Clemens Brentano
Godwi
Clemens Brentano

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Zwei und dreißigstes Kapitel.

Godwi stand nun in der Mitte der Stube, und wußte nicht, wie ihm geschehen, er sah gar kein Licht, die Fenster schienen verschlossen zu seyn. Um sich nur ein wenig zu orientiren, tappte er an den Wänden herum, und was er fühlte, waren abentheuerliche Schränke mit einer Menge Säulen, dazwischen Teller und Porcellain-Figuren.

Er verfolgte seine Entdeckungsreise rechts an der Wand herum, und stieß auf eine Gipsstatue: das war ihm nun schon interessanter, seine Hand gleitete leis auf und nieder, und er verweilte hie und da mit mehr Antheil, er konnte auch kein Stückchen Gewand entdecken, und fand, daß es eine Venus sey.

Es that ihm Leid, daß er sie nicht ganz zugleich auffassen konnte, um den reinen Kunsteindruck zu haben, aber sie war nur zu fühlen, und es ging ihm, wie gewissen Kunstforschern, die das Gefühl der Antike in den Fingern haben, und um sich die Vortrefflichkeit der Formen einzuprägen, vom Nacken mit der Hand niedergleiten, am Hintern aber etwas modern werden, und einige freundliche Schläge mit Schalkheit drauf fallen lassen. –

Er verspätete sich allerdings etwas bey der Venus, und hätte er nicht etwas leise rauschen hören, so würde er über ihr Alles vergessen haben, außer was er vermißte, daß sie lebendig sey. –

Unruhig tappte er weiter, und berührte einen seidnen Bettvorhang: da er den Stuhl, der vor dem Bette stand untersuchte, fand er weibliche Kleider, ein gestricktes kurzes Röckchen, und ein gestricktes Jäckchen, seidne Strümpfe: unter das Bett faßte er mechanisch, und faßte ein paar niedliche Schuhe.

Als er den Bettvorhang zurückzog, hörte er athmen, das setzte ihn in keine geringe Verlegenheit, und da er untersuchen wollte, wer es sey, knurrte ein Hund, und machte große feurige Augen. Er wollte nun nach dem Fenster hin, um die Laden aufzustoßen, sein Fuß berührte etwas tönendes, er faßte nieder, es war eine Guitarre, die am Stuhle lehnte, er klimperte darauf, aber das Athmen neben ihm ward nun doppelt, er schritt etwas vorwärts und fand, daß irgend ein Ausgang seyn müsse, denn es herrschte ein Luftzug.

Da er drauf los ging mit den Händen, wie mit Fühlhörnern durch die dicke Finsterniß, fuhr er heftig zusammen, seine Finger berührten einen Menschen, er zog die Finger zurück, und bald waren sie wieder vorwärts; er gleitete über kühlen festen Armen aufwärts, zu einem sehr schmalen Aermel, eilte über diese Brücke, und es zitterte unter seinen Fingern, lachte und floh, er wollte nach dem Luftzug, da schlug eine Thüre zu, die ihm dicht an der Nase vorbey flog.

Er ging nun unwillig quer durch die Stube, rannte einen Tisch mit Gläsern um, und trat bald in einen erhobenen Erker, öffnete die Fensterladen, und sah glühend in die kühle Nacht hinein. Sein Herz pochte heftig, er war ungeduldig, und immer fühlte er nur noch seine Fingerspitzen.

Da stand er nun in einem dunklen Vorgrund zu dem hellen Gemälde, aber war dies Liebchens Fenster?

Es rauschte der breite Rhein nur noch als Musik aus der Ferne, aus den Dörfern und dem naheliegenden Städtchen klangen die lustigen Walzermelodien, unordentlich doch gleich taumelnd und kreisend zusammen. Der süße Mostgeruch drang unter seinem Fenster von dem Weinberge herauf, der nahe Wald säuselte, und in der herrlichen trunknen Landschaft schossen jauchzend Schwärmer und Raketen in die Höhe, und zerplatzten noch fröhlich im Tode – aber Godwi konnte seinen bösen Muth nicht bezwingen. Es war ihm wie einem alten Popanz aus den Kindermährchen, der Menschen gewittert hatte.

Nun wendete er sich von dem Fenster, um zu versuchen, ob er nicht eine Klingel in der Stube finden könnte, einigen Lärm zu machen; auch erinnerte er sich der Gläser, die er umgeworfen hatte, und endlich war er entschlossen, zu Bette zu gehen, wenn sich nicht bald jemand sehen ließe: als er aber die Stufe des Erkers herabsteigen wollte, faßten ihn zarte Hände, und zogen ihn auf einen kleinen Sopha, der an der einen Seite des Erkers angebracht war. –

So weit hat mir heute Godwi erzählt.

Es ist mir traurig zu Muthe, ich muß die Begebenheiten der überfließenden Gesundheit in Mensch und Natur beschreiben, und mir löst sich dieser Gegensatz immer mehr; ich schreibe mechanisch nieder, um meine Begräbnißkosten herauszubringen. –

Lieber Leser, wenn Du wüßtest, wie traurig das ist, singen, fröhliche Lieder singen, und kaum die Lippe, viel weniger das Herz rühren zu können.

Während ich beschreibe, wie Godwi den herrlichen Rheinwein trank, muß ich große Arzneigläser leeren, und reicht mir Freund Haber Gerstenschleim.

Wenn ich schreibe, wie er in der dunklen Stube an der Venus den Kunsteindruck nur einzeln hatte, habe ich den Eindruck der häßlichen Wirklichkeit an einer alten Wärterin ganz; – wenn er am seidnen Bettvorhang rauscht, und die freundlichen Kleidungsstücke mustert, sehe ich traurig über die Blumen der kattunenen Bettdecke, – für seine Empfindung, wie ihn der Hund mit glühenden Augen knurrend ansah, habe ich wohl noch einiges Mitgefühl in schweren Träumen, wenn mich das Alp drückt; aber ich stoße erwachend nicht an eine tönende Guitarre, wider den Boden des trägen Bettes stößt mein Fuß, meine Hände klimpern nicht auf den Saiten, sie spielen auf der Bettdecke hin, und Haber sieht die alte Wärterin bedächtlich an, weil dieses kein gutes Zeichen seyn soll.

Wo Godwi den süßen Schrecken hatte, und seine Finger über den zitternden warmen Busen hingleiteten, macht man mir schwerfällige Umschläge auf die Brust – wenn ich aus dem Bett spränge, würde ich nicht volle Weinflaschen mit dem freundlichen Tischchen umwerfen, leere Arzneigläser auf dem traurigen Nachttische würde mein schwankender Tritt erschüttern.

O! öffnet mir die Vorhänge, öffnet mir die Fenster, daß ich die grünen Bäume sehe, die kühle Luft herein wehe, daß mein Auge sich an dem hohen Himmel ergötze. – Aber mir wird nicht besser, die Krankheit ziehet mich mit kalten Armen auf die Kissen nieder.

Die lustigen Musikanten.

                  Da sind wir Musikanten wieder,
Die nächtlich durch die Straßen ziehn,
Von unsren Pfeifen lust'ge Lieder,
Wie Blitze durch das Dunkel fliehn.
        Es brauset und sauset
        Das Tambourin,
        Es prasseln und rasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern
        Von tönenden Schimmern,
        Um Kling und um Klang,
        Um Sing und um Sang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud und mit Schmerz.

Die Fenster gerne sich erhellen,
Und brennend fällt uns mancher Preis,
Wenn wir uns still zusammen stellen
Zum frohen Werke in den Kreis.
        Es brauset und sauset
        Das Tambourin,
        Es prasseln und rasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern
        Von tönenden Schimmern,
        Um Kling und um Klang,
        Um Sing und um Sang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud und mit Schmerz.

An unsern herzlich frohen Weisen
Hat nimmer Alt und Jung genug,
Wir wissen alle hinzureißen
In unsrer Töne Zauberzug.
        Es brauset und sauset
        Das Tambourin,
        Es rasseln und prasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern
        Von tönenden Schimmern,
        Um Kling und um Klang,
        Um Sing und um Sang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud und mit Schmerz.

Schlug zwölfmal schon des Thurmes Hammer,
So stehen wir vor Liebchens Haus,
Aus ihrem Bettchen in der Kammer
Schleicht sie, und lauscht zum Fenster raus.
        Es brauset und sauset
        Das Tambourin,
        Es rasseln und prasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern,
        Von tönenden Schimmern,
        Um Kling und um Klang,
        Um Sing und um Sang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud und mit Schmerz.

Wenn in des goldnen Bettes Kissen,
Sich küssen Bräutigam und Braut
Und glauben's ganz allein zu wissen,
Macht bald es unser Singen laut.
        Es sauset und brauset
        Das Tambourin,
        Es prasseln und rasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern
        Von tönenden Schimmern,
        Um Kling und um Klang,
        Um Sing und um Sang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud und mit Schmerz.

Bey stiller Liebe lautem Feste
Erquicken wir der Menschen Ohr,
Denn holde Mädchen, trunkne Gäste
Verehren unser klingend Chor.
        Es brauset und sauset
        Das Tambourin,
        Es rasseln und prasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern
        Von tönenden Schimmern,
        Um Kling und um Klang,
        Um Sing und um Sang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud' und mit Schmerz.

Doch sind wir gleich den Nachtigallen,
Sie singen nur bey Nacht ihr Lied,
Bey uns kann es nur lustig schallen,
Wenn uns kein menschlich Auge sieht.
        Es brauset und sauset
        Das Tambourin,
        Es rasseln und prasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern
        Von tönenden Schimmern,
        Um Kling und um Klang,
        Um Sing und um Sang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud' und mit Schmerz.

Die Tochter.
Ich habe meinen Freund verloren,
Und meinen Vater schoß man todt,
Mein Sang ergötzet eure Ohren,
Und schweigend wein' ich auf mein Brod.
        Es brauset und sauset
        Das Tambourin,
        Es rasseln und prasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern
        Von tönenden Schimmern,
        Um Sing und um Sang,
        Um Kling und um Klang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud und mit Schmerz.
Die Mutter.
Ist's Nacht? ist's Tag? ich kann's nicht sagen,
Am Stabe führet mich mein Kind,
Die hellen Becken muß ich schlagen
Und ward von vielem Weinen blind.
        Es sauset und brauset
        Das Tambourin,
        Es rasseln und prasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern
        Von tönenden Schimmern,
        Um Sing und um Sang,
        Um Kling und um Klang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud und mit Schmerz.
Die beiden Brüder.
Ich muß die lustgen Triller greifen,
Und Fieber bebt durch Mark und Bein,
Euch muß ich frohe Weisen pfeifen,
Und möchte gern begraben seyn.
        Es sauset und brauset
        Das Tambourin,
        Es rasseln und prasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern
        Von tönenden Schimmern,
        Um Kling und um Klang,
        Um Sing und um Sang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud und mit Schmerz.
Der Knabe.
Ich habe früh das Bein gebrochen,
Die Schwester trägt mich auf dem Arm,
Aufs Tambourin muß rasch ich pochen –
Sind wir nicht froh? daß Gott erbarm!
        Es brauset und sauset
        Das Tambourin,
        Es rasseln und prasseln
        Die Schellen drinn;
        Die Becken hell flimmern
        Von tönenden Schimmern,
        Um Kling und um Klang,
        Um Sing und um Sang
        Schweifen die Pfeifen, und greifen
        Ans Herz,
        Mit Freud und mit Schmerz.

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