Clemens Brentano
Godwi
Clemens Brentano

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Fragmentarische Fortsetzung

dieses Romans

während der letzten Krankheit des Verfassers,
theils von ihm selbst, theils von seinem
Freunde.

Georg, der Bediente Godwis, ist vorgestern gestorben. Als man ihn begrub, wo seine früher verstorbene Braut ruht, war es mir sehr traurig, ich konnte nur wünschen, auch da zu schlafen. – Warum man dieses wünschen kann, weiß kein Mensch. Meine Freunde sind wie Engel an meinem Lager, und sprechen mir freundlich Trost zu.

Godwi hat mir heute Manches von seiner Reise an den Rhein erzählt, was ich nieder geschrieben habe, so gut es meine Krankheit erlaubt.

Godwi reiste mit frohem Muthe nach dem Rhein, trank mit den fröhlichen Weinlesern, und küßte die schönen lustigen Mädchen, wenn er mit ihnen getanzt hatte. Es war ein herrliches Leben, eine einzelne Liebe war nicht möglich, der Mensch konnte sich nicht zum einzelnen Menschen neigen, es war Alles wie in einer goldnen Zeit, man liebte Alles und ward von Allem geliebt. – Die Berge waren nicht zu hoch, und die Thäler nicht zu tief, und der Rhein nicht zu breit, die Freude und Gesundheit ebnete und einigte Alles zu einem mannichfaltigen Tummelplatze glücklicher Menschen. In einer Abtei, die er besuchte, fand er recht lustige Mönche, die ihn gern unter sich behalten hätten, denn er trank mit ihnen herzlich, und sang ihnen muntre italienische Arien zur Orgel.

Bald aber drängte sich ihm Alles zusammen. Er ritt auf einem Streifzuge durch das freudige Land Abends durch die Weinberge, rings schallten die Gesänge der zurückkehrenden Arbeiter, aus den Gärten brannten Feuerwerke in die Höhe, und jauchzende Stimmen tönten von allen Seiten. Alle Herzen waren erschlossen und hingegeben, aber er entbehrte doch einen Standpunkt, von dem er das alles hätte übersehen können. Er wünschte sich einen dunkeln vertraulichen Vorgrund zu dem freien hellen Gemälde, und eilte aus einem Zirkel in den andern.

Wie konnte er ein solches Bedürfniß nur auch in andern voraussetzen unter diesen unbefangnen Menschen, die das Fest des fröhlichen Gottes versammelt hatte, sie lebten ja nur im Herbste, und waren zu dieser Freude aus dem ganzen Lande zusammen gezogen, und was wollte er dann, warum lachte und scherzte er, und ging dann finster weg, konnte er nicht genug haben, wo alle Ueberfluß fanden?

Das sind ganz öffentliche Fragen; er aber sehnte sich nach Heimlichkeiten, er wünschte alle die Freude aus Liebchens Fenster zu sehen, und still vor sich hinzudenken: mein Herbst klingt nicht, und singt nicht, aber ich gebe ihn nicht um den eurigen.

Er hätte zwar sehr leicht ein Liebchen finden können, aber er wollte kein sehr leichtes, und hätte er sich Mühe gegeben, er wäre auch zu gediegneren Verbindungen gelangt, aber er fürchtete die Dauer.

Genießen wollte er, und wie gern war es ihm zu verzeihen, der so lange in traurigen Familien-Geschichten verstrickt war. Mit Bequemlichkeit wollte er genießen, das Leben oben auf dem Berge hatte ihn mit Bedürfnissen bereichert.

Otilien und den Greis und Kordelien, und Gott weiß, wie die verschrobenen edlen Seelen alle hießen, vergaß er gleich bey dem zweiten Becher Wein, bey dem dritten schwor er, nie ihre Gesundheit zu trinken, und dem vierten, sich selbst zu bewegen, und nun einmal ohne alle Barmherzigkeit zu leben.

Da er so Abends am Rheine hinab ritt, gesellte sich noch ein Reiter zu ihm. Es dämmerte schon, er konnte ihn nicht erkennen; doch bemerkte er an dem Tone, mit dem er ihn grüßte, daß es ein sehr junger Mensch seyn müsse.

Man fragte sich, wo der Weg hingehe, Godwi sagte recht aufrichtig:

Mein Weg geht schnurstracks irgend wohin, wo ich Vergnügen zu finden denke. –

Vergnügen? was nennen Sie so, wollen Sie etwa auf dem nächsten Dorfe mit ein paar Bäßchen irgend eines Weinhändlers Lotto spielen, oder sich von einem konservirten Mainzer Officianten alle Weinjahre herzählen lassen? – oder –

Nein, ich bitte Sie, zum Eckel, das habe ich genug! Aber ich reite immer zu, und käme ich nach Holland, ich suche, was ich eben nicht aussprechen kann, ich weiß nicht, ob es links oder rechts liegt, ich suche ein Verhältniß. –

Ein Verhältniß?

Nun ja, ich möchte gern lieben, und geliebt werden, und ohne Noth und Angst, ohne Sorgen und Mühe, denn ich fürchte mich vor nichts mehr als der Zärtlichkeit, einen geschwornern Feind von der sentimentalen Welt können Sie sich nicht denken: ich habe heute Abend einige rührende Gedanken bemerkt, die mir aus dem Herzen heraufkletterten, wenn die meiner nicht gedenken, so weiß ich nicht, ich habe ihnen gleich eine solche Quantität Wein entgegen geschickt, daß ihnen Hören und Sehen verging, und sie Kopf über hinab stürzten. –

Sie scheinen noch recht begeistert von ihrem Siege, und verdienen einen Lorbeerkranz, – reiten Sie mit mir links, ich will Sie in eine Gesellschaft bringen, wo Sie sicher alles finden werden, was man von Weibern verlangen kann. –

Ich reite mit. –

Nun wendete der Begleiter sein Rößlein feldeinwärts, den Berg hinan, und sang mit einer hübschen Stimme dieses Volkslied. –

Ein Ritter an dem Rheine ritt
In dunkler Nacht dahin,
Ein Ritterlein, das reitet mit
Und fragt: wohin dein Sinn?

Mein Sinn, der steht nach Minnen,
Ich hab mich rum geschlagen,
Und konnt doch nichts gewinnen,
Und mußt das Leben wagen.

Ei hast du nicht die Ehr' davon?
Die Ehr ist hohes Gut –
Ich hätt' die liebe Zeit davon,
Die Ehr ist mir kein Gut. –

Mein Blut ist hingeflossen
Roth zu der Erde nieder,
So warm ich es vergossen,
Giebt mir's die Ehr' nicht wieder.

Da sprach das kleine Ritterlein:
Daß Gott sich dein erbarm!
Du mußt ein schlechter Ritter seyn,
Weil deine Ehr' so arm. –

Ich will nun mit dir rechten,
Weil du nicht ehrst die Ehre;
Mein Ehr' will ich verfechten,
Setz deine nur zur Wehre.

Des Ritters Unwill war sehr groß,
Drum er vom Rosse sprang,
Auch machet sich der kleine los
Und sich zur Erde schwang. –

Da fühlt sich der Geselle
Von hinten fest umwinden,
Es ist die Nacht nicht helle,
Sie streiten wie die Blinden.

Und sinken beide in den Klee –
Ei sprich! wer hat gesiegt!
Der Ritter ohne Ach und Weh –
Bey einer Jungfrau liegt.

Ei hast du nicht die Ehr' davon?
Die Ehr' ist hohes Gut –
Ich hätt' die liebe Zeit davon,
Die Ehr' ist mir kein Gut. –

Godwi erfreute sich an dem muntern Liede seines Gesellschafters, und folgte ihm recht guten Muthes, und mit dunklen Hoffnungen.

An dem halben Berge lag ein altes Schloß, das noch bewohnt war, obschon es nicht ganz so aussah, denn es waren keine Lichter in den Fenstern, die Thore standen weit auf, und im Hofe regte sich weder Hund noch Mensch.

Steiget ab, mein Freund, und laßt euer Pferd nur laufen, sagte der kleine Geselle, herunter springend.

Godwi war es manchmal zu Muthe, als wäre der kleine Mann ein Gespenst aus alter Zeit, denn er hatte einen Federhut auf, und war in einen Mantel gehüllt. –

Aber wird mein Pferd nicht fortlaufen, wenn es kein Diener anhält – die Thore stehen ja sperre weit offen – mein Freund.

Der kleine Reiter aber machte nicht viel Komplimente, faßte Godwi beym Arm, zog ihn die Treppe hinauf, und lachte, wenn er anstieß.

Oben sagte er: nun legt euren Mantel ab, nehmt den Hut in die Hand – wir sind an der Thüre, gleich werden wir in der Gesellschaft seyn. –

Godwi that, wie er ihm sagte, der kleine machte die Thüre auf, stieß ihn in die dunkle Stube, in der er in seinem Leben nicht gewesen war, und schloß die Thür ab.

Vor der Thüre sang er lautlachend, indem er wegging:

Es ist die Nacht nicht helle –
Sie streiten wie die Blinden
Da fühlt sich der Geselle
Von hinten fest umwinden.

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