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Abschied von Ferney

I

Voltaires letzte Zeit in Ferney bereitet die französische Revolution vor, obwohl er, der doch Urheber der Bewegung war, selbst nicht revolutionär fühlte.

Nicht einmal auf dem theologischen Gebiet ging er bis zum äußersten. Er sprach sich z. B. gegen das »Système de la nature« aus, das ihn als Angriff auf die Gottesvorstellung verletzte. Er konnte nicht für sich selbst die Vorstellung von einem Gott entbehren und er hielt hartnäckig daran fest, daß die Gesellschaft sie auch nicht entbehren konnte, da sie, seiner Auffassung nach, der einzige Zügel für mörderische Instinkte war. Daher auch in dem Gedicht Epître à trois imposteurs, die bei all ihrer Sonderlichkeit berühmte Zeile

Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer.

Mallet du Pan erzählt in seinen Memoiren als Augenzeuge, daß eines Tages, als D'Alembert und Condorcet Voltaire in Ferney besuchten und bei Tisch offen über religiöse Gegenstände sprachen, Voltaire mitten in der Mahlzeit die aufwartenden Lakaien aus dem Speisesaal schickte und darauf seinen beiden Freunden und Anhängern sagte: »Jetzt, meine Herren, können Sie mit Ihren Einwendungen gegen Gott fortfahren; da ich aber nicht gern in der Nacht von meinen Dienstboten ermordet und ausgeplündert werden will, ist es besser, die Lakaien hören nicht, was Sie sagen.«

Man sieht in dieser Anekdote in der Regel einen Beweis für Voltaires deistische Engherzigkeit. Man faßt jedoch Voltaires spaßhafte Wendung allzu engherzig auf. Er dachte nicht an seine Lakaien, sondern an das gewöhnliche Volk in Frankreich; er dachte nicht an den Gottesglauben allein, sondern an den ganzen Begriff bremsender Lehren. Hatte er so sehr unrecht? Das Volk, dessen Sache die Philosophen geführt und dessen Denkweise sie zu veredeln gesucht hatten, schlug ja doch während der Schreckenszeit gerade den besten Denkern und Dichtern in Frankreich die Köpfe ab.

Auf rein wissenschaftlichem Gebiet fühlte er sich von der Scheinwissenschaftlichkeit und der Anmaßung einzelner späterer Revolutionsmänner abgestoßen. Es ist lehrreich zu sehen, wie Voltaire mit Maral zusammenstieß, und nachzuforschen, welchen Eindruck dieser auf ihn machte. War ein späteres Konventsmitglied wie Gondorcet ein Mann nach seinem Herzen, so war ein späteres Konventsmitglied wie Marat ihm reinweg ein Greuel.

Im Jahre 1777 lag ein Buch mit dem Titel vor: J. P. Marat: De l'homme ou des principes et des lois de l'influence de l'âme sur le corps, et du corps sur l'âme. Voltaire besprach es im Journal de politique et de littérature.

Marat hatte die kränkende Behauptung ausgesprochen, daß alle Schriftsteller, die vor ihm diesen Gegenstand behandelt hatten, nur feierliches Gerede hervorgebracht hatten. »Sehen Sie Humes, Voltaires, Bonnets, Racines, Pascals Werke.« Er hatte ausgeführt, daß zur Behandlung derartiger Gegenstände eine starke Konstitution, ein kräftiges Temperament, gut ausgebildete und geschmeidige Organe gehörten, sonst bleibe man oberflächlich. Diejenigen, die eine schwächliche und empfindliche Körperbeschaffenheit hätten, gelangten nicht zur Tiefe der Ideen; sie wurden Geister wie Pope oder Voltaire, nicht wie Newton und Rousseau.

Voltaire schrieb höflich aber scharf:

Der Verfasser ist von dem edlen Drange erfüllt, alle Menschen darüber zu belehren, was sie sind und die Menschheit die Geheimnisse zu lehren, nach denen andere so lange vergeblich gesucht haben. Man erlaube uns zuerst die Bemerkung, daß ein so erleuchteter Genius wie der seine, der sich auf diese Laufbahn begibt, sich ein wenig behutsam mit denjenigen beschäftigen soll, die sie vor ihm durchschritten haben. Es würde vernünftig und nützlich gewesen sein, neue Wahrheiten vorzutragen, ohne deshalb die Wahrheiten herabzusetzen, die uns durch Buffon, Haller, Lecat und so viele andere übermittelt worden sind … und wenn man sonst nichts Neues zu sagen hat, als daß der Sitz der Seele in der Gehirnhaut liegt, soll man nicht mit seiner Verachtung für andere um sich werfen und mit der Achtung, die man für sich in einem solchen Grade hegt, daß man den Leser verärgert, dem man doch zu gefallen versucht.

Und Voltaire schließt seinen Artikel damit, daß er zeigt, mit welchen Mitteln Marat den Lesern gefallen will: »Überall hier sieht man den Harlekin, der Purzelbäume schlägt, um dem Parterre zu gefallen.«

Da Voltaire, so konservativ er in vieler Hinsicht war, mehr als ein anderer Philosoph die Revolution vorbereitet hatte, war er auch der Denker, den die Revolutionäre zuerst ehrten und dem sie zuerst huldigten. Nach seinem Tode wurde er allgemein als der Vater der französischen Revolution betrachtet. Aber man sieht aus der Antwort Marats, als Camille Desmoulins ihn spottend daran erinnerte, daß Voltaire sich über ihn lustig gemacht hatte, welchen Groll er gegen seinen früheren Kritiker bewahrt hatte.

Wer weiß, ob nicht Voltaire, falls er das Jahr 1793 erlebt hätte, seinen Kopf auf den Block hätte legen müssen! Man hätte ihm vielleicht das Aristokratische seiner Genialität nicht mehr vergeben, als man es André Chénier, Condorcet und dem Schöpfer der modernen Chemie, Lavoisier, vergab.

II

Dieses Aristokratische, das in ihm mit dem Alles-Umwälzenden verschmolz, verschaffte ihm sowohl in der Kirche wie im Heere Beliebtheit.

Seine Popularität hielt sich sogar in Rom. In jener Zeit der guten Köpfe saß auf dem Papststuhl wieder ein Papst, der Scherz verstand und an Voltaire Gefallen hatte. Wie früher bemerkt, hatte Voltaire, außer anderen zum Teil verkrüppelten armen Wesen, in sein Haus einen Ex-Jesuiten, Vater Adam, aufgenommen, mit dem er gern Schach spielte, den er zu seinem Almosenverteiler (aumônier) gemacht, an seiner Kirche angestellt hatte, und dort Messen lesen ließ.

Der arme Vater Adam hatte jedoch wenig Haare auf seinem Kopfe und war in der kalten Kirche sehr der Erkältung ausgesetzt, da es in römischen Kirchen streng verboten war, die Messe mit einer Perücke auf dem Kopfe zu lesen. Das lag daran, daß man aus der alten Zeit her Perücken als Zeichen der Eitelkeit oder als Mittel der Verstellung betrachtete. Die Kirchenväter hatten die Gewohnheit, das Haar toter oder fremder Menschen als Schmuck auf dem Kopfe zu tragen, heftig angegriffen. Voltaire, der wußte, wie leicht Vater Adam einen Anfall von Rheumatismus bekam, bedachte sich nicht, nach Rom zu schreiben und den Kardinal Bernis zu bitten, die Erlaubnis des Papstes einzuholen, daß sein Hausgenosse während des Gottesdienstes eine Perücke tragen durfte. Er schrieb:

Ich glaube nicht, daß Clemens der Vierzehnte ein Bembo (Kardinal, großer Lateiner, feinfühliger Zweifler) ist; aber da Sie ihn gewählt haben, verdient er gewiß den kleinen Platz, den Sie ihm gegeben haben. Da nun, Monseigneur, diejenigen, die kleine Plätze einnehmen, kleine Gunstbeweise verschenken können, kann der Papst mir einen schenken. Dieser wird weder Seine Heiligkeit, noch Eure Exzellenz, noch mich irgendetwas kosten. Es dreht sich um die Erlaubnis, eine Perücke zu tragen usw.

Da die Antwort nicht sofort kam, fühlte Voltaire sich niedergedrückt; aber die Verzögerung beruhte nur auf einem kleinen Fehler im Gesuch. Nach Verlauf einiger Zeit kam die ersehnte Depesche aus Rom und Voltaire jubelte darüber in einem lustigen Reimbrief an den Kardinal:

Vous abritez sa vieille nuque.
Quand on est couvert de lauriers,
On peut donner une perruque.
Prêtez-moi quelque rime en uque
Pour orner mes vers familiers.
Nous n'avons que celle de d'eunuque.
Ce mot me conviendrait assez;
Mais ce mot est une sottise,
Et les beaux princes de l'Eglise
Pourraient s'en tenir offensés.

In Prosa schreibt Voltaire nicht weniger lustig und dreist an Bernis über den Papst: »Das muß ich sagen, Ihr Papst scheint mir ein guter Kopf zu sein; man denke sich! Seit er den Thron bestiegen, hat er noch nicht eine einzige Dummheit begangen!«

Er drückte sich da zum Teil höchst respektwidrig, zum Teil außerordentlich satirisch aus, da der Papst, Lorenzo Ganganelli, am 19. Mai 1769 gewählt und Voltaires Brief vom 13. November desselben Jahres war, so daß also nicht viel Zeit vergangen war, um Dummheiten zu begehen. Aber Clemens der Vierzehnte war im hohen Grade liberal und er offenbarte das bei dieser Gelegenheit. Der Kardinal hatte kein Bedenken, Voltaires impertinentes Schreiben dem Papst zu zeigen und Bernis' Antwort lautete folgendermaßen: »Seine Heiligkeit hörte Ihren Scherz mit Vergnügen an und hielt eine Lobrede auf Ihre überlegenen Fähigkeiten. Falls Sie zuletzt ein guter Kapuziner werden, wird der Papst es wagen, Sie ebensosehr zu lieben, wie er Sie achtet.«

Voltaire war beim Militär nicht weniger beliebt als bei der Kirche. Während der Spannung zwischen Frankreich und Genf im Jahre 1767, als eine französische Heeresstärke Genf zum Nachgeben zu zwingen versuchte und den Kanton einschloß und von aller Zufuhr abschnitt, bekam Voltaire Einquartierung. Ein Oberst des Regiments Conti wohnte auf Ferney und drei Kompagnien waren im Dorfe einquartiert. Die Soldaten machten sich gern nützlich, legten Wege an, pflanzten Bäume. Obwohl Voltaire zu arbeitsam war, um sich viel unter den Grenadieren zu zeigen, wachte er doch darüber, daß sie sich zufrieden fühlen konnten; er versah sie nicht nur mit Essen, sondern auch mit Decken, so daß sie nicht unter der Nachtkühle zu leiden hatten.

Eines Abends, als auf dem Haustheater Semiramis gespielt wurde, hatten Contis Grenadiere während der Vorstellung als Wache Dienst getan. Voltaire gab den Auftrag, man sollte ihnen Abendessen geben und ihnen außerdem den Lohn zahlen, den sie für ihre Mitwirkung forderten. Einer von ihnen antwortete: Wir nehmen keinen Lohn an. Wir haben Herrn de Voltaire gesehen; das war unsere Bezahlung. Voltaire, der die Antwort hörte, rief aus: Meine braven Grenadiere! und sagte ihnen, sie könnten, so oft sie wollten, auf das Schloß kommen und Mittag essen und er würde denen unter ihnen, die Lust hatten, sich nützlich zu machen, einträgliche Arbeit geben.

Man darf ohne Übertreibung sagen, daß, wie Ingres späterhin stolzer auf sein Geigenspiel als auf seine Malerei war, Voltaire weniger von seiner Philosophie erfüllt war, als von seiner Tätigkeit als Maurer, Ackerbauer und Gärtner. Diese Tätigkeit war seine praktische Philosophie.

III

Sofort nach seiner Ankunft in Ferney hatte er begonnen, das vernachlässigte Land zu bestellen. Allen Arbeitslosen, die sich bei ihm einfanden, gab er Arbeit. Da er infolge seiner Staatsökonomie den Ackerbau als die reichste und allein unerschöpfliche Quelle des Volkswohlstandes betrachtete, kaufte er mit großen Kosten die besten Ackerbaugeräte, die es damals gab, pflügte und säte auch selbst, wie Tolstoi nach ihm.

Nicht lange nach seiner Ankunft schrieb er an Haller: »Das Beste, was wir auf dieser Erde tun können, ist, sie zu bestellen; die übrigen physischen Versuche sind Kinderspiel im Vergleich mit dieser Tätigkeit.« Er spricht auch oft über seine neue Sämaschine, die die Hälfte der Saat erspart, und mit der keine andere zu vergleichen sei.

In einem Briefe vom 7. Juni 1769 schildert er großzügig ein Rittergut und eine Meierei, wie sie seiner Ansicht nach sein sollten, und er fügt hinzu, als wenn er ihn selbst einrichtete:

Nach meiner Meinung ist nichts so schön wie ein großer ländlicher Hof; durch vier breite und hohe Pforten fahren Wagen aus und ein, die mit allen Früchten der Erde beladen sind. Die Eichensäulen, die das ganze Balkenwerk tragen, ruhen auf Sockeln aus Granit. Ausgedehnte Ställe nach rechts und links. Ein halbes Hundert Kühe und ihre Kälber nehmen die eine Seite ein, Pferde und Ochsen die andere. Das Futter fällt aus riesigen gefüllten Böden in die Krippen der Tiere. Die Tennen, wo gedroschen wird, liegen in der Mitte, und Sie wissen, daß das ganze Vieh, das hier untergebracht ist, jedes Tier an seinem Platz, ganz richtig begreift, daß das Futter, Hafer usw. ihnen zukommt. Um ein solches schönes Ackerbauerheim liegen die Hühnerhöfe und die Schafhürden; nach Norden liegen die Keltern, Vorratsräume, Fruchtkammern; nach Osten das Logis für den Gutsverwalter und für dreißig Knechte; nach Westen erstrecken sich die weiten Wiesen, die all dies Vieh abgegrast und gedüngt hat.

Die Bäume im Obstgarten, voll von Stein- und Kernobst, sind ein Reichtum anderer Art. Vier- oder fünfhundert Bienenstöcke stehen längs eines Baches, der die Obstbäume bewässert: die Bienen geben dem Besitzer eine bedeutende Ernte an Honig und Wachs; er bekümmert sich nicht um all die Fabeln, die man über diese fleißigen Insekten erzählt, weiß gar nicht, ob das Bienenvolk wirklich unter der Herrschaft einer Königin lebt, die sich von ihren Untertanen so befruchten läßt, daß sie sechzig- bis achtzigtausend Kleine zur Welt bringt.

So weit das Auge reicht, erstrecken sich Alleen von Maulbeerbäumen. Die Blätter ernähren den kostbaren Seidenwurm, der nicht weniger nützlich als die Biene ist.

Ein Teil des umfangreichen Raumes ist durch eine undurchdringbare Mauer von sorgfältig beschnittenem Weißdorn abgeschlossen, der den Geruch und das Auge erfreut.

Der Hof und der Hühnerstall haben eine sehr hohe Mauer.

So soll eine gute Meierei sein. Es gibt einige dieser Art in der Grenzgegend, die ich bewohne; und ich gestehe Ihnen ohne jede Eitelkeit, daß meine Besitzung in nicht wenigen Punkten derjenigen ähnelt, die ich Ihnen eben geschildert habe.

Voltaire war mit Leidenschaft Ackerbauer. Es gab ein Stück Feld, das man in der Gegend Herrn de Voltaires Feld nannte, weil er keinen anderen dort pflügen oder säen ließ, bis er es 1772 als Achtundsiebzigjähriger nicht mehr leisten konnte. Als Ackerbauer tastete er sich unter unaufhörlichen Versuchen vorwärts, allerdings unter der Anleitung der ersten Autoritäten der Zeit, so des Obergärtners der Baumschulen Frankreichs, Moreau de la Rochette. Oft schlugen seine Versuche in dem ungünstigen Klima natürlich fehl. Er schreibt am 1. Juni 1767 an seinen Ratgeber:

Ich habe die Rauheit des Klimas nicht überwunden. Der Generalkontrolleur forderte mich auf, Krapp zu pflanzen; ich habe es versucht, aber es ist mir nichts geglückt. Ich habe mehr als 20 000 Maß Bäume und Kastanien pflanzen lassen, die ich aus Savoyen kommen ließ; fast alle sind eingegangen. Viermal habe ich längs des Hauptlandweges Nußbäume pflanzen lassen; drei Viertel sind zu grunde gegangen oder von den Bauern ausgerissen worden. Ich habe es jedoch nicht aufgegeben, und so alt und schwach ich auch bin, ich werde heute pflanzen, wenn ich auch morgen sterben muß. Dann werden andere Nutzen davon haben.

Moreau kannte aus Erfahrung die Enttäuschungen, die der erleidet, der sät oder pflanzt, und er stand Voltaire eifrig bei. Dieser bat ihn, zweihundert Rüstern und hundert Ebereschen zu schicken, und sechs Wochen darauf fünfzig Ahornbäume und ebenso viele Platanen.

Eine Angelegenheit, an die man in jener Zeit wenig dachte, beschäftigte Voltaire dauernd: das Verschwinden der Wälder. Er war erstaunt über die Gleichgültigkeit des Staates, daß keine Maßnahmen zur Erhaltung der Wälder getroffen wurden, wie er sich über die Vernachlässigung der Gestüte wunderte. Auch Frankreichs Bevölkerungsrückgang beschäftigt ihn, obschon er nicht sonderlich darüber erschrickt. Die Entvölkerung erschreckt wiederum Moreau de la Rochette, der seine Aufmerksamkeit darauf als auf eine stark drohende Gefahr lenkt.

IV

Wir haben oben gesehen, daß sich Voltaire nicht damit begnügte, Ackerbauer zu sein, sondern daß er, soweit es damals möglich war, zur Hebung der armen Bevölkerung der Gegend Industrieunternehmer wurde. Seine erste Industrie war ja die Uhrenfabrikation. Seine zweite die Seidenweberei. Wir bemerkten, daß er der Herzogin von Choiseul das erste Paar Seidenstrümpfe anbot, das auf seiner Besitzung gewebt war, und das ihrer wert sein dürfte. Der Theatersaal in Ferney, der einige Jahre vorher in ein Leinenlager verwandelt worden war, wurde nun das Seidenwürmerhaus. Am 4. September 1769 schreibt er an die Herzogin von Choiseul, die bald darauf sein Verhältnis zu Katharina II. so gehässig beurteilte, den folgenden herzlichen Brief:

Meine Seidenwürmer haben mich instand gesetzt, diese Strümpfe zu weben; meine eigenen Hände haben daran gearbeitet, sie hier in meinem Haus in Verein mit dem jungen Calas herzustellen; es sind die ersten Strümpfe, die in dieser Gegend gewebt wurden. Seien Sie so liebenswürdig, Madame, sie ein einziges Mal anzuziehen, und zeigen Sie Ihre Beine wem Sie wollen. Wenn man dann nicht zugibt, daß meine Seide stärker und schöner ist als die aus der Provence und Italien, dann gebe ich das Handwerk auf. Geben Sie sie dann einer Ihrer Zofen, und sie werden ein Jahr halten.

Man sieht, daß Voltaire besonders stolz darauf ist, in der bitteren Kälte des Juragebirges diese Strümpfe mit eigenen Händen gemacht zu haben. Er sagt es in einem kurzen Gedicht an die Herzogin. Er wiederholt es in einem Brief an Madame du Deffand: er hat das Geheimnis gefunden, wie man in einem Land, das sieben Monate im Jahr schneebedeckt ist, die Seidenraupe züchten kann. Und der Herzogin gegenüber hebt er seine Sorgfalt hervor: er hat genau das Maß ihres Schuhes genommen, die Strümpfe werden ausgezeichnet passen. Und wenn eine Hungersnot in Frankreich entstehen sollte, würde er ihr in einer Tüte eine Probe seines Kornes schicken, und sie würde einsehen, daß er wert sei, von einer Dame wie sie beschützt zu werden.

Später hatte er den Gedanken, Seidenspitzen zu fabrizieren, und er wandte sich an eine der Königinnen der Mode in Paris, Madame de Saint-Julien, um sie zu bitten, seinen Arbeitern Absatz zu schaffen. Nach seiner Behauptung standen seine Spitzen den in Brüssel geklöppelten nicht nach.

Doch war die Uhrenfabrikation natürlich die Hauptsache, da alle aus Genf ausgewanderten Handwerker vortreffliche Arbeiter waren, wohl die besten Uhrmacher der Welt. Er baute Häuser für sie, und wir sahen, daß er danach strebte, ihnen Absatzmärkte in Spanien und in Italien zu verschaffen. Katharina II. kaufte und empfahl die Uhren seiner Arbeiter. Könnte die Kaiserin Konstantinopel einnehmen, dann sei er fest entschlossen, alle dortigen Mitglieder der griechischen Kirche mit Uhren zu versehen. Da es mit dieser Eroberung zu langsam ging, wartete er sie nicht ab, sondern schickte mit Hilfe des französischen Botschafters in der Türkei auf eigene Faust eine Ladung Uhren nach Konstantinopel. Diese Uhren, sagt er, seien wahre Kunstwerke, ganz und gar Goldschmiedearbeit, und er verkaufte sie für den dritten Teil dessen, was sie in Genf kosteten.

Ja, er bat d'Argental, den Herzog von Praslin zu ersuchen, seine Uhren an den Dei und die Miliz in Algier und an den Bey und die Miliz in Tunis zu schicken.

Mit anderen Worten: er war nicht weniger als ein Vater und eine Vorsehung für die Bewohner jener Gegend, in der er sich als Landesvertriebener niedergelassen hatte.

Kein Wunder, daß diese ihre Dankbarkeit zeigten. Es wurde Gewohnheit, den Namen Ferney mit Ferney-Voltaire oder bloß mit Voltaire zu vertauschen, jedoch bewilligte der Minister Maurepas ein Gesuch darum nicht. Nach dem Tode Voltaires wurde sein Name offiziell totgeschwiegen und alles getan, um in Ferney jede Spur seiner Wirksamkeit zu vertilgen. Erst die Revolution koppelte die beiden Namen Voltaire und Ferney wieder zusammen.

Aber solange er lebte, fühlten die Bewohner stark, welchen Beschützer sie in ihm hatten. Als er sich eines Tages, um, wenn möglich, etwas Erhebliches in seinem Kampfe für die Landschaft Gex durchzusetzen, selbst in der Ständeversammlung einfand und durch seine Gegenwart durchsetzte, daß einstimmig beschlossen wurde, den Bestrebungen zur Erleichterung der Steuerlasten der Bewohner entgegenzukommen, rief die Bevölkerung, als er das Lokal verließ: Es lebe der König! Es lebe Voltaire! Man putzte die Pferde vor seinem Wagen mit Blumen und füllte den Wagen selbst mit Lorbeer und Blumen. Im festlichen Aufzug folgte man ihm zu Pferde und zu Fuß nach Ferney. In allen Dörfern, durch die er kam, dieselben Beifallsrufe, dieselbe Überreichung von Lorbeerkränzen.

V

Unter den Bewohnern, die unter den geistlichen Übergriffen in jener Gegend gelitten hatten, war eine arme Adelsfamilie namens Crassy, der Voltaire seinerzeit 15 000 Livres vorgestreckt hatte, um ihr Eigentum freizubekommen, dessen sich die Jesuiten in Ornex bemächtigt hatten. Seit damals waren die Crassy ständige Gäste auf Ferney gewesen.

1775 führten sie bei Voltaire eine andere verarmte Adelsfamilie namens Varicourt ein. In dieser war ein junger hübscher Priester, dessen Karriere Voltaire durch Madame de Saint-Julien sicherte, so daß er später, im neunzehnten Jahrhundert, Bischof von Orléans wurde. Er hatte eine junge Schwester, Reine Philiberte de Varicourt, die wegen ihrer Armut Nonne werden sollte, da man nicht glaubte, es würde sie jemand ohne Mitgift heiraten, so schön und anziehend die Achtzehnjährige auch war.

Voltaire, der Fräulein Corneille längst einen guten und braven Mann verschafft hatte, ihrer Schwägerin Fräulein Dupuits einen anderen, wollte nicht zugeben, daß das junge entzückende Mädchen Nonne wurde. Mit Einwilligung ihrer Familie adoptierte er sie als seine Tochter, und sie wurde im Hause nur Belle et bonne, die Schöne und Gute, genannt. Später, während seines Besuches in Paris, und noch später, als seinem Sarkophag während der Revolution gehuldigt wurde, wurde Belle et bonne geradezu als seine Tochter betrachtet, die ihn selbst vertrat. Bei der festlichen Huldigung Voltaires, die kürzlich berührt wurde, war auch sie im Gefolge und trug einen Korb mit zwei weißen Tauben mit rosenroten Schnäbeln. Der Anblick war so schön, daß er alle rührte, und Voltaire geriet außer sich, als einer sofort darauf die beiden Tauben schlachtete.

Mit ihrer Schönheit, ihrer Anmut, ihrer schmucken Haltung und der Fröhlichkeit ihrer Jugend wurde Reine de Varicourt die Zierde des Hauses in Ferney. Es war ein schöner Anblick, zu sehen, mit welcher Innigkeit Voltaire ihr die Hand küßte. Im November 1777 verheiratete er sie.

Der Bräutigam war der junge Marquis von Villette, der sich (wie verschiedene andere) mit Unrecht schmeichelte, ein unehelicher Sohn Voltaires zu sein, nur weil dieser seine etwas leichtsinnige Mutter gekannt hatte. Es war ein junger Herr, den Voltaire von einem höchst üblen und ausschweifenden Leben bekehrte. Er verliebte sich sterblich in Reine de Varicourt, wollte keine Mitgift, da er selbst hundertfünfzigtausend Francs jährlich hatte, wurde so ein guter Ehemann für Voltaires Adoptivtochter, und blieb ein ergebener und treuer, wenn auch etwas lauter Bewunderer des Patriarchen.

VI

Es scheint, als hätte Voltaire verschiedenes gehabt, das ihn mit dem Aufenthalt in dem einsamen Bergtal hätte versöhnen können.

Er hatte sich jedoch mit seiner Verbannung nicht ausgesöhnt. Im Gegenteil, mit dem Verlauf der Jahre, als er in das hohe Alter glitt, stieg seine Ungeduld, Frankreich, Paris wiederzusehen, so daß ihn der Gedanke schließlich nicht mehr verließ.

Wie das letzte Mal knüpfte er seine Hoffnung an eine neue Tragödie, die auf dem Théâtre français aufgeführt werden sollte und die ihm unweigerlich den Weg nach Paris bahnen mußte. Diese Tragödie war Irène, eine schöne, wertvolle Arbeit, die Ende 1776 entworfen war und im Anfang des nächsten Jahres nach Voltaires Gewohnheit durchgesehen, verbessert und so umgeschrieben wurde, daß die Varianten in der endgültigen Ausgabe mit ganz kleinen Buchstaben gedruckt volle sieben Seiten einnehmen. Doch dieser Teufelskerl war noch in seinem dreiundachtzigsten Jahr so ideenreich, daß er die Arbeit während der Durchsicht von Irène abbrach und schnell eine neue Tragödie schrieb, Agathocle, seine letzte. Einige Zeit war er ungewiß, welche der beiden er bei dem Versuch, eine Aufhebung seiner Landesverweisung durchzusetzen, benutzen sollte. Bei näherer Überlegung entschloß er sich doch (mit Recht) für Irène.

Nicht daß dieses Schauspiel (wie Die Gesetze des Minos) irgendwelche Beziehung zur augenblicklichen Situation in Frankreich oder zu seinem eigenen Schicksal hatte. Aber es ist, trotz des ungünstigen Urteils, dem man in den Briefen einiger Zeitgenossen darüber begegnet, nicht nur das bedeutendere der beiden Werke, sondern auch richtig empfunden, einfach und sicher in der Anlage, und die Verse stehen durchaus hinter keiner Arbeit aus der Jugend des Verfassers zurück.

Die Handlung ist nach Konstantinopel zur Zeit der Komnenen verlegt, also ungefähr um 1100, was übrigens nach französischem Brauch wenig bedeutet, da im Stück nichts Geschichtliches vorkommt, auch keinerlei Zeitkolorit erstrebt ist. Nikephorus, der nicht zu den Komnenen gehört, ist zum Kaiser gewählt worden und hat Irene aus der alten Kaiserfamilie geheiratet. Sie ist eine gehorsame Ehefrau, liebt aber insgeheim Alexis Komnenos, der zum Anfang der Tragödie als Feldherr des byzantinischen Heeres die Skythen geschlagen und Tauris (die Krim) erobert hat. Man glaubt in der Hauptstadt, er sei noch beim Heer, als er, aus Sehnsucht nach Irene, unvermutet nach Konstantinopel zurückkehrt. Der Kaiser, der auf ihn eifersüchtig ist und ihn sowohl Irenes als seines Thrones wegen fürchtet, befiehlt ihm, da er ohne Urlaub seine Truppen verlassen hat, sofort zu ihnen zurückzukehren, und als Alexis ihm trotzt, schickt er dem Führer der Schloßwache, Memnon, einen heimlichen Befehl, den Feldherrn ins Gefängnis zu sperren und aus dem Wege zu räumen. Memnon ist jedoch der geschworene Mann der Komnenen; er verrät Alexis sofort, die drohende Gefahr. Während einer Palastrevolte, die sich zu einem allgemeinen Aufstand entwickelt, wird der Despot Nikephorus getötet, und Alexis, der an seiner Stelle den Thron besteigt, ist nun glücklich darüber, daß kein Hindernis mehr ihn von Irene trennt.

Da kommt deren alter Vater aus dem Kloster, in dem er Frieden gesucht hat, hält der Tochter das Unmögliche vor, sich mit dem Manne, der ihrem Ehemann das Leben genommen, zu vereinen und entlockt der von der Tragik der Verhältnisse niedergebrochenen Irene das Versprechen, Alexis zu entsagen und an seiner Seite im Klosterleben Zuflucht zu suchen. Alexis ist bei der Nachricht entrüstet. Er fühlt sich in seinem guten Recht, da er nur den Undankbaren, der ihm nach dem Leben trachtete, niedergemacht hat. Er will als Kaiser nicht dulden, daß der alte Vater Irenes in seiner Unvernunft seinen Willen durchkreuzt und sein Glück zerstört, und läßt den Greis deshalb fortführen.

Im Gefühl, daß es nicht angeht, den Mörder des gefallenen Kaisers zu heiraten, so sehr sie ihn auch liebt, richtet Irene den Dolch gegen ihr Herz und stirbt.

Voltaires Irene fällt also als Opfer lauterer Bedenken, die seine bewunderte Katharina nicht kannte.

VII

Am 2. Januar 1778 wurde Irène von den Schauspielern der Comédie Française einstimmig angenommen. La Harpe, dessen sich Voltaire angenommen hatte, als wäre er sein eigener Sohn, zog trotz des Protestes des Meisters bei der Nachricht darüber sein bereits vorher angenommenes Stück Les Barmécides zurück, um Voltaire nicht im Wege zu stehen.

Bemerkenswerter und rührender ist jedoch, daß ganz dasselbe der Dichter Nicolas Barthe tat, gegen den La Harpe seinen Brief eines Mönches an den Abbé Rancé als Antwort auf eine Heroide von Barthe geschrieben hatte, der darin für die Begründer des Trappistenordens gesprochen hatte. Dieser Zug ist um so schöner, als Voltaire La Harpe gegen Barthe durch ein Vorwort zu seinem Gedicht unterstützt hatte, und nicht frei davon gewesen war, sich über Barthe bei dessen Besuch in Ferney lustig zu machen. Daß Voltaire übrigens Achtung und Wohlwollen für ihn empfand, zeigt sein Brief vom 4. September 1777 an den Chevalier de Castellux.

Barthes Brief an die Schauspieler lautete:

Meine Herren! Es ist Ihnen ein neues Stück von Herrn de Voltaire vorgelesen worden. Sie standen gerade im Begriff, L'Homme personnel einzustudieren. Für Sie gibt es jetzt nur noch eins, nicht mehr an mein Stück zu denken. Ich weiß wohl, daß neue Stücke in der Reihenfolge aufgeführt werden, in der man sie annimmt und daß dies vorgeschrieben ist. Aber welcher Schriftsteller würde es wagen, sich in einem Falle wie diesem darauf zu berufen! Herr de Voltaire steht wie die Souveräne über dem Gesetz. Wenn ich nicht die Ehre erlangen sollte, zum Vergnügen des Publikums beizutragen, so will ich dies doch mindestens nicht verzögern, und ich fordere Sie nur auf, so schnell wie möglich ein Drama vom Verfasser der Zaïre und der Mérope zu spielen. Möge er wie Sophokles noch mit hundert Jahren Tragödien schreiben, und so sterben, wie Sie leben, meine Herren, von Beifall umbraust.

Unmöglich konnten ihm das Theater und die dramatischen Schriftsteller größere Höflichkeit erweisen, als er jetzt genoß. Aber da stieß die Aufführung von Irène auf ein unerwartetes Hindernis. Der Schauspieler Le Kain, der sozusagen Voltaires Pflegesohn war und zuletzt 1776 bei ihm in Ferney gewohnt hatte, weigerte sich, die so dankbare Rolle des Alexis zu spielen, die gerade unter Hinblick auf sein Talent geschrieben war. Hatte Voltaire von irgend jemandem keine Enttäuschung erwartet, so war es von ihm. Aber aus dem einen oder anderen unfaßbaren Grunde meinte Le Kain, er wäre für die Rolle nicht geeignet.

Voltaires Freunde in Paris waren außer sich über diese Undankbarkeit. Am stärksten zog der Marquis von Thibouville los (über den wegen seiner Schwäche für das männliche Geschlecht im ersten Entwurf zum 21. Gesang von La Pucelle heftig gespottet worden war, der sich aber später den Frauen zugewandt hatte); jetzt war er einer der eifrigsten Getreuen Voltaires geworden.

Er, der am Theater äußerst einflußreich war, ließ vor den Schauspielern einen Brief verlesen, der begann: »Da die Vorbereitungen zur Aufführung von Irène ausgesetzt werden mußten wegen des unwürdigen und empörenden Verhaltens des Herrn Le Kain gegen seinen Wohltäter usw.« Le Kain hörte es selbst und schäumte.

Voltaire tat, als wäre nichts geschehen, richtete am 19. Januar einen liebevollen Brief an Le Kain, in dem nicht die Spur eines Vorwurfs stand. Er sprach nur von der Möglichkeit, daß Le Kain vielleicht die kleine Rolle des Vaters, Léonces, übernehmen wolle, die nicht anstrengend sei und die er durch seine großartigen Fähigkeiten imponierend zu gestalten wissen würde. Doch es eilte nicht. »Ich habe von dem Tage an, da ich Sie kennenlernte, stets auf Ihre Freundschaft gerechnet. Die Zeit hat die Gefühle, die mich an Sie knüpfen, nur verstärken können.« Mit anderen Worten: Die Engel im Himmel sind nicht sanfter als Voltaire, wenn er zu stolz ist, sich zu beklagen.

Er hielt jedoch daran fest, daß Irène der Sturmbock sein sollte, der ihm Paris öffnete.

VIII

Lange, lange hatte er nach der Stadt geschmachtet. Eine Zeitlang hatte er sicher gehofft, zurückgerufen zu werden. Damals, als Turgot von Ludwig dem Sechzehnten zum Minister ernannt wurde, sein Freund und Schüler, der ihn bereits 1760 in Les Délices besucht und an den er einmal lustig geschrieben halte:

Je crois en Turgot firmement:
Je ne sais pas ce qu'il veut faire,
Mais je sais que c'est le contraire
De ce qu'on fit jusqu'à présent.

Als Turgot gezeigt hatte, was er wollte, betrachtete Voltaire ihn als den Wohltäter Frankreichs, als die Hoffnung der Zeit, der eine neue Morgenröte ankündigte, und er schrieb sein Gedicht Ode sur le Passé et le Present (1775):

Contemple la brillante aurore
Qui t'annonce enfin les beaux jours.
Un nouveau monde est près d'éclore,
Até disparait pour toujours.
Vois l'auguste Philosophie,
Chez toi si longtemps poursuivie,
Dicter ses triomphantes lois.
 … …
Je lui dis: »Ange Tutélaire,
Quels dieux répandent ces bienfaits?«
– »C'est un seul homme.«

Man achte auch auf den Jubel, der durch den Schluß von Voltaires Eloge historique de la Raison klingt, als geschildert wird, wie die Vernunft und ihre Tochter, die Wahrheit, auf ihrer Wanderschaft zuletzt nach Frankreich kommen und die Begeisterung von zwanzig Millionen Menschen über alle die Veränderungen zum Besseren gewahren, die Turgot bewirkt.

Dann wurde er im Mai 1776 gestürzt, und Voltaire verzweifelte um sein Land, äußerte seine Sorge in seiner 125. poetischen Epistel A un homme, die so überlegen und so bitter die Veränderlichkeit und Undankbarkeit der Pariser nachweist.

Jedoch die Lust, dieses unzuverlässige Paris wiederzusehen, blieb gleich stark. Daran, daß man ihn zurückrufen würde, war nicht mehr zu denken. Aber Voltaire sagte sich ständig: »Was habe ich zu fürchten?« Man hatte ihn ja nicht hinausgejagt. Es bestand kein ausdrückliches Verbot, das ihn von Paris ausschloß.

Seine Ungeduld wurde von der Nichte, der oberflächlichen und inhaltlosen Madame Denis genährt, die damals von Ferney mehr als genug hatte und sich nach der Hauptstadt sehnte. Die Pariser Freunde, d'Argental und Thibouville, taten alles, was sie vermochten, um ihm den Weg zu ebnen, während der Marquis de Villette und seine junge schöne und gute Frau Voltaire täglich Vorstellungen machten, daß seine Tragödie ihre Wirkung in Paris nicht ausüben konnte, wenn er nicht selbst zugegen war. – Le Kains Abfall hatte diesem Argument erhöhtes Gewicht gegeben.

Da wurde denn die Reise beschlossen. Die Nichte und der Marquis de Villette mit seiner Frau reisten voraus. Alle sollten sie bei Belle et bonne wohnen. Für Voltaires Kolonie war es ein schwerer Abschied. Entsetzen und Sorge standen auf den Gesichtern der Bevölkerung. Sie hatten ein Vorgefühl, daß sie ihn wahrscheinlich nie wieder sehen würden, und daß all ihr Wohlergehen mit seinem Fortgang ein Ende hatte. Die da gekommen waren, um ihm glückliche Reise zu wünschen, konnten vor Schluchzen kaum sprechen. Er selbst hatte feuchte Augen.

Am 5. Februar 1778, bevor er in seinen Reisewagen stieg (mit seinem Sekretär und seinem Koch), versprach er lächelnd, in sechs Wochen zurück zu sein. Er glaubte selbst so sicher daran, daß er seine Manuskripte und Papiere nicht in Ordnung brachte, ehe er aufbrach. Trotz Alter und Kränklichkeit fühlte er noch genug Lebenskraft in sich. Er beschäftigte sich wenig mit dem Gedanken an den Tod, noch weniger mit dem Gedanken an seine Unsterblichkeit. Als Friedrich um diese Zeit seine Büste in Porzellan ausführen und mit der Inschrift versehen ließ: Dem Unsterblichen (Immortali), antwortete er artig ablehnend mit den Versen:

Vous êtes généreux; vos bontés souveraines
Me font de trop riches présents.
Vous me donnez dans mes vieux ans
Une terre dans vos domaines.

Tod und Unsterblichkeit waren ihm sicher genug. Wie andere hatte er von dieser wie von jenem gleich wenig Freude.


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