Clemens Brentano
Godwi
Clemens Brentano

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Neunzehntes Kapitel.

Geschichte der Mutter Godwi's
und ihrer Schwester.

In einer Handelsstadt an der Ostsee lebte Wellner, ein wohlhabender Kaufmann, der seine beiden Töchter liebte, und fleißig über ihren Sitten, und ihrer Bildung wachte. Er hatte seine brave Hausfrau früh verloren, da Marie und Annonciata noch sehr jung waren, und ihr in der letzten Stunde versprochen, diese mehr zu hüten, als sein Geld und Gut, was er auch treu vollbrachte; ja man könnte sagen, wirklich über Vermögen, denn er verlor in der Zukunft nicht nur sein Vermögen, und meistens durch die Liebe zu seinen Kindern, sondern er verlor auch beide Kinder selbst.

Er gesellte ihnen einen Jüngling zu, welcher elternlos war, und den er in seinem Hause unterhielt. Dieser, den ich Joseph nennen will, war immer mit den Mädchen, er hatte gute Schulkenntnisse, und gab ihnen den ersten Unterricht.

In der Blüthe des Lebens, wo sich die Gattung in einer schönen Blume entfaltet, erklärte sich Marie als ein durchaus sanftes und argloses Geschöpf mit einem treuen warmen Herzen, und einem hellen Geiste, der aber meistens in der Wahl das Gute dem Schönen vorzog.

Annonciatens Blüthe war schwerer zu bestimmen, ein kühneres und doch harmonisches Gemisch von Farben ist nicht leicht denkbar. Alles liebte sie, und keiner mogte sie recht leiden. Man wagte seine Liebe selbst in dem Kinde schon nicht zu wissen, weil man eben dieses Kind nicht verstand. Sie selbst machte keine Forderungen an die Welt, und war doch nichts als Begierde; das Meiste genügte ihr nicht, aber sie konnte es nicht sagen, weil sie die Armuth der Gebenden schonte.

Dieser ganze Zustand war nur Zustand in ihr, denn sie konnte noch nicht überlegen, als sie schon so im Leben stand, und in der Folge meinte sie, es wäre wol nicht anders, und dieses sey das menschliche Leben. Sie liebte nichts so sehr als Blumen, und sang recht artig.

Wellner glaubte, ihr stilles und oft heftiges Wesen sey eine Folge eines geschlechtlichheftigen Temperaments, und er wünschte sie daher früh verheirathet zu sehen. Freilich hatte er in seiner Meinung nicht ganz unrecht; aber der gute Mann wußte nicht, welcher große Unterschied zwischen dem sogenannten heftigen Temperament, und der von Grund aus reinen Weiblichkeit ist.

Marie war des Vaters Augapfel, denn sie war ruhig und bescheiden, und schien nichts zu wünschen, als was er ihr geben konnte. Er hatte sich daher fest entschlossen, sie spät oder nie von sich zu lassen. Da er allein für seine Kinder lebte, und alle seine Gedanken nur sorgend für ihr Wohl waren, so durchdachte er eben so gern seinen Lebenskreis, sich für Marien eine Verbindung zu erfinden, als er viele Stunden überlegte, wie er Annonciaten glücklicher machen könne, als es die Welt überhaupt konnte.

Joseph, den er in seine Handlung genommen hatte, und der seine Töchter fleißig unterrichtete, ward ihm täglich unentbehrlicher, denn er war eben so sehr fein und speculativ, als treu und anhänglich, und die Handlung stieg unter seiner Einwirkung eben so schnell, als der Vater mit Freuden besonders Mariens Bildung sich entwickeln sah.

Mit Annonciaten war es nicht so, denn lebendige Früchte können in ihrer Gesundheit nur durch die Sonne reifen. Sie ermüdete leicht an Josephs Unterricht, und wo ihre Bildung vor sich ging, im inneren Heiligthume ihres Busens, da konnte Joseph nicht hinsehen. Der junge Mann ward oft durch ihre auffallenden Fragen gestört, und als sie ihn in einer solchen Verlegenheit recht von Herzen, wie sie oft pflegte, guter Joseph! nannte, beleidigte ihn dieses, und er klagte es Wellnern. Dieser stellte ihr diese Beleidigung recht herzlich vor, und obschon sie ihre Unschuld tief empfand, so bat sie ihren Vater doch mit bittern Thränen um Vergebung, und versprach Josephen dasselbe zu thun.

Es kostete ihr vielen Schmerz, und Joseph konnte ihrer Rührung nicht mehr Einhalt thun, als sie Verzeihung von ihm erflehte, so, daß er anfing, sie für etwas beschränkt zu halten, da er ihre heftige Ausrufung, wie keine Liebe und keine Freundlichkeit in der Welt sey, hörte, denn in dieser Opferung ihres Stolzes löste sich alles in ihrem Herzen, und indem sie um Verzeihung zu bitten glaubte, beschuldigte sie das ganze Leben.

Nach dieser Scene wendete Joseph sich immer mehr zu Marien, und auch Annonciata kehrte mehr in ihr Herz zurück, obschon sie edler als er ihn nichts davon empfinden ließ.

An einem vertraulichen Abend war Joseph noch spät auf der Stube Wellners, und sie sprachen vieles über die Lage der Handlung, und eine Reise, die Joseph übernehmen müsse, um ihr mehr Selbstständigkeit zu geben, und sie den geldsaugenden Commissionairs zu entziehen. Von dieser Unterredung kehrte Wellner wie gewöhnlich auf das Schicksal seiner Töchter zurück, Joseph aber schwieg, als habe er etwas auf dem Herzen. Der Vater sagte:

Es ist wunderbar, wie kein Geschäft auf Erden unserm Leben, unserer Thätigkeit Freiheit giebt, es mag noch so blühend seyn, als es Fleiß und Einsicht machen können. Niemals wird die schöne Gewohnheit einer bezweckten Thätigkeit hinreichen, und wir kehren auf jedem Punkte, der eine Rundung der Ansicht erlaubt, in unser eignes armes Herz zurück, und bringen höchstens etwas Zerstreuung oder Stoff zu neuen Plänen mit, wenn wir zur Arbeit zurück kehren. Wenn ich nun Ihre Reise bedenke, und alle die schönen Vortheile derselben betrachtet habe, was habe ich am Ende gewonnen, was wird aus meinen Kindern werden, wenn ich mit ihnen allein bin, was? wenn Sie wieder kommen?

Joseph hatte eine solche Minute erwartet, und sagte ihm gerührt:

Ich ehre diese Empfindung in Ihnen, Ihre Güte hat mich Ihnen so nahe gebracht, als Ihren Kindern; für Annonciaten weiß ich nichts, als daß es gut seyn wird, sie bald zu verehlichen, um ihren unbestimmten Empfindungen die allgemeine Richtung des Weibes zu geben.

Und für Marien? fuhr Wellner fort.

Für Marien, sagte Joseph, kann ich nicht wählen, denn ich liebe sie.

Dies Geständniß hatte ihm viel Mühe gekostet, weil er nur zu sehr fühlte, wieviel er Wellnern schon zu danken habe. Wellner fand dies nicht, er fühlte die Schuld, wäre je eine da gewesen, längst getilgt, und versprach ihm Marien mit Freuden, als Lohn seiner Treue, wenn sie ihn liebe.

Dies glaubte Joseph beynahe schon, oder wenigstens, daß sie ihn heftig lieben werde. Hierin irrte er sich, denn sie liebte ihn sehr; nur war sie keiner lebhaften Aeußrung fähig; auch reizte sie nichts zum Geständniß, da ihr Herz wie ihr Leben voll stillen Glücks und voll Ruhe war.

Da nur noch wenige Monate bis zur Abreise Josephs übrig waren, so wurde die Verbindung und seine Aufnahme in die Handelsfirma bis zu seiner Rückreise festgesetzt; doch entschlossen sie sich, ihm Marien näher zu bringen, und zugleich für Annonciatens Versorgung zu denken. So hatten die beiden Freunde gesprochen, und verließen sich beide zufrieden, voll Hoffnung auf eine schöne Zukunft.

Als Wellner nach seiner Stube ging, und im Begriffe war, zu Bette zu gehen, hörte er seine Töchter, die über ihm wohnten, noch wach seyn und im Gespräche, Er war noch ganz von den Worten, die er in Liebe zu ihnen mit Joseph gewechselt hatte, durchdrungen, und setzte sich an das offne Fenster, um ihnen zuzuhören. Die Mädchen, von der schönen Nacht ans Fenster gelockt, sprachen vertraulich mit einander, und von Dingen, die ihn sehr rührten.

Wie ist Dir? sagte Marie zu Annonciaten, wenn Du so in den stillen Himmel siehst, und den Mondschein –

Liebe Marie, wie mir dann ist, wenn ich Dir das so recht beschreiben könnte, oder irgend einem Menschen, so wäre ich recht glücklich; ich denke oft daran, und ich würde Dich nicht immer bitten, mit mir ans Fenster zu treten, wenn mir meine Empfindung dann klar und deutlich wäre, denn überall kann ich wol einsam seyn, wo mir etwas deutlich ist – o! dann kann ich immerfort so in mir allein denken, ja wol ordentliche Gespräche mit meinen Gedanken halten; aber wenn der Mond in die Stube scheint, kann ich nicht ruhen, und muß ans Fenster hin. Es ist mir, als rufe er mich, ich müsse ihn wieder ansehen, die ganze schöne Nacht spräche mit mir, und frage mich scharf aus; die Antwort aber liegt mir tief im Herzen begraben, und es ist mir oft, als müsse mir das Herz brechen, damit ich es nur sagen könnte.

Das ist seltsam, da bist Du wieder ganz anders als ich, in mir ist es nicht so.

Wie ist Dir dann, was möchtest Du thun, was möchtest Du haben? Jetzt, da Du siehst, daß es draußen ganz anders in der Welt ist, was möchtest Du, das auch Dich verändere? damit Du wieder ruhig würdest, und mit der Welt zusammenstimmtest; denn wenn Du schläfst, ist es Dir doch nur wol, weil Du nichts von der Nacht weißt.

Ich verstehe Dich nicht, Du bist wol wieder melancholisch, – wenn ich schlafe, ob ich da nichts wisse; nun das weiß ich nicht. Manchmal träume ich auch, und wenn ich hier bey Dir stehe, und Du sprichst nicht, oder ich bin schläfrig, so wünsche ich, Joseph wäre bey mir, und spräche vertraulich mit mir, wie er nun bald abreise, und wir Briefe mit einander wechseln wollen. Auf diese Briefe freue ich mich sehr, denn ich habe noch an Niemand geschrieben; es ist mir, wie ein neuer Sinn, der mir aufgehen soll, und ich denke schon oft ganze Briefe an ihn aus.

Du bist glücklich, Du liebst Josephen wol.

Ich denke meistens an ihn, liebe ihn lieber als den Vater, und kann denken, daß ich gern mein ganzes Leben mit ihm seyn möchte: wenn dies Liebe ist, so hast Du recht.

Ich habe Recht, das ist Liebe, das ist Deine Liebe.

Meine Liebe? giebt es denn mehr als Eine Liebe.

Es giebt vielleicht nur Eine, aber jeder Mensch hat wol doch eine andre. Mir ist nicht so, wie Dir, wenn ich hier stehe; es ist mir, als müsse ich mich verlieren in ein anderes Wesen, wie die Bäume dort sich in einander verlieren; ich möchte nicht immer Annonciata seyn, und doch weiß ich nicht, wie ich das soll; ich kenne Niemand, in den ich mich verwandten könnte; ich möchte oft sterben, um nicht mehr allein zu seyn, und sterben, für wen? das kann ich auch nicht sagen, und das ist es, was ich immer empfinde, und Abends mehr als sonst; das ist es, was mich im Herzen drückt, und wenn so der kühle Wind weht, wird mir es besser, ich fühle dann in meinem Herzen, als sey ich gut, als tröste ich mich mit der Ruhe da draußen in der Nacht und dem Glücke der Natur.

So sprachen die beiden Mädchen noch lange, Wellnern flossen die Thränen über die Wangen; er hätte noch gerne zugehört, aber er konnte die kühle Luft nicht vertragen. Er schloß deswegen das Fenster mit Geräusch, damit seine Kinder ihn hören, und auch schlafen gehen möchten. Marie zog sich zurück, denn sie hatte einen stillen verstehenden Gehorsam, Annonciata aber blieb allein wach.

Einige Stunden nach Mitternacht hörte sie den Vater Josephen klingeln, und diesen auch zu ihm kommen. Da sie ans Kamin trat, welches ihre Stube mit der des Vaters verband, hörte sie, wie der Vater am Fenster gesessen, ihre Unterredung gehört habe, und daß ihm nicht ganz wohl sey. Er erzählte Josephen von Marien, wie sie von ihm gesprochen, mit Freuden; auch von ihr hörte sie ihn sprechen, wie sie seltsame Dinge gesagt, die ihn sehr bekümmerten, und daß er sie mit dem jungen Genueser, der hier sey, bekannt machen wolle; es schien ein reicher kluger Mann zu seyn, und es würde ihn glücklich machen, wenn sie ihn lieben könne.

Annonciata hörte das alles mit Ruhe an, freute sich des Glücks ihrer Schwester, und da sie glaubte, es wäre wol recht hübsch, wenn Marie auch unten wäre, so näherte sie sich ihr und sagte, um sie zu wecken: liebe Marie, stehe auf, und gehe hinab zum Vater, ich glaube es ist ihm nicht wohl, er hat jetzt noch Josephen rufen lassen, frage ihn, was ihm fehlt und pflege ihn, ich weiß, daß Du es ihm besser thun kannst, als ich, und daß es ihm viel Freude macht.

Marie dankte ihr, zog sich schnell an, und ging hinab. – Annonciata aber weinte –

Wellner freute sich herzlich der Aufmerksamkeit Mariens, sie saß so freundlich auf seinem Bette, und Joseph still an der Erde: da konnte er sein Herz nicht mehr erhalten, und legte ihre Hände in dieser Nacht für die Zukunft versprechend zusammen, und gab ihnen beiden zwei goldne Ringe, die sie vor ihm verwechselten.


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