Tausend Kilometer jenseits des großen Schlachtfeldes der Menschheit wendete der »Stern von Afrika«. Es 253 gab hier nichts weiter zu erproben, und Standerton-Quil war sich darüber klar, daß Tragflächen und Steuer einer Umänderung bedürften, um die Sicherheit des Fluges zu erhöhen. Die Menschen, die in diesem stählernen Gefängnis eingeschlossen waren, empfanden jetzt erst die ganze Schönheit des seltsamen Schauspiels, das sich von hier aus überblicken ließ. Das Gesichtsfeld war ungeheuer gewachsen. Fern im Süden sah man dann und wann aus dem Nebel die ersten Eisbarrieren des Pols auftauchen. Mächtige Wolkengürtel schwebten darüber, und auch hoch im Norden, wo die Küsten Indiens liegen mußten, stand eine dunkle. bläuliche Wand mit weißen Zinnen. Wolken und wieder Wolken, aber nicht mehr als solche erkennbar, sondern zusammengefügt zu festen Massen, Gebirgen mit schneeigen Gipfeln, unter denen Länder begraben lagen.
Langsam glitt man zur Erde zurück.
Es schien, als stand der »Stern von Afrika« still im Raum, als flog diese graue, grünliche, gelbe, weiße gefleckte Masse da unten mit Sturmeseile empor. Die Watteballen der Wolken rasten heran, man verschwand in dem brauenden Nebelmeer, nun lagen sie wieder droben, und das Fahrzeug glitt in geringer Höhe über die See hin.
Da und dort die dunklen Pünktchen der Schiffe. Winzige weiße Rauchwolken entfuhren ihnen: Salutschüsse, deren Knall unterging im Dröhnen der Explosionen. Und dann tauchte Kapstadt auf mit seinen blanken Dächern, seinen spiegelnden Scheiben. Menschenmassen wurden sichtbar, man sah ein Meer von rötlichen Flecken, Zehntausende von winzigen weißen Tupfen, die zu flattern schienen. 254
Die schwarzen Bauten des Usambaranit-Werkes tauchten auf, die weißen Schienen der Gleitbahn wurden sichtbar. Die Maschine stoppte. Zischend senkte sich der blinkende Körper!
Ringsum aber war ein Brausen, ein verworrenes Rauschen, als fahre der Sturmwind durch weite Wälder.
Ein scharfer Ruck . . . Ein Schwanken und Stoßen . . . Ein Kreischen . . . Der »Stern von Afrika« liegt still!
Die letzte Drehung des Fensterverschlusses. Frische Luft dringt herein. Baumgarts froh erregtes Gesicht wird sichtbar, eine zarte weiße Hand schiebt sich durch die Oeffnung, und wie der junge Deutsche sich herausbeugt, umschlingen zwei weiche Arme seinen Hals, und ein heißes Gesicht preßt sich an das seine.
Und das Brausen ringsum schwillt an und setzt sich fort bis herauf zu den Höhen, wo tausend und tausend Tücher im Sonnenlicht flattern. 255