Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI. Asmodäus

In dieser mondhellen St. Annensnacht, wo in jedem Winkel auf dem Berge der neue Rektor und der seltene Gast gefeiert werden, hat kein Kollegium seine Tür geschlossen.

Frei kann jeder Scholar ausgehen, und frei kann er zurückkommen, wann es ihm beliebt. Selbst die Türhüter haben frei gemacht, und die Küchenbediensteten besuchen liebe Freunde und Freundinnen in irgendeinem Winkel. Nur der kleine Schuhputzer mußte daheim bleiben, um Haus und Herd zu bewachen. Nachdem der nun gegripst hatte, was er Gutes zu essen und zu trinken erreichen konnte, sucht er sich eine behagliche Ecke, wo es sich weich und warm schlafen läßt. Und die Katze schleicht einsam im Refektorium und im Keller umher.

In den »zwei Schwanen« sitzt Otto zwischen gleichgekleideten Kameraden; der düstere Lombarde Carl, der rote Asger aus Lund und der gemessene Schotte und viele, viele andere sind da; lauter Quadruviales sind es.

Otto trinkt und singt mit den andern, aber er ist nicht so ganz dabei. Es ist alles so fern, als sähe er es durch einen Nebel. Wirklich und nahe ist nur das, was durch seine Seele wogt, denn sein Herz ist durch die Worte des Mönchs im höchsten Grad feierlich gestimmt.

Er ist erstaunt über das, was er erlebt hat, und er fühlt sich ganz sicher unter den Fittigen des großen Glücks, das Raimund ihm verkündigt hat. Er ist bei der höchsten Weisheit zu Gast gewesen. Die Hände des großen Mannes haben auf seinen Schultern geruht. Wenn sie es wüßten! – Aber er will nichts verraten. Wie merkwürdig, daß sie es ihm nicht ansehen!

Das ist wahr – das darf er nicht vergessen – es ist jetzt über Mitternacht und Zeit, daß er geht.

Ruhig steht er auf, als wolle er einen Augenblick hinausgehen. Nur des Lombarden sprechende Augen folgen ihm aufmerksam, als ahnten sie etwas hinter seinem stillen Tun.

Draußen liegt der Mondschein in langen Streifen hell auf den Häusern. Ganz am Ende der Straße steht der Clodwigsturm Wache.

Hat er wirklich vorhin dort oben gestanden neben dem großen Mann, der bis in den Himmel hineinragte?

So sicher – so frei und leicht arbeitet sich Otto die Straße entlang. Keck betrachtet er die gelbe falsche Mondscheibe. Sie kann ihm nichts tun. Und dort drüben sitzt der saure Saturn und starrt ihn böse an.

»Ja, starr du nur!« – In seinem schäumenden Übermut hätte Otto Lust, die Zunge herauszustrecken und die Faust gegen ihn zu ballen.

Nichts können sie ihm anhaben – die bösen Sterne; denn Jupiter hält Wache mit seinem großen Glück.

Alles böse Begehren hat er in dieser Nacht für immer aus seinem Herzen verjagt.

»Die Sterne leiten nur. Selbst trägst du das Schicksal in deinem Herzen und kannst darüber bestimmen, wenn du willst

Er wollte, und er hat den Sieg errungen.

So leicht und frei ist es, zu siegen.

»Hüte dich vor dem Montag!« Jawohl. Aber heute ist es Samstag.

»Hüte dich vor der Zahl sieben!« Eins – zwei – – sechs Fenster hat das neue Haus der Schotten dort links – vier Gucklöcher hat der Clodwigsturm dort – fünf Bäume stehen drüben hinter der Gartenmauer – keine sieben zu sehen – wohin er schaut.

Eine plötzliche Mattigkeit überfällt ihn. Es ist, als wollten ihn die Beine nicht mehr tragen, der Kopf legt sich zur Ruhe auf dem weißen Boden. Die Kälte steigt ihm in die Schläfe und in die Hände. Geistesabwesend steht er einen Augenblick da, bis das Blut wieder durch die Adern strömt.

So hat es ihn schon oft überkommen. Viele Stunden lang kann er ohne Schlaf und ohne Nahrung umhergehen, aber plötzlich überfällt ihn eine Müdigkeit, als müßte er sterben.

Er hat ja in der letzten Nacht kein Auge geschlossen; seit vierundzwanzig Stunden hat er nicht geschlafen. Und heute – von Stunde zu Stunde – ohne Aufenthalt – hat ihn das Leben rückhaltlos umfangen.

Aber was will das heißen – gesiegt hat er über sich selbst – über sein Herz! Und nun geht er heim zur nächtlichen Ruhe. Und außerdem – das große Glück wacht über ihm. Er ist einer der Auserwählten.

Er bleibt stehen, von einem Gedanken betroffen, der in demselben Moment, wo er aufgestiegen ist, wieder entflieht.

Was war das, was er sah?

Es war im Zusammenhang mit seiner Mutter – aber was es war, das in seinem Herzen flüsterte, ihn umwehte wie ein Hauch aus der Ferne – das kann er nicht verstehen – das kann er nicht mehr sehen.

Im Collegium Dacium steht die Tür weit offen. Nirgends ein Mensch; kein Licht. Aber der Mond schaut tief in die Stuben und Gänge herein.

In seiner Zelle ist es so hell wie beim ersten Morgengrauen.

Otto bleibt stehen.

Was wollte er nur –?

Nun erinnert er sich. Er sucht seinen Mantel; auf das Bett hat er ihn geworfen. Er sucht in der inneren Tasche. Nun hält er es in der Hand. Es ist weich und kalt, und ein schlimmer Geruch steigt davon auf.

Er nimmt das Messer, das am Fenster liegt, öffnet den Fisch und bohrt die Spitze der Klinge ins Weiche.

Die Sterne leiten nur. Selbst bestimmt man sein Schicksal, wenn man will.

Er hat gewollt, und er hat gesiegt. Ganz sicher ist er des Siegs!

Er schneidet ihn, die ganze Länge des Bauchs entlang, auf, und in dem hellen Mondschein sucht er Leber und Herz mit dem Messer. Sie gleiten ihm aus den Fingern mit dem nassen Schleim und kleben am Fleisch, aber er faßt sie doch und hält sie in der Hand. Dann wirft er das andere zum offenstehenden Fenster hinaus und trocknet seine Hände ab.

Siegen – ganz sicher ist der Sieg, wenn man will.

Wie ein Nachtwandler geht er durch den Zellengang zum Refektorium, geht durch dieses hindurch und in die Küche hinunter. Nichts Lebendiges begegnet ihm. Auf dem Herd sucht er in der Asche, bis er noch ein paar glühende Kohlen findet.

Und während sein Herz noch von Erhabenheit und Siegessicherheit erfüllt ist, bratet er die Leber und das Herz des Fisches auf der Glut, die er zu heller Röte angeblasen hat.

Wie ein Nachtwandler geht er den Weg wieder zurück, den er gekommen ist. Dann öffnet er die Tür seiner Zelle und tritt in den Garten, wo die Bäume ihre unzähligen gefiederten Blätter im Mondschein ausstrecken.

Bei dem Regenwasserfaß klettert er über die Mauer, hält einen Augenblick im Klostergarten inne und heftet den Blick auf Bruder Galfreds Zelle.

Soll er hineingehen?

Nein. Galfred schläft – und außerdem – er hat ja jetzt keine Zeit.

Aber es ist, als stehe eine dunkle Gestalt hinter der Scheibe und schaue mit betrübten Augen im Mondschein nach ihm aus.

Er geht durch die Gärten; diesen Weg ist er schon früher gegangen.

Da liegen die kleinen Häuser und wenden dem Licht den Rücken zu. Er springt über den Bach, der sich durch die Gärten zieht und deren Grenzen bildet. Nun ist er da.

Dort die schmale Tür und das kleine Fenster links wie ein blindes Auge –

Er ist ganz ruhig – feierlich und sicher ist ihm zu Mut unter seinem großen Glück. Aber während er mit den Knöcheln an die Tür klopft und der Ton sein Ohr erreicht, ist es ihm, als zerreiße ein Nebelschleier vor seinen Augen. Wie ein plötzliches Erwachen ist es, und er sieht, daß er bis jetzt im Schlaf gewandelt ist. Jetzt – erst jetzt – werden der Garten und das Haus und die Tür und das Licht zur Wirklichkeit in seinem Bewußtsein. Und diese Wirklichkeit drückt ihn zu Boden wie eine schwere, drohende Unglückshand.

Was ist doch das – wie kam er hierher?

Trotz des Siegs – und trotz des großen Glücks!

Er will fliehen, kann aber nicht. Der Fuß ist ihm wie an die Schwelle angenagelt. Er will den Kopf heben, dem entgegen, das über ihn fällt, aber er kann nicht.

Hastige, leichte Schritte lassen sich drinnen hören. Ein Griff nach der Klinke; die Tür wird geöffnet und da in der Wirklichkeit des Hauses, des Lichts und der Nacht – starren die schwarzen Augen über dem weißen Hals. Und das Haar – aber es ist nicht golden, wie er glaubte – es ist lang und weich und braun – ja beinahe schwarz.

Da steht sie mit nackten weißen Armen, das Hemd ist herabgeglitten und wird nur von der Wölbung der Brust getragen. Ihr Hals ist schlank und mager und blendend weiß; aber wo sich das Hemd über die Brust legt, bildet es eine runde – ach so runde und tiefe Falte!

Sie neigt ihm den Kopf entgegen, wie eine Blume auf ihrem Stengel sich dem Tau entgegenneigt. Ihre Augen mit dem geheimnisvollen Dunkel weiten sich, und ihre roten Lippen wölben sich ihm entgegen. Und ihre junge, zarte Brust quillt ihm entgegen – ihm, den ihre Nächte herbeigerufen haben.

»Ich will nicht – ich will nicht!« – klopft das Blut wild in seinen Adern gegen den Zauber in ihren Augen.

Die Sterne leiten nur; selbst bestimmt –

»Ich will nicht – ich will nicht!«

Der Sieg – das große Glück –

Er will die Hand ausstrecken, um die Tür zuzuziehen. Aber die Hand will nicht gehorchen.

Sie sieht seinen Widerwillen. Da läßt sie die Klinke los. Ihre heißen Finger erfassen seine linke Hand, die herabhängt. Sie zieht ihn an sich mit ihrem nackten Arm und mit ihren merkwürdigen Augen, wo es so tief, tief drinnen flammt, daß man das Feuer nicht sehen, sondern nur ahnen kann.

Während ihre Lippen sich ihm entgegenöffnen und ihre Augen größer und voller ihm entgegenquellen, sinkt sie zu seinen Füßen nieder, schlingt ihre Arme um seine Lenden und drückt ihre Brust an ihn, so daß er deren Wölbung an seinen Beinen fühlt.

In der niederen Kammer steht das Bett im Hintergrund an der Wand links; das Bettuch liegt mondhell da mit scharfen schattenwerfenden Falten von dem Körper, der es so jäh verlassen hat, und die Wärme ihres Körpers, die zurückgeblieben ist, steigt wie ein feiner Qualm im Mondlicht auf.

Otto drückt die Tür hinter sich zu. Das Blut braust ihm wie ein breiter Strom vom Scheitel bis zur Sohle. Er richtet sie auf und hält sie in den Armen vor sich hin.

Ihr Kopf senkt sich unter der Schwere des Blicks. Diese Augen sehen nicht; sie reißen ihn hin, sie saugen ihn in ihre dunkle Tiefe hinein.

»Endlich!« flüstert sie feierlich, als betete sie ein Dankgebet. »Nacht für Nacht habe ich meine Arme nach dir ausgestreckt – dich mit Namen gerufen – meine Lippen auf die deinigen gedrückt. Hattest du es früher nie gefühlt? – Ich sah dich heute morgen in aller Frühe – hinter dem Fensterladen sah ich dich. Du hattest wohl auch nicht geschlafen – die ganze lange heiße Nacht?«

Langsam hebt sie den Kopf, während die Lider schwer über die Augen fallen; und als erinnerte sie sich an eine fürchterliche Qual, ziehen die Lippen sich schmerzlich zusammen zu Worten, die wie ein Seufzer klingen:

»Warum kamst du nicht früher!«

Dann öffnen sie sich wieder zum Lächeln, wie ein Blumenkelch den Tau sucht. Und ihre Augen beginnen plötzlich zu strahlen – in Demut und Flehen – in Stolz und Sieg.

Die runden Brüste wogen ihm weiß entgegen unter ihren Atemzügen, und der Mondschein spielt zwischen ihnen, als striche eine Hand liebkosend über die samtweiche Haut.

Er denkt an alle die Küsse, die diesen weißen, zarten Hals befleckt haben, und er sagt, wie in Gedanken:

»Du hast mit vielen gebuhlt.«

Sie nickt.

»Vieler Hände haben mich berührt – ihre Lippen haben meine Haut gestreift. Und ich habe ihr Geld und ihre Kraft genommen – ich habe ihr Blut fließen sehen – ihr warmes Blut habe ich um meinetwillen aufquellen sehen. Herrlich war es zu schauen – zu wissen, daß es um meinetwillen geschah. Aber geliebt habe ich sie nicht. Ihren Willen haben sie nicht bekommen. Meinen Schoß hat keiner zur Glut entfacht, als du allein. Warum doch kamst du nicht früher?«

»Asmodäus!« haucht ihr Otto leise entgegen.

Sie läßt den Kopf tief auf die Brust sinken, und die Augenlider fallen ihr zu.

»Asmodäus!« sagt er noch einmal. Aus seinem Herzen wallt das Blut zornig in seine Hände, und er stößt sie von sich in die Stube hinein.

Sie streckt die Hand aus, um sich zu halten, gleitet neben dem Bett zu Boden, und als verlöre sie jeden Halt im Rücken, sinkt sie über ihrem Schoß zusammen.

»Asmodäus?« fragt er zum drittenmal.

Da schaut sie auf – langsam erhebt sie den Blick zu ihm; und im Mondlicht glänzen zwei klare, schwere Perlen in ihren Augen.

»Bist du darum nicht früher gekommen?«

Er nickt.

Sie zittert vor Kälte. Ihre Hände gleiten glättend und suchend über die starken Falten des Bettuchs.

Dann – plötzlich – richtet sie sich auf und streckt die Hände nach seinem Hals aus.

»Rette mich! Nur du kannst mich retten. Ehe ich dich sah, wußte ich nicht, was Sehnsucht war – wußte nichts von ihrem Schmerz. Hier habe ich in Qual auf meinem Lager gelegen. Und wenn es brannte, als stünde mein Blut in Flammen, und mir die Sinne ganz vergingen – dann kamst du nicht – nicht du, den ich rief – aber er, der Böse, den sie mit dem Namen nennen, den du aussprachst – er schlug seine Krallen um mich und nahm meinen Willen gefangen. Krank hat er mich gemacht. Er hat mein monatliches Blut aufgehalten, so daß mein Leib nicht Ruhe mehr hat, weder bei Tag noch bei Nacht.«

Verzweifelt starren ihre Augen ihn an. Und plötzlich blinken sie nach der Wand, wie die eines geängstigten Tieres – und ihr Gesicht hebt sich in bebender Angst, ob sich nicht dort jemand rühre und ihre Klage höre. Und ihr Mund verzieht sich schmerzlich, als fühle sie schon die Krallen an ihrem Körper.

Der Zorn wallt aus Ottos Herzen in alle Adern – Zorn und Begehren züngeln ineinander, so daß er nicht aus noch ein weiß.

Soll er sie schlagen? Den weißen Körper mit seinen heißen Händen schlagen – oder soll er ihn an sich reißen und sich blindlings in ihre Gewalt geben?

Sie sieht seinen Zorn, und ihr Körper entzündet sich an dem Strom seines Begehrens, der in seinem Atem ihrer Brust entgegenwallt. Sie wirft sich zurück auf das zerknitterte Bettuch. Das Hemd reißt sie sich vom Leibe in einem einzigen langen Riß.

»Schlage mich!« fleht sie. »Schlage mich!« droht sie und streckt alle Glieder von sich.

Ihr Körper krümmt sich im Mondschein unter seinem Blick, wie sich der Salamander im Sonnenschein krümmte, damals in seiner Kinderzeit. Und ihre beiden Nasenflügel, die hoch an der kleinen Nase sitzen und der Luft entgegenzittern, wie die eines Rehs in der Brunst – und der Mund, der sich mit heißem Atemzug ihm öffnet – und die großen dunklen Knospen dort auf ihrer Brust – alle starren sie ihn an, wie die braunen Punkte auf dem Salamander, damals in seiner Kinderzeit.

Es wird ihm rot vor den Augen – alles bebt an seinem Körper – er will sich entzünden lassen von dem, was ihn zieht und erhitzt – da gewahren seine Augen die Zahl der dunklen Punkte, die ihm entgegenstarren – die Augen, die Nasenlöcher, der Mund und die dunklen Knospen auf der Brust – sieben braune Punkte. –

Sieben – sieben – die böse Zahl!

Er erinnert sich an Raimunds warnende Worte – er erinnert sich an die Rede des Lombarden von dem Flamländer und den andern, die Asmodäus' abscheuliche Krallen erstickt haben. Nun fühlt er das, was er in seiner linken Hand zusammengepreßt hält – die Leber und das Herz, und der Engel Gabriel sagte zu Tobias –

Ist er anwesend – unsichtbar hier in der Stube?

Wird er von dieser offenen, glühenden Umarmung, die ihm hier im Mondlicht entgegenstrebt, hingerissen?

Es ist Otto, als fühle er schon den Hauch des giftigen Atems in seinem Nacken. Da wirft er sich heftig zurück.

»Komm – komm!« ruft sie. Flehend streckt sie die Arme nach ihm aus und krümmt sich im Krampf vor seinen Augen da in dem weißen Licht.

Dann zieht sie sich plötzlich zusammen und starrt mit offenen, wilden Augen hinüber – nach dem Schatten – nach Ottos Schatten, den der Mond auf die kahle Wand wirft. Sie schlägt in die Luft mit zitternden Händen.

»Asmodi – Asmodi!« seufzt sie dann, verzweiflungsvoll bittend.

Und sie schreit und stöhnt, seufzt und weint.

»Sie brennen mich – sie brennen mich – die Flammen um meinen Hals. – Deine Krallen zerfleischen mir den Rücken!«

Ihr Gesicht verzerrt sich. Die Augen stehen starr in ihren Höhlen und sind nach innen gedreht. Der Mund ist aufgesperrt, so daß man alle ihre weißen Zähne sieht. Röchelnde, knurrende und zischende Laute wie von wilden Tieren dringen aus ihrer Kehle. Die Zunge hängt dick und geschwollen zwischen den Zähnen, und weißer Schaum steht um die herabgezogenen Mundwinkel.

Es klang, als riefe sie nun seinen Namen in unsäglichem Schmerz.

Ottos Glieder werden schwer wie Blei. Dennoch erreicht er sie mit der Leber und dem Herz in der Hand. Seine Finger erstarren vor Schreck. Der kalte Schweiß auf seiner Stirn rollt ihm in die Augenbrauen.

Als er sich über ihr Lager beugt, sieht er, daß ihr der weiße Hals zum Ersticken angeschwollen ist – und der Leib ist aufgelaufen wie eine mit Luft gefüllte Blase.

Alles schwankt und zittert vor seinen Augen. Das Bett erhebt sich vor seinen Blicken und schwebt frei in der Luft. Die Wände schwanken ihm entgegen, und die Zimmerdecke droht herabzufallen.

Mit seiner letzten Kraft legt er die Leber und das Herz unter ihre linke Brust.

Es wird ihm schwarz vor den Augen. Er streckt die Arme aus, um die fallende Mauer zu halten. Dann weiß er nichts mehr.

*

Das hohe Zimmer mit dem großen Bett.

Auf dem Bett seine Mutter.

Der König liegt davor, den Kopf in die Decke ihrer Füße vergraben, sein breiter Rücken erbebt unter lautem Schluchzen.

Sie richtet sich mühselig auf und schaut ihn gerade an – durch die Wände und die Decke hindurch über Meer und Land; ihre braunen Augen sind so groß und so klar und so tief geworden, und ihr Gesicht ist weiß wie die Wand, während sie ihn anschaut.

So betrübt sind ihre Augen, daß ihr große Tränen leise über die Wangen hinabrollen.

»Otto – nun sterbe ich!«

Erik und Waldemar stehen am Kopfende mit gefaltenen Händen. Tränen strömen ihnen über die Wangen herab in das lange Haar, das ihnen von den Ohren hereinfällt.

»Otto – Otto – Jesus Christus behüte dich!«

Und sie sinkt hin in die dunkle, dunkle Nacht.

*

Nun geht es übers Wasser.

Der Mond scheint auf das Segel. Das Boot schwankt – und es schaukelt ihn – und er liegt mit dem Kopf auf einer Rudergabel, die Beine unter die Bank gepreßt.

Das Meer wogt und schwankt in hohem Seegang.

Nun – endlich findet er Ruhe und Frieden – und er liegt in seinem Bett.

Der böse Geist, dessen Gesicht er vor lauter Nebel nicht unterscheiden kann, steht über ihn gebeugt da. Er hält etwas Großes und Schweres in seinen Armen in die Höhe und läßt es ihm auf die Brust fallen. Es drückt ihn, als wollte es ihn ersticken.

Da stemmt er mit aller Kraft die Arme dagegen. Er drückt die Last weg, und der Böse weicht einen Augenblick zurück. Er ist wie vom Schlag getroffen. Aber er gibt nicht nach. Wieder kommt er, doch nicht so nahe wie vorher. Und nun speit er ihm aus seinem scheußlichen Mund ins Gesicht und auf die Brust. Es brennt ihn wie Feuerflammen. Er wird von einer unendlichen Müdigkeit überwältigt. Er kann sich nicht länger wehren, und er gibt den Kampf auf.

Nichts hilft mehr. Still – ganz still will er liegen und das Böse hinnehmen, bis der Böse ihn für tot hält.

Ach, schlafen – endlich schlafen – schlafen ist köstlich und süß!

*

»In principio erat verbum In principio erat verbum: Im Anfang war das Wort. – –«

Bruder Galfreds Stimme ist es, die an sein Ohr dringt – aus der Ferne und doch ganz nahe.

»Miserere mei deus Miserere mei deus: Erbarm dich meiner, o Gott! – –«

Es ist Bruder Galfreds Stimme, die betet. Es sind seine gefalteten Hände, die sich durch den dichten Nebel vor seinem Blick erheben. Das Tageslicht strahlt durchs Fenster in seine Zelle herein.

Nun träufelt Bruder Galfred Wasser aus einem Gefäß in seine Hand und besprengt ihm das Gesicht und die Brust.

Plötzlich lichtet sich der Nebel um Ottos Augen. Er wendet den Kopf. Das Tageslicht strahlt zu ihm herein.

Was will nur Galfred hier in seiner Zelle – zu dieser frühen Stunde?

Die Augen des Alten werden größer und größer, während er sich niederbeugt und lauschend das Ohr an Ottos Brust legt.

»Bruder Galfred!« sagt Otto.

»Gelobt sei Jesus Christ!« ruft der weiche Mund unter dem struppigen Bart. Tränen stürzen Galfred aus den Augen, er wirft sich auf die Knie nieder, streckt die gefalteten Hände empor und betet mit lauter, bebender Stimme, die von unaufhaltsamem Schluchzen unterbrochen wird.

»Te deum laudamus,« betet er – »te dominum confitemur!« Dich, o Gott, loben wir – dich Herr bekennen wir. Und mitten im Dankgebet sieht er den strahlenden Friedensglanz in Ottos Augen und sagt:

»Betet mit, betet mit!«

Lange beten sie zusammen. Und nachdem Galfred das Gebet geendigt hat, erzählt er, wie er Otto von seinem Fenster aus in der Mondnacht durch die Gärten gehen sah und wie sein Herz Fürchterliches geahnt habe – wie er ihn in der Gewalt des Bösen gefunden, während die Dirne im tiefsten Schlafe lag, so daß er sie nicht aufzuwecken vermochte.

Er erzählt, wie er und der Lombarde Carl, den er von der Straße hereinrief, gerade als er mit den beiden andern aus den »zwei Schwanen« kam – ihn durch die Gärten getragen hätten – der eine habe den Kopf, der andere die Beine gefaßt. Er sei fast nicht zu halten gewesen, denn der Böse habe durch seinen Körper um sich geschlagen und sich gekrümmt.

Aber was der Böse durch und aus Ottos besessenem Körper geredet hat – das will Bruder Galfred nicht sagen. Er wagt es nicht, die Worte in seinen Mund zu nehmen.

»Deine Wange ist geschwollen, und du hast auch ein blaues Auge?« sagt Otto.

»Das tat der Böse, als er mich mit Euren Fäusten ins Gesicht schlug.«

Nun wird sich Otto bewußt, wo er war, als die Erinnerung ihn verließ und er nichts mehr von sich wußte.

Eine unsägliche Freude vermischt sich mit der Angst in seinem Herzen.

»Ich habe sie gerettet. Der böse Geist fuhr aus von ihr und in mich hinein, als sie Heilung fand. Und nun hat Bruder Galfred ihn wieder von mir ausgetrieben. Mit Gebet und Anrufung und mit der Bibel, die hier auf dem Boden liegt, und mit dem Weihwasser hat er den Dämon für immer ausgetrieben.«

»Sara,« flüstert es in ihm, »Sara. Ich komme. Heute abend komme ich und nehme dich, nun, da du gerettet bist!«

Da liest Galfred in dem Glanz seiner Augen die sündigen Gedanken. Er fühlt und versteht alles, was geschehen ist; und es graut ihm davor, wie schwach es noch ist, das junge Fleisch.

»Bleibt bei mir, Otto!« bittet er und drückt dessen Hand in seinen beiden groben, plumpen Händen.

»Entsage der Welt,« fleht er, »wie ich ihr entsagt habe und das Glück gefunden. Nimm dein Kreuz auf dich, Otto, und bleibe bei mir! Miteinander wollen wir Gottes ewige Weisheit, die allein strahlt, erforschen. Denn die Weisheit der Welt ist eine Torheit vor Gott, und die Weisheit des Fleisches ist der Tod.«

Otto lächelt zum erstenmal und schüttelt den Kopf, der ihm noch schwer und matt ist.

»Ich bin noch so jung – habe nichts erprobt – nichts erlebt.«

Der Mönch versteht, daß sein Flehen umsonst ist.

Lange sieht er ihn an, mit seinen milden, alten, traurigen Augen. Dann nickt er langsam, als wolle er sagen:

»Du wirst schon kommen – einmal kommst du auf den einen rechten Weg – aber dann bin ich wohl tot.«

Und als suche er ihm etwas Gutes und Großes mitzugeben ins Leben, auf die schwere, schwere Wanderung – etwas Heilendes, etwas Beschützendes – gehen seine Augen suchend umher.

Ein heller Schein zieht über sein Gesicht. Seine Augen strahlen – in opferwilliger Freude strahlen sie, und in Liebe zu dem jungen, schwachen Gefäß aus königlichem Blut.

Unter seiner Kutte zieht er zwei Stücke Tuch hervor – grau und unscheinbar anzusehen. Er hat sie über den Schultern getragen, so daß sie sich auf seinem Rücken und seiner Brust kreuzten.

»Nimm!« sagt er feierlich, »es ist ein Skapulier – vom Ordensgeneral selbst geweiht. Die Jungfrau Maria gab sie unserem Obersten Simon Stock in einer Offenbarung. ›Nimm sie,‹ sagte sie, ›denn wer sie in meinem Namen trägt, dessen Seele werde ich in seiner Todesstunde aus den Flammen des Fegfeuers heben und sie, durch mich allein gereinigt, zu meinem Sohn hinauftragen, der zur Rechten Gottes des Vaters sitzet!‹ Und Simon Stock ließ mehrere solcher Skapuliere anfertigen, und er bekam die Macht, sie zu weihen. Und nun werden sie von vielen unseres Ordens getragen.«

Bruder Galfred wendet sich ab, um seine Rührung zu verbergen. Er nimmt die schwere Bibel vom Boden auf, aber das Weihwasser läßt er stehen. Wer weiß – vielleicht kann sein Duft alle bösen Gedanken vertreiben, die in der Luft umherschwirren und sündiges Begehren erwecken.

Dann verläßt er hastig, ohne zurückzusehen, Ottos Zelle.


 << zurück weiter >>