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XIV. Weihnachten auf Kalundborg

Am Waldessaum halten Otto und Jens zu Pferd, durch die Dunkelheit zwischen den kahlen Stämmen vor den Augen der Stadt beschützt.

Auf dem Hügel dort drüben hebt das Kalundborger Schloß seine Türme aus dem Abendnebel, und hinter ihnen ragen die fünf Turmspitzen von Esbern Snares alter Kirche auf.

Still und dicht ist den ganzen Tag hindurch der Schnee gefallen, aber nun hat es aufgehört zu schneien. Die Häuser der Altstadt – Stein- und Holzhäuser – sehen gegen das Weiß auf den Dächern und in den Straßen aus wie schwarze Schuppen. Und bis hier herauf, bis zum Sankt-Jörgensberg, erstreckt die Stadtmauer ihren dunklen Gürtel.

Uneinnehmbar liegt sie da in ihrem tiefen Frieden, die alte Burg. Der viereckige Turm dort, der rechts von »Vaters Hut« »Vaters Hut« – »Fohlen«. Alte Namen für die Kalundborger Schloßtürme; der erste Name kommt von der hohen abgerundeten Turmspitze. – das ist »das Fohlen« »Vaters Hut« – »Fohlen«. Alte Namen für die Kalundborger Schloßtürme; der erste Name kommt von der hohen abgerundeten Turmspitze. – und dort ist des Reiches Schriftsatz verwahrt.

Der soll genommen werden – aber wie?

Das Bauernheer im Dunkel des Waldes ist ungeduldig. Sie knurren schon – die Bauern, wie Tiere, die lange mit Lockspeise geuzt worden sind. Nun, wo sie dem tiefen Vorratskeller so nahe sind, treibt sie der Hunger und die Lust vorwärts. Wäre nicht eine Hand dagewesen, um sie zu sammeln und zu führen, so hätten sie sich sogleich, am hellen lichten Tag auf die Stadt gestürzt, und dann wäre die Sache schon zum voraus verloren gewesen. Müde sind sie vom nächtlichen Wandern durch die tiefen, stillen Wälder, ermattet sind sie von der Dezemberkälte – alle können sich nicht an dem sparsamen Feuer wärmen. Vor allem mußte darauf gesehen werden, daß keine Nachricht über das Bauernheer ihm vorauseilen konnte – hin zu der starken Burg mit ihrem Graben und ihrer Ringmauer und außen herum noch mit der ganzen Stadtmauer.

Es ist ganz deutlich zu sehen, daß man nichts von dem nahen Feinde ahnt. Still und friedlich geht das Leben seinen Gang dort hinter den Mauern. Sieh – da wird in einem Fenster das Licht angezündet – nun in einem andern – nun im Festsaal des Schlosses. Es leuchtet matt durch die helle Dämmerung.

Nur List kann es erreichen – aber wie?

Leicht könnte man die Ringmauer überwinden. Sie ist ohne Wache am Tag und abgelegen; bis zur Abendmesse stehen ihre Tore für jedermann offen. Aber wie dann die starke Schloßmauer hinter dem Graben durchbrechen?

Was kriecht denn dort im Schnee gerade am Fuß des Hügels hin – dicht unter der Stadtmauer?

Otto deutet auf die schwarzen, schwankenden Gestalten da unten, Jens starrt ebenfalls dort hin. Er ist in Kalundborg bekannt; denn es gibt nicht eine Stadt auf Seeland, von der nicht irgend jemand im Heere wäre.

»Es sind die Aussätzigen«, sagt er.

Wie die Maden auf einem Aas krabbeln sie hin und her vor ihren niedern, elenden Hütten – den Sankt-Jörgenshäusern, wie sie genannt werden. Nicht einer von ihnen dürfte sich in die Stadt hinein wagen. Almosen werden ihnen über die Mauer und durch die Tore zugeworfen – wenn aber je einer sich hineinschleicht, wird er mit Scheltworten und Steinwürfen zurückgetrieben.

Dort – etwas weiter rechts – liegt die Kapelle zum heiligen Kreuz. Der Pfarrer dieser Kapelle hat die Aufsicht über die Kranken. Aber auch er liest die Messe nur in großer Entfernung von den eiternden Wunden.

Ein tiefes Mitleid regt sich in Ottos Herzen.

Sie waren doch auch einst Menschen wie ich. Und nun sind sie ausgestoßen – ohne Schuld – ohne Vergehen. Wenn ein Mensch unter ihnen aufstünde, ein starker und kluger Mensch, dann würde er die andern um sich versammeln und sie singend vors Tor führen. Ha ha – zittern würden sie – Steine aufheben würden sie – die guten Bürgersleute, aber dann – wenn die Aussätzigen in gestrecktem Lauf auf sie losgingen – da würden sie die Steine fallen lassen und ziellos, mit Entsetzen in den Augen fliehen. So mächtig sind diese Ärmsten – durch ihr großes Elend. Eine einzige der vielen unreinen Wunden kann alle die Gesunden mit Krankheit schlagen.

Wie Funken von einem starken plötzlichen Licht fährt ihm ein Gedanke durch den Kopf.

Seine Augen werden groß und leuchtend, und sein Mund öffnet sich in eiligem Nachdenken.

Nun hat er den Plan – nun sieht er wie –

*

Es ist am Tag vor Weihnachten.

Ringsum in den Häusern wird gebacken und gebraten. Mädchen und Burschen stehen hinter offenen Türen. Schüsseln und Kessel werden gescheuert. Dort drüben poliert ein Knappe unter lustigem Pfeifen die Waffen seines Herrn, hier wird ein feines Gewand an dem Türpfosten ausgeklopft, dann wird es durchgesehen und an allen Nähten für die hohe Festzeit geflickt.

Die Freude ist noch unruhig lärmend vor Erwartung; erst morgen wird sie still.

Vor dem Kaufladen auf dem Markt wechseln die Nachbarn muntre Worte miteinander. Die Schuljungen, die in der Schule drüben neben der Kirche soeben frei bekommen haben, wittern den köstlichen Fleischduft des herrlichen Weihnachtsbratens, der ihnen aus den Schornsteinen und Türen entgegenströmt. Dem Stadtwächter wird da und dort in einem dunklen Winkel ein Trunk gereicht. Ehrbare Dienstmädchen lassen sich heimlich einen Weihnachtskuß vom Hausherrn oder von einem Nachbarn gefallen, und die Hausmutter schüttelt zwar den Kopf, drückt aber ein Auge zu; lieber Gott, es ist ja nur einmal im Jahre Weihnachten! Dann gibt Vater auch gerne einen Groschen mehr für Pfefferkuchen und Süßigkeiten.

Aus dem Schloß dringt den ganzen Tag der Lärm von Pferdegetrappel auf Steinpflaster und von singenden Wachtknechten. Vorhin ist die eigne Kutsche der schwedischen Gnädigen über die Schloßbrücke hereingefahren; sie kam von einem Besuch bei dem Abt im Kloster der grauen Brüder zurück, wo sich ihre Söhne in der Wissenschaft üben. Sie wird wohl den Abt zur Weihnachtsfeier eingeladen haben.

Die Straße herauf kommt ein Zigeuner mit seinem Weib.

Er klirrt mit den langen Messern in seinem Gürtel und ruft nach den Fenstern und Türen hin:

»Kessel werden geflickt – Schweine verschnitten – Pferde kastriert!«

Und sein Weib rasselt mit ihrem Messingkram und all ihren blanken Ringen.

Die Leute treten an die Türen und Fenster und sehen sich die seltenen Gäste an.

»Könnt ihr nicht auch Menschen verschneiden?« fragt die lustige Mette und lacht mit ihren beiden weißen Zahnreihen und ihren munteren Augen. Zweimal ist sie ausgepeitscht worden, weil sie den Männern nicht widerstehen kann. Aber ihr gutes Lachen hat sie nicht eingebüßt.

Der Knecht im Kramladen schlägt sich mit lautem Gelächter auf die Schenkel und ruft ihr über die Straße unzüchtige Worte zu.

Der Zigeuner und sein Weib gehen nach dem Schloßgraben.

»Kessel werden geflickt – Schweine verschnitten – Pferde kastriert!«

Dort drüben hinter der Brücke zeigt der Wachtknecht an dem viereckigen Guckloch der Wachtstube sein kugelrundes, vom Bier gerötetes Gesicht mit einem Bart, der gelb ist wie in Regen und Kälte verdorrtes Laub.

Er spuckt weit in den Graben hinein und fährt sich aus Langeweile durch sein dichtes, borstiges rotes Haar; während seine stechenden Schweinsäuglein von dem Mann zum Weibe hinlaufen.

Da lächelt das Zigeunerweib ihm hinter dem Rücken ihres Liebsten zu. Sie bückt sich, so daß er die Hälfte ihrer wogenden Brust unter dem losen Tuch sehen kann, und schickt ihm einen Blick, den er versteht.

»Könnt Ihr wahrsagen?« ruft er ihr zu.

Sie nickt, und wie sie nach dem Graben geht, zieht sie ihren kurzen Rock fest zusammen, so daß er den geschmeidig geschwungenen Bogen des ganzen Schenkels sehen kann.

Hinter den stechenden Augen des Wachtknechts wallt das Blut auf. Das ist gerade so ein leckres Mädel, das man gern auf der Bank neben sich haben möchte in einer einsamen Stunde der Nachtwache.

»Hallo! – Hallo!«

Nun kommen die andern Knechte herbei – und einer, der über ihnen steht.

»Hallo! – Kesselflicker – es sind ein paar Hengste hier auf dem Schloß, die verschnitten werden sollten – und es gibt Kessel genug, die zu Weihnachten geflickt sein müssen. Und während du verschneidest, flicken wir dein Weib hier auf der Wache zusammen.«

Nun dröhnt das Gelächter unter der Wölbung drinnen hinter dem Guckloch. Die Brücke senkt sich, und das Zigeunerpaar geht hastig hinüber.

Der rote Wachtknecht, der das erste Recht hat, kneift das Weib in die Brust, als sie dicht an ihm vorbeistreift. Ihre Augen funkeln, und der Kesselflicker schaut sich hastig um. Da macht sie der Wache ein Zeichen, daß mit ihm nicht zu spaßen sei – mit ihrem Liebsten.

Sie gehen um den äußeren Schloßhof herum – an allen Flügeln des Schlosses vorbei – bis zum Schmiedeturm. Der alte Schmied sieht das Landstreicherpack scheel an, sagt aber nichts. Dann bringt man dem Kesselflicker die Kessel aus der Küche und Backstube, und er flickt den ganzen Tag. Sein Weib steht daneben und hilft ihm, aber in der Dämmerung schleicht sie sich weg und am Tor vorbei, wo die Einfahrt zum innern Hof ist. Sie sieht, daß ein Brunnen mitten im Hof steht, und hier rechts im Tor führt die Treppe hinunter in den tiefen Kalundborger Vorratskeller, der so weit berühmt ist.

Der Torhüter kommt dazu. Sie bietet sich an, ihm wahrzusagen, und ehe die Vesper läutet, sind sie gute Freunde. Er erobert sich einen hastigen Kuß; aber sie wagt nicht dazubleiben, denn ihr Liebster – der Kesselflicker – sagt sie, würde sie umbringen, wenn er hörte, daß sie hinausschlage. Und sie heftet ihre schwarzen, lachenden Augen gerade in die des Wächters.

»Stehlt Euch heute Nacht weg von ihm und kommt leise zu mir herauf, dann soll's lustig werden.«

»Ich wag es nicht.«

»Macht ihn betrunken.«

»Ja, gebt mir Porsch für ihn.«

Das Weib bekommt Weihnachtsbier für den Kesselflicker in der Schmiede, um auch dort Weihnachten zu feiern; und sie verspricht während der Mitternachtmesse zum Wächter in seine Kammer zu kommen. Denn dann ist alles, was Mund und Atem hat, beim Gottesdienst in der Kapelle. Nur er, der Türhüter, er allein, sowie auch ein einzelner Brückenwächter müssen zurückbleiben und die Brücke und das Tor hüten. Unterdessen kann sie bei ihm ruhen und sogar wieder weg sein, ehe die Leute vom Schloß und die aus der Stadt, die auf dem Schloß in Gunst sind, aus der Kirche kommen.

*

Jens und Elsif schleichen aus der Schmiede in den inneren Schloßhof, der zwischen der Ringmauer und den vier Flügeln hinführt. Sie gehen rings um die Mauer herum, und Jens' Augen merken sich alles genau. Da ist die Küche – da die Gesindestube – da die Rüstkammer – und hier ist die Kapelle.

Nun bleiben sie stehen, schauen sich um und lauschen. Die Kerzen in der Kirche sind schon alle angezündet. Das Geräusch vieler Fußtritte ertönt. Nun nähern sie sich der Kirche durch den innern Hof. Es sind die Vornehmen der Stadt, die zur Weihnachtsmesse aufs Schloß kommen.

Hastig gehen die beiden in der Dunkelheit weiter um den östlichen Flügel herum, wo der Rittersaal ist, bis zum Brückenwächterhaus in der Ecke der Ringmauer. Hier setzen sie sich mit dem roten Wachtknecht an den Tisch. Er ist allein und wütend darüber, daß er allein Wache stehen muß. Jens hat Bier mitgebracht. Und nun tröstet sich der Wachtknecht mit dem Zigeuner und seinem Weib. Als er ihr aber allzunah rückt, schlüpft sie hinaus; da trinkt er mit Jens allein weiter von der starken Mumme – die dieser noch stärker gemacht hat.

Elsif schleicht über den weichen Schnee zum Torfenster hin. Da liegt der Wächter erwartungsvoll schon auf der Lauer. Rasch läßt er sie in seine Kammer auf der linken Seite des Tors hereinschlüpfen. Es ist keine Zeit zu verlieren. Die Kirchgänger sind schon an ihren Plätzen, und gleich wird die Messe beginnen. Leise dringen die singenden Stimmen und dazwischen Orgelton über den Hof bis zum Tor.

Er legt seinen linken Arm um ihren schlanken Leib, der andere umschlingt ihre wogende Brust.

Sie spielt mit ihm wie eine verliebte Katze auf dem Dach. Es wird ihm heiß, als sei er in einer Badestube, und nun will er – er will – aber sie will nicht; und er preßt seine Lippen auf ihren Mund und tastet lüstern nach ihrem Gewand.

»Lösch das Licht!« sagt sie schließlich – nun will sie ihm nachgeben.

Rasch erhebt er sich von der Bank, um das Licht zu löschen, als er aber gerade vor ihr steht, mit seinem breiten Rücken das Licht verdeckend, da fährt ihm das spitzige, scharfe Messer, das sie unter ihrem Gewand getragen hat, in das weiche Fleisch unter dem Schulterblatt. So sicher und so gut trifft das spitzige Messer in ihrer warmen, hastigen Hand, daß der Schmerzensschrei mit dem Leben erlischt, ehe er die Lippen erreicht hat.

Aber am Brückenwächterhaus wartet Jens in großer Beklemmung. Drinnen auf dem Boden liegt der rote Wachtknecht schwer betrunken und betäubt von der verstärkten Mumme. Wohl ist er seiner Sache sicher, aber es könnte geschehen – unerwartet könnte ein verspäteter Gast aufs Schloß kommen – ein Eilbote – oder ein Wachtmeister könnte ungerufen aus der Kirche kommen, um die Wachsamkeit zu prüfen. –

Er starrt auf den Flügel neben dem Tor, ihm gerade gegenüber, er starrt gleichsam mit Augen, Mund und Ohren.

Ein gedämpfter Ton wie der Ruf einer Eule dringt durch die kalte, klare Luft – zwei kurze Schreie.

Nun – Gott sei Dank – dann ist sie fertig mit ihrem Teil!

Nun eilt Jens an die Zugbrücke. Langsam und leise geht das wohlgeschmierte Werk; nun ist die Brücke unten.

Zu zwei und zwei schleichen sich stumme Gestalten herein, über den Schnee, durchs offene Tor in den innern Schloßhof.

*

Vor dem Altar in der Kapelle sind alle Wachslichter angezündet. Die Kirche ist bis zum letzten Platz gefüllt. In langen Reihen hintereinander knien die Kirchgänger und warten auf die frohe Botschaft.

Ganz vorne im ersten Kirchenstuhl rechts sitzt die Herrin des Schlosses, die schwedische Gnädige selbst mit ihren Söhnen. Der eine ist lang und mager, mit schmalen Schultern, der andere dick, mit übermäßig viel Fett. Sein Rücken sieht aus wie der einer reifen Frau, obgleich er an Pfingsten erst sechzehn Jahre alt wird. Zur Linken auf der andern Seite des Mittelgangs sitzen der Schloßhauptmann und seine Frau, sowie der Kanzler, den die Herzogin Ingeborg, die frühere Königin von Schweden, ihren ersten Schreiber nannte.

Nun brausen die vollen Töne des Kirchenlieds von der Orgel herab, und aus den Kehlen der singenden Mönche und Knaben:

»Magnum nomen, Domini Emmanuel
Quod annuntiatum est per Gabriel –« Der große Namen des Herrn: Emmanuel, der uns durch Gabriel verkündiget wurde –

Unter dem Brausen des Kirchenlieds entzündet sich die Freude der frohen Weihnachtsbotschaft in allen von der Sünde beschwerten Herzen. Jeder der Anwesenden spricht die lateinischen Worte im stillen nach und fühlt die Verheißung für sich allein – die Sühnung seiner eigenen Sündenschuld.

In friedevoller Freude der Erlösten stimmen alle mit lautem Jubelruf ein in den Psalm!

»Gaudete – gaudete!
Christus natus hodie!« Freuet euch, freuet euch – heut ist der Heiland geboren.

Der Priester liest die Messe.

Er beugt das Knie vor dem Altar. Dann erhebt er sich, geht die Altarstufen hinauf, kniet wieder nieder und betet leise. Und hinter ihm, an der Schleppe seines Meßgewands, knien die Chorknaben.

Nun steht er wieder am Altar, den Rücken der Gemeinde zugewendet. Dann macht er das Zeichen des Kreuzes über Stirne und Brust, hebt die Arme, und indem er den Altarschrank über der Altarplatte öffnet, klingen die silbernen Glöckchen in der Hand der Chorknaben leise und wie aus weiter Ferne, als klängen sie aus dem offenen Himmel herab. Nun ergreift er die Monstranz mit beiden Händen – der Weihrauch wogt in feinen, schlanken Rauchsäulen aus den geschwungenen Gefäßen –

All die Andächtigen auf den Knien beugen das Antlitz auf die offenen Hände – ringsum lautloses Schweigen.

Dann klingen die silbernen Glocken – wieder steigt der Weihrauch aus den Gefäßen, die geschwungen werden – den Kelch in den aufgehobenen Händen hoch erhoben, wendet der Priester sich langsam der Gemeinde zu –

Klirrend fällt der Kelch auf den Boden.

Wurde er in Gottes Altar vom Schlag getroffen?

Wie gelähmt vor Entsetzen starrt er mit aufgesperrten Augen, offenem Mund und ausgestreckten Armen nach der Tür hinter den unbewaffneten Männern. Nicht ein Laut dringt über seine Lippen.

Welche fürchterliche Erscheinung hat der Priester vor Augen?

Ihre Gnaden wendet sich im Stuhl um.

Da stößt sie einen unterdrückten Schrei aus. Und ihre Augen stieren steif und starr nach der Tür.

Auch ihre Söhne wenden sich um.

Als der Dicke die Erscheinung in der Tür gewahr wird, die sich nähert, fängt er an zu schreien wie ein gestochenes Ferkel und schlägt mit den Armen in die Luft. Aber als sein Bruder mit den schmalen Schultern die Erscheinung sieht, zuckt es in allen seinen Gliedern. Er schwankt im Stuhl hin und her, sein Gesicht verzerrt sich – er hat Krämpfe vor Entsetzen.

Nun wenden sich alle Anwesenden dem Portal zu.

Sieh – da kommt – zu zwei und zwei – langsam den Gang herauf – ein sonderbarer Zug.

Unter grauen Kapuzen aschgraue Gesichter, in denen die Augen wie matte Glut funkeln. Gesichter, in denen die Nase in einem Knäuel von erdfarbigen braunen Wunden sitzt – wo statt der Wangen eine eitergefüllte Öffnung grinst. Und große weiße Narben leuchten auf einer halbverfressenen Stirne.

Nun öffnen die lebendigen Leichen ihre aufgesprungenen Lippen und grinsen mit dem häßlichen Mund. Das Zahnfleisch ist ihnen weggefault, so daß der Kiefer wie die Zähne eines Rechens entblößt hervorstarren.

Unter den zerlumpten Kutten stehen die Arme hervor. Sieh – dort der linke Arm, der sich den Leuten, die außen sitzen, braun und verdorrt entgegenstreckt, ist bis zum Ellbogenknochen abgefault!

Sie schwanken heran mit ihrem wackelnden Gang auf hinkenden Beinen. Sie führen einander zu zwei und zwei am Arm, und während sie dem Altar zuschreiten, strecken sie die Arme nach rechts und links aus, um die Nächststehenden zu berühren.

Ist es das Heer des Satans, das in dieser heiligen Stunde an den heiligen Ort kommt?

Sind es die verfluchten Geister, die, wie Aussätzige anzuschauen, jetzt in der Mitternachtsstunde aus den Gräbern gestiegen sind, um die frohe Botschaft anzunehmen?

»Herr Jesus!«

Die Außensitzenden fahren zurück und drücken sich gegen die hinter ihnen, so daß diese gegen die Mauer gepreßt werden. Alle fliehen vor der bösen Berührung.

Hört – nun singen sie – die bösen Leichen! Als kämen sie aus dem Grab heraus, tönen ihre zersprungenen, klanglosen Stimmen hinauf zur Wölbung, hin zum Chor.

»Sankt Asmodäus! – Sankt Asmodäus! – bitt für uns!«

So singen sie, und gleichzeitig lachen sie über das Entsetzen, das sie hervorrufen. Sie fühlen sich als die Auserwählten des Herrn in ihrer großen Macht, und sie denken an das, was König Otto ihnen versprochen hat, daß ihnen ihr eigenes großes Sankt-Georgshaus auf Grund und Boden der Stadt gebaut würde, und daß sie nie wieder in ihren Hütten Not leiden müßten.

Nun flieht der Priester vom Altar und die Mönche und Chorknaben mit ihm. Hinter den Altar fliehen sie, und als die andern dies sehen, springen sie über Stühle und Bänke auf den Altar zu, um sich auf demselben Weg zu retten.

Der Priester und die Mönche suchen Schutz in der Sakristei und verrammeln die Tür hinter sich mit Stühlen und Schränken.

»Ergebt euch!« ertönt eine starke Stimme vom Eingangstor her. »Ergebt euch alle!«

Hinter Ottos hoher Gestalt, die in der Türöffnung steht, blinkt es von Waffen, und viele Köpfe drängen sich hinter ihm, um hereinzukommen. Die Bauern sind es, die die zum Weihnachtsfest blank geschliffenen Waffen, die in der Vorhalle der Kirche vor dem Gottesdienst abgelegt wurden, ergriffen haben.

Nun sind die Aussätzigen am Fuß des Altars angelangt, und Otto tritt mit ihnen vor, die Bauern hinter ihm.

Da versteht jedermann, daß die Burg genommen ist. Und während der fette Porse in seinem Kirchenstuhl ununterbrochen schreit wie ein gestochenes Schwein und seinem schlanken Bruder noch immer die Gesichtsmuskeln im Krampfe zucken, ergibt sich die ganze Besatzung des Schlosses ohne Widerstand.

Gott sei Dank für die bewaffneten Männer! Es ist noch eine Gnade, sich von Menschengewalt an den Händen fesseln lassen zu müssen, als an die Wand gedrückt zu werden von unreinen Höllenhänden, die einen für Zeit und Ewigkeit mit giftigem Hauch und eitriger Berührung anstecken können.

Während die unbewaffneten Männer ihre Hände ausstrecken, um sich fesseln zu lassen, knien die Aussätzigen in einem unheimlichen grauen Haufen vor dem Altar und beten zu dem neuen Heiligen, der ihnen aus ihrer Not geholfen hat.

Aber Otto tritt zu dem ersten Stuhl auf der rechten Seite. Er neigt das Haupt vor der schwedischen Gnädigen, die stumm und mit großen, ausdruckslosen Augen auf ihre eichenen Stöcke gestützt dasteht; schon seit mehreren Jahren wollen ihre Beine den Körper nicht mehr tragen.

»Euer Gnaden müssen sich ergeben!« sagt Otto.

Und während der fette Porse schreit und der schlanke die Gesichtsmuskeln im Krampfe verzerrt, führen Jens und die sechs Bauern aus der Baarser Kirche Ihre Gnaden und deren Söhne zur Kirche hinaus, fort nach »Vaters Hut« ins Gefängnis. Später soll sie Rechenschaft ablegen, welchen Schaden er erlitten hat – der alte Reichsschatz, die unersetzlichen Urkunden. Aber in die Keller der Burg werden die unbewaffneten Männer gesperrt.

Der Priester hat die Gelegenheit wahrgenommen und sich durch das hohe Fenster der Sakristei geflüchtet. Aber als er die Brücke erreicht, wird er ergriffen, und nun liegt er gebunden in der Kammer neben dem roten Wachtknecht.

*

In der Heiligen Nacht noch schickt Otto einen Eilboten an seinen Bruder Waldemar, der vor Kopenhagen liegt, und an seinen Oheim Johann auf Vordingborg. Er ladet sie zum Weihnachtsfest auf Kalundborg ein. Denn jetzt, wo er stark ist, will er sein Recht verlangen.

Am Weihnachtsmorgen ruhen Otto und Karen im Bett der schwedischen Gnädigen.

*

In dem inneren Burghof haben die Bauern um den Brunnen ein großes Feuer angezündet.

Die reichen Holzvorräte des Schlosses sind aufgefunden und von einer Hand zur andern von den Stapeln in den Hof geschafft worden.

An dem tiefen Vorratskeller ist die Tür eingebrochen. Jens und seine ersten Genossen haben sich alles angesehen.

Da gibt es Rostocker Mumme und Rheinwein in großen Fässern, sowie auch andern köstlichen Wein, den keiner auch nur dem Namen oder dem Duft nach kennt.

Die Mauern entlang hängen an dicken Haken Schinken an Schinken, Schweineschinken und Bärenschinken und Rehkeulen, alle sorgfältig geräuchert. Große Tonnen Butter stehen Seite an Seite; frische, zu Weihnachten geschlachtete Ochsen sind da und gesalzene Heringe in Tonnen – und anderes Herrenessen, was man sich nur immer denken kann.

»Das haben sie uns gestohlen!« sagen die Bauern und gripsen Heringe aus den Tonnen und drücken die Fäuste in die feste Butter.

Nun wird auf dem Hof an großen Spießen gebraten. Der herrliche Bratenduft steigt mit Rauch und Flammen in die Höhe – und aus den offenen Buttertonnen, die auf den Hof gerollt wurden, werden ganze Schaufeln voll auf die Ochsenseiten geworfen während man diese am Spieß dreht. Die Butter fließt geschmolzen ins Feuer, und es siedet und spratzelt von der überreichlichen Gottesgabe.

So feiern die Bauern Weihnachten auf Kalundborg. Und nach dem Weihnachtsmahl danken alle dem heiligen Asmodäus, der ihnen den Sieg verliehen hat.

In diesen siegesfrohen Weihnachtstagen hat der König alle Bande gelöst.

Es wird getrunken und gegessen, gesungen und gejohlt. Betrunken taumeln die Bauern vom Hof aus die Rittertreppe hinauf und werfen sich in den Rittersaal oder in das feine Frauengemach, wo das gestickte Tuch noch in den Rahmen gespannt ist, wie die Königin es gestern verlassen hatte.

Otto und Karen sind mitten unter ihnen. Er ißt und trinkt mit ihnen, und jeder darf ihm ganz nahe kommen, um ihn und seine Frau zu betrachten.

Nur ein Ort im ganzen Schloß ist eine Freistatt, eine Ecke im Hof ist sicher vor den Bauern. Das ist der Platz, wo die Aussätzigen sich zusammengedrängt und ihr eigenes Feuer angezündet haben, wo man ihnen ihren Teil von dem Überfluß hingeworfen hat, wie man den Hunden das Futter vorwirft. Denn so wahr es ist, daß sie die Schlacht eröffnet haben, kein Bauer kann es über sich gewinnen, sie als voll und ebenbürtig anzuerkennen. König Otto und Jens hatten ihre ganze Kraft anwenden müssen, um die Bauern dazu zu bringen, die Hilfe der Aussätzigen anzunehmen. Die Bauern fürchten, die Aussätzigen werden ihnen Unglück bringen. Sie fürchten, ihren neuen Heiligen zu kränken, wenn sie mit den Ausgestoßenen, mit den von dem Herrn Verbannten in den Krieg ziehen.

So wird drei ganze Tage hindurch gefestet und geschmaust. Otto und Karen können bei Nacht kaum ein Auge schließen, denn die liebe lange Nacht hindurch geht es fort auf dem Hof mit Lärmen und Johlen. Am vierten Morgen jedoch machen sie sich los von den Bauern, und mit Jens Hilfe wird Manneszucht im Schlosse eingeführt. Wachtposten werden aufgestellt, die Waffen aus der Rüstkammer hinter der Kirche gerecht verteilt. Hier wird geknurrt und dort wird geknurrt: Wozu braucht man Zucht, so lange die Vorratskeller noch nicht geleert sind, und man doch viele Nächte lang Hunger gelitten hat? – Aber es hilft alles nichts.

*

Den ganzen Tag hindurch hat Otto über den großen Tisch gebeugt im »Fohlen« gesessen und des Reiches Schriftschatz studiert. Alte wertvolle Dokumente hat er aus den Fächern herausgenommen; fingerdicker jahrealter Staub liegt auf den dicken Päcken – die Reihe an Reihe, Seite an Seite, von unten bis oben an den Wänden in den hochgewölbten Räumen ruhen. Nichts scheint zu mangeln an dem reichen Schatz. Es ist, als habe seit vielen Jahren kein menschlicher Fuß diesen Ort betreten.

Nun ertönt der Ruf des Turmwächters. Getöse erschallt vor den Mauern, Stimmen werden laut.

»König Waldemar! – König Waldemar!«

Er hält vor der Brücke in Begleitung des Grafen Johann und des Bischof Svend mit einer geringen Bedeckung, wie es sich für den geziemt, der zu Gast geladen ist.

Im Burghof läßt Otto alle Bauern sich versammeln. Er selbst steht, als König Waldemar in den Hof reitet, am Fuß der Rittertreppe, von seinem Bauernheer umgeben, Karen und Jens neben sich.

Karen fährt ein Stich durchs Herz, denn in dem Gefolge erblickt sie ihren Vater und Meister Fulbert. Sie haben also beim Grafen geklagt, gleich nachdem ihre Flucht auf Nykjöbing bemerkt worden war. Nun kommen sie und stellen Forderungen.

Sie ergreift Ottos Hand und hält sie fest. Nun darf er sie nie loslassen.

»Willkommen, Herr Bruder!« sagt Otto, »und Ihr, Herr Oheim!«

Seine Stimme ist hart und klar, aber wer ihn genau kennt, kann Hohn und Zorn aus seinem Ton heraushören.

Waldemar erwidert seinen Gruß mit viel Anstand und sagt:

»Ich danke dir, mein lieber Bruder, für deinen Gruß und deine Botschaft. Wie soll ich es dir lohnen, daß du die große Tat getan hast, die ich mit meinen Mannen vergebens versucht habe.«

»Welche Tat?«

»Der Familie Porse das alte Schloß Kalundborg zu entreißen.«

»Diese Tat trägt ihren eigenen Lohn in sich«, sagt Otto und tritt vom Fuß der Treppe vor, so daß er frei dasteht.

»Denn das sollst du wissen, und alle sollen es hören; seit dem Tag, wo du deinem Versprechen, das du mir gegeben, untreu geworden bist, indem du Fünen den Grafen gabst und dich von Niels Ebbesen mit seinen Mannen lossagtest – seit dem Tage bin ich wieder König wie zuvor.

Wenn ich aber jetzt wirklicher König bin, dann ist es nicht mehr als billig, daß vor jedermann kundgetan werde, welcher Art König ich bin.

Ich bin nicht König für die Großen – ich bin König für die Kleinen – nicht Ritter-, sondern Bauernkönig, nicht der König derer, die das Land verwüsten, sondern derer, die zusammenhielten, was ihr übrig ließet, und das heilten, was ihr schluget – die den Boden pflügten, dessen Saat die Großen mit ihren Pferden niedertraten.

Ja – Bauernkönig bin ich – und nun sollst du mein Haus und meine Leute kennen lernen.

Sieh – hier steht die kleine Cara – erinnerst du dich wohl ihrer? – Sie ist die Geliebte des Bauernkönigs – sie ist seine Königin. – Und hier steht Jens von Vallebo, den die Leute des Grafen Johann von Haus und Hof vertrieben haben – sie raubten seine Schwester und seines Vaters letzte Kuh – sieh, er ist mein Marschall. Vielleicht ist einer in Eurem Gefolge, Graf Johann, der ihn kennt und ihn gerne begrüßen würde.

Sieh, ein solcher König bin ich. Und wenn Weihnachten vorüber ist – nach dem Fest der Heiligen drei Könige – ziehe ich weg von hier mit meinen Mannen, von einem Thing zum andern ziehen wir, und alle werden sich mir anschließen und mir huldigen, wie diese hier mir gehuldigt haben und mir gefolgt sind.«

Wie er sich nun an seine Leute wendet, schlagen diese an ihre neuen Waffen, und laute Huldigungsrufe ertönen, die von den Mauern der vier Schloßflügel laut widerhallen.

Und eine einzelne Stimme klingt gellend aus den andern heraus:

»Sankt Asmodäus gab uns den Sieg. Er ist unser Schutzheiliger!«

Da erbleicht Otto. Denn der verschlossene Bischof mit den durchdringenden Augen sieht bei diesem Ruf entsetzt auf.

Seine Augen werden dunkel und tief; das Blut schießt ihm in den Kopf, als wolle er zerspringen.

Dann reitet er vor König Waldemar und sein Gefolge vor und ruft mit der ganzen Kraft seiner mächtigen Lungen:

»Sankt Asmodäus, sagt ihr? Wißt ihr, wer das ist?«

Die Bauern stutzen bei dem plötzlichen Zorn des Kirchenfürsten, der die Macht hat, sie im Namen des Papstes in den Bann zu tun.

»Wißt ihr, wer das ist?« ruft der Bischof noch einmal so laut, daß es weithin schallt.

Niemand antwortet. Otto macht eine Bewegung mit der Hand, findet aber keine Antwort.

»Es ist der Satan selbst. Dies ist einer seiner vielen Namen. Unter ihm habt ihr gekämpft. Aber für den Sieg, den er euch gegeben hat – für den werden eure Seelen in der höllischen Glut brennen.

Da steht er« – er deutet auf Otto – »er, dem, ihr den Königsnamen gebet, er hat euch diesen Schutzheiligen gegeben – ja – ha! – er kennt ihn sicherlich besser als irgendeiner von euch! Denn nun sollt ihr es wissen, er ist vom Teufel besessen – er hat mit dem Bösen einen Pakt geschlossen!«

Und nun ruft er so laut, daß seine Stimme umschlägt.

»Hört ihr es alle? Er ist vom Teufel besessen!«

Otto will sprechen. Der Schweiß perlt ihm auf der Stirn, aber der Bischof schnappt ihm das Wort vom Munde weg und ruft:

»Seht ihn an, ihr guten Leute – seht, da steht er, wie ein armer Teufel vor Gott! In seinem langen Körper mit den schrägen Schultern – in seinem fahlen Auge sitzt der Teufel verborgen – er, der euch den Sieg gegeben und euch geführt hat!

Glaubt ihr mir nicht?

Dann will ich euch noch eins sagen – das letzte – und darauf will ich die ewige Seligkeit meiner Seele setzen. Der Herr soll mich hier, wo ich vor seinem Angesicht stehe, vor euren Augen zu Boden schlagen, wenn ich über ihn lüge. Ich selbst habe ihn auf seinem Lager liegen sehen – elend und jämmerlich – als der Böse, den ihr mit dem Namen des Heiligen nennt, ihn eben besucht und ihn mit seinen Krallen gezeichnet hatte. Denn als Leute an sein Bett traten, fuhr der Böse aus seinem Körper heraus in Gestalt eines schwarzen Tiers – gräßlich anzuschauen – mit feuersprühenden Augen und von der Schnauze bis zur Schwanzspitze mit Aussatz geschlagen.

Versteht ihr nun, woher es kommt, daß wir dort drüben in der Ecke die schlimme Gruppe sehen? Die Aussätzigen hat er in seinem Sold – sie hat der Satan ihm gegeben, um in seinem Namen mit ihnen zu siegen. Ihnen seid ihr auf den Fersen gefolgt! Mit ihnen habt ihr getrunken und gegessen! Mit ihnen habt ihr die Burg genommen!

Seht ihn an! – Seht euren König an! Ihm habt ihr euch hingegeben! Für den Sieg, wofür ihr in Ewigkeit brennen müßt, habt ihr ihm zu danken!

Und sehet das Weib an seiner Seite! Wißt ihr, wer sie ist? – Eine arme – dem Kloster versprochene Maid – eine ehrbare Maid war sie bis zu der Stunde, wo er kam und ihr junges Blut in Versuchung führte. Mit Haut und Haar hat der Satan sie in seiner Gestalt an sich gerissen und mit ihr gebuhlt. Seht ihr – da steht ihr Vater – der gute Ritter, Bo Falk ist sein Name – ihr alter, ehrlicher Vater! Ihm ist sie davon gelaufen im Dunkel der Nacht und auf des Satans schwarzem Mantel durch die Lüfte gefahren. Hört, was sie bezeugen, die guten Männer!

Nun ruft Fulbert mit lauter, gellender Stimme und zeigt dabei alle seine spitzigen gelben Zähne:

»Ich bezeuge vor Gott, daß sie sich dem Kloster versprochen hatte. Mit Hand und Mund hat sie aus eigenem Antrieb das heilige Gelübde abgelegt!«

»Ich bezeuge, daß sie meine Tochter ist,« sagt Bo Falk, »und er, den sie König nennt – er, den ich seit seiner Kindheit gekannt habe – er hat mir so gelohnt, daß er meine Tochter nahm, während er als Gast auf dem Schlosse weilte. Sicherlich ist es der Satan, der in ihn fuhr und ihm den bösen Rat gab, denn als Junker war er gut und ehrenhaft. Das bezeuge ich vor Gott.«

Nun ruft der Bischof Otto gerade ins Gesicht:

»Sieh mich an, wenn du es wagst, du böser Geist! Sieh mir gerade in meine ehrlichen Augen!

Ha ha – seht ihr, er senkt den Kopf! Seht ihn recht an, ihr alle, die er in die Flammen der Hölle gelockt hat – seht – seht! – Seht ihr, wie er am ganzen Körper zittert? Seht ihr, daß er ganz kreideweiß im Gesicht ist? – Seht ihr, wie ihm der Schweiß auf der Stirne steht?

Hört, was ich euch sage! Jetzt gleich werdet ihr einen hübschen Anblick haben. Ich sehe schon, wie alle seine Glieder beben. Bald wird der Böse mit Blitz und Donner in seinen Körper fahren und ihn, den Schaum vor dem Mund, zu Boden werfen.

Seht, seht!«

Das Schloß wankt, der Bischof taumelt hin und her – die Bauern schwanken wie Boote auf hohen Wogen. Otto faßt unsicher nach Karens Arm.

Dann stürzt er vor der Treppe zu Boden, und sein Körper windet sich in heftigen Krämpfen.

»Verdammt seist du, du böser Geist Asmodäus!« ruft der Bischof.

»Verdammt seist du, jetzt und allezeit, bis ans Ende der Tage!

Verdammt sei der Leib, den du dir als Wohnung gewählt hast!

Amen, im Namen der heiligen Dreieinigkeit, Amen!«

Der Bischof schlägt ein riesiges Kreuz auf seiner Brust. König Waldemar und alle in seinem Gefolge bekreuzen sich wie der Bischof. Und mancher angstvolle Bauer wiederholt laut, was der Bischof rief:

»Verdammt seist du bis ans Ende der Tage!«

Aber in der Ecke dort drüben drücken sich die Aussätzigen an der Mauer zusammen wie räudige Hunde, die auf den Tod warten.

Nun reitet der Bischof mit Waldemar vor.

Die Bauern machen Platz, und viele knien nieder, während Otto mit schäumendem Munde in Krämpfen daliegt. Karen hat sich auf die unterste Stufe der Treppe geworfen, und die Hände vor dem Gesicht, schluchzt sie laut.

Niemand wagt, Otto recht anzusehen, und doch kann es keiner lassen. Aber bei jedem Röcheln, das aus seiner Kehle dringt, fährt Todesangst in die Herzen der Bauern.

Nun sinken einige auf die Knie nieder – nun viele – zuletzt alle. Vor dem Bischof fallen sie auf die Knie.

»Ehrwürdiger Vater, betet für uns!«

»Nein!«

»Um Gottes Barmherzigkeit willen – um der Mutter Gottes willen!«

»Nein!«

»Wir bekennen unsere schwere Sünde. Wir entsagen dem Teufel und all seinem Tun und Wesen. Hört unser Gebet und rettet uns vor dem argen Geist, der hier liegt und sich windet! Treibt ihn aus – treibt ihn fort!«

»Wollt ihr eurem rechten König dienen – hier steht er, dem auf dem Thing zu Viborg gehuldigt wurde – König Waldemar!«

»Ja, wir huldigen ihm!«

»Wollt ihr dem alle Treue abschwören, der, hier von dem allmächtigen Richterspruch Gottes zu Boden geschlagen ist?«

Ja, wir schwören ihm ab.«

»Wollt ihr dieses Schloß, das der Satan für euch erobert hat, in die Hand eures rechten Königs geben?«

»Ja – ja!«

»Und ihm von hier aus folgen als sein Heer?«

»Ja – ja! Wir folgen König Waldemar!«

»Ich werde euch helfen, eure Höfe zurückgewinnen«, sagt Waldemar und hebt die Hand empor. »Jedem von euch werde ich helfen, und ich werde die Pfänder einlösen, wie ich meinem Vater in seiner Todesstunde geschworen habe. Ich werde euch gut und gnädig sein, wenn ihr mir ehrlich und treu dienen wollt.«

»Das wollen wir – das wollen wir!«

»Ja, dann werde ich meine Stimme gegen den Bösen erheben, der hier liegt und in seinem Zorne rast«, sagt der Bischof. »Ich will alle Heiligen und alle seligen Engel um Hilfe gegen seine Gewalt anrufen, daß er von ihm ausfahre und von uns allen.«

Nun beugt sich der Bischof über Otto und betet und beschwört mit seiner mächtigen Stimme, und alle Bauern knien in der Runde um ihn her; sie murmeln die unverständlichen heiligen Worte nach und starren angstvoll und gespannt auf Otto, der noch immer in Krämpfen daliegt.

Lange beschwört der Bischof den Bösen. Endlich erschlaffen Ottos Glieder, sie strecken sich aus, der Mund schließt sich mit einem tiefen, tiefen Seufzer, und nun gleitet er hinüber in einen langen Schlaf.

Dann wird er von Waldemars Leuten hinauf getragen ins Bett der schwedischen Gnädigen.

Während er in dem langen, tiefen Schlaf liegt, hält König Waldemar einen Rat mit seinem Bischof und dem Grafen Johann und Bo Falk und Meister Fulbert.

Auf den Vorschlag des Bischofs soll Otto, wenn er wieder erwacht, in ein Kloster verbracht werden. Bei den an die Ordensregel gebundenen Chorherrn im Kloster Aebelholt ist ein standesgemäßer Aufenthalt für den kranken Bruder des Königs, wo es ihm vielleicht gelingen kann, mit Beten und Fasten Gott zu versöhnen.

Aber Karen soll um ihrer ewigen Seligkeit willen dahin gegeben werden, wohin sie ihrem Gelübde nach früher schon gehörte. Sie entgeht körperlicher Strafe, weil sie ohne eigenen Willen in der Gewalt des Bösen war. In ein Kloster soll sie gegeben werden; und dies muß von Aebelholt so weit entfernt sein, daß der Satan den Weg nicht zwischen ihnen finden kann, um sie wieder zusammen zu führen.

Ins Nonnenkloster Asmild bei Viborg – dorthin soll sie gebracht werden. Wenn sie sich gut aufführt, kommt wohl die Zeit einmal, wo sie das hohe Glück, Priorin zu werden, erreichen kann.


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