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XVII. Der schwarze Tod

Otto liegt im Klostersaal mit den andern.

Karen geht von Bett zu Bett und pflegt alle, aber wo auch immer im Saal sie weilt, sie fühlt, daß seine Augen auf ihr ruhen, die Augen ihres Geliebten, der nie eine Antwort auf ihren Brief geschickt hat; zwei Jahre lang hat sie vergeblich darauf gewartet.

Es sind dieselben merkwürdigen Augen; aber sie sind größer geworden, weil das Gesicht so mager ist. Sie sind blau und tief mit dem Ausdruck eines unsäglichen Glücks, den sie früher nicht gehabt hatten. Damals waren sie schwermütig vor Wehmut und Kummer; und Karen verwundert sich über die Maßen, woher wohl das Glück kommt mitten in seinem Elend.

Oft wendet sie sich um und lächelt ihm zu, und ihre Augen werden feucht, wenn sie daran denkt, was sie verloren hat.

Nur selten können sie miteinander sprechen, denn der Saal ist voll armer Kranker, und oft geht die Priorin von einem zum andern und erkundigt sich nach dem Befinden.

Eines Tages wird ein armer Kranker in den Saal herein getragen; er redet irre im höchsten Fieber, und er hat giftige Beulen im Gesicht, die schon ganz schwarz sind. Niemand kennt die Krankheit, aber am nächsten Tag bringt man wieder solch einen Kranken, und immer mehr werden in den Klostersaal herein getragen, alle mit derselben schrecklichen Krankheit behaftet.

Von draußen dringt das Gerücht ins Kloster, und es verbreitet sich von Bett zu Bett, das Gerücht von der grauenvollen Seuche, die so viele betroffen habe, sowohl die Menschen als auch das Vieh. Manchmal fallen die Leute plötzlich um und sterben, ohne daß eine Beule zu sehen wäre, aber meistens taumeln sie zuerst und halten sich den Kopf in heftigem Schmerz. Dann bricht plötzlich das Fieber aus mit Beulen unter dem Arm oder an den Leisten.

Und um des Aussehens willen, das sie bekommen, wenn sie sterben, nennt der gemeine Mann diesen Tod den schwarzen Tod.

Im Kloster werden Messen gelesen, und es wird zur Mutter Gottes gebetet, um den Fluch abzuwenden, den der Herr in seinem Zorn auf das Land gelegt hat.

Da erinnert sich Otto an die Worte, die Christus zu ihm gesprochen hat: »Seuche und Krankheit will ich über dein Land senden, um die Seelen der Einwohner zu retten.« Und erst jetzt sieht er deutlich, daß der schwarze Tod ein Segen ist, den Christus gesendet hat.

Eine der Schwestern bekommt dieselbe böse Krankheit. Entsetzen ergreift die Nonnen, und die Priorin steht am Lager der Kranken und sieht mit Schrecken die giftigen Beulen.

Da richtet sich Otto auf und sagt:

»Fürchtet euch nicht – es ist der Segen Christi.«

Und den Kranken, die neben ihm liegen, ruft er zu:

»Christus hat dich gesegnet – danke ihm für deine Krankheit!«

Aber die Priorin wendet sich zu ihm und schaut stumm in seine glücklichen Augen. Dann schüttelt sie den Kopf. Der Ärmste – er hat den Verstand verloren!

Am Abend tritt Karen an sein Bett. Sie hat gesehen, daß die andern alle schlafen. Niemand kann sie hören. Leise läßt sie sich neben seinem Bett auf die Knie nieder und legt ihren Kopf an seine Brust.

Liebkosend streicht er über ihr Haupt, und nun hört er, daß sie weint.

»Weine nicht, Cara,« sagt er, »ich bin jetzt glücklich.«

Dann erzählt er ihr von seiner Reise nach dem heiligen Land; flüsternd berichtet er von dem schweren Kreuz, das er trägt, das aber niemand sehen kann. Und er erzählt ihr von dem schwarzen Tier, das ihm am Strand entwischt ist. Dies Tier sei es, das nach dem Willen Gottes die Krankheit hervorrufe. Denn wer immer von der Seuche geschlagen werde, den rette Christus in der Ewigkeit – das habe er gelobt um seiner Fürbitte willen.

Karen denkt: »Nun hat ihm Gott wirklich den Verstand genommen.« Aber dennoch kann sie ihre Liebe nicht vergessen; sie sucht seine Hand und seinen Mund, und er erwidert ihre Küsse, aber es ist nicht der Kuß eines Liebenden, es ist der eines Bruders oder eines Vaters.

Da wird sie im Innersten beschämt über sich selbst und über die Hitze ihres Bluts. Wie soll sie es ertragen, wenn er genesen ist und das Kloster verlassen muß?

Dann kommt der Tag, wo er gesund ist.

»Nimm mich mit dir!« fleht sie leise. Aber das kann er nicht. Versteht sie denn gar nicht, welches Glück es ist, die Braut Christi zu sein?

Er richtet sich auf mit dem schweren Kreuz, das ihm den Rücken gebeugt hat.

In dem Torzimmer sind die beiden einen Augenblick allein. Da zieht er rasch das Skapulier unter seiner Kleidung hervor.

»Nimm es, Cara, es ist das Liebste, was ich besitze. Galfred hat es mir gegeben, weißt du. Trag es bei deinem Tode, dann nimmt dich in deiner Todesstunde die Mutter Gottes in ihre Arme und hebt dich aus dem Leben – über das Fegfeuer hinweg, in den Himmel hinauf.«

Er schließt sie in seine Arme und geht weg, ohne sich umzusehen.

Dann wandert er auf dem Weg dahin, der in südlicher Richtung durchs Land führt.

Er fühlt so viel Glück in seinem Herzen, daß es ihn und sein Kreuz trägt.

Von Haus zu Haus will er gehen und allen verkündigen, daß sie erlöst seien durch Gottes Gnade, daß diese böse Seuche ein Segen des Heilands sei, der ihre Seelen für die Ewigkeit errette. Und dann will er sie suchen, die bösen Tiere, und jedes, das er findet, will er ins Feuer werfen.

Plötzlich ruft jemand seinen Namen. Er wendet sich um. Karen ist es, die ihn einholt.

»Nimm mich mit! Zusammen haben wir gesündigt, nun laß mich auch mit dir sühnen.«

Otto beugt sich ihrem Willen. Und nun wandern sie von Haus zu Haus. Wo sie hinkommen, fragt Otto nach dem schwarzen Tod und nach den bösen Tieren.

Viele schütteln den Kopf über die beiden, denen Gott den Verstand genommen hat, aber mit Freuden sehen sie seine glücklichen Augen und die große Liebe in dem Blick des Weibes.

Gegen Abend erreichen sie ein Dorf.

Die Bauern sitzen nach dem Abendbrot beisammen am Dorfteich und genießen den Feierabend. Dabei sprechen sie von dem schwarzen Tod, der Menschen und Vieh hinwegrafft.

Der eine hat ihn drei Stunden westlich bei Hans Hansen gesehen; dessen Frau wurde am Sonntag vom Fieber ergriffen, und drei Tage nachher war sie tot. Ein anderer hat etwas von einem schwarzen Tier gehört, das größer sei als eine Maus, mit steifen Bartborsten und mit Augen wie der leibhaftige Satan.

Da kommen Otto und Karen des Wegs daher. Und die Bauern halten die beiden Wegfahrenden an und fragen sie, ob sie den schwarzen Tod und die schwarzen Tiere irgendwo getroffen hätten.

»Ja,« sagt Otto, »sie sind es, die wir suchen.«

»Sucht ihr den Fluch auf, der auf dem Lande liegt?«

»Ihr täuschet euch, es ist der Segen Christi, für den ihr danken sollt. Denn wer immer von dem schwarzen Tod getroffen wird, dessen Seele wird in der Ewigkeit verschont und aus dem Fegfeuer und der Qual errettet werden.

Da geraten die Bauern in großen Zorn. Sie jagen die beiden mit bösen Worten und Steinwürfen davon.

Dann wandern sie über die Heide. Sie sind hungrig und durstig, und ihre Füße sind wund vom Gehen.

Keine menschliche Wohnung ist zu entdecken. Sie stützen einander beim Gehen, sie ruhen sich aus im Heidekraut, aber der Hunger treibt sie weiter.

Da richtet sich plötzlich zwischen dem Eichengestrüpp und den alten Baumstümpfen ein Mensch auf.

Er droht mit seinem Stock und verteidigt seine Höhle wie ein Bär.

»Warum willst du uns schlagen?« sagt Otto. »Gib uns lieber Brot und einen Trunk Wasser, wenn du welches hast!«

Der Mann betrachtet die glücklichen Augen und den gebeugten Rücken, der aussieht, als trage er eine sehr schwere Last; und er betrachtet das Weib mit dem tiefen Schmerzenszug um den Mund. Dann teilt er sein letztes Brot mit ihnen und gibt ihnen einen Schluck von seinem Bier.

»Sag uns nun, was du getan hast, daß du hier in der Einöde lebst?«

Da erleichtert der einsame Geächtete sein Herz und bekennt seine Schuld.

»Ich brach um Mitternacht in eine Kirche ein und stahl den Kelch vom Altar; ich schmolz ihn ein und kaufte mir eine Kuh für das Silber.«

Der tiefe Schmerz in seinem Herzen beugt Otto das Haupt.

Das ist die Brut von meines Vaters Sünden, denkt er, auch er hat Kirchengut geraubt.

»Christus hat dich gesegnet,« sagt er, »denn du bist von deiner Schuld erlöst. Hier ist meine Hand.«

Verwundert sieht ihn der Mann an mit seinen scheuen Augen.

Er ist ein größerer Sünder als ich, denkt er, sonst würde er einem Altardieb nicht die Hand geben.

»Wohin geht Euer Weg?«

»Zu den Armen und zu den Kranken. Und dann suche ich die schwarzen bösen Tiere, die ins Land gekommen sind.«

»Darf ich mit euch ziehen?« fragt der Mann, und es ist ihm, als könne er niemals Frieden finden, wenn er nicht mitgehe; jetzt, wo er jemand gefunden hat, der ein größerer Sünder ist als er selbst.

Über die Heide gelangen sie in den Wald.

Ein Waldläufer steht am Waldessaum und betrachtet sie aufmerksam. Zuerst will er fliehen, aber als er das Elend der Wanderer sieht, bleibt er stehen.

Otto begrüßt ihn, aber er erwidert den Gruß nicht.

»Warum erwiderst du meinen Gruß nicht? Sag uns lieber, was du getan hast, vielleicht kann ich dir helfen.«

Da fühlt sich der Mann versucht, seine Schuld zu bekennen, die er so lang allein getragen hat.

»Ich habe meinem Bruder nach dem Leben getrachtet und zündete seinen Hof an.«

»Warum hast du das getan?«

»Weil er der Älteste war. Warum mußte er es sein und nicht ich?«

Otto beugt den Kopf in tiefer Betrübnis des Herzens.

»Das ist die Brut von meines Vaters Sünden«, denkt er.

»Christus hat dich gesegnet«, sagt er, »und dich von deiner Schuld erlöst.«

Der Mann sieht erstaunt auf über diese Barmherzigkeit.

Er ist ein größerer Sünder als ich, denkt er, und er fragt:

»Wohin ziehet ihr?«

»Zu den Armen und zu den Kranken und zu den Sündern – zu all denen, die leiden. Und dann suchen wir die schwarzen Tiere, die ins Land gekommen sind!«

»Darf ich mit euch ziehen?« fragt der Mann.

»Ja, gerne. Hier ist meine Hand.«

Und er zeigt ihm die Narbe des Nägelmals und fragt:

»Siehst du die Wunde hier?«

»Ja, was ist es?«

»Gott hat sie mir geschlagen um meiner Seligkeit willen.«

Sie wandern in den Wald hinein. Der Waldläufer fängt eins der Schweine, die verwildert im Wald umherlaufen, und schlachtet es zur Nahrung; er fängt eine langhaarige Kuh auf einer steinigen Weide und melkt sie.

Dann kommen sie wieder auf die Felder. Und wo sie hinkommen, fragen sie nach dem schwarzen Tod, der ihnen beständig vorauseilt. Mancher hat die schwarzen Tiere gesehen, aber niemand hat sie gefangen. Manchmal sind sie tot aufgefunden worden, mit giftigen eiternden Wunden und einem räudigen Schwanz.

So hat sich also die Brut des einen Tiers über das ganze Land verbreitet, denkt Otto, wie die Sünden in dem Herzen eines Königs.

Wo sie hinkommen, geben ihnen die Bauern Almosen, und Otto segnet sie dafür. Und mit Verwunderung sehen sie Ottos große, glückliche Augen und seinen Rücken, der aussieht, als habe er eine gar schwere Bürde zu tragen.

Wenn sie auf ihrem Wege einen Kranken antreffen, der von Freunden und Verwandten um der bösen Krankheit willen verlassen worden ist, da neigen sie sich über ihn, lindern seine Not so gut sie es vermögen, geben ihm zu essen und zu trinken und bleiben bei ihm, bis der Tod ihn befreit hat oder die Krankheit überwunden ist.

Sie gelangen an eine Hütte, die am Rande des Waldes in eine Sandgrube gegraben ist. Ein Mann steht vor dem Eingang und starrt sie mit bebenden, angstvollen Augen an.

»Was wollt ihr von mir?« fragt er.

»Dir helfen – sag uns, was du verbrochen hast.«

Der Mann öffnet sein Herz und bekennt die Schuld, die er so lange allein getragen hat.

»Ich habe ein Pferd geraubt.«

»Ist das alles?«

»Dann schwur ich, daß ich es nicht gewesen sei.«

»Ist das alles?«

»Sondern daß es mein Nachbar Per Nielssen gewesen sei.«

»War das alles?«

»Und da wurde ihm nach Gesetz und Recht die eine Hand abgehauen. Es gibt Vornehmere als mich, die meineidig waren.«

Das ist die Brut von den Sünden meines Vaters, denkt Otto; und er neigt sein Haupt in der tiefen Betrübnis seines Herzens.

»Christus hat dich gesegnet«, sagt er, »und von deiner Schuld erlöst.«

Er ist ein größerer Sünder als ich, denkt der Mann.

»Darf ich mit euch ziehen?«

»Ja gerne. Hier ist meine Hand.«

Nun ziehen sie über die Finderuper Heide, da treffen sie einen Mann vor einem Wasserloch. Er hat sein Wams abgeworfen, und nun will er sich ertränken.

»Warum willst du das tun?« fragt Otto, »wir sind alle Sünder. Erzähl uns lieber, was du verschuldet hast.«

Dem Mann bricht das Herz vor Kummer bei diesen milden Worten, und er sagt:

»Ich habe die Frau meines besten Freundes verführt, während er im Krieg war.«

Das ist die Brut der Schuld meines Großvaters, denkt Otto, und erinnert sich an Marsk Stig.

»Und nun ist sie von dem schwarzen Tod getroffen worden. Mein ist die Schuld. Ohne sie will ich nicht leben.«

»Sag doch das nicht, Christus hat sie gesegnet – und dich hat er von aller Schuld befreit. Schließ dich an uns an. Hier ist meine Hand.«

Und sie wandern mit, von Ort zu Ort, all die Sünder, die sich zu ihm gesellten.

An einer Bucht des Gudenflusses liegen ein Mann und ein Weib miteinander im Gras. Er schließt sie fest in die Arme, und sie ruft den Wanderern zu:

»Tötet uns nur, dann sterben wir zusammen!«

»Warum wollt ihr sterben? Wir sind alle Sünder. Erzählt uns lieber, was ihr getan habt.«

»Wir haben einander vor dem Altar des Herrn umfangen, denn an einem andern Ort konnten wir nicht zusammen kommen. Aber sie war dem Kloster geweiht, und der Küster überraschte uns, als wir auf dem Boden ruhten.«

Das ist die Brut meiner eigenen Sünde, denkt Otto; und er neigt das Haupt in tiefem Schmerz.

»Christus hat euch gesegnet. Wollt ihr mir folgen?«

Er reicht dem Mann die Hand, aber die Hand des Weibes führt er an seine Lippen und bittet sie in seinem Herzen um Vergebung.

Und wieder wandern sie südwärts – über die Hügel von Vejle – bis nach Kolding hinunter.

Sie kommen in ein Dorf, wo ein großes Feuer gen Himmel lodert. Und alle Bauern stehen um den Scheiterhaufen. Man will eine Hexe verbrennen.

Nun schreit ein Weib in höchster Not; die Bauern starren verwundert auf die Schar, die in den Ort hereinzieht. Da nimmt das Weib die Gelegenheit wahr und entwischt ihnen. Sie stürzt zu Otto hin, wirft sich vor ihm nieder und umklammert schluchzend seine Knie.

»Was hat sie getan?« fragt Otto.

»Sie hat meine Kuh mit plötzlicher Krankheit verhext. Gestern fiel diese vor meiner Scheune um und war augenblicklich tot!« ruft ein junger Bauer und schüttelt drohend die aufgehobenen Arme.

»Warum tatest du das?«

»Er hat meinem alten Vater den Hof abgeschwindelt, er hat ihn verlockt, Silber zu nehmen, als Pfand auf den Hof, bis der Vater es nicht mehr einlösen konnte.«

Das ist die Brut von meiner Sünde und von der meines Vaters und von der des bösen Grafen, denkt Otto.

»Christus hat dich gesegnet, du bist frei von deiner Schuld. Und du, Bauer, der du dort stehst, auch du bist gesegnet um Gottes Barmherzigkeit willen.«

»Nehmt mich mit!« bittet das Weib.

»Ja, gerne. Hier ist meine Hand.«

Aber der junge Bauer erhebt ein großes Geschrei, und die andern Bauern stimmen mit ein. Die fremde Schar aber ist zahlreicher als die der Bauern. Deshalb wagen sie es nicht, die Hexe zu ergreifen. Da bücken sie sich und jagen die Sünder mit Steinwürfen zum Dorf hinaus.

»Christus segne euch!« ruft Otto ihnen zu. Aber in ihrer Leidenschaft hören sie nicht, was er ruft.

Als Otto mit seiner Begleitung zwei Meilen vor das Dorf hinaus gekommen ist, fällt die Hexe um auf dem Wege, getroffen vom schwarzen Tod.

Nun hört Otto, daß Kalundborg schlimmer heimgesucht sei als irgendein anderer Ort. Jeder zweite Mensch in der alten Stadt sei von der fremden Krankheit befallen. Viele der bösen Tiere habe man in den Kellern und unter den Dächern, zwischen Kühen und Schweinen herumhuschen sehen. Niemand habe sie kommen sehen. Deshalb glauben die Bauern und Bürger, der Zorn Gottes habe sie vom Himmel fallen lassen. Otto bittet einen Schiffer um sein Boot, und nun fahren all die Sünder und Ausgestoßenen nach dem alten Schloß. Aber als sie unter dem Sankt-Jörgensberg vor der Mauer stehen und zum Tor hinein wollen, befiehlt ihnen der Wächter, weiter zu ziehen, sonst würden sie gesteinigt werden. Die Bürger wollten keine Wegfahrende in der Stadt haben, denn sie brächten die Krankheit mit sich.

Otto ruft zurück, daß sie Gott für die schwarze Seuche danken müßten, denn sie sei der Segen des Heilands, der sie ihnen geschickt habe, damit ihre Seelen von der ewigen Verdammnis errettet würden.

Da sausen die Steine von der alten Mauer auf sie herab und vertreiben sie.

Nun wenden sie sich dem Walde zu. Aber der alte Wald südlich von Kalundborg ist niedergehauen, seit Otto vor sechs Jahren mit seinem Bauernheer hier gewesen ist.

Sie ziehen weiter von Dorf zu Dorf, ihre Schar vermehrt sich beständig mit Armen und Geängstigten und Elenden.

Endlich erreichen sie die Heerstraße, die nach dem Gribwald am Kloster Äbelholt vorüberführt. Der Gribwald ist so groß, daß er Nahrung für alle hat. Kühe und Schweine und Pferde, die längst aus brennenden Höfen, die die Porser und Holsteiner verwüstet haben, davongelaufen sind, grasen verwildert auf den Lichtungen; da gibt es Hirsche zum Essen und Wölfe zum Jagen.

Und wie sie in dem alten Wald vorwärts dringen, begegnen sie Waldläufern aus jeder Gegend, aus Seeland und aus jedem Dorfe; und nicht nur gewöhnliche Leute sind es, sondern auch Ritter und Bürger, ja ein in Hurerei ergriffener Mönch ist auch dabei. Die einen leben für sich allein, andere haben sich zum Schutz zusammengetan; aber nie beraubt ein Waldläufer den andern oder bringt ihn verräterisch um.

Hier trifft Otto den schwarzen Jens und Elsif, seine Geliebte, und die fünf Männer von Baarse; der mit den schwermütigen Hundeaugen trägt noch immer Verlangen nach Elsif, aber sie gehört ihm noch immer nicht. Trotz Waldemars Versprechen an jenem Weihnachtsfest auf Kalundborg wurden diese Leute geächtet aus der Burg gejagt, weil sie die Ersten unter den Bauern waren.

Jens hat seine Schwester Else bei sich, die des Grafen Leute damals auf das Schiff geraubt hatten. Sie erkennt Otto wieder; als er ihre Hand ergreift, fällt sie ihm zu Füßen und küßt sein Gewand.

Eines Tages steht ein Mann mit struppigem, rotem Haar und einem funkelnden Glanz in den Augen vor Otto.

Es ist Jeppe Dip, und er hat die Hexe von Falster bei sich; von Rostock wurde sie mit zweiundzwanzig unehrlichen Mädchen auf Hanseschiffen nach Kopenhagen geführt, um den »Pfeffergesellen« So nannte man in Kopenhagen die Schreiber und Buchhalter, die die Kaufleute der Hansa dort angestellt hatten, um die Geschäfte zu leiten. (Das dänische »Pebervsend« – Pfeffergeselle – heißt heutzutage »Junggeselle«.), die die Kaufläden besorgen, zur Lust zu dienen. Da fand Jeppe Dip sie, als er einmal in der Stadt war und eine Dirne suchte. Als sie ihn sah, floh sie mit ihm in den Wald und wurde friedlos, wie er es seit dem Weihnachtsfest in Kalundborg war.

Otto erkennt sie nicht wieder. Wo ist die weiße Haut und das dunkle Haar und der flehende Blick? Die Augen sind groß und ohne Glanz, die Haut ist rot wie Ziegelstein, das Haar verwirrt und grob, mit Grau durchzogen. Doch hat sie noch immer ein Herz, und dieses Herz hängt noch immer an ihm, dem sie sich in Hurerei ergeben hatte.

Otto ergreift ihre Hand und küßt sie und verkündigt ihr den Segen Christi. Da flammt eine Erinnerung in ihr auf. Diese Stimme! – die Erinnerung an das Junkerwort auf dem Markt zu Nykjöbing. Ihre Wangen überziehen sich mit dunklem Rot, ihre großen glanzlosen Augen werden feucht, und schnell zieht sie die Hand zurück, als habe sie sich gebrannt.

Alle versammeln sich um Otto mit dem glücklichen Blick und dem gebeugten Rücken, der aussieht, als trage er eine schwere Last, und um Karen mit den milden, von großer Liebe verschleierten Augen.

Aber Otto nimmt denen, die ihn kennen, das Versprechen ab, daß sie nicht verraten, wer er ist. Denn er könne seine Aufgabe nicht erfüllen, wenn er nicht als der Geringste unter ihnen gerechnet werde.

So leben sie alle zusammen in dem tiefen Wald, alle die Sünder. Sie jagen das Wild, melken die Kühe, sie bauen sich Hütten aus jungen Stämmen und decken sie mit Laub und Stroh.

Niemand kommt in den tiefen Wald, außer denen, die geächtet oder in dem Bann der Kirche sind, und sobald jemand kommt, nimmt Otto ihn auf und verkündigt ihm die Gnade Christi.

Indessen macht der schwarze Tod seinen Siegeszug durchs ganze Land. Von Ort zu Ort schwingt er seine schwarze Fahne und fällt Menschen und Vieh, wo er sich auf seinem schwarzen Pferd zeigt.

Ringsum im Keller und unter dem Dach, zwischen Kühen und Schweinen werfen die bösen Tiere Junge. Sie fressen von den schwarzen Leichen, werden dann selbst mit Beulen geschlagen und sterben unter den Fässern und in Löchern unter dem Balkwerk; bisweilen fallen sie auch, von der plötzlichen Seuche ergriffen, in Brunnen und vergiften das Wasser, das Menschen und Vieh trinken müssen.


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