Clemens Brentano
Godwi
Clemens Brentano

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Vierzehntes Kapitel.

Warum so still, sagte ich höhnisch zu Haber, fürchten Sie sich vor Gespenstern?

Nein, aber das ganze Leben hatte heute etwas Schauerliches für mich.

Hatt' es? – mich rührt so Etwas nur oberflächlich, und als der alte Anton zu sprechen anfing, ärgerte es mich, daß er kein Gespenst gewesen war – hören Sie, wie die Fahnen am Dache wehen – – o! das geht ewig so und nimmt kein Ende – und wie es dunkel ist – man möchte ersaufen in eigenen dummen Gedanken – in der Welt geschieht nichts – es ist der Tod draußen, und wir sind gezwungen, unsre abgetragenen Erinnerungen zu zerzerren, bis sie wie lumpichte Geister vor uns treten – sehen Sie, dort steht mein Vater, und dort meine Mutter, und dort meine Schwester – wie sie mit den Fingern auf mich zeigen – wie der Alte den Kopf schüttelt – o und du arme Mutter, du schöne Mutter – die Hände abgerungen – durch den weißen duftigen Busen blutet das warme rothe Herz Liebe heraus zu mir – die Schwester sieht so witzig aus, und so arm mit ihrem liebesuchenden keuschen Leibe – ha! seyd mir willkommen – das Leben ist ein geschwätziges breites Wesen, von dem man nicht weiß, wie es im Herzen aussieht.

Haber sah starr in den Winkel, Godwi sah mich verwundert an, meine Worte trugen mich fort, ich fühlte die kalte Gluth in meinem Gesichte und sprach mit Thränen:

Aber das dauert nicht lange, am Ende wird immer was Beßres daraus, das Vorige war matt – sehen Sie, unter diese war mein Leben getheilt, sie kommen und rinnen zusammen, so rann auch mein Leben zusammen, und da steht nun das Weib, dem ich es in die Arme legte, da steht es, wie die schöne Sünde – aber sie hat mir es vor die Füße geworfen – o Sie können es in ihren Garten pflanzen in den fettesten Boden, es schlägt nie wieder aus – es ist verbrannt, in der Liebe verbrannt – ha und noch ein Mensch – sagt nicht, er sey schwach – was ist er – schwach? er ist sein Hallunke und sein Henker zugleich und henkt sich nicht selbst, weil er seines Henkers Hallunke bleiben muß, und seines Hallunken Henker nicht werden will.

Haber sprang hier wild auf und sagte: Hören Sie auf, ins Teufelsnamen.

Ha! ha! ha! lachte ich ganz heiter, sind Sie so erschrocken, nun ich will Ihnen was erzählen –

Godwi bat mich, nicht so heftig zu seyn, obschon ich Sie verstehe, sagte er, so ist die Wirkung davon doch weder gut für Sie, noch mich.

Ich will Ihnen ein Lied singen, das hierher gehört, nur muß ich zuerst erzählen, wo ich es zuerst sang.

Ich ward in meinem sechsten Jahre von Hause entfernt, und von meiner Mutter, die es gut meinte, zu einer Anverwandten in die Kost gethan, wo sich meine Schwester schon früher befand.

Bey dieser Frau lebte ich, Gott möge es sich selbst verzeihen, ein recht elendes Leben. Ihr Mann war ein ausschweifender Mensch, und sie ein eingebildetes, eigensinniges Geschöpf, eine von jenen Weibern, welche hochteutsch sprechen für moralisch halten. Wir sahen sie nur Morgens, Mittags und Abends zu unserm Schrecken. Denn Morgens kam sie mit eiskalten Wasser, stellte uns nackt vor sich, und ließ es uns aus einem Schwamme über den Rücken laufen. Ich habe sie nie lachen sehen, als wenn ich ihr die eiskalten Wasser-Gesichter schnitt; ob es übrigens gesund war, weiß ich nicht, nur weiß ich, daß ich Abends immer großen Hunger hatte, und daß mein erster Witz war, Morgenstund hat kalt Wasser im Mund. Mittags aßen wir unter den Aufmunterungen, halte dich grad, die Hände auf den Tisch, hänge den Kopf nicht so, wie du wieder den Löffel nimmst! etc. Nach Tisch mußte ich dem Lieblingshunde, der die Originalität besaß, Nüsse zu fressen, zehn Nüsse schälen, dafür bekam ich eine, die ich mit meiner Schwester theilen durfte; nun band man mir und meiner Schwester, die in eine Schnürbrust gezwängt war, die Ellenbogen hinten zusammen, und so mußten wir Rücken an Rücken gebunden, um unserer Muhme zum Nachtische einen Spaß zu machen, auswärts stehen, bis wir umfielen; dann wurde auch gelacht. Den übrigen Tag waren wir bey dem Gesinde, oder einem Lehrmeister, der uns, während er dem Canarienvogel des Bedienten die Augen mit einem glühenden Drahte blendete, und seine Stiefel wichste, die Hauptstädte von Europa auswendig lernen ließ, und, wenn wir sie ihm zu früh wußten, uns strafte.

Vor die Hausthür kam ich nie, und sah oft meine Schwester neidisch an, wenn sie die Magd von den Fräuleins zurück brachte, zu denen sie in Gesellschaft ging. Die Muhme hielt mich so im Respect, daß wenn sie mir Abends die Hand nicht zu küssen gab, ich Nachts im Bett weinte, und meiner Schwester keinen Schlaf gönnte, mit dem Ausrufe, daß ich ein Verbrecher sey.

Hinten am Hause war ein kleiner Garten, an dem ein großer Saal war, der voll Oelgemälde hing. Eines, welches das größte war, stellte das Urtheil Salomons über die zwei Kinder der Bulerinnen vor, grade wie der Kriegsknecht das lebendige Kind am Beine hält, und es entzwei hauen will; das andere Kind lag todt und blau an der Erde; die rechte Mutter reckte ihm die Hände in die Höhe, die falsche saß ruhig am Boden und sah zu; der Kriegsknecht hatte einen recht blutrothen Mantel an, und das ganze Bild war in Lebensgröße und mit grellen Farben gemalt. In diesem Saale war ich meistens, wenn ich allein war, und nährte meine kindische Phantasie an dem Bilde.

Da ich einmal von meiner Beherrscherin unschuldig viel böse Worte gelitten hatte, wurde ich weinend zu Bette geschickt; meine Schwester war noch zu Besuche; ich konnte nicht im Bette bleiben, und schlich herunter in den Gartensaal, um dort, wie ich oft that, vor einem kleinen Jesusbilde zu beten, daß er mich bessern möge, denn ich wußte nicht, was ich begangen hatte, und hielt mich doch für einen Verbrecher.

Als ich in den Saal trat, überfiel mich eine große Angst; es waren keine Scheiben in den Fenstern, und Weinlaub über sie gezogen. Der Mond schien herein, und alle die vielen Oelgemälde schienen zu leben durch das Licht, das sich durch das Schwanken des Weinlaubs über sie bewegte.

Ich sank in die Knie, es war kalt, und ich war im Hemde; o! wie war ich so unglücklich, ich betete laut, und fürchtete mich vor dem Schall meiner Worte.

O lieber, lieber Gott, sage mir doch, was habe ich gethan –

Da trat meine Schwester herein; sie war zwei Jahre älter als ich, und ging schon allein zu Bette; sie hatte mich gehört, und sagte zu mir:

Ei du! was machst du da?

Ich umklammerte sie heftig, aber sie verstand mich nicht, da führte ich sie vor das Salomonsbild, und sagte zitternd:

Sieh der auf dem Throne, das ist der liebe Gott, die Frau, die die Hände ausreckt, das ist unsre Mutter, die da so sitzt und ruhig ist, das ist die Muhme, und der Mann, der das Kind zerhaut, ist auch die Muhme, und das Kind bin ich, und das todte Kind, ach das bist du –

Sie zog mich mit sich die Treppe hinauf, und brachte mich zu Bette. Sie erzählte mir vieles von den Fräulein, die sie besucht hatte, um mich zu trösten, aber ich weinte immer fort. Da stieg die liebe Schwester aus dem Bette auf, und setzte sich zu mir ins Bett, das am Fenster stand, wir umarmten uns, und sahen in den hellen Himmel; dann sagte meine Schwester, wir wollen das Lied singen von dem Kinde, dessen Großmutter eine Hexe war, und das Kind vergiftete.

Wir sangen dies Lied immer, wenn es uns recht traurig war, meine Schwester sang die Worte der Mutter, welche das Kind fragt, und ich sang weinend die Worte des Kindes; in dem Liede lag uns Trost, wir trösteten uns mit der Liebe der Mutter und des Kindes Tod.

Mutter.
                    Maria, wo bist zur Stube gewesen?
Maria, mein einziges Kind!
Kind.
Ich bin bey meiner Großmutter gewesen.
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Mutter.
Was hat sie dir dann zu essen gegeben?
Maria, mein einziges Kind!
Kind.
Sie hat mir gebackene Fischlein gegeben.
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Mutter.
Wo hat sie dir dann das Fischlein gefangen?
Maria, mein einziges Kind!
Kind.
Sie hat es in ihrem Krautgärtlein gefangen.
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Mutter.
Womit hat sie denn das Fischlein gefangen?
Maria, mein einziges Kind!
Kind.
Sie hat es mit Stecken und Ruthen gefangen.
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Mutter.
Wo ist denn das Übrige vom Fischlein hinkommen?
Maria, mein einziges Kind!
Kind.
Sie hats ihrem schwarzbraunen Hündlein gegeben.
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Mutter.
Wo ist denn das schwarzbraune Hündlein hinkommen?
Maria, mein einziges Kind!
Kind.
Es ist in tausend Stücke zersprungen.
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Mutter.
Maria, wo soll ich dein Bettlein hinmachen?
Maria, mein einziges Kind!
Kind.
Du sollst mir's auf den Kirchhof machen.
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!

Schrecklich, schrecklich! sagte Haber.

Ich fing aber lustig an Ça ira zu singen, weil ich selbst weinte, und mir im Ça ira von je her alle Adern freudig schwollen, denn ich liebe solche heftige Uebergänge.

Haber wurde ganz wüthend, und schrie, ich müßte der größte Teufel seyn.

Nein, sagte ich, lieber Haber, sehen Sie dort an der Thüre die alte Großmutter stehen, mit der Giftschale in der Hand, wie ihr die Augen aus der Pelzmütze herausstieren; und dort sehen Sie die Mutter, die weinend im Stuhle sitzt, und der kleinen Maria, die vor ihr steht, und sie liebkoset mit wehe! ach wehe! Frau Mutter; wie sie dem einzigen Kinde das weiße Todtenhemdlein anzieht; und hier sitze ich mit meiner Schwester – ich setzte mich auf die Erde, und nahm ein Küssen in die Arme – ach meine liebe Schwester, wie geht es mir so traurig – hier sprang ich auf, es riß mich wie mit den Haaren in die Höhe – es war mir, als hielt ich sie lebendig in den Armen, und ach! sie ist doch todt.

Godwi sagte, Sie übertreiben es; ich lachte, und ging munter zu Bette.

Haber fürchtete sich vor mir, er mußte mit mir in derselben Stube schlafen, und ich ihm vorher feierlich betheuern, keine Nacht keine solche Streiche mehr zu machen.

Aber fröhlich war ich doch wol nicht –


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