Clemens Brentano
Godwi
Clemens Brentano

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Viertes Kapitel.

Ich lehnte mich daher an einen Baum, und hielt folgende Rede an Herrn Haber –

Was nennen Sie Freundschaft, jenes Weinen an einander, jenes Lachen an einander, jene Würdigung unserer eignen Armuth in den Augen des Freundes, das gegenseitige Erseufzen über die Beschränktheit und Gränzenlosigkeit, das Hingeben und Annehmen von Dingen, die keiner brauchen kann, und die den, der sie giebt oder nimmt, zu unserm Freunde machen, weil grade kein andrer die Sache genommen hätte, das Aufessen einer einzigen Person, daß man endlich an einem einzigen übersättigt, allen Sinn für das andre verliert, die gegenseitige Nothülfe der sich nächsten, weil sie Noth haben, und faul sind – nennt ihr das Freundschaft – o dies kann nur in ärmlichen, stolzen und einseitigen Menschen Raum haben, die einen großen Nutzen in der Welt zu schaffen glauben mit ihren Empfindungen, und ihre eigne Armuth zu beherbergen, einen Freund brauchen, der ihr in seinem Herzen ein Obdach verschaffe. –

Alles dieses ist entweder gleichzeitige Erbärmlichkeit oder Niederträchtigkeit und Barmherzigkeit, Dummheit und mitleidiger Stolz von der einen oder andern Seite.

Freundschaft ist nur unter den Vortrefflichen möglich, deren ganzes Leben ein ewiger Fortgang nach dem Höchsten ist. Sie streben nicht darnach, denn alles Streben geht von Armuth, Bewußtseyn der Armuth, Begierde und Vorsatz aus, wird dadurch absichtlich, und hört auf, eine freie schöne Handlung zu seyn.

Hier fiel Herr Haber wieder ein:

Streben wäre nicht frei nicht schön, es dürfe keine Absicht seyn. –

Lieber Herr Haber, sagte ich, stören Sie mich nicht. – Streben ist freilich erlaubt, auch Absicht, aber nur dem Künstler, der Genie war, und Künstler geworden ist, an diesem bin ich aber noch nicht – also –

Sie streben nicht, sie sind ausgesandt von Gott, und wissen es nicht; ihr Leben ist nichts als das fortgehende Bilden eines Kunstwerks alles Schönen, wozu sie gleichsam die Zeichen, die Buchstaben sind; sie berühren sich, wie Akkorde, und ihr Zweck ist der schöne Ausdruck des Liedes. So reihen sich Glieder an Glieder in schön geschwungenen Wellen, und bilden das herrliche Bild, so wechselt der Schritt der Sylben, um des Liedes Tanz hervor zu bringen, so gießt sich Farbe an Farbe, und bildet des Gemäldes Zauberei. Diese Berührung ist die Freundschaft.

Durch ihre eigne innere Bildung können zwei neben einander stehen, aber nur um der großen Harmonie ihrer Aufgabe willen.

Die Eigenthümlichkeit eines jeden bleibt unangetastet, und bleibt sie es nicht, so entsteht bey Farbe, eine gebrochene schmutzige Halbtinte, wie bey Form, Verwachsenheit.

Die Stufen der Bildung, der Rang der einzelnen Freunde, verhält sich wie Buchstabe, Wort, Periode, Ton, Akkord, Satz, und im innern sind sie als Zeichen gleich verwandt und würdig. Ja ich trage das Ideal eines Menschenkenners im Kopfe, der die Menschenarten, in die einzelnen Redetheile, oder Tonarten zertheilen und wirklich eine Grammatik, und einen Generalbaß des Zusammenlebens hervorführen könnte. Man könnte nach seiner Wortfügung, den Staat oder die Menschenfügung allein verbessern, und durch seinen Generalbaß allein die wahre Freundschaft finden, die in eben so geheimnisvollen Gesetzen begründet bleibt, als die Verwandtschaft der Töne. Man könnte dann ganze Völkergeschichten auf dem Claviere spielen und in einzelnen Versen absingen, und es wäre das Leben zur Kunst geworden.

Uebrigens gehören zwei männliche Töne, die sich etwas herausnehmen, und nur sich allein bilden wollen, in keine Melodie, und ihr Durchdringen kann ihnen nie gelingen, denn dieses liegt nur in der Liebe. Nur die Liebe kann erzeugen aus sich, die Freundschaft aber kann es durch sich.

Die Liebe giebt den Ton und die Musik, die Freundschaft ist nur das Nebeneinanderstehen der Töne zur Melodie, die wieder ein Product der Liebe ist. Die Freundschaft wohnt in der Liebe, aber in ihr selbst ist keine Liebe, sondern nur Harmonie, Tonverhältniß.

Die Eichen über uns, der ganze Wald um und um gedrängt, alle einig einem einigen Zwecke, sie stehen grad und aufrecht neben einander. Jeder einzelne trägt die Liebe in seiner eignen Blüthe, trägt die Liebe in sich – nur aus der Liebe konnten die Bäume erstehen, nur aus den Bäumen erstehet der Wald. Freunde sind sie alle, welche den Wald bilden; einzelne stehen sich näher, diese werden Freunde genannt. Aber alle, die sich so an einander drängen, stören sich. Sie mögen noch so malerische Gruppen bilden, noch so schöne Lauben wölben, so ist dieses doch nur für andere.

Zwei dringen selten zugleich hervor, denn einer opfert sich immer dem andern, seinem eignen Leben zum Trotze, das zum Himmel in die Höhe sollte, zu athmen und zu duften.

Neben einander stehen, vereint grünen oder welken, alles das gehört zum Walde, sterben früher oder später, sich erkennen und zur selben Gattung gehören, das alles gehört zur Freundschaft.

Wer den größten heiligsten Zweck hat, der hat die gebildetsten und treuesten Freunde, denn an dem höchsten arbeitet nur die Wahrheit. Ob sich nun die Freunde kennen oder nicht, das ist gleichviel, ja sich nicht zu kennen und in allgemeiner Menschenliebe fortbrennen, ist bey gehörigem Maaß und Ziel wohl das schönste, denn das allzu innige und angepriesene Freundschaftswesen wird meistens nichts anders, als ein abgekartetes Spiel, einander freundschaftlich zu hudeln, und ist mir immer wie ein Product der langen Weile oder des Kurzweils erschienen.

Das Letztere wäre wohl das Beste, wenn doch eins von beiden seyn sollte, denn es liegt etwas äußerst komisches darin, mit großen, herrlichen Empfindungen vereinigt zu seyn, um kleine lustige Empfindungen zu gewinnen, und dieses scheint mir die einzige Art von Freundschaft, die unsern großathmichten Jünglingen zu erlauben wäre, denn sie lernten dadurch die Würde des kleinen und bloß scherzhaften, des reinen Spieles oder Spaßes kennen, da sie doch zu glauben scheinen, die Freundschaft gehe allein und schnurstracks zum Tragischen hinauf. Auch kann man allerdings in einer solchen kurzweiligen Freundschaft vieles lernen, man übt sich hier an einem tausendfachen Stoffe, dem die Ungeschicklichkeit der Behandlung nicht schadet.

Ein junger Stümper voll Drang und Eifer, und dadurch um so tölpischer, soll sich nicht an einem kararischen Marmorblocke üben, um den Stoff eines Meisterwerks zu zerstören, er mag die ersten Schläge seines Meißels an einem Sandsteine mildern, und ein fröhliches Bild hauen, dem es auf einen Buckel nicht ankömmt, und an dem er seiner Ungeschicklichkeit lachend genießt. Dieses letztere ist der erste Schritt zu jeder Kunst und auch der des Lebens. Wir sollen Freunde werden lernen durch Geselligkeit, denn die Freundschaft ist nichts, als Geselligkeit unter ernstern Umständen.

Die andere Gattung aber oder die innige Freundschaft aus langer Weile will nie etwas von ihrer Mutter wissen, und kann auch nicht wohl, denn sie müßte sonst von sich selbst wissen. Sie ist nämlich die lange Weile selbst, und zwar eine der gediegensten Arten, jene langwierige erbliche, die sich ewig erklären will und wie blinde, stumme und taube Seuche herumkriecht.

Zwei Menschen, die nichts zu thun haben, was können sie schlechteres oder besseres anfangen, als Freundschaft, und solche nun sind es, denen ich jene innige brennende Freundschaft vorschlagen möchte, da sie selbst so leer sind, mögen sie es in der Form wieder einbringen, mögen sich den ganzen Tag umarmen.

Zu dieser Art Menschen gehöret eine gewisse Gattung, die Sie sehr gut kennen, mein lieber Haber, ich meine den jugendlichen philosophischen Anflug der letzten fünf Jahre. Diese Menschen sind in ihrer ganzen Jugend in einem geräuschvollen Veranstalten ihrer Jugend begriffen, und zernichten sich einer in dem andern. Ewiges Umklammern ist der Charakter ihrer Freundschaft, und wenn sie aufhören sich zu umfassen, so hat sicher ihre Verirrung gesiegt, denn dieses Umfassen ist ein Streich, den ihnen die Natur noch spielte, die sich immer an die Gestalt hält. Da ihr inneres Wollen und Treiben aber ganz gestaltlos und daher langweilig ist, so müssen sie sich in solcher Freundschaft entschädigen.

So wie bey den Griechen, die das gestaltvollste Volk waren, es wirklich eine bloße Gestaltenliebe gab, die Knabenliebe, eine künstlerische bildende Verirrung, eben so liegt in diesen Menschen, welche die gestaltlosesten sind, eine Gestaltenfreundschaft, die ewig Verderbtheit bleiben wird, indem sie eine krankhafte Metastase der Liebe in die Freundschaft, ein unglückliches Vermischen der heiligen ersten Ursache mit dem geselligen Zwecke ist.

Erlauben Sie mir, ihnen die Geschichte jenes jungen philosophischen Anflugs in einer Parabel zu erzählen.

Ein frommer und tapferer Held, im Herzen für den Glauben brennend, forderte seine Brüder auf, das heilige Grab des Erlösers aus der schändenden Gewalt der Ungläubigen zu befreien. Mächtig war seine Rede und hinreißend, von allen Seiten strömten ihm an Andacht, Gesundheit und Kraft gleiche Seelen wie Wogen entgegen. Alle zogen seinen Weg, ein stürmendes Meer, das sich gegen Orient wälzte.

Unter dem versammleten Volke, das des Helden Rede verschlang, befand sich auch eine Schaar junger Schüler und unerfahrner Neubekehrten. Leicht, wie jugendliche Gemüther hingerissen werden, machte auf diese Jünger die glänzende, ergreifende Rede des frommen Helden einen heftigen Eindruck. Sie standen tief erschüttert, gerührt, oder erregt, wie jedes einzelne Gemüth es werden konnte, unter den streitbaren Männern. Vorwärts strömte bald die Fluth des frommen Krieges; aber man hatte vergessen, die Jünglinge zu ermahnen, wie sie sich zuerst durch tieferes Eindringen in die Geheimnisse des Glaubens weihen müßten, bevor sie an dem heiligen Werke Theil nehmen könnten.

Sie sahen das Bild des Kreuzes in den wehenden Fahnen, sie sahen die heiligen Zeichen der Erlösung von allen Waffen und Werkzeugen des frommen Bundes stralen, und längst war der heilige Zug schon über Berge und Meere, als sich in hitziger Ungeduld die fantastischeren unter ihnen erhoben mit dem Aufrufe, –

Auf! auf! laßt uns im schönen Bunde der Freundschaft, dicht von Jugend umblüht, das heilige Grab erlösen, nach! dem heiligen Kreuzzuge.

Aus allen Studierwinkeln rannten die jungen Thoren heran und schlossen sich an die Freunde. Sie bezeichneten ihre Schülermäntel mit dem Kreuzeszeichen und bestachen ihre kleinen Liebschaften, ihnen aus abgedankten seidenen Röckchen zierliche Fahnen zu verfertigen. In einem lustigen Taumel voll kindischer Andacht und Pralerei zogen sie auf demselben Wege, den die andern genommen und deren tiefe, ernste Fußtapfen ihnen als Führer dienten. Durch lustige Wiesen zogen sie hin die Blumen zertretend, oder als Futter ihren Eseln opfernd, deren sie viele bey sich hatten. Wahrlich die besten im Zuge, denn sie waren doch bescheiden und führten des Haufens Nahrung mit sich. Da aber der Weg in der Folge schwerer zu erkennen war, ja wol hie und da die Spuren vom Winde verwehet oder auf hartem Boden nicht sichtbar waren, blieben sie stehen, und stritten – wohin nun?

Früher schon hob sich der Unmuth unter den Jüngsten, sie wollten nicht begreifen, was das heilige Grab ihnen nützen würde. Von den Muthigern verlacht, kehrten sie um, und kamen in die Heimath zurück, doch nicht ohne den Ihrigen lange ein Spott zu bleiben, denn sie hatten sich in die Sprache und Zeichen der Kreuzfahrer so eingewöhnt, daß sie alle Augenblicke irgend einen dummen Streich mit Kreuz und Fahne begleiteten, oder etwas ganz gewöhnliches mit Sehnsucht nach dem Grabe Christi und tiefer Andacht vollbrachten.

Unter den übrigen, die weiter gezogen waren, entstanden mehrere Secten. Sie waren in der Nacht an einen großen Teich gekommen, den sie meistens für das Weltmeer hielten, denn es war dunkel, und ein schwerer Nebel lag auf dem entgegengesetzten Ufer. Die stärksten unter ihnen hielten nun einen Rath, was zu thun sey, da sie keine Schiffe bey sich hätten, und der übrige Haufen stellte sich auch zusammen und hatte seine Redner.

So schwebte ruhend die Fittige in unentschiedenem Fluge ihr Geschick.


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