Clemens Brentano
Godwi
Clemens Brentano

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Zwölftes Kapitel.

Haber ging mit dem Jägerburschen weiter vor uns, und unterhielt ihn in einem dringenden Gespräche. Es schien ihm etwas unheimlich im Walde zu seyn. Der Jäger erzählte ihm allerlei Mordgeschichten, und vom wilden Heere. Das letzte wollte er nun gar nicht recht glauben, und sagte einmal über das andere mal, das sey lauter Aberglauben. Im Walde ertönte dann und wann ein lauter Pfiff, und hatte Haber geschwiegen, so fuhr er dann schnell den Jäger an: hörst du? schon wieder, was mag das wol seyn, es lautet recht schön.

Was mag es seyn, sagte der Jäger, Lumpengesindel, aus so einem Busche heraus fliegt einem mannichmal ein Knüppel an den Kopf, daß man gleich ans Verzeihen denken muß, ehe man sich noch recht geärgert hat.

Wie so?

Ei nun, was da pfeift, ist meistens niederträchtiges Volk, und schlägt einen todt; auf dem Todsbette aber muß man verzeihen – und wenns geschwinde geht, hat man keine Zeit sich zu ärgern.

Haber ging hier mehr in der Mitte des Weges, aber es pfiff wieder, und rief:

Was sprichst du böser Bube von Lumpengesindel?

Es war eine wunderliche Stimme, halb erzwungen derb, halb ängstlich und kindisch. Wir näherten uns, Haber wollte schon auf einen Baum klettern, als unser Schrecken durch die Worte des Jägers im Gebüsche aufgehoben wurde.

Du Waldteufelchen, für den Schrecken muß ich dich küssen.

Nun kamen mehrere Mädchen und Knaben aus dem Gebüsche und lachten; die älteste ging auf Godwi zu, und bat ihn um Verzeihung; die kleine Räuberin sagte: Flametta hat mir es befohlen, weil ich mich fürchtete, als Sie gegangen kamen, so mußte ich Sie zur Strafe attakiren.

Hier kam Flametta auch mit dem Jäger, und Godwi sagte zu ihr, es sey nicht artig, die Leute zu erschrecken; aber sie lachte und bat ihn, ihr eine Buße aufzugeben.

Du sollst uns ein Stückchen Wegs Geleit geben, sagte Godwi, und etwas singen.

Ich will Ihnen meine kleinen Gesellschafter etwas singen lassen, und dazu dann und wann ein wenig auf dem silbernen Horne blasen.

Sie zog an der Spitze ihres kleinen Heeres, und begleitete den Gesang mit ihrem Horne. Das größte Mädchen sang das Solo, und die Knaben das Chor.

Die Kleine sagte vorher: mein Lied ist das Lied einer Jägerin, deren Schatz ungetreu, und stellen Sie sich vor – ein Peruckenmacher geworden ist.

Wir lachten, und der Gesang begann:

Chor.
                O Tannebaum! o Tannebaum!
Du bist mir ein edler Zweig,
So treu bist du, man glaubt es kaum,
Grünst Sommers und Winters gleich.
Mädchen.
Wenn andere Bäume schneeweiß seyn
Und traurig um sich sehen,
Sieht man den Tannebaum allein
Ganz grün im Walde stehen.
Chor.
O Tannebaum! o Tannebaum! etc.
Mädchen.
Mein Schätzel ist kein Tannebaum,
Ist auch kein edler Zweig,
Ich war ihm treu, man glaubt es kaum,
Doch blieb er mir nicht gleich.
Chor.
O Tannebaum! o Tannebaum! etc.
Mädchen.
Er sah die andern schneeweiß seyn
Und schimmernd um sich sehn,
Und mochte nicht mehr grün allein
Bey mir im Walde stehn.
Chor.
O Tannebaum! o Tannebaum! etc.
Mädchen.
Der andern Bäume dürres Reis
Schlägt grün im Frühling aus,
Pocht er sein Röckchen, bleibts doch weiß,
Schlägt nie das Grün heraus.
Chor.
O Tannebaum! o Tannebaum! etc.
Mädchen.
Oft hab ich bey mir selbst gedacht,
Er kommt noch einst nach Haus,
Spricht: Hab mir selbst was weiß gemacht,
Poch' mir mein Röcklein aus.
Chor.
O Tannebaum! o Tannebaum! etc.
Mädchen.
Und klopft' ich ihn auch poch, poch, poch,
So fliegt nur Staub heraus;
Das schöne treue Grün kommt doch
Nun nimmermehr heraus.
Chor.
O Tannebaum! o Tannebaum! etc.
Mädchen.
Drum als er mich letzt angelacht,
Ich ihm zur Antwort gab:
Hast dir und mir was weiß gemacht,
Dein Röcklein färbet ab.
Chor.
O Tannebaum! o Tannebaum! etc.
Mädchen.
O Tannebaum! o Tannebaum!
Wie traurig ist dein Zweig.
Du bist mir wie ein stiller Traum,
Und mein Gedanken gleich.
Chor.
O Tannebaum! o Tannebaum! etc.
Mädchen.
Du sahst so gar ernsthaftig zu,
Als er mir Treu versprach,
Sprich, sag mir doch, was denkest du,
Daß er mir Treue brach.
Chor.
O Tannebaum! o Tannebaum! etc.

So sangen die Kinder lustig in den Wald hinein, und das Wild, aufgeschreckt von dem Geräusche, stürzte tiefer in das Thal. Der Mond war aufgegangen, und schien in den Wald herein. Da wir auf der anderen Seite den Berg oben waren, sagten uns Flametta und die Kinder: Gute Nacht, und wir hörten sie in der Ferne noch singen.

Wir standen oben und sahen über das leuchtende grüne Meer, in dem der Wald hin und her fluthete. Stille Kühle drang mir ans Herz, ich hätte hier stehen und träumen können von Seen und Meeren, in denen die Götter hausten. Wenn die Bäume hin und her ihre Schatten wälzten, brausten und wie in geheimnisvollen, nächtlichen Festen taumelten, so schwoll es wie Ebbe und Fluth an meinem Herzen.

O! der Mensch ist das Gestade, an das alle Wellen des Lebens schlagen, er steht ewig am Ufer und sehnt sich hinaus in das, was herüber wehet, seine Gedanken seglen Kriegbrütend und Goldsuchend wie mächtige Schiffe in die Ferne, was zu Hause bleibt im Herzen, steht und hoffet und trauert. Soll er hineinstürzen, oder werden die Wellen rächend zu forschen kommen, was ihnen vom Gestade herüber wehte?

Mit solchen Gedanken warf ich einen Blick zurück in diesen untergegangenen Tag. Die Eiche, unter der ich die Dryaden angerufen hatte, ragte wie ein Tempel unter allen hervor; einige weiße Gestalten tanzten um sie herum, und man hörte ein leises Klingen, das durch das Brausen der Bäume manchmal hervor tönte, als schwämme ein goldenes glänzendes Gefäß in Meereswellen. Ich machte Habern darauf aufmerksam.

Sehen Sie die Waldgötter dort tanzen? Er wunderte sich, und Godwi sagte, es sey ein Tanz, den er Cordelien zum Gedächtnisse gestiftet, Flametta und die kleinen Mädchen tanzten ihn alle Abend, wenn es schönes Wetter sey, und die Musik töne von zwei colossalischen Aeols-Harfen, welche Cordelia in den Gewölben des Baumes habe anbringen lassen. Es war gut, daß es bey meinem Gebete so windstille gewesen war, sonst hätte ich sehr erschrecken können.

Wir legten noch einen kurzen Weg zurück, als sich eine andere Gegend erschloß.


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