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Erstes Buch.

III. Die Flucht

In einem zitternden Sonnenstrahl, der durchs Lindenlaub fällt, liegt ein Salamander.

Aus dem Schloßgraben ist er in den Garten gekommen, durch die Ablaufrinne unter der Ringmauer. Er liegt mit dem braungefleckten Bauch nach oben – sieben braune Punkte sind es – und krümmt sich in wohligem Behagen, während seine weiße Haut im Sonnenschein flimmert.

Otto sitzt auf der steinernen Bank und betrachtet aufmerksam den Salamander; er hat die Beine weit vorgestreckt und hängt beide Arme über die Rücklehne der Bank. Mit vorgebeugtem Kopf, so daß ihm das braune Haar vom Nacken her über die Wangen hereinfällt, sieht er mit offenem Mund und großen, hervorquellenden Augen nur den Salamander in der Sonne. Die Pupillen sind in dem hellen Licht ganz klein, und die gespannte durchsichtige Haut des Augapfels sieht aus wie mit bläulicher Milch gefüllt.

– Sieh, wie ihre Schultern beben und sie zusammenzuckt, als sie die zweite Rute in der harten Faust des Henkers auf ihren Rücken sausen hört!

Eins! – Sie wirft den Kopf zurück – zwei! – ach, der lange rote Striemen auf der weißen Haut – drei!

Tut es weniger weh, wenn du dich unter dem Schlage krümmst?

»Sie ist in Hurerei ergriffen worden.«

Was geht euch das an?

Spare deine Kräfte – du Höllenhund!

Die dritte Rute – eins – zwei – drei!

Genug – sag ich, genug, du zottiger Sklave! – Siehst du nicht, daß das Blut herunterläuft?

Die vierte Rute – eins – zwei –

Ach wie sie schreit – helft ihr, ihr Leute, befreit sie –

Drei!

Die fünfte Rute – eins – zwei – drei!

Sieh, das geronnene Blut – da und da – auf der feinen weißen Haut –!

Was hat sie euch getan, ihr Leute! – Warum schlagt ihr ihn nicht nieder, den schwarzen Hund mit der häßlichen Fratze? – Entreißt ihm die Rute!

»Das Gesetz muß seinen Lauf haben. Sie ist in Hurerei ergriffen worden.«

Was schere ich mich ums Gesetz!

Die siebente Rute – eins – zwei –

Halt ein, oder –! Lauf ins Schloß, Gunner – und sag dem König von Junker Otto –

Der Salamander mit den braunen Flecken auf seinem weißen Bauch krümmt sich in der Sonne vom Kopf bis zur Schwanzspitze.

Sieben braune Punkte sind es.

Sieh, wie sie sich krümmt – braune Flecken von geronnenem Blut! – Sieben braune Flecken – Warte – warte nur! – Wenn ich nur dein Gesicht sehen könnte!

Ich will dir das Blut abwaschen – Öl in deine Wunden gießen – dir Wein zu trinken geben. Ich will meine Mutter inständig bitten, dich in die Küche in ihren Sold zu nehmen. Und den Henker – den schäbigen Wehrwolf – werde ich –

»Pius vir domino carus!« Pius vir usw. – Ein frommer Mann ist wohlgefällig vor dem Herrn. sagt Waldemar und sieht den Domherrn mit seinen runden, klugen Knabenaugen vorsichtig an, ob er es richtig gesagt hat.

»Nun, Ihr Junker Otto – eine fromme Jungfrau ist wohlgefällig vor dem Herrn.«

Der junge Meister Fulbert wendet sich an Otto und schlägt mit dem in Schweinsleder gebundenen Pergament auf den steinernen Tisch!

»Seid Ihr nun wieder geistesabwesend? Was starrt Ihr denn an? – Pia virgo – nun?«

Er folgt der Richtung von Ottos Blick und stößt mit dem Fuß nach dem Salamander, der seinen weißen Bauch mit den sieben Flecken umdreht und den Kiesweg hinab unter die Lavendelbüsche läuft.

Otto zieht seine Glieder zurück und runzelt die Stirne. Tiefe Schatten liegen unter seinen hochmütigen Augen, der Blick schaut zornig und wie aus weiter Ferne zurückgekehrt in das sommersprossige Gesicht des Domherrn und auf seinen offenen Mund mit den großen gelben Zähnen. Dann sagt er gedankenlos her:

»Pia virgo domino carus.«

»Cara – domicelle Domicelle – Junker. – cara!«

Ein braunes Lockenköpfchen taucht auf, auf verbotenen Wegen dort drüben zwischen den Johannisbeersträuchern. Zwei dunkle Kinderaugen mit großen Pupillen schauen unsicher fragend in des Domherrn grobgeschnittenes Gesicht, und der Hand entfällt das Träubchen. Das Kind hat den Mund voll halbreifer Beeren, die es nicht zu schlucken wagt, während die andern es sehen.

»Karen!« – Otto streckt ihr die Hand hin – »cara! – Sie glaubte, Ihr hättet gerufen, Meister Fulbert.«

»Sie darf keine Johannisbeeren nehmen«, sagt Waldemar neidisch und droht der kleinen Neunjährigen mit den Augen.

»Halt deinen Mund! – Komm zu mir, Karen! – cara – du sollst Cara heißen.«

Zornig schlägt Meister Fulbert mit seiner weißen Mütze nach ihm.

»Ich bin verantwortlich, daß Ihr der Schulzucht gehorcht, Junker Otto.«

In diesem Augenblick geht Erik drüben im Sonnenschein vorüber; auf die weiße Mauer des Frauenflügels fällt sein blauer Schatten wie ein schiefer Zwerg, der hinter ihm herkommt. Erik kehrt von der Jagd heim und prahlt mit Vogelfedern am Hut.

Er hört des Domherrn zorniges »Schulzucht« und schielt nach der Lindenlaube hinüber. Dann nickt er erwachsen tuend den Schuljungen zu.

Meister Fulbert steht auf und grüßt.

»Bleibt nur sitzen!« sagt Otto.

Daß er auch gerade das Wort »Schulzucht« hören mußte! Wie er sich brüstet mit seinen drei Jahren, die er älter ist, und mit seinen Vogelfedern und seiner Jagd und seinem Titel! Seit zwei Jahren trägt er den Königsnamen wie der Vater.

Warum er und nicht ich? Warum immer er? Ich will kein Priester werden – in Ewigkeit nicht – und wenn ich durch Mord und Totschlag dahin gelangen müßte – ich will auch König sein – oder wenigstens Herzog!

Otto gibt dem hölzernen Bein des Tisches einen Stoß, daß die schwere Steinplatte wackelt. Und Karen steht noch immer dort drüben und betrachtet unverwandt seine langen roten Strümpfe. Dann dreht sich Meister Fulbert wie ein Kreisel nach ihr um.

»Mach, daß du von den Stachelbeeren wegkommst – oder ich werde –«

»Die Stachelbeeren gehören Bo Falk, ihrem Vater, und nicht Euch!« sagt Otto. »Komm – komm nur her – Cara.«

Meister Fulbert schlägt das Buch heftig zu, steht auf und nimmt Waldemar bei der Hand.

»Man wird schon sehen, was für ein Erzbischof einmal aus Euch wird!« spottet er und zeigt seine spitzigen gelben Zähne, »aber ich werde mich bei dem König über Euch beklagen.«

»Erzbischof – Erz – Erz – Erz – bischof!« höhnt Otto hitzig nach, »das könnt Ihr selbst werden. Ich werde Herzog, wißt Ihr das?«

»Ha ha – Herzog!«

Der junge Meister Fulbert lacht wiederholt kurz auf und zieht Waldemar mit sich fort durch den Lindengang.

Karen wartet, bis die beiden um die Ecke verschwunden sind. Dann schlüpft sie über den Weg zu Otto und bietet ihm ihr Händchen voller Johannisbeeren hin.

Otto hebt beschützend die Hand über ihren Kopf.

»Der Herzog gibt Euch Erlaubnis, im Garten so viele Johannisbeeren zu essen, als Ihr vermögt.«

Dann kostet er huldvoll ihre Gabe, spuckt sie aber hastig wieder aus.

»Sie sind sauer – pfui! – Wirf sie weg, Cara!«

Er schaut den Gang hinauf und hinab, wirft einen Blick über die Zuckererbsen-, Kohl- und Bohnenreihen im Gemüsegarten und schielt nach den kleinen Fenstern im Frauenflügel, der blendend weiß in der Sonne vor ihnen liegt. Aber nichts Lebendiges ist wahrzunehmen.

»Komm!«

Er stellt sie mit dem Gesicht gegen den Lindenbaum und schlingt ihren mageren Arm um den Stamm.

Neun Zweige bricht er ab und streift seine Ärmel auf. Sein Gesicht wird barsch und wild.

Eins – zwei – drei – fallen die Zweige, einer nach dem anderen, auf ihren Rücken.

»Das habt Ihr für Euer Gelüsten!«

Eins – zwei – drei!

»Das für die Nächte, die Ihr einer ehrbaren Frau gestohlen habt! (Du mußt schreien, Cara – schrei!)«

Cara wendet ihm das Gesicht zu. Sie will nicht schreien.

»Still gestanden! – Du bist ja gefesselt!«

Da kommt der König stolz über den Marktplatz daher und grüßt mit der Hand nach den Lindenbäumen und den Johannisbeersträuchern.

»Was ist das für ein Geschrei, ihr guten Nykjöbinger Bürger?«

»Ach, es ist nur eine schlechte Weibsperson, die ausgepeitscht worden ist, Herr König.«

»Was hat sie getan, Ihr Leute?«

»Sie ist in offener Hurerei ergriffen worden mit Jeppe Dip von der Färgegasse.«

»Du mußt den König um Gnade bitten, Cara!« – Aber Cara will nicht. Das ist verdrießlich.

»Ach, Herr König – habt Barmherzigkeit mit mir! Wir konnten nichts dafür – Jeppe Dip und ich, wir lieben uns schon so lange.«

»Ich begnadige Euch um Eurer schönen Augen willen, kleine Cara!«

Nun wendet sich der König den Linden und den Johannisbeerbüschen zu.

»Wer sich rein von Sünde weiß, werfe den ersten Stein! Und Ihr, Henker, weil Ihr die weiße Haut gekränkt und sie mit der ganzen Kraft Eures Arms blutrünstig geschlagen habt, deshalb sollt Ihr auf Eurem eigenen nackten Rücken blutrünstig geschlagen werden. Mit neun mal neun Ruten sollt Ihr geschlagen werden. Bindet ihn, Henkersknechte, und stäupt Euren Meister! Und Ihr, kleine Cara, Ihr reicht die Ruten mit Eurer kleinen Hand.«

Karen tritt vom Baume weg und sieht ihn neugierig an.

»Wer ist Jeppe Dip, Junker Otto?«

»Das ist der Böttcher, der Hurerei getrieben hat mit einer jungen, schönen Frau, die heute morgen auf dem Markt mit Ruten gepeitscht worden ist. Es heißt, sie sei die schönste Hure auf ganz Falster. Sie habe ihn bezaubert, heißt es.«

»Was ist das – Hurerei?«

»Das ist – das verstehst du nicht – so ein kleines Ding wie du.«

Karen schaut mürrisch zu Boden und legt die Hände auf den Rücken.

»Ich bin kein kleines Ding.«

Otto bückt sich, hebt ihr Köpfchen in die Höhe und küßt sie.

»Das bist du auch nicht – du bist meine eigene kleine Cara – mein –«

Sie wendet den Kopf weg, sie will sich nicht küssen lassen, aber ihre dunklen Augen mit den großen Pupillen lachen ihn gerade an.

Pferdegetrappel ertönt auf dem Steinpflaster, und Schwerter rasseln in ihren Wehrgehängen.

Fremde Reiter erscheinen auf der Straße drüben.

»Hallo! – Da riefen sie den Brückenwächter an.«

Otto springt auf die Steinbank und beugt sich, auf seine Arme gestützt, über die Ringmauer.

Da drüben auf der andern Seite des Schloßgrabens halten drei Reiter, jeder mit seinem Knappen und einem Pferdeknecht hinter sich. Otto kann ihre Rüstungen nicht erkennen.

Doch – das ist das Wappen des Marschalls Ludwig Albrecht, dort auf dem vordersten Pferd – dem stahlgrauen mit der weißen Blesse. Und das – nun öffnet er das Visier – das ist ja der große blonde Schnurrbart des Truchseß Laurids Jonßen. Der Schweiß läuft an ihm hinunter. Aber wer ist denn der dritte, der mit geschlossenem Visier hierherkommt?

So – nun ist die Fallbrücke niedergelassen. Er hat lange gebraucht, der Ole im Turm. Er fragt sie nicht nach ihren Namen – also kennt er alle drei.

Die Brücke schwankt unter den Pferden, obgleich sie im Schritt gehen. Und nun erdröhnt das Pflaster unter dem Torbogen.

Otto springt über Erbsen, Kohl und Bohnen nach dem Pfad, der an der Mauer hinläuft. Das kleine Pförtchen dort unten zwischen den beiden Flügeln hat Erik hinter sich angelehnt gelassen.

Drinnen im Hof sind die Reiter abgestiegen. Jetzt eben gehen sie, von dem Schloßvogt Bo Falk geleitet, durch die Tür nach der Turmtreppe, die zum Königsflügel führt. Die Knappen bleiben zu Pferd, und die Roßknechte halten die Tiere ihrer Herren an den Zügeln.

Ob diese nicht absteigen? Ob die Knappen nicht in den Herrenflügel hinüber gehen, um sich gütlich zu tun?

»Sie haben offenbar eine eilige Botschaft!« sagt Ole vom Turm, als Otto zu ihm tritt.

»Wer war der dritte, der auf der Fuchsstute?«

»Ich weiß es nicht«, sagt Ole und schüttelt abwehrend sein greises Haupt.

»Warum fragtet Ihr sie denn nicht nach ihren Namen? Vielleicht ist es ein Geächteter – ein Verbrecher.«

»Wenn er in Begleitung des Marschalls kommt, Junker Otto?« fragt Ole unschuldig, aber im Stillen denkt er:

»Dann ist es nicht der erste Geächtete, den ich als Gast in König Christoffers Hof hereingelassen habe.«

Er schielt nach Otto mit seinen blinzelnden Augen unter den alten, faltigen Lidern. Ist er denn so vollständig und unbegreiflich unwissend, dieser Junker?

»Es ist eine böse Zeit, in der wir leben, Junker Otto.«

Dann geht Ole zurück zu seinem Frühstück, das ihm gerade, als die Fremden ankamen, aus der Küche in den Turm gebracht worden war.

Otto schlendert über den Hof. Wie sonderbar, daß die Knappen und Troßbuben hier warten! Welch ein Kreuz die rote Stute hat! Dann schlüpft er durch die Frauentür hinein und lauscht. Kein Ton ist zu vernehmen. Was für ein eiliges Geschäft sie wohl haben – diese drei hohen Herren? Ob es am Ende wieder Krieg gibt?

Nun ist er auf der Galerie. Gebückt schleicht er an der Mauer hin, um von den Fenstern des Schloßvogts drüben nicht gesehen zu werden.

Laute Stimmen dringen aus den Zimmern des Königs. Dann sind sie also schon drinnen.

Das Blut hämmert ihm in den Schläfen. Wenn er hier horchend ertappt wird, muß er es teuer bezahlen. Aber er kann es nicht lassen.

»Ich bin auf dem Weg zum Oheim – wollte die Turmtreppe nicht hinaufgehen, weil vornehmer Besuch da war.«

Das klingt nach etwas. Nun geht er dreister.

Die Tür zum Vorzimmer dort drüben ist angelehnt. Er erreicht sie, richtet sich auf die Fußspitzen auf, legt das Ohr an den Spalt und horcht mit offenem Mund.

»Wer schickt Euch hierher?«

Das ist des Vaters Stimme. Sie ist gellend; er ist also im Ernst böse.

»Die Edelleute von Jütland und Fünen und die auf dem Thing versammelten Führer der Landbevölkerung.«

Das ist die Stimme des Marschalls; sie ist barsch und trotzig.

»Und Ihr wagt es, mir – Eurem König – eine solche Botschaft zu bringen?«

»Wir wagen es, Herr König.«

Es ist die hohe Stimme des Truchseß.

»Zu unserem eigenen Schaden und zum Abbruch des Reichs haben wir zu spät erfahren, daß Euer Bruder, König Erik, recht gehabt hat, als er uns abriet, Euch nach ihm zum König zu machen.«

»Hätte es bei mir gestanden, so wäre es nicht geschehen.«

Der dies sprach, war nicht der Marschall, auch nicht der Truchseß, dann muß er es sein, der dritte. So hat er doch endlich das Visier geöffnet.

Nun schreit der König – in Zorn und höchster Überraschung schreit er laut auf:

»Knud Porse? – Ihr – geächtet – ehrlos! Ihr kommt zu mir? – Der Sohn des Hunds, der meinen Vater erstochen hat?«

»Das vergaßet Ihr, als Ihr Euren Bruder, König Erik, an mich und die Schweden bei Örkelljunga verrietet – erinnert Ihr Euch noch?«

»Wenn ich Euch nun in den Turm würfe, so wie Ihr jetzt vor mir steht – Euren elenden Leib Rad und Galgen schmecken ließe – Aufrührer und Verräter und Königsmörder, der Ihr seid!«

»Das tut Ihr nicht, König Christoffer.«

»Warum nicht?«

»Es würde Euch das Leben kosten.«

Otto lehnt sich an die Wand. »Knud Porse? – Ist er von Schweden herübergekommen, der meineidige Geächtete– deshalb blieb das Visier geschlossen? Was ist denn das – was geht denn vor?« Sein Herz klopft so laut, daß er kaum hören kann.

Der König ist es, der schnell und in höchster Aufregung hin und her schreitet. Wenn er auf sie los geht, schlagen sie ihn nieder. Sie sind zu dritt – starke, feste Leute sind es. Ist denn niemand bei ihm? Soll er hinunterlaufen und die Wache herbeirufen? – Bo Falk? – Er hat Gäste – Henrik Mogensen aus Vordingborg und seine Frau.

»Und wen wollt Ihr dann an meine Stelle setzen? Habt Ihr das schon bedacht, Ihr guten Herren?«

»Den Grafen Gert von Holstein wollen wir zum Herrn des dänischen Reiches machen, bis Herzog Waldemar von Südjütland volljährig geworden ist.«

Herrn? – Was ist doch das? – Einen andern zum Herrn des dänischen Reiches machen – seinen Vater absetzen – wie einen Untertanen – wie einen Sklaven! Wo sind Bo Falk und die anderen?

»Hinaus! – Aus meinen Augen!«

Nun schreit Vater. So zornig ist er noch nie gewesen.

»Sicheres Geleit habe ich Euch versprochen bis Sonnenuntergang, obgleich Ihr bewaffnet kamt. Ihr, Marschall, habt Euch für ihn verbürgt, obgleich er vermummt kam! Wenn die Abendglocke läutet, dann gilt es Galgen und Rad, wenn Ihr gegriffen werdet – für jeden von Euch!«

Kein sicheres Geleit, Vater! Schlag die Hunde nieder! – In den Turm mit ihnen! – Nun hole ich Leute herbei.

Sie stampfen auf den Boden, die Schwerter klirren gegen die Panzerringe, während sie gehen. Nun treten sie ins Vorzimmer.

Otto springt im letzten Augenblick zur Seite. Die Tür verbirgt ihn, indem sie aufgeschlagen wird.

»Er war nicht so übermütig« – es ist des Truchseß hohe Stimme – »als er sich zu Vordingborg dem Teufel verschwor – zu Zeiten des alten Marschalls.«

Da gehen sie sicher und ruhig in dem Gefühl ihres sichern Geleits die Galerie entlang: der dicke Marschall, der große, magere Truchseß – und er – der Verräter – der Königsmörder. Eine so schöne, stattliche Gestalt hat Otto noch nie gesehen. Trotz seines Zorns bemerkt er dies.

Nun sind sie an der Wendeltreppe.

Ach – ein Schwert – eine Lanze! – Auf ihn losstürzen, den Meineidigen – ihn von hinten erstechen, wie sein böser Vater zu Finderup den König erstach. – Aber doch ist er schön, dieser Sohn Belials!

Es flimmert ihm vor den Augen, und er zittert am ganzen Körper, daß er sich kaum aufrecht halten kann. Ganz außer sich starrt er auf die weiße Mauer des gegenüberliegenden Flügels.

Bei Bo Falk steht ein Fenster offen. Otto denkt an seine Mutter. Er will hineingehen und ihr erzählen; aber der Fuß versagt ihm den Dienst.

Still!

Erik kommt die Treppe heraufgesprungen – zwei Stufen auf einmal. Er singt. Er weiß nicht, daß nun alles vorbei ist – alles tot.

Erik, der König werden soll – Erik, dem er so vielmals Böses gewünscht hat – erst noch vor einer halben Stunde.

Otto läuft ihm entgegen, schlingt seinen Arm um des Bruders Hals, drückt seinen Kopf an ihn an und bricht in Tränen aus.

»Sei nicht böse!« fleht er.

Erik dreht den Kopf zurück. Was ist denn mit dem Jungen? – Er macht Ottos Arme los, um ihm ins Gesicht zu sehen.

»Bist du krank?« fragt er und betrachtet ärgerlich die nassen Wangen und tränenvollen blauen Augen.

»Erik und Otto!«

Es ist die Stimme des Oheims.

Der »milde Graf Johann«, wie die Leute ihn nennen, kommt mit seinen leisen Schritten, den gesenkten Kopf auf die Seite geneigt, aus den Zimmern der Königin. Die weichen, unbestimmten Mundwinkel sind starr in der Spannung des Augenblicks. Seine braunen Augen richten sich ängstlich und erschreckt auf die beiden Jungen. Nun wird er Ottos Erregung gewahr.

»Wißt ihr es?« fragt er verwundert.

»Was? – Was?« – Erik erbleicht, heftig erfaßt er Ottos Arm.

»Kommt, kommt!« sagt Johann mit seiner flüsternden Stimme und zieht die beiden mit sich fort. »Eure Mutter will mit euch reden.«

»Der Vater – der König – wo ist er?« fragt Erik; er begreift, daß jenem die Erregung gilt.

Dann läuft er den beiden andern voraus in die Zimmer der Königin.

Johann fragt Otto, was er wisse, und Otto erzählt ihm alles.

»Ist es wahr – hat Vater dem König Erik nach dem Leben gestanden?« Otto hält inne und sucht Graf Johanns flackernden Blick festzuhalten.

»Hat er sich in Vordingborg dem Teufel verschrieben – hat er das wirklich?«

Graf Johann schaut vorsichtig nach der Tür und gebietet ihm dann mit einer Bewegung des Kopfes Schweigen.

»Ein Junker, der an den Türen lauscht – wie? – Der das Geklatsch der Leute über seinen Vater glaubt – über den König – was? – Pfui!«

Otto hört nichts. – Porses Stimme klingt beständig in seinen Ohren, sie ertönt mit dem Klang der Wahrheit. Und doch – es ist unmöglich. War er nicht immer groß und stolz – sein Vater – ehrlich und gut? Hat nicht Mutter ihn immer geliebt?

Was nun – was muß nun geschehen? Plötzlich ist alles verändert. Die Sonne leuchtet nicht mehr hell und klar. Soll Vater wirklich nicht mehr König sein – und Erik nicht König nach ihm – und er selbst nicht Herzog?

Hat Gott am Ende in seinem Auge gelesen, jedesmal wenn er Erik tot wünschte?

»Nun will ich Priester werden!« sagt er angstvoll und erfaßt den Oheim am Ärmel.

Graf Johann betrachtet verstohlen seine großen, klaren, feuchten Augen mit dem schwimmenden Blick. Dann ergreift er die Gelegenheit beim Schopf, nickt beifällig und legt Otto die Hand auf die Schulter.

»Recht, Otto – das ist recht. Nun verstehst du endlich, daß das, was die älteren Leute wollen, das Richtige ist.«

»Ich will Priester werden – und beten.«

»Ja – Erzbischof! – Herrschen wie ein König über Bischöfe, Prälaten und Mönche, ein ganzes schwarzgekleidetes Heer – über Hunderte von Kirchenschlössern, wo Gott zu Gast ist – über Seelen herrschen, mit den ewigen Waffen der Gnade zu Gericht sitzen – die einen zur Seligkeit berufen und die andern zum höllischen Feuer verdammen, wie, Otto?«

Otto sieht all das vor sich. Der Erzbischof ist größer als der König – er steht neben dem Papst, der der Statthalter Christi über uns allen ist. Otto sieht das goldene Meßgewand, die hohe, juwelengeschmückte Bischofsmütze und den Krummstab – Porses Worte sind vergessen.

»Ich werde deinen Vater bitten, daß er dich zum Studieren nach Paris schickt. Dein Großvater und dein Urgroßvater und viele andere deiner Familie haben auch dort studiert. Paris ist die größte Stadt auf Erden. Dort triffst du Königssöhne von überall her. Ich werde dir einen Empfehlungsbrief an Peter mitgeben – den alten Petrus de Dacia, meinen früheren Lehrer. Er ist der erste Philosoph und Sterndeuter, und kürzlich wurde er Rektor an der großen Universität.«

»Nach Paris – nach Paris!« ruft Otto.

Seine Augen strahlen dem fernen Glanz entgegen. Er legt seinen Arm um Graf Johanns Schulter – Porses Worte sind vergessen.

*

Es ist Nacht. Jemand drückt die Klinke nieder. Im Halbdunkel fährt Erik auf und greift nach seinem Schwert.

»Wer da!«

»Still!« – Es ist Bo Falks Stimme.

Otto reißt die Augen auf. »Was gibt's?«

»Zieht euch an und kommt!«

Sie verstehen, daß es sich um etwas Ernstes handelt. Stumm kleiden sie sich an, während Bo Falk, die Hand auf der geöffneten Klinke, wartet.

»Nehmt die Schuhe in die Hand!«

In Strümpfen schleichen sie die ganze Galerie entlang, bis zu den Zimmern der Königin. Es ist finster. Euphemia tritt ihnen im Reitkleid entgegen. Sie streckt die Hände nach Otto aus und drückt hastig seinen Kopf an ihre Brust, als sollte sie ihn verlieren. Er merkt, daß sie geweint hat.

Am Fenster spricht der König leise und hart mit Graf Johann, der sich duckt und sich wehrt. Aber Christoffer tritt ganz dicht zu ihm, und Johann wagt es nicht, sich zu widersetzen. Er nimmt den Gänsekiel, den sein Bruder ihm reicht, und setzt seinen Namen unten auf die Pergamentrolle, die jener am Fenster vor ihm ausbreitet. Das Zimmer hat kein anderes Licht, als den Dämmerschein der hellen Nacht.

Johann klebt das wächserne Siegel darauf und drückt seinen großen Ring hinein. Er tut es ungern – gezwungen tut er es.

Christoffer steckt das Pergament ein, und Johann übergibt ihm einen kleinen silberbeschlagenen Schrein, den dieser in einer Reisetasche unter seinem Mantel verbirgt. Dann mustert er alle im Zimmer und macht Bo Falk, der an der Tür wartet, ein Zeichen.

Otto geht zu seinem Vater hin und fragt:

»Wohin gehen wir, Vater?«

Zornig befiehlt ihm Christoffer zu schweigen.

Dann gehen alle, einer hinter dem andern, nicht hinunter, sondern die Turmstiege hinauf – nach dem Bodenraum. Euphemia geht dicht hinter Falk. Er führt sie an der Hand zwischen Reihen von Tonnen und Säcken hindurch. Und sie hat Waldemar an der Hand; von der Dunkelheit erschreckt, umklammert dieser mit beiden Händen ihren Arm.

Nun sind sie drüben im Seitenflügel. Otto kann im Hof drunten sehen, daß in Bo Falks Fenstern Licht ist. Sie gehen die Wendeltreppe hinunter, die unter ihren Tritten knarrt. Nun sind sie an der runden eichenen Tür mit dem großen Riegel, die zu Bo Falks Wohnung führt.

Durch die Flur und Speisekammer über den Altan geht es – und nun stehen sie in einer kleinen, dunklen Kammer, wo das Fenster mit einer Decke verhängt ist.

Ein Kind erwacht und bricht bei ihrem Anblick in angstvolles Geschrei aus. Sie bleiben stehen. Bo Falk beugt sich über das Bett, das Otto in der Dunkelheit nun unterscheiden kann.

»Ich bin es, Karen – leg dich wieder nieder und schlaf!« sagt Bo Falk streng.

Und Karen beruhigt sich. Otto ist der letzte, der durch ihr Schlafkämmerchen geht. Von den andern ungesehen beugt er sich über ihren Kopf. Sie richtet ihr Gesicht zu ihm auf und erkennt ihn.

»Leb wohl, Cara!« flüstert er und küßt sie auf den offenen Mund.

Durch Bo Falks Saal, wo viele Kerzen brennen, gelangen sie in die Flur.

Und nun spricht Bo Falk laut mit seinen Gästen, während er die Tür nach dem Hof öffnet, wo Knappen mit gesattelten Pferden stehen, die bei dem flackernden Schein der Lichter in den Armleuchtern die Köpfe unruhig bewegen.

»Habt nun schönen Dank für den Besuch, guter Henrik Mogensen – und Ihr, edle Frau Ingeborg.«

Er reicht allen zum Abschied die Hand und hilft ihnen in die Sättel.

»Reitet durch den Garten, Jesper,« sagt er zu dem großen Knappen, der ganz vorne hält, »damit ihr die Herrschaften nicht weckt.

Und grüßt nun alle guten Freunde in Vordingborg. Wenn ihr rasch reitet, könnt ihr die Fähre erreichen, ehe der Mond untergeht.«


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