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VIII. Die Dithmarscher

Voraus reitet Erik, der junge König.

Er trägt ein schwarzseidenes Überhemd auf dem schwarzen Ringpanzer, große goldene Sporen an den Fersen – und die jütische Fuchsstute hat eine rotseidene Schabracke unter dem Sattel.

Hinter ihm reitet Christoffer, der alte König, auf seinem großen Grauschimmel, den er am vergangenen Christtag von seinem Tochtermann, dem milchbärtigen Brandenburger, zum Geschenk erhalten hat.

Die Jahre und das Unglück haben seinen Nacken gebeugt. Die rechte Schulter, die höher ist als die linke, hat sich hinaufgeschoben, so daß er beinahe bucklig ist. Das dünne rote Haar ist ergraut und fällt in Strähnen unter dem Helm hervor und auf den langen runzligen Hals über dem Ausschnitt des Panzers. Der Hals ist entblößt und rauh wie der Hals eines gerupften Vogels. Seine hohe Stirn ist von den Runzeln ohnmächtigen Zorns und Hasses, von Kummer und Erbitterung wie übersponnen, und an den eingesunkenen Schläfen ziehen sich gesprungene Äderchen unter der feinen Haut hin. Die Nase ist jetzt länger, und die Unterlippe hängt unter dem Bart hervor. Er zieht die weiße, buschige linke Augenbraue hinauf, und unter den schweren, faltigen Augenlidern flackert der Blick träg und blaß hervor, wie Glut unter der Asche.

Otto reitet ihm zur Linken auf seinem dithmarscher Pferd.

Bald ist ein Jahr vergangen, seit er seinen Vater in Skanderborg wiedergesehen hat. Er hat sich in diesem Jahr in ritterlicher Art geübt und dem geistlichen Stand entsagt. Aber das Herz ist ihm schwer von allem, was er hört und sieht. Es blutet, wenn er an seine Mutter denkt, und es blutet noch in der Erinnerung an das Wiedersehen mit seinem Bruder – mit ihm, der sein räuberisches Tun mit seinem Recht und dem Königsnamen deckt, wie seinen schwarzen Panzer mit dem seidenen Hemd. – Es blutet über alles, was täglich in Wort und Tat verhöhnt wird.

Seit das Heer von Kolding her südwärts zieht, sind sie durch lauter Wald geritten.

Am Fuß der alten Eichen wühlen die Schweine nach Eicheln in dem feuchten, dunklen Laub. Aus weiter Ferne vernehmen die Reiter durch die stille, klare Novemberluft ihr Grunzen.

Noch nie hat der Wolf es in den dänischen Wäldern so gut gehabt. Mit dicker Wolle bedeckte, ungeschorene Schafe und langhaarige junge Kühe mit scheuen Augen streifen heimatlos umher, ohne Hund und Hirten.

Nun geht es quer durch ein Ackerfeld, wo das Korn ungeschnitten an der Wurzel verfault. Und über ein anderes Feld, wo das gemähte Korn uneingeheimst liegt und Hunderte von Krähen Rast halten.

Dort gähnt das dunkle Fachwerk einer verfallenen Scheune in die graue Luft hinein. Und in dem verlassenen Hof ächzt die Tür beim Wind in ihren verrosteten Angeln. Und ganz oben auf dem Brunnenschwengel sitzt noch ein einzelner magerer Hahn.

Christoffer drückt die Augen zu und reitet wie im Schlaf. – Aber Erik singt eine lübecker Weise, und Otto sieht, wie das Blut in der Pulsader an seinen starken Hals vor Lebenslust schlägt, als er jetzt den Kopf nach allen Seiten dreht.

»Es war ein schlechter Rat, daß wir uns in ihren Streit mischen sollen«, sagt Erik und schlägt mit dem Zügel auf seinen Schenkel. »So geht es, wenn die Pfaffen im Rate des Kriegsvolks gefragt werden müssen.«

Er nennt Otto »Pfaff«, denn er weiß, daß es ihn kränkt.

»Weißt du etwas Besseres?«

»Das weiß ich, daß ich den Fuchs und den Wolf sich gegenseitig auffressen ließe und selbst die Gans wegschnappen würde. Oheim Johann hat uns nichts als Böses getan.«

»Woher nehmen wir den Sold für den Brandenburger, Alter? – Ist vielleicht noch etwas da zum Versetzen?«

Der König blickt scheu zurück, ob nicht der Hauptmann es hören könnte.

»Den gibt uns Johann für die Hilfe.«

»Aber wenn ihn der Graf schlägt? Nein – nun will ich einen anderen Rat geben!« sagt Erik, den Kopf zurückwerfend. »Noch nie sind wir so zahlreich gewesen wie jetzt. Wir wollen Schleswig plündern, während der Graf weiter im Süden kämpft. Da gibt es Sold und Gold und Silber in der Domkirche.«

Schadenfroh sieht Erik Otto an, weil er weiß, daß es ihm weh tut, solches zu hören.

»So spricht ein König zum andern!« denkt Otto; aber er sagt nichts, er sieht den König nur fest an, der sich unter seinem Blick im Sattel aufrichtet, eine Handbewegung macht und sagt:

»Jetzt wird nichts geändert. Wir bringen unserem Verwandten Hilfe, wie versprochen und beschlossen ist. Es ist nicht königlich, Kirchenschätze zu rauben.«

»Warte!« sagt Erik bei sich selbst, »warte nur! Es wird nicht lange dauern, dann regiere ich allein.«

Nun fängt Christoffer ein Gespräch an, um den Eindruck seiner Worte zu verwischen. Er spricht von Johann und von den alten Tagen. Aber Otto fragt nach dem Grafen Gert.

»Der Hungerleider!« sagt Erik. »Er wohnte als Geistlicher auf einem Kornspeicher in Rendsborg und besaß nichts als zwei halbverhungerte Hunde. Und ein Hungerleider ist er noch immer. Nicht einmal eine Franse an der Schabracke oder eine Feder auf seinem Helm – grau und kahl und ärmlich!«

Und Erik läßt die Hand über sein neues seidenes Hemd gleiten.

»Desto mehr wird er um dessentwillen, was er erreicht hat, geehrt.«

»Was weißt du von Graf Gert – so ein entlaufener Pfaffe!«

»Nicht so viel wie der, der sein Schwager ist.«

Erik steigt das Blut in die Wangen; denn sein wundester Punkt ist berührt worden. Daß der Graf ihn gezwungen hatte, im vorigen Jahr seine alte, häßliche, heiratslustige, verwittwete Schwester zu heiraten, das kann er nicht verwinden. Was half es, daß er sie, sobald er außer Schußweite war, verstieß, und sie mit allem Hohn, den er an den Tag zu legen wagte, heimschickte! Die Schande lebt noch immer in Liedern und im Volksmund.

Ganz unten an der Straße tauchen einige Reiter auf. Als sie den großen Zug sehen, biegen sie ab und schwenken um über das Feld in großem Bogen.

Aber der König läßt Jagd auf sie machen. Und kurz nachher werden sie vor ihn und sein adeliges Gefolge geführt, mit dem er mitten auf der Straße unter einer großen Eiche Rast hält.

Ein Mann der Kirche ist es, mit Knappen und Kirchendienern.

Der Domherr auf dem grauen Pferd grüßt den König, ohne seinen Ärger zu verbergen.

»Wer seid Ihr?«

»Ich bin Kantor Esger Mö vom Domkapitel zu Ribe«, sagt der schmächtige Mann mit Würde und streicht sich das ergraute Haar unter den Hut zurück.

»Euer Familienname?«

»Meine Brüder sind Peder Bruun in Mejlby und Jens Bruun auf Möborg.«

»Das sind beide königstreue Männer. Sagt uns nun, Herr Kantor, wie Ihr hierherkommt, so weit von der Stadt?«

Vor dem König und Erik und Otto malt nun der Domherr aus, mit so starken Farben, als er überhaupt finden kann, wie der böse Graf, als er erfuhr, daß der Bischof von Ribe den Kantor mit dem römischen Schatz unter starker Bedeckung auf den Weg nach Rom geschickt habe – wie er da ihm und seiner Begleitung mit einer großen Übermacht aufgelauert und den Peterspfennig geraubt habe – und wie er sie gefesselt nach Schleswig geführt, wo er kurz vorher den vom Papst eingesetzten Bischof vertrieben, den Altarschrein aufgehoben und die uralten Kostbarkeiten geraubt hatte.

Christoffer erblaßt vor Wut, und seine Hände beben, als sei er selbst der Bestohlene.

»Der Hund! – Der Kirchenräuber!« schreit Erik und läßt in seinem Zorn das Pferd steigen.

Otto sieht ihn an mit einem Lächeln in den Augenwinkeln und fragt den Domherrn:

»Wie wurdet Ihr frei?«

»Gestern, ehe der Graf aufbrach, um gegen Graf Johann zu ziehen, der in Oldeslo liegt, entließ er mich und meine Begleiter aus dem Gefängnis und trug mir den gotteslästerlichen Gruß an den Bischof von Ribe auf: da die Priester im Lande keine Messen lesen wollten, müsse er sich, um seiner Seele Seligkeit willen, solche anderswo kaufen.«

»Den Bissen hätten wir haben können!« sagt Erik, als Esger Mö auf dem Acker verschwunden war. »Der Kahlkopf – der ist schlau und mutig und schnell bei der Hand, und er duldet keinen Pfaffen in seinem Rat, und wäre es auch sein Sohn oder sein Bruder.

Aber wir wollen ihn jagen, Alter! Und diesmal tut der Oheim auch mit. Wir wollen ihm die Peterspfennige abjagen!«

*

Beim ersten Grauen des St. Andreastages brechen die Könige und ihr Gefolge von Schleswig auf, wo sie übernachtet haben.

Sie reiten durch den dichten Morgennebel, der ihnen die Augen beizt und die Brust beengt, nach Südwesten, um den alten Schutzwall in Besitz zu nehmen.

Als Otto an der Seite des Königs vor dem alten Wall hält, denkt er an jenen Winterabend im vorigen Jahre, wo er zuletzt hier stand.

Er erkennt die zersplitterte Zugbrücke wieder und denkt an die vieltausend Stimmen, die von der Ebene herkamen, wo nun die Herren und Bauern und Söldner im Nebel Lärm machen.

»Vater, gib mir heute den Ritterschlag, wie du mir versprochen hast!«

Christoffer sieht, daß er erregt ist, und nickt ihm sein Ja zu.

Ein Bauer wird vor den König geführt. Er ist auf seinem jungen Pferd den Leuten des Grafen entwischt und berichtet, daß der Graf die Annäherung der Dänen erfahren habe. Nun sei er umgekehrt und habe im Schutz des Nebels die Loheide besetzt, dicht im Norden vor Rendsborg – eine Stunde zu reiten von hier.

Nun geraten sie in Eifer, der König und die Herrenleute, die Bauern und Knappen.

Die Deutschen stecken die Köpfe zusammen, vom Nebel gedeckt, halten sie sich in Haufen dicht beieinander.

Die Abteilungsführer treffen aufeinander; sie suchen den Hauptmann und beraten sich leise.

Der Hauptmann, Eberhard von Rostock, tritt vor den König und seine Söhne und verlangt mit lauter Stimme den Sold vor der Schlacht. Und alle seine Mannen rufen wie aus einem Mund:

»Sold! – Sold!«

Christoffer redet von Verräterei. Aber Erik reitet zu Eberhard hin, nimmt ihn auf die Seite und vertraut ihm an, daß der Graf den Peterspfennig und den schleswigschen Domschatz geraubt habe. Diese sollen ihm wieder abgenommen werden; und sie würden ihn miteinander teilen – sie, Eberhard und Erik.

Der Anführer ruft seinen Leuten zu:

»Es ist ein Bürge da für den Sold!«

Und da beruhigen sie sich.

Aber Otto traut ihnen nicht. Er rät dem König, die Leute so aufzustellen, daß sie dem Wall den Rücken zukehren. Dann könnten die Brandenburger nicht mitten in der Schlacht entfliehen, wenn sie ihren Vorteil dabei sehen würden.

Aber Erik will, daß man den Wall zwischen sich und Graf Gert habe. Durch einen Ausfall soll man ihn im Nebel bis zum Graben herlocken.

»Wenn aber der Nebel sich vor Mittag hebt?« sagt Christoffer und gibt Ottos Plan den Vorzug.

Dann hält der König Musterung wie in den alten größeren Tagen. Sein Rücken ist jetzt gerade, in seinen Augen ist Leben und Überlegenheit auf seiner Stirne.

Otto kniet nieder, der König gibt ihm den Ritterschlag mit bewegter Stimme und verspricht ihm die goldenen Sporen, wenn die Schlacht beendigt sei.

Die Scharen dehnen sich in langen Reihen aus, um den nördlichen Teil der Heide zu besetzen.

Erik führt, Otto hinter sich, die Vorhut, und der König folgt nach mit dem sichern Volk.

»Laß uns die Brandenburger unter die Dänen verteilen,« sagt Otto, »daß sie während der Schlacht nicht unter sich beraten können.«

Doch das will Erik nicht, denn dann ist Eberhard von Rostock ohne eigenes Kommando, und ihn will er nicht vor den Kopf stoßen, denn er hat eine Spielschuld von fünf Mark Silber Eine Mark Silbers hatte einen Metallwert von 40 Reichsmark und ihr Kaufpreis entsprach zirka 220 Reichsmark nach heutigem Wert. bei ihm.

»Die Deutschen für sich und die Dänen für sich!« sagt Erik.

Otto schweigt. Er ist's ja nicht, der das Recht hat, er ist's ja nicht, der führen soll! Aber er ist verbittert, und während er dicht hinter seinem Bruder reitet, dessen Rücken in den nebligen Umrissen größer und breiter erscheint, denkt er an die warnenden Stimmen jenes Abends:

»Töte ihn! – Töte den, der das Recht hat!«

Wie leicht wäre es hier im Nebel! Niemand sieht – niemand hört – drei schnelle Schritte vorwärts – ein Streich, und er ist gespalten.

Seine Stirn wird kalt, und er bebt am ganzen Leibe.

Da reißt Erik mit einem Ruck das Pferd zurück und schwingt sein Schwert. Rechts und links in der ganzen Reihe halten alle an.

Die undeutlichen Umrisse dunkler Gestalten erheben sich gerade vor ihnen, und Lanzenspitzen ragen über dem Nebel auf.

Nun senken sich alle Lanzen, aber es ist zu spät.

Von beiden Seiten ertönen Rufe. Dann stürzen die Pferde vor.

Und die Schlacht beginnt.

*

Es ist Mittag, und man kämpft noch immer.

Die sichern Leute des Königs sind nun in der ersten Reihe. Aber auch die Leute des Grafen haben Ablösung erhalten, und durch die neblige Luft dringen Geschrei und Flüche und Schwertersausen und der klirrende Fall in Panzer gehüllter Körper auf den harten Boden.

Erik und Otto halten sich noch unter den Vordersten. Der Schweiß trieft ihnen über die Wangen herab; aber sie fühlen nicht, wie müde sie sind.

Auf der linken Flanke kämpfen die Söldner unter Eberhard. Sie kämpfen unter schweren deutschen Flüchen. Sie kämpfen wie die, denen der Kampf ein Handwerk ist. Sie nehmen sich Zeit, zwischen den Schwertschlägen die Feldflasche an den Mund zu setzen, und mancher Krieger zieht sich einen Augenblick zurück, um zu verschnaufen und den Schweiß unter dem Helm abzutrocknen.

Der Nebel hat angefangen, sich von oben zu lichten, so daß alle die Helme und Lanzen derer unterscheiden können, die hinter der Reihe sind, auf die sie eindringen. Nun kann der Bogen mit Erfolg benutzt werden, und manch eine ehrliche Brust wird ausgewählt, wie die Herrenleute die Bäume im Walde auswählen, die unter der Axt fallen sollen.

Es wird so merkwürdig still auf der linken Flanke.

Erik und Otto reiten hin und lauschen und starren hinein in das grauweiße Luftmeer. Dann rufen sie, aber niemand antwortet.

»Sie sind geflohen!« sagt Otto und beißt sich die Lippen blutig.

»Dort sind sie!« sagt Erik und deutet auf die Reihen des Grafen.

Paul Glob und Nils Ebbesen sprengen herbei. Sie haben gehört, wie die Brandenburger in den ersten Reihen des Grafen mitten unter dem Schlachtengetöse mit Eberhard verhandelten.

Erik ist dunkelrot und möchte vor Zorn aus der Haut fahren. Wütend tummelt er sein Pferd. Dann denkt er an die fünf Mark Silber. Diese hat er nun doch gewonnen. Und er stürzt hinein in die vordersten Reihen mit lauten Befehlen, die die Leute herbeirufen.

Otto folgt ihm. Er sinnt, ob er herausbringen könnte, wo der Graf sich aufhält. Eine lodernde Flamme des Hasses gegen den kahlköpfigen Räuber steigt plötzlich in seinem Herzen auf, so daß er nur hart atmet.

Erik nimmt das Schwert in die linke Hand, die rechte ist wie lahm geschlagen vor Müdigkeit. Matt hängt sie herab, kaum vermag sie die Zügel zu halten. Aber seine kampfgewohnte Stute tut von selbst, was sie muß; auch sie ist am Kampf beteiligt und wittert mit ihren fliegenden Nüstern, wo es gilt. Das Blut rinnt ihr von einem Schwertstreich am Hals über die Brust herab, aber sie achtet es nicht.

Die Holsteiner beginnen zu wanken.

Bei jedem Schritt, den die Reihe zurückweicht, schlägt Erik ein Triumphgeschrei auf, um die Bauern zum Vorwärtsdringen aufzustacheln.

»Er ist mutig, der Bruder Erik – er ist stark!« denkt Otto, der sich dicht an seiner Seite hält.

Da ertönen laute Rufe zur Rechten.

Zuerst weit weg in den Reihen – dann näher – ganz nahe.

»Sie sind uns in den Rücken gefallen!«

»Sie greifen in den Flanken an!«

»Sie sind hinter uns!«

»Die Dithmarscher! – Das sind die Dithmarscher!« ertönt es mit lautem Geschrei.

Und nun unterscheidet Otto durch den Nebel hindurch große Männer auf ebenso schweren Pferden, wie er selbst eines reitet. Äxte und Keulen sausen dort drüben durch die Luft, und er hört die taktfesten Rufe der Männer, wo sie die Reihen vor sich niedermähen. Er denkt an Martje, an Hans und an Jürn, dem der Schädel eingeschlagen worden ist.

Erik hat sein Pferd herumgeworfen.

Er ist plötzlich todesblaß.

»Die Dithmarscher – die Dithmarscher!« stammelt er. Dann wendet er den Kopf und sieht, daß die Holsteiner nun mit gellenden Rufen aufs neue vordringen.

Mit bleichen Gesichtern halten die Bauern ihre Pferde zurück. Und ihr Blick flackert von den Holsteinern vorne zu den Dithmarschern hinten und an den Seiten. Wie sich nach drei Seiten hin wehren mit zwei Armen und einem Schwert?

»Flieht! – Flieht!« ruft einer mit der vollen Kraft seiner Lungen und wirft sich über den Hals seines Pferdes, das sich bäumt und in wilder Flucht davon jagt.

Erik sieht es. Einen Augenblick schwankt er; dann wirft er sich wie der andere vorwärts und ruft:

»Flieht! – Flieht!«

Aber Otto ruft den Bauern zu:

»Steht! – Steht!«

Doch nun sind die Holsteiner über ihnen. Die Bauern jagen in wilder Flucht davon und reißen Otto unaufhaltsam mit sich fort.

Ein unsäglicher Schmerz schnürt ihm das Herz und die Kehle zusammen; aber er weint nicht, er lacht.

Und wieder reitet er ein paar Pferdelängen hinter Erik. Und wieder sieht er den breiten Rücken unter den Stößen des Pferdes sich auf und ab bewegen. Dort drüben dehnt sich der Graben unter dem Nebel – und hinter ihm kann man den Rücken der alten Wehr unterscheiden.

Er preßt die Hand um sein Schwert, so daß sich die Ringe seines Handschuhs plattdrücken. Das heiße Blut blendet seinen Blick; er sieht nur den Rücken da vor sich auf dem Pferd. Er kommt ihm übermäßig groß vor, und er versperrt ihm den Weg – überall im Leben!

Ach – wenn er es wäre – wenn er es wäre! – Diese Schmach würde ihnen nicht angetan werden. Diese Flucht würden sie nicht sehen, sie, die den Wall tragen! Das Pferd würde er wenden und alle vorwärts zwingen – die Reiter und das Fußvolk – sie zwingen mit seinem Recht und mit seinem Mut – unaufhaltsam und plötzlich würde er vorwärts dringen!

»Der Graf selbst ist über uns!« ruft eine entsetzte Stimme ganz in der Nähe.

»Der Kahlköpfige ist über uns!« ertönt es ringsum.

Erik schaut zurück.

Otto sieht das wilde Entsetzen in seinem Blick, in seinem geöffneten Mund.

»Er kennt die brüderliche Liebe seines Schwagers«, denkt Otto.

Erik wartet nicht, bis er die Brücke erreicht hat. Otto hört die Hufe auf dem Eis dröhnen.

Da taucht der Kopf von Roß und Reiter wieder aus dem Nebel auf, mitten auf dem abschüssigen Wall.

Erik umklammert den gebeugten Hals des Pferdes und drückt seine Sporen in den schweren Hinterkörper, der Roß und Reiter zu verhängnisvollem Sturz aufs Eis zu ziehen droht.

Otto hält den Atem an – ob er hinüber gelangt?

Nun haben die Vorderbeine festen Fuß auf dem Rand des Walls! Die Muskeln treten am Hinterkörper gespannt hervor, als wollten sie zerspringen.

Nun – so – da ist er oben!

Erik lockert die Zügel, tut einen befreienden Atemzug und richtet sich hoch auf über dem Wall – über denen, die erlöst, und denen, die gerächt sein wollen.

Da erbebt das Pferd in plötzlichem Schrecken. Fürchtet es sich vor dem Abstieg mit der schweren Last – fürchtet es den Biß der Sporen?

Unter den gelockerten Zügeln hebt es sich mit allen Vieren zu einem gewaltigen Sprung.

Der Reiter wird in die Luft geschleudert – nun fällt er neben dem Pferd nieder, und der Kopf hängt über den Rand des Walls.

Einen Augenblick bleibt der Körper mit den langen goldenen Sporn im Steigbügel hängen, während die Arme einen Halt suchen.

Dann zerbricht der Sporn. Otto sieht seinen Bruder mit ausgestreckten Armen in den Graben stürzen, während das Pferd, frei von seiner Last, hinter dem Wall verschwindet.

Dann hört man das Aufschlagen des Körpers.

Nils Ebbesen, der Erik am nächsten war, reitet in den Graben hinab und beugt sich über den gestürzten Körper.

»Tot«, sagt er zu Otto, der am Rand hält. Otto läßt den Kopf auf die Brust sinken.

Nun haben die ihn getötet, die das Recht hatten!

Mitten unter dem Lärm und der Flucht wird es ganz still in ihm. Es ist, als schwebte etwas auf ihn herab – etwas Mächtiges und Drückendes, das er nicht abwerfen kann. Er denkt an die Hoheit, die ihm Raimund verkündigte. Und während ihm plötzlich alles Blut aus dem Herzen strömt, ertönt es in ihm jubelnd und ängstlich zugleich:

»Nun bist du es – du bist nun der, der führen soll!«

Aber in demselben Augenblick ist alles verwandelt. Schärfer, kälter, klarer, größer geworden, und schwerer und schwieriger ist alles, nun er der ist, der führen soll. Mit plötzlicher Klarheit sieht er, daß der Sieg unmöglich ist – versteht er beinahe Eriks Flucht; aber das kann nichts nützen; er wirft das Pferd herum – so jäh, daß das Roß des Holsteiners, das dicht hinter ihm ist, den Kopf zurückwerfen muß, um nicht getroffen zu werden. Es bäumt sich, und Otto schwingt sein Schwert. Gleichzeitig ist Niels Ebbesen an seiner Seite.

Nun ruft er aus Leibeskräften – seine Stimme ist gewachsen, das fühlt er:

»Vorwärts, Leute!

Soll es bekannt werden, daß ihr über den alten Wall, wo eure Väter liegen und nach Rache schreien, wie die Hunde geflohen seid?

Vorwärts! Der Graf hat den schleswigschen Domschatz und den heiligen Peterspfennig geraubt! – Gottes Zorn – der Fluch der Mutter Gottes sind über ihm!

Aber Gott ist mit uns, wenn wir wollen! Jeder beherrscht sein Schicksal, wenn er will

Da richtet sich Paul Glob mühsam auf.

Ein Bauer hält beschämt an und wendet sein Pferd.

»Wir entreißen ihm den Schatz wieder!« denkt Tage Andersen und wendet sein Pferd.

»Das hätte ich ein wenig früher wissen sollen. Vor solch einer Beute fliehe ich nicht«, denkt ein dritter und ruft:

»Gott schlage sie, die heidnischen Hunde!«

Dann wenden mehrere ihre Pferde; alle wenden die Pferde, und mit dem Ruf:

»Gott mit uns – und die heilige Jungfrau!« stürmen sie auf die Holsteiner und Dithmarscher ein.

Der Feind weicht zurück vor dem unerwarteten Stoß.

»Kirchenräuber!« ruft Otto; und die Leute rufen ihm nach:

»Kirchenräuber! – Gott ist mit uns!«

Die Holsteiner, die wissen, daß sie Kirchenräuber sind, weichen zurück vor Gottes Strafe – vor Gottes Zorn.

Da erhebt sich ganz vorne eine scharfe plattdeutsche Stimme über den Lärm:

»Vorwärts, Leute! – Wir haben Messen gekauft für unsere Seelen und Gott gegeben, was Gottes ist. Vorwärts! Vorwärts!«

Otto ahnt, wessen Stimme das ist. Haß und Bewunderung lodern zugleich in ihm auf, – vor dem armen Pfaffen, der nur zwei magere Hunde besaß und dem nun Dänemarks König mit Haut und Haar gehört.

Mit äußerster Anstrengung schaut er geradeaus. Und dort, hinter den vordersten Reihen sieht er einen Helm ohne Helmzier über dem Nebel, darunter zwei schwarze Augen – klein und stechend in einem bleichen Gesicht mit zusammengekniffenem Mund.

Die Augen heften sich fest in die seinen, und es ist ihm dabei, als wollten sie ihn töten mit ihren Flammen.

Dann stürzt er blind darauf zu.

Diese Augen haben ihm Vernunft und Geistesgegenwart geraubt. Er weiß selbst nicht, was er ruft – weiß nicht, ob er allein reitet, oder ob sie ihm folgen, die Ritter und Knappen.

Er kommt erst wieder zu sich, als ein bärtiger Mann sein Pferd am Zaum ergreift, so daß es sich bäumt. Er sieht eine Axt gegen sich erhoben – eine Lanze blinkt dort vor ihm neben dem leeren Helm – und zu seiner Rechten sieht er Niels Ebbesen um sich hauen. Er ist der Einzige, der ihm gefolgt war; und sein Blick schweift zu Otto hin, als denke er daran, vorzusprengen – dem gewissen Tod entgegen – einer gegen Hunderte.

Da schließt Otto die Augen vor dem fallenden Schlag, und er denkt an die Hoheit in der elften Stunde.

»Schonet ihn!« ertönt die scharfe plattdeutsche Stimme.

Als Otto die Augen aufschlägt, starrt er gerade in die schwarzen Augen, die ihn durchbohren und mit ihrem Blick bannen.

Dann nickt der Helm ohne Helmzier, und die zusammengebissenen Lippen teilen sich zu einem Lächeln.

»Nun müßt Ihr Euch ergeben, Junker Otto. Ihr seid mein Gefangener. Aber Ihr habt stolz gekämpft.«

Vor kurzem kam die Hoheit zu ihm. Vor kurzem bekam er das Recht – und er tötete doch nicht. Vor kurzem wurde er der junge König –

Und nun ist er in der Gewalt des bösen Grafen.


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