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Lunéville und Paris

I

Nachdem sich das Paar einen Monat in Cirey aufgehalten und die Zeit wie gewöhnlich mit Studien und Theateraufführungen ausgefüllt hatte, folgte es der Einladung des Königs Stanislaw nach Lunéville, der Hauptstadt seines lothringischen Herzogtums, wo er trotz seiner Frömmigkeit gern unterhaltsame Gäste bei sich sah und bereit war, Voltaire und die Marquise aufs glänzendste aufzunehmen. Man hatte ihn von Anfang an in seinem kleinen Land schlecht angesehen, das an dem alten Herrscherhaus hing und außerdem wußte, daß Stanislaws Regierung nur den Übergang des Landes an Frankreich vorbereitete. In Wirklichkeit war auch Stanislaws Kanzler, Herr de la Galaizière, Lothringens eigentlicher Regent, und die Wirksamkeit des Königs beschränkte sich darauf, das Land mit schönen Bauten im Stile der damaligen Zeit zu versehen und sich durch Wohltätigkeit bei seinen Untertanen beliebt zu machen. Der kleine Hof war idyllisch und anziehend. Sicher war es auch eine Genugtuung für Voltaire, von dem es hieß, der Unwille der Königin hätte ihn aus Versailles verjagt, dem französischen Hof zu zeigen, wie gern gesehen er bei dem eigenen Vater der Königin war.

Daß Stanislaw streng religiös war, hinderte in keiner Weise, daß er eine junge und schöne Maîtresse en tître hatte, die Marquise de Boufflers. Und daß die Marquise ihn glücklich machte, hinderte nicht, daß der König dies Glück wie seine Regentenwürde mit seinem Kanzler teilte, der die Marquise von Boufflers lange vor ihm gekannt hatte. Dies Verhältnis war dem König auch nicht unbekannt. Die Marquise war zart, gutmütig, phlegmatisch, genußliebend, ließ sich gern den Zunamen Dame de Volupté geben und schrieb selbst die folgenden witzigen Verse als ihre Grabschrift:

Ci-gît, dans une paix profonde,
Cette dame de Volupté
Qui, pour plus grande sûreté,
Fit son paradis en ce monde.

Verse, die übrigens auch einer anderen Dame, der Gräfin de Verue zugeschrieben werden (Revue des deux mondes 1896 III 485).

Die Marquise war liebenswürdig und konnte ihren alten König ganz gut leiden; aber sie konnte hier und da doch die Geduld gegenüber seinen Galanterien verlieren. Eines Tages, als der König während ihrer Toilette Besuch machte und begann, die Weiße ihres Halses, die vollendete Schönheit ihrer Arme, die schöne Farbe ihres Haares zu preisen, unterbrach sie ihn: »Mein Fürst, wollen sie mich nicht mit dem geringsten Kompliment verschonen? Ist das alles?« – »Nein,« antwortete der König fein: »Das ist nicht alles. Aber mein Kanzler wird Ihnen das übrige sagen.« – Herr de la Galaizière, der zugegen war, antwortete übermütig: »Ja, Euer Gnaden, das übernehme ich.« Er blieb jedoch nicht der einzige, der das übrige erzählte, sondern erhielt einen Helfer in Herrn de Saint-Lambert.

An der Tafel Ludwigs des Fünfzehnten in Choisi sprach man eines Abends über die Frage, ob es möglich sei, mehrere Frauen mit derselben Zärtlichkeit zu lieben. Der König, der ein Glas Vin d'Aï in der Hand hielt, sagte: »Liebt man nicht mit derselben Leidenschaft Burgunder-Wein, Bordeaux-Wein und diesen Wein mit der leuchtenden Farbe, in dem ich jetzt ihr Wohl trinke, meine Herren?«

Dem, was der König hiermit ausdrückte, zuzustimmen, würde die Marquise von Boufflers kaum Bedenken gehabt haben.

Unter den Kammerherren, die zum Hofe König Stanislaws gehörten, befand sich, wie angedeutet, ein junger Edelmann von höchst vorteilhaftem Äußeren, der eine Kompagnie in der lothringischen Garde führte und der ohne eigentliche Originalität Verse schrieb, die gefielen. Er wirkte in jeder Unterhaltung wohltuend durch seine Lebhaftigkeit und eine gewisse kühle Eleganz. Er gefiel in der Regel allen, denen er gefallen wollte. Als Voltaire und Madame du Châtelet in Commerci ankamen, um sich nach Lunéville zu begeben, war er so sehr bemüht, Madame de Boufflers den Hof zu machen, daß der König, der sich beunruhigt fühlte, ihn entfernt hatte und gar nicht wußte, daß er sich in der Nachbarschaft des Schlosses befand. Die Unruhe des Königs schwand, als das berühmte neu angekommene Paar sich am Hofe in Lunéville mehr und mehr heimisch fühlte.

II

König Stanislaw hatte bei seiner Wohltätigkeit den ehrlichsten Willen, Künste und Wissenschaften zu fördern. Soweit seine Mittel reichten, gab er den Literaten, die ihn darum baten, kleine Pensionen; anderen gewährte er seinen Schutz, der in Anbetracht seiner Stellung als Vater der Königin von Frankreich sehr viel wert sein konnte.

Unter den Schriftstellern, die sich mit einem Gesuch an ihn wandten, war einer, der durch seine fast dreißigjährige Verfolgung Voltaires und durch den unbezähmbaren Haß, den dieser deshalb gegen ihn nährte, auf die Nachwelt gekommen ist. Sein Name ist untrennbar von dem Voltaires geworden. Er hieß Elie Cathérine Fréron, was Voltaire nicht gehindert hat, den Mann hartnäckig Jean Fréron zu nennen; vielleicht weil der Name durch die Abkürzung J. F. auf französisch eine häßliche Bedeutung bekam. Fréron hat mehr als 200 Bände herausgegeben; nicht einer davon wird noch gelesen oder kann noch gelesen werden; er verdankt seine Berühmtheit einzig und allein dem Umstand, daß er Voltaire so lange gemartert hat, bis ihm dieser das Epigramm aus der griechischen Anthologie über den Kappadokier versetzte, das lautete:

L'autre jour, au fond d'un vallon,
Un serpent piqua Jean Fréron.
Que pensez-vous qu'il arriva?
Ce fut le serpent qui creva.

(Ursprünglich hieß es weniger witzig: Den Kappadokier biß eine wütige Natter; doch starb auch sie selbst, weil sie von giftschäumendem Blute geleckt.)

Fréron war 1719 in Quimper in der Bretagne geboren, war erst bei den Jesuiten erzogen worden und war darauf Lehrer in ihrem Gymnasium, Collège Louis-le-Grand gewesen. Es ging ihm, wie es augenscheinlich vielen anderen gegangen ist, die danach strebten, sich als Kritiker in der Literatur geltend zu machen, auch in den folgenden Jahrhunderten: die Gewohnheit, als Schulmeister Aufgaben durchzusehen, war sein ganzer Beruf als Kritiker. Seine Leidenschaft und Wirksamkeit blieb, Aufsätze zu verbessern.

Er fand eine gleichgesinnte und verwandte Seele, als er sich mit dem Abbé Desfontaines verband, der ihm den Haß und den Neid einflößte, die ihn gegen die berühmten Schriftsteller des Jahrhunderts erfüllten, besonders gegen Voltaire, und Fréron begann, Beiträge für die Zeitschrift des Abbés zu liefern. Er durchlief verschiedene Formen, nannte sich zuerst Abbé Fréron, danach Chevalier Fréron, endlich ganz schlicht Monsieur Fréron, lobte die Größen des vergangenen Jahrhunderts auf Kosten jener des damaligen, fühlte sich als Schüler Desfontaines und als Inhaber des genialen Funkens, den zu besitzen die Mittelmäßigkeiten in der Regel sicher sind. Beim Tode Desfontaines' schrieb er ein Gedicht, in dem er diese Überzeugung ausdrückte, und auch, daß Desfontaines derjenige war, dem er diese Funken verdankte:

C'est à vous, ombre illustre, à vous que je le dois.

»Berühmter Schatten«, auf Desfontaines angewandt, ist nicht ohne Humor.

Frérons Temperament war jedoch nicht wenig von dem Desfontaines verschieden. Der Abbé war der flache, schlaue und mißgünstige literarische Bandit; Fréron war der gute Kopf, der quasi-joviale literarische Bandit, nicht ganz ohne Witz, im übrigen gänzlich gewissenlos. Jeder für sich eine Treibhauspflanze zeitgenössischer Journalistik, jeder für sich eine üppige Blüte aus dem Unkrautgarten der Literatur, wo auch eine derartige Flora Nahrung findet, teils im Neid auf glücklichere Berufsgenossen, teils im respektlosen Gefühl des Publikums gegenüber denen, zu deren Anerkennung man es zwingen will, obgleich es in seiner Unschuld nichts Besonderes an ihnen entdecken kann.

Fréron führte Desfontaines Wochenschrift unter dem Titel Lettres sur quelques écrits de ce temps weiter.

Er wußte, daß die Königin nichts von Freidenkern hielt, die man damals Philosophen nannte. Er wußte, daß König Stanislaw einige von ihnen mochte, doch durchaus nicht in ihrer Eigenschaft als Philosophen, sondern trotz dieser Eigenschaft als Menschen, Dichter, Theaterarrangeure, unterhaltende Weltleute. Er wußte schließlich, daß diese dem König Ludwig ebenso zuwider waren wie der Königin und dem Schwiegervater des Königs. Er tauschte sich also hohen Schutz gegen die Verpflichtung ein, die Philosophen zu bekämpfen und ihre Lehren zu widerlegen. Und er bot bald die anziehende Vereinigung von Eigenschaften dar, die im neunzehnten Jahrhundert Veuillot charakterisierten: er war ausgemachter religiöser Literat, stets Fürsprecher der Religion, aber nicht deshalb pathetisch; was er schrieb, entbehrte nicht des Salzes und war nicht ohne weltlichen Zynismus. Verschiedene Freunde Voltaires, nicht wenige seiner vorgeblichen Freundinnen (einige, an die er am meisten glaubte, wie Madame de Deffand), genossen recht innig Frérons Artikel gegen Voltaire.

Von 1745-1776, einunddreißig Jahre hindurch, war Angriff nach Angriff auf Voltaires Arbeiten und seine Person Frérons Hauptbeschäftigung. Was er auch besprach, was er auch anzeigte, es führte die Rede auf Voltaire, und Fréron machte sich Luft. Um das zu verstehen, muß man wissen, daß er als Bretagner ausdauernd und hartnäckig war bis zum Äußersten; als mittelmäßiger Kritiker neidisch bis zum Wahnsinn; und daß er als schlechter Psychologe aus Voltaires Langmut und jahrelangem Schweigen auf seine Angriffe den falschen Schluß zog, daß er hier frei schlagen durfte. Nicht ohne Grund rechnete er damit, daß Voltaire nur an Ansehen verlieren konnte, wenn er sich darauf einließ, ihm entgegenzutreten. Er rechnete aber nicht damit, daß in Voltaires Leben stets ein Augenblick kam, wo er nicht mehr überlegte, was würdiger oder klüger war, sondern die Pranken in seinen Angreifer schlug und ihm die Knochen zerbrach.

Fréron machte außerdem hier und da grobe Dummheiten außerhalb seines Verhältnisses zu Voltaire. Als er den Abbé de Bernis verspottete, weil ihm Madame de Pompadour ein Jahresgehalt verschafft hatte, kam er auf einige Monate in das Vincennes-Gefängnis. Damit die Zeit schneller verging, verfiel er hier darauf, sich schon am frühen Morgen zu betrinken, und behielt die Gewohnheit zu seinem Schaden lange bei. Als er aus dem Gefängnis kam und seine kritische Tätigkeit wieder begann, traten ihm häufig aufreizende Hindernisse in den Weg. Die Gunst, die ihm die Königin erwies, war nicht immer mächtig genug gegenüber dem Unwillen, den die Favoritinnen Ludwigs des Fünfzehnten gegen ihn nährten. Fréron versuchte, sich zum barschen und strengen Feind der Leichtfertigkeit aufzuschwingen; aber diese Damen brauchten eher liebenswürdige Nachsicht, und konnten unmöglich wünschen, daß der Ton, den er anschlug, vom Hofe und der guten Gesellschaft anerkannt wurde.

Anfänglich war Frérons Kritik an Voltaire durchaus nicht sonderlich bösartig, sie konnte manchmal sogar unterhaltend und begründet sein. So wenn er seine Scherze über das schwache Gelegenheitsfestspiel Le Temple de la Gloire macht und launig auf die humoristisch große Zahl von Tempeln hinweist, die Voltaire nacheinander in seinen Versen erbaut hat, den Tempel des Geschmacks, den Tempel des Glücks, den Tempel der Freundschaft und nun den Tempel des Ruhms. Er erlaubt sich, ihm die Errichtung noch eines fünften vorzuschlagen, des »Tempels der Eigenliebe«.

Wie geneigt verschiedene religiös-konservative Schriftsteller waren, bei Fréron Tugenden wie bei Voltaire Laster zu finden, verrät der kleine Umstand, daß Nisard in vollem Ernst eine Art Größe (une sorte de grandeur) darin findet, daß Fréron, der die Beschuldigung gegen Voltaire aus der Luft gegriffen hatte, er habe ein Madrigal von La Motte plagiiert, später ehrlich gestand, das Gedicht wäre von Voltaire selbst verfaßt.

Fréron hatte eine sehr beträchtliche Einnahme aus seiner Journalistik. Da er aber fand, daß sein Vertrag mit dem Verleger Duchesne über zehn Louis d'or für den Artikel auf die Dauer nicht vorteilhaft genug war, unterzeichnete er einen anderen, der ihm noch mehr einbrachte, mit dem Verleger Lambert, erklärte Duchesne, er lasse die Wochenschrift eingehen, und ließ sie sofort wieder erscheinen unter dem Titel L'Année littéraire, den sie lange behielt. (L'Ane littéraire nennt sie Voltaire in der 98. Epistel A Daphné.)

Fréron gehörte zu denjenigen Verteidigern von Religion und Moral, die, wenn sie den Federhalter nicht in der Hand haben, Moral und Religion für sich allein sorgen lassen. Er hatte seine reichliche Einnahme, war gar nicht wirtschaftlich, aß gut, trank besser, dachte wenig an die Zukunft, sah sie durch den Schaum eines Champagnerglases. Er hatte eine schmucke Wohnung bei einem reichen Branntweinbrenner gemietet, bei dem Erfinder eines Lebenselixiers, das Baume de la vie hieß. Er besang diesen Balsam und seinen Erfinder und richtete sich mit bürgerlichem Luxus in der Wohnung ein, wobei er auf die Vergoldung allein 30 000 Livres verwandte.

Fréron hielt ständig ein offenes Haus. Seine Abendessen genossen einen Ruf in Paris. Der Ton war frei und die anwesenden Damen gestatteten diese Freiheit, erlaubten ohne Vorurteil, daß in ihrer Gegenwart alles, was man nur beliebte, gesagt und erzählt wurde. Die Fröhlichkeit bestand zum Teil in groben Scherzen. Ein Beispiel wird einen Begriff von ihrer Art geben.

In Paris lebte ein kümmerlicher Verfasser von Operntexten, Poinsinet, der »der kleine« genannt wurde, um ihn von seinem Vetter, dem bekannten Schriftsteller Poinsinet de Sivry, zu unterscheiden. Er wurde eines Tages zum Opfer der Fréronschen Bande ausersehen, und Palissot (der Verfasser der Philosophen) ging mit tief niedergeschlagener Miene zu ihm und sagte: »Fréron ist krank; leider kann er nicht mehr lange leben. Aber er lädt Sie nichtsdestoweniger zum Abend ein. Er hat eine Absicht dabei. Er will Sie in Gegenwart seiner ganzen Gesellschaft zu seinem Nachfolger bestimmen und Ihnen das Szepter der Kritik überreichen.«

Dem armen Poinsinet traten bei diesen Worten die Tränen in die Augen; er war einerseits etwas traurig bei der Nachricht von Frérons baldigem tödlichen Ende, andererseits nicht wenig bewegt bei dem Gedanken an die bevorstehende ehrenvolle Auszeichnung.

Als er spät am Abend kam, erhoben sich die Anwesenden und bewiesen ihm ungewöhnliche Ehrerbietung. Es war dunkel, das Krankenzimmer kaum erleuchtet, alles deutete auf Bestürzung und Trauer. Poinsinet näherte sich dem Bett des Toten: Ein Arzt schien dem Patienten von Zeit zu Zeit den Puls zu fühlen. Ein dumpfer, rollender Laut ließ sich vernehmen. Der Arzt erklärte Poinsinet diese Sprache: Herr Fréron drückte seine Zufriedenheit damit aus, ihn zu sehen.

Der junge Lyriker war stark ergriffen. Er heftete den Blick auf das Gesicht des Sterbenden. Voller Schmerz entdeckte er, daß es beinah keinerlei menschliche Züge mehr besaß.

»In welchem elenden Zustand ich nach einem so kurzen Krankenlager diesen großen Kritiker finde!«

»Es ist eine Rose hämorrhoidalischer Natur,« antwortete der Arzt. »Alles ist geschwollen. Augen und Nase sind verschwunden. Wie Sie hören, vermag die Zunge nur unartikulierte Laute zu sprechen.«

Und so kam der Augenblick, wo der Sterbende durch den Arzt Poinsinat zu seinem Erben einsetzte. »Berühmter Kritiker!« brach dieser aus, »möchte ich nur würdig den Platz ausfüllen, den Sie mir hinterlassen, würde nur ein Hauch des mächtigen Geistes von ihren Lippen mich begnaden können!« Und seine Tränen fielen feucht auf die runden Wangen des Patienten.

In diesem Augenblick wurden plötzlich alle Lichter angezündet. Und der Erstaunte entdeckte, daß es nicht gerade das Gesicht des Toten war, das er vor sich hatte, und worauf noch die Spuren seiner Tränen zu entdecken waren.

Fréron stand auf, umarmte Poinsinet und sagte unbekümmert: »Großer Dichter, verzeihen Sie den unschuldigen Scherz. Von nun an sind wir durch ewige Freundschaft verbunden. Waschen Sie Hände und Gesicht und dann wollen wir zu Tisch gehen!«

Wie man sieht, fehlte es dem Fürsprecher guter Sitten und der Religiosität nicht an einer gewissen äußerst derben Gemütlichkeit, voller Hintergedanken.

Wenn Voltaire gegen ihn ein ganzes Schauspiel, L'Ecossaise, schreibt, wenn dessen Erstaufführung ein literarisches und künstlerisches Ereignis in Paris wird, dem Fréron selbst ohne mit den Augen zu zucken beiwohnt und über das er mit all dem Witz, der ihm zur Verfügung steht, in seiner Zeitschrift Bericht erstattet, so scheint es einem, als ob Voltaire, die Enzyklopädisten und ihre Freunde, Männer wie D'Alembert, Grimm und Diderot einer Nichtigkeit zuviel Ehre erwiesen und ihretwegen zuviel Wesens machten.

L'Ecossaise ist jedoch außerdem eine rein literarische Schöpfung. Unheimlich aber ist die Sammlung Anecdotes sur Fréron, die Voltaire durch seinen Handlanger Thiériot für sich zusammenstellen ließ und die mit vielem unflätigen Wahren und manchem Falschen durcheinander unter seinen Getreuen verbreitet wurde. Polemik in solchem Tone ist Entwürdigung. Man versteht jedoch, wie groß die Versuchung war, den Brief abzudrucken, der als Beilage folgt, ein Brief, der Voltaire aus London von dem Advokaten Royon gesandt worden war. Darin stand, daß Fréron sich vor drei Jahren in der Bretagne mit der Schwester des Advokaten verheiratet hatte. Der Vater gab 20 000 Francs als Mitgift. Fréron verjubelte diese mit Frauenzimmern und fügte seiner Frau eine ansteckende Krankheit zu; dann sandte er sie in einem Packwagen nach Paris und ließ sie auf Stroh schlafen. Als der Bruder von ihm Rechenschaft verlangte, heuchelte er Reue. Da er aber für die Regierung berufsmäßig Spionage trieb und dadurch erfuhr, daß der Schwager Royon an den Unruhen in der Bretagne teilgenommen hatte, zeigte er diesen an und ließ ihn einsperren, fand sich sogar persönlich mit der Polizei ein, ließ ihn in Ketten legen, setzte sich im Wagen neben ihn – und hielt das Ende der Kette in der Hand.

Ein Ritter ohne Furcht und Tadel war der tapfere Fréron wahrlich nicht, und wenn Voltaire dies unedle Wild mit einer Jagdlust verfolgte, die uns ganz unverständlich ist, so ist doch das Unrecht, das Fréron gelitten hat, kaum nennenswert im Vergleich mit dem, das er getan hat.

In der amüsanten kleinen gereimten Erzählung Le pauvre Diable kommt ein Abschnitt von einigen zwanzig Versen vor, die auf vernichtende Weise Frérons Portrait zeichnen, wie er in seinem Stammcafé sitzt und junge Menschen mietet, damit sie in seinem Blatt für zehn Taler im Monat lügen. Wer außer Voltaire konnte einen Menschen mit einer einzigen Zeile niederstrecken, wie dieser: ein Bandwurm aus dem Hinterteil Desfontaines geboren und seines Ursprungs würdig:

Grand écumeur des bourbiers d'Hélicon,
De Loyola chassé pour ses fredaines,
Vermisseau né du cul de Desfontaines
Digne en tous sens de son extraction.

Voltaire verschmähte auch nicht, ein Gassenlied auf seinen Angreifer in Umlauf zu setzen. Daraus mögen zwei kurze Strophen angeführt werden:

Sitôt qu'un libelle imbécile
Croqué par quelque polisson
Court les cafés de la ville,
Fi! dit-on, quel ennui, quel style!
C'est du Fréron; c'est du Fréron!

Si quelque pédant fanfaron
Vient étaler son ignorance,
S'il prend Gillot pour Cicéron,
S'il vous ment avec impudence
On lui dit: Taisez-vous, Fréron!

Mit weitschweifigem Vergnügen hat Voltaire den hervorragenden 18. Gesang von La Pucelle ausgeführt, wo Fréron als Mitglied einer größeren Bande Galeerensklaven auftritt, die nach Toulon geführt werden. Das sind all die zahlreichen französischen Literaten, die im Lauf der Jahre über Voltaire hergefallen waren. Während diese, die also in den Anfang des 15. Jahrhunderts zurückversetzt sind, unter Bewachung ihrer Wächter im Walde bei Orléans lagern, treffen sie Jeanne d'Arc und den schönen Dunois, die sie für eine Schar französischer von den Engländern gefangenen Ritter halten. Die Heldin fällt über ihre Wächter her und befreit sie.

Als die Galeerensklaven nun vor Karl den Siebenten und Agnes Sorel geführt werden, nennen sie sich mit Frélon (Fréron) als ihrem Sprecher unschuldige Opfer eines Mißgriffs der menschlichen Gerechtigkeit, und Frélon stellt ihre Untaten dar, als wären sie die ruhmvollsten Handlungen, stellt sich außerdem selbst in das beste Licht:

Lui répondit: O monarque trop bon!
Je suis de Nante et mon nom est Frélon.
J'aime Jésus d'un feu pur et sincère;
Dans un couvent je fus quelque temps frère;
J'en ai les mœurs; et j'eus dans tous les temps
Un très grand soin du salut des enfants.
A la vertu je consacrai ma vie.

Frélon steht für die andern wie für sich selbst ein. Als der König fragt:

Dis-moi, l'ami, si chaque camarade
Qui vers Marseille allait en ambassade,
Ainsi que toi fut un homme de bien?

antwortet der Bandit auf die höchst beruhigende Weise:

Ah, dit Frélon, sur ma foi de chrétien
Je réponds d'eux ainsi que de moi-même,
Nous sommes tous en un moule jetés.

Und der König läßt nun gerührt die Gefangenen von ihren Fesseln befreien. Sie verbringen die Nacht unter dem Schutzdach vor dem Hause des Königs. Aber am nächsten Morgen sind sie verschwunden mit der ganzen Garderobe König Karls, der schönen Agnes Sorel und des Gefolges.

In der ganzen Pucelle gibt es wohl kaum einen witzigeren und übermütigeren Abschnitt.

Im 22. Kapitel von Candide kommt Voltaire noch einmal auf Fréron zurück. An der Stelle, wo Candide fragt: Wer ist das dicke Schwein, das mir so viel Schlechtes über das Stück sagte, über das ich geweint habe, und über die Schauspieler, die mich so sehr unterhalten haben? Das ist, antwortet der Abbé, eine Person, die ein schlechtes Leben führt und ihr Brot dadurch verdient, daß sie schlecht von allen Schauspielern und allen Büchern spricht … Herausgeber eines Blattes, Fréron. Auch in dem witzigen Bericht über des Jesuiten Berthier Krankheit, Beichte, Tod und Offenbarung bekommt Fréron seinen Fußtritt ab.

Wir werden weiterhin sehen, wie sich Fréron mit seiner schlecht angebrachten Spötterei und Ironie gegen Voltaire in den großen Augenblicken seines Lebens erhebt: da er Corneilles junge weibliche Verwandte adoptierte oder da er sich der Familie Calas annahm. Aus Rache auf den Angriff wegen der Adoption ließ Voltaire die Anecdotes sur Fréron veröffentlichen.

III

Der königliche Wirt erwies Voltaire herzliche Aufmerksamkeit. Madame du Châtelet wurde sofort die Freundin der Marquise de Boufflers, die nichts verabsäumte, um ihr den Aufenthalt angenehm zu machen. Sie fühlte sich denn auch bald so wohl in Lunéville, daß Voltaire, wie er an d'Argental schrieb, glaubte, sie würde den Ort nie mehr verlassen. Die göttliche Emilie spielte auf dem Theater in Lunéville sowohl in der Oper wie im Schauspiel.

Wir haben gesehen, wie lange es her war, daß sie sich in ihrem Verhältnis zu Voltaire ganz befriedigt fühlte. So gut sie geistig übereinstimmten, so verschieden waren sie allmählich in ihrem Temperament geworden. Als sie nun, etwa zehn Jahre, nachdem sich Voltaires Liebe in Freundschaft verwandelt hatte, den jungen, reizenden und inhaltlosen Saint-Lambert traf, da flammte die Liebe zum letztenmal in ihrer Seele auf und die Lohe schlug über ihrem Kopf zusammen.

Im Mai 1748 begannen die schöne Emilie, die 41 Jahr alt, und Saint-Lambert, der gerade zehn Jahre jünger war, sich ganz heimlich in gegenseitiger Entzückung zu treffen.

Madame du Châtelet, die ja den Charakter ihres Geliebten durchaus nicht kannte, und noch weniger ihr späteres Schicksal voraussehen konnte, war sofort zu Mute, als hätte eine neue Epoche in ihrem Leben begonnen. Ihre ersten Zeilen an Saint-Lambert lauten: »Ich kann nichts bereuen, da Sie mich lieben; aber leider verdanke ich, was geschehen ist, mir selbst. Wenn ich Sie bei Herrn de la Galaizière nicht angesprochen hätte, würden Sie mich nicht geliebt haben. Ich weiß nicht, ob ich mit einer Liebe zufrieden sein soll, die von einer solchen Kleinigkeit abhing; ich weiß nicht, ob ich nicht besser getan hätte, Sie dem egoistischen Vergnügen zu überlassen, das Sie darin finden würden, nicht zu lieben. Aber Ihnen kommt es zu, diese Fragen zu entscheiden.«

Saint-Lambert scheint mit dem Stolz über seine berühmte Eroberung doch eine gewisse Scheu vor all den anstrengenden Forderungen verbunden zu haben, die eine so anspruchsvolle Liebe an ihn stellen würde. Er sah ein, daß seine Bewegungsfreiheit leicht eingeschränkt werden könnte. Er hatte eine Reise nach Italien geplant, die er aufgeben mußte, eine Reise nach England, aus der nun auch nichts werden konnte. Aus einem Brief der Marquise ersieht man, daß er ihr von dem Opfer von Italiens Sonne gesprochen, das er ihr gebracht hat.

Sie schreibt: »Wenn Sie mir nicht den Liebesbeweis gegeben hätten, von dem Sie mir so eindringlich vorhalten, daß ich ihn verlangt habe, die Aufgabe einer Reise jenseits der Alpen, so würde ich nicht glauben, daß Sie mich lieben. Ich verbinde mit diesem Wort andere Vorstellungen als Sie; ich fürchte sehr, daß wir, sogar wenn wir dasselbe sagen, einander nicht verstehen. Jedoch, wenn ich an die Haltung denke, die Sie mir gegenüber in Nancy eingenommen haben, und an alles, was Sie mir geopfert, die Liebe, die Sie mir erwiesen haben, dann finde ich mich selbst ungerecht, wenn ich Ihnen etwas anderes sage, als daß ich Sie liebe; dies Gefühl löscht jedes andere aus.«

Bald bittet die schöne Emilie Saint-Lambert, zu ihr zu kommen, bald eilt sie zu ihm. Hier zwei Briefchen, die einander ergänzen. Das erste lautet: »Das Wetter ist entzückend; ich habe keinerlei Genuß ohne Sie; ich warte auf Sie, um meine Schwäne mit Brot zu füttern und um spazieren zu gehen. Kommen Sie zu mir, sobald Sie angezogen sind. Sie können danach ausreiten, wenn Sie wollen.« Das andere lautet: »Ich fliege zu Ihnen, sobald ich zu Abend gegessen habe. Madame de Boufflers geht dann zu Bett. Sie ist hinreißend, und ich fühle keine geringe Schuld, daß ich ihr nichts gesagt habe. Aber ich bete Sie an und es kommt mir vor, wenn man liebt, begeht man keinerlei Unrecht.«

An sich liegt hierin ja nichts besonders Eigentümliches. Eine Frau von vierzig Jahren liebt in allem Wesentlichen auf dieselbe Art wie eine von zwanzig. Eine hochbegabte Frau liebt genau so lebhaft wie eine unbegabte. Eine Frau, die sich im täglichen Verkehr mit Voltaire entfaltet hat, vergißt in der Leidenschaft für einen neuen Anbeter den früheren so vollständig, als hätte sie seinen Namen von einer Schiefertafel gestrichen. Daß Saint-Lambert so viel jünger ist, ist ein Vorzug; daß er so viel weniger aufmerksam ist, ist verhältnismäßig gleichgültig. Er ist der neue, der siegreiche, der einzige; ihn zu lieben, ist gut: von ihm geliebt zu werden, würde süß sein. Daß sein Charakter nicht aus Granit ist, daß er als Schriftsteller nicht die Lanze führt, mit der man den Drachen, der Zeit heißt, überwindet, das wird zwar etwas unangenehm empfunden, schwächt aber die Leidenschaft nicht. Seine mutmaßlichen oder offenbaren Mängel machen keinen Eindruck. Emilie sieht sie, wie sie einmal Voltaires Schwäche für den Ruhm sah, und noch früher Richelieus Schwäche für neue Frauen; das sind Widrigkeiten, unter denen sie leidet und in die sie sich findet.

Für sie wie für andere Frauen gibt es im Garten des Paradieses ein Obst, das gerade ihrem Gaumen schmeckt, und hat sie das gefunden, dann gibt sie es um keinen Preis auf. Und nun war Saint-Lambert dieses Obst.

Man lese den lehrreichen Brief, datiert: Bar-le-Duc, Donnerstag Morgen (Mai 1748):

Mein ganzes Mißtrauen in Ihren Charakter, alle Beschlüsse, die ich gegen Liebe gefaßt hatte, sind außerstande gewesen, mich gegen die zu verteidigen, die Sie mir eingeflößt haben. Ich versuche nicht mehr, sie zu bekämpfen; ich fühle die Zwecklosigkeit dabei. Die Zeit, die ich mit Ihnen in Nancy verbrachte, hat sie in einem Maße vergrößert, das mich selbst verwundert. Aber weit davon, mir deshalb Vorwürfe zu machen, fühle ich eine unendliche Freude, Sie zu lieben, und diese ist das einzige, was den Schmerz über Ihre Abwesenheit mildern kann. Ich bin vollkommen zufrieden mit Ihnen, wenn wir zusammen sind, aber ich bin nicht zufrieden mit der Wirkung, die meine Abreise auf Sie gemacht hat. Sie wissen gut, was Zuneigung ist, aber Liebe kennen Sie noch nicht. Ich bin sicher, daß Sie heute in Lunéville lebhafter und geistreicher sein werden als jemals, und dieser Gedanke betrübt mich, abgesehen von all meiner Unruhe. Falls Sie mich nur wenig lieben können; falls Ihr Herz nicht vermag, sich ohne Vorbehalt zu geben, mich ohne Maß und Ziel zu lieben, was werden Sie da mit meinem Herzen tun? … Ohne Zweifel werden Sie mir schreiben; aber Sie werden sich überwinden, mir zu schreiben. Sie möchten, daß ich weniger forderte. Ich werde vier Zeilen von Ihnen bekommen; und es wird Sie eine Anstrengung gekostet haben diese vier Zeilen zu schreiben …

Ich erwarte Sie in Cirey; zweifeln Sie nicht! Wenn Sie es stark wünschen, dann verstehen Sie, daß es sich mit Leichtigkeit ordnen läßt; aber Sie wünschen ja nichts stark! Ohne den Beweis für die Liebe, von dem Sie mir so eindringlich vorhalten, daß ich ihn von Ihnen verlangte [Aufgeben der italienischen Reise] hätte ich nicht geglaubt, daß Sie mich liebten.

IV

Als Voltaire und Madame du Châtelet den König von Polen in Commerci das erstemal trafen, waren für sie beide schöne Wohnungen bereitgehalten. Die Marquise hatte eine Anzahl von Zimmern im Erdgeschoß, deren Fenster auf den großen Schloßhof hinausgingen, Voltaire hatte eine kleinere Wohnung im zweiten Stock mit Aussicht auf die Gärten; beide im linken Flügel des Schlosses. Die Marquise von Boufflers wohnte im selben Garten in dem Gebäude, in dem die Bäder lagen, nahe bei der Orangerie. Sie machte die Honneurs an dem Tisch, an dem die Gäste ihre Mahlzeiten einnahmen. Der König aß niemals zu Abend; er ging früh zu Bett.

Herr de Saint-Lambert war nicht zu dem Ausflug von Lunéville nach Commerci aufgefordert worden; dem König gefiel sein Hofmachen vor der Marquise von Boufflers nicht, und noch weniger gefiel es ihm, daß er nicht abgewiesen wurde. Da nun Saint-Lambert nicht eingeladen war, kam er inkognito und hatte Logis im Pfarrhof bekommen, der an die Orangerie stieß. In ihr Gewölbe führte von dem Heim des Priesters eine Tür, die es dem Geistlichen leicht machte, so oft er es wünschte, im Garten zu spazieren.

Am andern Ende desselben Gewölbes ging eine Tür in das Badehaus, wo Madame de Boufflers wohnte. Durch diese Tür kam der König an jedem Nachmittag zur Marquise, um ein Kartenspielchen zu machen, etwas Musik zu hören oder seine Pfeife zu rauchen. Wenn er sich dann zwischen neun und zehn Uhr zurückzog, kam Herr de Saint-Lambert desselben Weges. Ein erleuchtetes Fenster unterrichtete ihn stets davon, wenn der König im Hause war, und wurde das Licht ausgelöscht, wußte er, daß sich der König zur Ruhe begeben hatte. Er war im Besitz von Schlüsseln, und mit einer Blendlaterne fand er den Weg zur Wohnung der Marquise. Hier gab sie an jedem Abend kleine gemütliche Soupers für diejenigen ihrer Freunde, die von dem Aufenthalt des Herrn de Saint-Lambert in Commerci wußten. Die Gäste wurden alle von ihren eigenen Lakaien bedient, die das Essen zur vorgeschriebenen Zeit aus der Küche des Königs holten.

Es scheint, als sei Herr de Saint-Lambert gerade all der Vorsichtsmaßregeln, die er beobachten mußte, um Madame de Boufflers zu sehen, etwas überdrüssig geworden, als die Ankunft der Marquise du Châtelet seinen Interessen eine andere Richtung gab. Er begann nun, seine Abende bei Madame du Châtelet zu verbringen, bis der Augenblick kam, da er sich zum Abendessen bei der Marquise von Bouffiers einfinden durfte.

Eines Abends, als Voltaire von seinen Zimmern heruntergekommen war, ehe man ihm gemeldet hatte, daß das Essen im Badehaus angerichtet war, trat er, da er im Vorzimmer keinen Lakaien traf, unangemeldet bei der Marquise du Châtelet ein. So kam er zum letzten Zimmer der Wohnung, das nur halb und schwach beleuchtet war, und entdeckte da auf einem Sofa im Hintergrunde des Zimmers Madame du Châtelet und Herrn de Saint-Lambert in so intimer Unterhaltung, daß sie augenscheinlich nicht an das Kommen eines Dritten gedacht hatten.

In seiner Überraschung und voller Zorn machte Voltaire ihnen die heftigsten Vorwürfe. Saint-Lambert antwortete ihm, daß er sich aufs höchste wundere, daß es jemand wagte, von ihm Rechenschaft für sein Verhalten zu fordern, und daß der, dem sie nicht gefiel, nur hinaus vor das Schloß zu gehen brauchte; er würde sofort folgen und war bereit, jede Erklärung zu geben.

Voltaire verließ das Zimmer in höchster Verbitterung und befahl seinem Kammerdiener Longchamp, der die Szene beschrieben hat, auf der Stelle einen Postwagen zu beschaffen, ihn zu mieten oder zu kaufen, da sein eigener in Paris stehengeblieben war; der Wagen sollte vor der Gittertür des Schlosses vorfahren; er war fest entschlossen, noch in derselben Nacht Commerci zu verlassen. Erstaunt über einen so plötzlichen Entschluß, der nicht einmal am vorhergegangenen Tage angedeutet worden war, und dessen Gründe Longchamp nicht kannte, ging er zu Madame du Châtelet, um sie von dem Befehl, den er erhalten hatte, zu unterrichten und sie nach dem Grund zu fragen. Sie antwortete, daß Herr de Voltaire Gespenster sähe, daß er aufgebracht wäre, weil er Herrn de Saint-Lambert bei ihr getroffen; man mußte ihn daran verhindern, einen so aufsehenerregenden Schritt zu tun. Longchamp solle sich nur hüten, den Auftrag auszuführen, den ihm Herr de Voltaire in der Aufregung des Augenblicks gegeben habe; sie würde schon verstehen, seinen Herrn zu beruhigen; man mußte ihn nur ausrasen lassen und dann bis zum nächsten Tage festhalten.

Longchamp ging darum erst um 2 Uhr nachts zu Voltaire und sagte ihm, daß in ganz Commerci kein Wagen aufzutreiben war, weder zu Miete noch zu Kauf. Voltaires Dienerschaft war verstreut in der Stadt einquartiert. Longchamp allein schlief in dem Kabinet, das neben seinem Schlafzimmer lag. Ehe Voltaire zu Bett ging, gab er seinem Kammerdiener eine Börse und befahl ihm, bei Tagesgrauen nach Nancy zu reiten und von dort einen passenden Reisewagen mitzubringen. Als Longchamp sah, wie ernst der Entschluß war, wollte er Madame du Châtelet vorbereiten und schlich sich hinunter zu ihr, wo er sie am Schreibtisch traf. Sie fragte, ob Voltaire immer noch ebenso erregt war; er antwortete, daß es so schiene; er wäre eben zu Bett gegangen, würde die Nacht aber wohl kaum schlafen können. Sie sandte den Diener fort und sagte, sie würde nach oben gehen und selbst mit Herrn de Voltaire sprechen.

Longchamp ging leise auf sein Zimmer zurück. Einige Minuten später klopfte es an die Tür der Wohnung. Der Diener nahm ein Licht und ließ Madame du Châtelet herein, ging dann und meldete sie seinem Herrn. Da Voltaire sah, daß Longchamp halb entkleidet war, konnte er nicht annehmen, daß dieser auf den Besuch der Marquise vorbereitet war. Der Diener zündete zwei Kerzen an und zog sich zurück. Da aber die Wand zwischen seinem und seines Herren Schlafzimmer sehr dünn war, konnte er das meiste des Gesprächs hören, und was fehlte, wurde ihm später von Fräulein du Thil ergänzt, der vertrauten Freundin der Marquise, die seinerzeit die Verbindung Voltaires mit dem Papste erleichtert hatte.

So lange Longchamp noch im Zimmer war, sprach die gelehrte Emilie mit Voltaire englisch, wovon der Kammerdiener ja nichts verstand. Aber er hörte, daß sie häufiger ein Kosewort anwandte, das sie zu gebrauchen pflegte, wenn sie englisch mit ihm sprach (vermutlich darling). Danach hörte er auf französisch durch die Wand:

Er: Wie? Sie verlangen, daß ich Ihnen glaube nach dem, was ich gesehen habe? Ich habe Ihretwegen meine Gesundheit und mein Vermögen aufs Spiel gesetzt, habe jedes Opfer gebracht – und Sie betrügen mich!

Sie: Ich liebe Sie unverändert, aber schon seit langer Zeit beklagen Sie sich darüber, daß Sie krank sind, daß die Kräfte Sie verlassen, daß Sie nichts mehr aushalten. Ich bin darüber sehr traurig; Ihre Gesundheit ist mir wertvoll; es gibt niemanden auf Erden, dem sie so teuer ist wie mir. Sie Ihrerseits haben das lebhafteste Interesse für meine eigene bewiesen; Sie haben die Pflege, die für meine Gesundheit nötig ist, gekannt und gebilligt; Sie haben sie sogar verlockend gefunden und sich daran beteiligt, so lange es ihr Gesundheitszustand erlaubte. Jetzt, da Sie zugeben, daß Sie für mein Wohlbefinden nichts ohne größten Schaden für Ihr eigenes tun können, haben Sie da ein Recht, zornig zu sein, weil einer Ihrer Freunde Ihre Stelle einnimmt?

Er: Ach, Sie haben vollkommen recht. Da aber die Umstände so sein müssen, wie sie nun einmal geworden sind, so sorgen Sie wenigstens dafür, daß sie sich nicht vor meinen Augen abspielen.

Als Madame du Châtelet ihn beruhigt sah, umarmte sie ihn, zog sich zurück und bat ihn, Ruhe zu suchen.

Sie hatte gleichzeitig nicht weniger Mühe, Saint-Lambert zu beruhigen und ihn daran zu verhindern, Voltaire wegen der Schimpfworte, die ihm in der Erregung entfahren waren, zu fordern. Sie überwand jedoch seinen Widerstand und brachte ihn sogar dazu, den ersten versöhnlichen Schritt zu tun. Unter dem Vorwand, sich nach dem Gesundheitszustand Herrn de Voltaires erkundigen zu wollen, besuchte Saint-Lambert ihn am nächsten Abend. Der Diener meldete ihn, und er wurde empfangen. Bescheiden ging Saint-Lambert zu ihm und bat, ein paar hitzige Worte vom gestrigen Tage zu entschuldigen. Voltaire ergriff beide Hände des jüngeren Mannes, drückte sie und sagte: »Mein Kind, ich habe die Worte vergessen und ich alleine bin es, der Unrecht gehabt hat. Sie sind in dem glücklichen Alter, in dem man liebt und gefällt. Nützen Sie diese zu kurzen Augenblicke! Ein alter Mann, dazu Patient wie ich, ist nicht mehr für Vergnügungen geschaffen.«

Am nächsten Abend aßen alle drei wie gewöhnlich bei der Marquise von Boufflers zusammen zu Abend. Voltaire blieb der zuverlässigste und ergebenste Freund der schönen Emilie bis zu ihrem Tode; Voltaire blieb das Menschenalter, das bis zu seinem eigenen Tode noch hinging, mit Saint-Lambert herzlich verbunden. Wie ehrlich die Versöhnung war, zeigt folgendes Gedicht aus jenen Tagen über die beiderseitige Stellung zu Emilie:

Et nous assemblons pour lui plaire,
Dans ces vallons et dans ces bois,
Les fleurs dont Horace autrefois
Faisait des bouquets pour Glycère,
Saint-Lambert, ce n'est que pour toi:
Que ces belles fleurs sont écloses;
C'est ta main qui cueille les roses,
Et les épines sont pour moi.

Und volle zwanzig Jahre später dankt Voltaire in seiner 112. Epistel Saint-Lambert in den herzlichsten Worten für das zu jener Zeit so überschätzte Buch Les Saisons, das sein Dichter so lange in Arbeit gehabt und von dem schon die schöne Emilie ganz erfüllt gewesen war, da sie ihn in einem Briefe darüber beruhigt, daß, wie es heißt, der Abbé de Bernis an einer Dichtung mit demselben (faden) Titel schreibe. Bei Voltaire heißt es da:

Que vos Saisons m'ont plu! Que mes sens émoussés
A votre aimable voix se sentirent renaître!
Que j'aime, en vous lisant, ma retraite champêtre!
Je fais, depuis quinze ans, tout ce que vous chantez.

V

Wir haben gesehen, welche Lebensfrage das ununterbrochene Zusammenleben mit Saint-Lambert für Emilie geworden war. Wir haben gesehen, welche Stärke das adlige Vorurteil im achtzehnten Jahrhundert selbst bei den Aufgeklärtesten erreichen konnte. Als nun in Emilie du Châtelets Leben einen Augenblick lang ein Zusammenstoß zwischen der Forderung adligen Familienbluts und dem Glück ungestörten Zusammenlebens drohte, da schwankt die schöne Emilie nicht, sondern ergreift in bewußter Resignation mit äußerster Leidenschaft Partei.

Herr du Châtelet hatte lange nach einem guten Posten am lothringischen Hofe gestrebt. Er meinte, ein Recht auf einen solchen zu haben, und seine Frau war noch entschlossener als er, ihn als ein Recht, das der Familie zustand, zu erlangen. Es drehte sich um ein Kommando, das als lothringisches natürlich nur eine Sinekure sein konnte, und das König Stanislaw gern ohne weiteres dem Marquis übertragen hätte, wenn sich nicht um denselben Posten gerade ein Mann beworben hätte, der einmal ein besonders hervorragender Militär, dann aber auch des Königs allernächster persönlicher Freund war, während ihn Herr du Châtelet ein wenig langweilte.

»Herr de Berchini«, wie Madame du Châtelet den Konkurrenten nennt, war der ungarische Magnat Graf de Bercsény, dessen Vater seinerzeit die ungarischen Truppen in dem Kampf gegen Leopolds Übergriffe geführt hatte. Er selbst hatte sich als Kavalleriegeneral persönlich so ausgezeichnet, daß die Tapferkeit seiner Husaren sprichwörtlich geworden und er selbst späterhin zum Marschall von Frankreich ernannt wurde. Es war kein Wunder, daß König Stanislaw wünschte, diesem Mann den Beweis fürstlicher Würdigung zu geben, den er für sich erbat. Aber Madame du Châtelet konnte das Zaudern des Königs nicht verstehen, war nur aufs äußerste aufgebracht. Sie schreibt an Saint-Lambert:

Wenn Herr de Berchini das Kommando bekommt, ist es unmöglich, daß Herr du Châtelet oder ich jemals wieder den Fuß in Lothringen setzen. So lange er es hat, kann kein Ehrenposten, kann keine Gunst den Ekel vertilgen, einen Ungarn, der jünger als Herr du Châtelet ist, an seiner Stelle befehlen zu sehen, und nichts wird uns dazu bringen, uns damit abzufinden. Allein meine Freundschaft für Herrn de Voltaire würde mir den Gedanken unerträglich machen; urteilen Sie selbst, welchen Eindruck die Angelegenheit auf mich machen muß, wenn ich mir vorstelle, daß ich mein Leben mit Ihnen hätte in Lunéville verbringen können und daß wir dazu noch unsere Reisen nach Cirey hätten gemeinschaftlich unternehmen können!

Der gutmütige und liebenswürdige König, der zwar seinen ungarischen Freund nicht entbehren, aber auch auf keine Weise das Haus du Châtelet verletzen wollte, ordnete die Sache so, daß er den Marquis zum Grand maréchal des logis mit zweitausend Talern im Jahr ernannte, während er den Grafen de Bercsény als Grand écuyer de Lorraine, Conseiller-chevalier d'honneur de la cour souveraine du duché usw. an sich fesselte. Als dieser dann Marschall von Frankreich wurde, unternahm Stanislaw keine Reise nach Versailles, ohne bei seinem alten Freund auf dessen Herrensitz Lysancy einzukehren.

Das Auffallende an jenem so leidenschaftlich vorurteilsvollen Briefe der Madame du Châtelet ist besonders, daß sie dem gekränkten Ehrgeiz das zukünftige Zusammenleben mit dem Freunde opfern will und vermutlich auch opfern muß, während sie alles Gleichgewicht bei dem Gedanken verliert, daß Saint-Lambert seine ehrgeizigen Pläne verfolgt ohne Rücksicht auf die größere oder kleinere Möglichkeit eines Wiedersehens. – Man vergleiche z. B. Sätze wie die folgenden aus dem April 1749, geschrieben in Trianon: »Mit welchem Recht wagen Sie, böse zu sein, daß ich meine Sommerkleider hierher kommen lasse … Sie, der Sie ja nicht mit Sicherheit wissen, ob Sie Lothringen nicht bald für immer verlassen? Sie, der Sie ja bereits jetzt in Flandern in Garnison liegen würden, wenn Sie sich vom Prinzen von Beauvau keine Absage geholt hätten! … Sie wollen die Freiheit haben, sich auf immer von mir zu trennen, sobald Sie Ihren Vorteil darin erblicken; aber Sie wollen sich nicht darin finden, daß ich vierzehn Tage länger hier bleibe, wenn meine Gesundheit oder meine Beschäftigungen das verlangen!« Und sie ergeht sich voller Zorn darüber, daß er mit aller Macht danach strebt, ein Grenadierregiment zu erwerben, um in aktive französische Dienste treten zu können, was für sie aber ausschließt, ihn öfter in ihrer Nähe bei dem lothringischen Hofe treffen zu können.

VI

Im Juni 1748 waren Voltaire und Madame du Châtelet in Paris. Die Proben für die Tragödie Sémiramis lockten Voltaire dorthin. Von einer dieser Proben war er ganz ergriffen. Er sagt in einem Brief an d'Argental, daß die Schauspieler nicht einmal Mérope mit soviel Begeisterung geprobt hätten: »Sie brachten mich dahin, zu weinen; sie brachten mich dahin, zu schaudern.« Man reiste bald nach Commerci zurück, weil Madame du Châtelet es einfach für ihre Pflicht hielt, König Stanislaw ihre Dankbarkeit zu erweisen, da er den Wunsch nach einem Posten für ihren Gemahl erfüllte, den sie auf so stürmische Art genährt und geäußert hatte.

Doch der Aufenthalt dort war nur kurz. Der König wollte Trianon besuchen, und Voltaire ging mit ihm zurück nach Paris, um die Aufführung seiner Tragödie vorzubereiten, die den Zeitgenossen so gut gefiel, und die später von Lessing so schlecht behandelt wurde.

Die erste Schwierigkeit, auf die Voltaire hier stieß, war die Theater-Zensur. Sie lag in den Händen eines Rivalen, der seinerzeit selbst eine Sémiramis geschrieben hatte und dieser Namensgenossin kaum sonderlich Glück wünschen würde, der sich aber im übrigen darauf beschränkte, gegen ein einziges Reimpaar zu protestieren, das Voltaire durch alle Instanzen mit unbezwingbarer Leidenschaft gegen ihn behauptete. Es war das folgende (wie die Verse in der ersten Bearbeitung lauteten):

Ah, ne vous formez plus de craintes inutiles,
C'est par la fermeté qu'on rend les dieux faciles.

Die Zahl der Schritte, die Voltaire anläßlich der Sémiramis beim König, bei Madame de Pompadour, beim Leiter der Polizei unternahm, bei allen Personen, die (wie Graf d'Argental und Graf Pont-de-Veyle) Einfluß auf die Theaterleitung hatten oder (wie gewisse Claque-Führer, besonders La Morlière) Einfluß auf das Bühnenschicksal eines besonderen Stückes, waren so zahllos wie die Briefe, die er schrieb. Wenn das Resultat nicht ganz den Anstrengungen entsprach, so beruhte das auf dem oben erwähnten Umstand, daß die vornehmen Zuschauer jener Zeit den Bühnenraum füllten. Das mußte höchst lästig und illusionzerstörend in der Szene am Grabe des Ninus wirken, wo sich der Geist zeigen sollte, wo aber der Raum ganz besetzt war. Es war nicht zu vermeiden, daß die tragische Stimmung von einem stürmischen Gelächter unterbrochen wurde, als der naive Soldat, der an dem Abend die Bühnenwache hatte, plötzlich den Zuschauern, die den Weg versperrten, zurief: Platz für den Geist, meine Herren! (Messieurs, place à l'ombre, s'il vous plaît, place à l'ombre!)

Das Verhältnis zwischen Crébillon und Voltaire war im Anfang gut und kollegial gewesen. Ja, mit zarter Aufmerksamkeit und etwas Selbsterniedrigung bezeichnete sich Voltaire gern (noch in der Antrittsrede in der Französischen Akademie) als »Lehrling« Crébillons. Als er sich aber nun in Paris und am Theater aufhielt, erfuhr er, daß es unter seinen Hassern, wie Piron und den übrigen Intriganten, Sitte geworden war, den alten, halbvergessenen Dichter für einen weit besseren Tragiker, als er war, zu erklären. Hierzu kam, daß Madame de Pompadour – übrigens aus reiner Menschlichkeit – begonnen hatte, sich des alten Mannes anzunehmen, seinen Catilina aufzuführen beabsichtigte, und ihm überhaupt ihre dankbare Erinnerung an die Unterrichtsstunden in der Vortragskunst, die er der Halberwachsenen gegeben hatte, bewies.

Daß Voltaire Crébillon persönlich nicht mochte, beruhte darauf, daß dieser Mahomet von der Bühne ferngehalten hatte; als Dichter konnte er ihn beim besten Willen nicht hochstellen; er fand ihn rauh, fragmentarisch, verschroben, geschmacklos, und wie seinerzeit Racine mit Corneille gewetteifert hatte über das Thema Titus und Berenice oder Pradon mit Racine über Iphigenie, so beschloß er nun, Crébillons bekannteste Schauspiele Catilina und Electre noch einmal zu schreiben und ihn im Wettkampf zu übertreffen. Er tat das mit Rome sauvée und mit Oreste.

Dieser Streit war an sich Voltaires nicht würdig. Er hätte nun so weit sein sollen, daß er sich seine Aufgaben aus dem Innern diktieren ließ und nicht durch die äußere Rücksicht, dem französischen Hof zu beweisen, daß er dem überlegen sei, den man ihm vorzog. Aber seine Stellung zum Theater hatte ihn ganz aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Schauspieler, die es fühlten, daß seine Gunst bei Hofe wankte, erwiesen ihm nicht mehr die frühere Hingabe, sondern Widerspenstigkeit, manchmal sogar weitgehende Unverschämtheit. Die, welche mit ihren Rollen nicht zufrieden waren, grüßten ihn sogar nicht mehr. La Noue, der in Lille so begeistert von Mahomet gewesen war, sagte nach rechts und links, Sémiramis sei ein schlechtes Stück. Eines Tages borgte sich Voltaire, der erfahren wollte, was das Publikum wirklich von dem Stück hielt, von dem Abbé de Villevieille einige alte Kleidungsstücke, setzte sich eine große Brille auf die Nase, auf den Kopf eine ungeheure nicht gepuderte Perücke, unter der das magere Gesicht verschwand, und darauf noch einen mächtigen dreieckigen Hut. So ausstaffiert saß er eines Abends im Café Procope an einem Ecktisch hinter einer Zeitung und wartete, bis die Vorstellung vorbei sei und die Zuschauer hereinströmen würden. Sie kamen und er hörte, wie sein armes Stück zerpflückt ward. So empfindlich war er geworden, daß er, als er die Absicht des Italienischen Theaters in Erfahrung gebracht hatte, eine Parodie auf Sémiramis aufzuführen, sogar an die Königin schrieb und sie bat, um seiner vieljährigen Ehrfurcht willen die Parodie verbieten zu lassen. Die Königin antwortete, wie billig, das sei eine Sache, die sie nichts anginge. Man kann ja auch nicht gerade sagen, daß er sich um besonderes Wohlwollen von ihrer Seite verdient gemacht hatte. Madame de Pompadour war gutmütig genug, die Aufführung der Parodie in Fontainebleau verbieten zu lassen. Sie wurde jedoch natürlich in Paris gespielt, wie Parodien auf alle Stücke, die Aufsehen erregten.

Auf dem Rückwege von Paris zum lothringischen Hof wurde Voltaire in Châlons so krank, daß sein Leben während mehrerer Tage bedroht schien. Die verschiedenartigsten Gemütsbewegungen hatten ihn angegriffen und seine Kräfte abgenutzt.

VII

Madame du Châtelet brauchte nicht mehr als drei, vier Tage Aufenthalt in Cirey, um eine neue Reise vorzubereiten. Sie wollte nach Paris gehen, ebenso wie Voltaire, um den Winter dort zu verbringen. Sie war wie gewöhnlich lebhaft und tätig, doch als die Zeit der Abreise sich näherte, war sie gegen die Gewohnheit zerstreut, verstimmt und unruhig. Verschiedene Symptome stimmten überein und verrieten ihr, daß sie, deren jüngstes Kind siebzehn Jahr alt war, wieder Mutter werden würde.

Konnte man diesen Zustand und seine Folgen verbergen? Konnte man ihn vor Herrn du Châtelet verbergen? Unmöglich. Als Voltaire sah, wie unruhig und sorgenvoll sie war, fragte er sie voller Teilnahme nach dem Grunde ihrer Verstimmung und sie teilte ihm mit, was sie entdeckt hatte. Er verbarg den Eindruck, den die Mitteilung auf ihn machte, und versuchte vor allem, sie zu beruhigen, zu verhindern, daß sie krank wurde, und danach, einen Ausweg zu finden. Er nahm die Sache in die Hand, schlug zu allererst vor, Herrn de Saint-Lambert zu schreiben und ihn nach Cirey einzuladen. Am darauffolgenden Tage kam er bereits an.

Man einigte sich schnell über das Verkehrte und Undurchführbare, Madame du Châtelets Schwangerschaft oder die bevorstehende Geburt vor der Umgebung zu verbergen. Ein unvorhergesehener Zufall konnte alles verraten. Zuerst galt es, über die Frage einig zu werden, welchen Vater man dem Kinde verschaffen sollte, wozu Voltaire meinte: »Deshalb keine Sorgen! (Pater is est, quem nuptiae declarant.) Wir reihen das Kind unter Madame du Châtelets gemischten Werken ein.«

Auf der Stelle schrieb man an Herrn du Châtelet, der in Dijon war, und bat ihn schnell nach Cirey zu kommen, um dort eine Familienangelegenheit zu ordnen, damit ein drohender Prozeß verhindert würde. Man bat ihn auch, aus Cirey eine größere Summe mitzunehmen, die die Marquise für ihn angesammelt hatte und die er für seine Unkosten im nächsten Feldzug gebrauchte, an dem er als Offizier in einer höheren Stellung als jemals zuvor teilnehmen sollte.

Er traf alsbald ein und wurde von seiner Frau mit Freundschaft und Zärtlichkeit, von den übrigen Bewohnern des Schlosses und von seinen Vasallen in der Gegend mit Freude und Achtung empfangen. Madame du Châtelet lud zur Zerstreuung des Hausherrn einige Landedelleute der Gegend ein. Man gab kleine Feste; gab Theateraufführungen. Am Vormittag besprach die Marquise mit ihrem Mann wirtschaftliche Verhältnisse; er besuchte seine Pächter, seine Wälder, seine Eisenwerke, ging mit seinen Gästen auf die Jagd, und wenn sie sich so Appetit gemacht hatten, wurde gut und erlesen gegessen und getrunken. Der Marquis erzählte von seinen Feldzügen in Flandern; alle lauschten voller Interesse. Die Gäste erzählten lustige Geschichten, ulkige Anekdoten. Vor allem kam Voltaire auf die merkwürdigsten Einfälle, daß man aus einem Gelächter ins andere fiel, aus der einen frohen Stimmung in die andere glitt. Man fühlte das so Seltene: Lebensfreude, Glück des Augenblicks.

In den kleidsamsten, elegantesten Toiletten präsidierte Madame du Châtelet bei Tisch neben ihrem Mann, sagte ihm ohne jede Künstelei kleine Annehmlichkeiten, die er nicht mehr gehört hatte, seit sie vor vielen Jahren jungvermählt gewesen waren. Und da ereignete sich für ihn das Verwunderliche, daß ihm seine Frau fünfzehn Jahre jünger zu sein schien; er verliebte sich aufs neue. So lächerlich das damals wirkte, wenn ein Mann seiner eigenen Frau sozusagen den Hof machte – er wurde wieder galant. Madame du Châtelet tat verwundert und wurde sofort zurückhaltend. Der Widerstand, von dem er fühlte, daß er ihn überwinden mußte, reizte sein Begehren, und sein Werben wurde schließlich so eindringlich, daß der Widerstand zerbrach.

Zum erstenmal seit langer Zeit bewohnte der Marquis du Châtelet den Monat hindurch, den er sich damals in Cirey aufhielt, mit der Marquise dieselben Räume, und als die Zeit vorüber war und er wieder in seine Garnison mußte, hörte er mit inniger Freude ein Geständnis, das ihm seine Frau beim Abschied machte: sie wäre zwar nicht sicher, aber sie glaubte usw. Er fiel ihr um den Hals, und mit naivem Mannesstolz erzählte er sofort den Gästen des Schlosses von dem frohen Ereignis, das bevorstand.

Das wirkliche Gefühl der Marquise verrät sich in einem Brief an Madame la Marquise de Boufflers (Paris 3. April 1749):

Ich muß Ihnen mein unglückliches Geheimnis verraten, ohne Ihre Antwort abzuwarten auf meine Bitte, darüber zu schweigen. Ich fühle, daß Sie es mir versprechen werden und es bewahren werden, und Sie werden selbst sehen, daß es sich nicht lange bewahren läßt.

Ich bin schwanger, und Sie können sich denken, wie niedergeschlagen ich bin, wie sehr ich für meine Gesundheit fürchte, ja für mein Leben, wie lächerlich ich es finde, in den vierziger Jahren niederzukommen, nachdem man siebzehn Jahre lang nicht geboren hat. Sie können verstehen, wie betrübt ich auch meines Sohnes wegen bin; ich fürchte, es könne seiner Zukunft schaden. Niemand ahnt es [das war nicht richtig]; man sieht sehr wenig, ich glaube doch im vierten Monat zu sein; ich habe es noch nicht sich bewegen gefühlt. Das Ereignis wird erst in viereinhalb Monaten eintreten. Noch bin ich so schlank, daß, wenn ich nicht manchmal Schwindel und andere Übel hätte, wenn meine Brust nicht stärker geworden wäre, ich glauben würde, alles sei eine Funktionsstörung. Sie werden begreifen, wie sehr ich auf Ihre Freundschaft rechne, und wie dringend nötig ich Trost gebrauche, um meinen Zustand ertragen zu können. Es wäre schwer für mich, die ganze Zeit ohne Sie zu verbringen und Ihrer beraubt zu sein, wenn ich im Wochenbett liege. Aber wie kann ich in Lunéville niederkommen, ohne dort allerlei Mühe zu verursachen? Ich weiß nicht, ob ich hinlänglich auf die Güte des Königs rechnen darf, um zu glauben, daß er mein Kommen wünschen möchte und mir die kleine Wohnung der Königin überlassen würde, die ich früher bewohnt habe? Denn im Schloßflügel kann ich wegen des Lärms, wegen des Geruches der Düngerhaufen und wegen der Entfernung von Herrn de Voltaire und Ihnen nicht liegen. Ich fürchte, der König ist in Commerci und wird seinen Aufenthalt nicht abkürzen wollen. Ich werde wahrscheinlich Ende August oder Anfang September niederkommen.

Wie man sieht, war das berühmte Paar wieder nach Paris gereist, wo Voltaire besonders von Nanine und anderen Schauspielen, die er auf dem Théâtre Français aufführen ließ, in Anspruch genommen, und Emilie du Châtelet besonders mit der Einleitung zur Übersetzung Newtons beschäftigt war, an deren Vollendung sie nun mit Leidenschaft arbeitete, ehe sie mit jeglicher Arbeit in Mathematik und Astronomie aufhören mußte, um ihren Beruf als Frau auszuüben.

So vertraulich war der Briefwechsel zwischen Voltaire und Friedrich, daß nicht einmal Madame du Châtelets Schwangerschaft darin unerwähnt blieb. Und Friedrich, der damals nach einem Zusammenleben mit Voltaire förmlich dürstete und der behauptete, dieser habe ihm versprochen, zwei Monate in seiner Gesellschaft zu verbringen, stürzte sich auf diese gute Nachricht wie ein Falke auf seine Beute: muß die göttliche Emilie ins Wochenbett, so hat sie Voltaire dabei wirklich nicht nötig. – Friedrich schreibt (10. Juni 1749):

Hören Sie, ich bin wahnsinnig vor Sehnsucht nach Ihnen; es wäre Verrat, wollten Sie meinem Verlangen nicht entgegenkommen. Ich will mit Ihnen studieren. In diesem Jahre habe ich freie Zeit. Wer weiß, ob ich sie in einem anderen Jahr haben werde.

Er weist Voltaires ewige Entschuldigungen wegen zerrütteter Gesundheit zurück.

Man bringt seinen Körper dahin, zu tun, was man will. Sagt die Seele: marsch! dann geht der Körper. Das ist einer Ihrer eigenen Lehrsätze, woran ich Sie erinnern möchte.

Madame du Châtelet soll also im Monat September niederkommen; Sie sind keine Hebeamme; sie kann also sehr gut ohne Sie im Wochenbett liegen … Prägen Sie sich übrigens ein, daß das Vergnügen, das man Menschen bereitet, ohne sich ins Unendliche darum quälen zu lassen, mehr Freude verursacht, als das Vergnügen, das man sich abbetteln läßt.

Ich schimpfe auf Sie, weil die Gichtkranken immer schimpfen müssen. Sie können natürlich tun, was Ihnen beliebt, aber Sie können mich nicht zum Narren halten, und ich möchte bei dieser Gelegenheit zu wissen bekommen, ob Sie mich wirklich gern haben, oder ob das, was Sie darüber gesagt haben, nur Theaterdeklamation war.

Wie stark Voltaires Anhänglichkeit für Emilie – trotz allem – noch war, zeigt seine männlich abweisende Antwort (Cirey, 29. Juni 1749):

Weder Herr Bartenstein noch Herr Bestucheff, so mächtig sie auch sind, noch Friedrich der Große in eigener Person, vor dem die beiden zittern, können mich hindern, eine Pflicht zu erfüllen, die ich als unbedingt betrachte. Ich bin kein Vater, kein Arzt, keine Hebeamme; aber ich bin ein Freund und ich will nicht einmal um Eurer Majestät willen eine Frau verlassen, die im September vielleicht stirbt. Es scheint, als würde ihr Wochenbett sehr gefährlich. Aber ich verspreche Ihnen, Sire, wenn sie es gut übersteht, dann mache ich Ihnen im Monat Oktober meine Aufwartung.

Inzwischen dachte die arme Marquise sehr wenig an ihren aufopfernden Freund. Ihr unstetes Wesen gegenüber Saint-Lambert war verändert, ihre Ausbrüche und Anklagen waren einer unendlichen, unbeschreiblichen Zärtlichkeit gewichen – der eines Menschen, der still vom Leben Abschied nimmt. Ihr letzter Brief, den sie an ihn und überhaupt geschrieben hat, beginnt: »Sie kennen mich wenig; Sie erweisen der Leidenschaft meines Herzens keine Gerechtigkeit, wenn Sie glauben, ich könnte zwei Tage ohne einen Brief von Ihnen existieren, wenn es möglich ist, einen zu bekommen. Sie empfinden es nicht als Mißgeschick, wenn Sie ankommen, zu allererst Ihren Wachdienst zu machen; aber das paßt nur schlecht zu der Ungeduld, mit der ich Ihr Fernsein ertrage. Wenn ich zusammen mit Ihnen bin, finde ich mich ruhig in meinen Zustand, ja, ich vergesse ihn sogar; wenn Sie aber nicht mehr da sind, sehe ich alles schwarz.«

Madame du Châtelet hatte an ihre Freundin, Fräulein du Thil, nach Paris geschrieben. Sie kam und blieb in der letzten Zeit der Schwangerschaft und während der Geburt bei ihr. Mit ihrer ruhigen Vorsorge und wegen ihrer dunklen Ahnungen hatte die Marquise alle ihre Briefschaften und Papiere geordnet, alles in verschiedene Umschläge gepackt, auf denen die Adressen standen, und sie übergab das alles Longchamp mit dem Auftrage, es genau und sorgfältig zu besorgen.

Endlich kam die gefürchtete Stunde, und Madame du Châtelet brachte in der Nacht vom dritten auf den vierten September 1749 ohne Beschwerden und ohne Komplikation ein kleines Mädchen zur Welt, das sofort bei einer Amme zur Pflege untergebracht wurde. (Dort starb das Kind ein paar Wochen darauf).

Man spürt Voltaires Erleichterung über den glücklichen Verlauf des Ereignisses in den bis zur Verzerrung lustigen Briefen, die er aus Anlaß des Tages schrieb. An d'Argental heißt es da: »In der Nacht hatte Madame du Châtelet, während sie wie gewöhnlich saß und an ihrem Newton kritzelte, ein merkwürdiges Empfinden; sie rief ihre Kammerjungfer, und diese hatte gerade noch Zeit, ihre Schürze aufzuhalten, um darin ein kleines Mädchen aufzufangen, das man in die Wiege legte. Die Mutter legte ihre Papiere zusammen und ging zu Bett, und alle drei schlafen augenblicklich wie die Siebenschläfer.« An den Abbé Voisinon ein ungefähr ebenso lautender Anfang und danach: Die Marquise sagte: »Ich spüre etwas.« Dies »etwas« war ein kleines Mädchen, das in einem Nu zur Welt kam. Man legte es auf einen Quartband, der grade bei der Hand war, und die Mutter ging zu Bett.

In den ersten sechs Tagen nach der Niederkunft fühlte sich die Marquise wohl etwas schwach, aber sonst vollkommen gesund. Am 10. September verschlimmerte sich ihr Zustand gewaltsam. Die Anwesenden schrieben den furchtbaren Schwächeanfall dem Umstand zu, daß sie wegen der überwältigenden Hitze ein Glas eisgekühlte Mandelmilch trank. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde sie vom Kindbettfieber ergriffen, über dessen Ursachen man ja damals und noch lange Zeit danach ganz im unklaren war. Als die Erstickungsanfälle aufhörten, schien es, als könne die Patientin einschlafen. Die Gäste des Schlosses wollten ihren Schlummer benutzen, das Abendessen einzunehmen, und gingen zu Madame de Boufflers. Am Bett zurück blieben nur Herr de Saint-Lambert, Fräulein du Thil, eine Kammerjungfer und Voltaires Kammerdiener Longchamp. Die Patientin wechselte mit Saint-Lambert ein paar Worte und schlief ein. Zehn Minuten später hörten die Anwesenden ein Röcheln. Sie hatte das Bewußtsein verloren und einige Augenblicke darauf war sie tot.

Herr du Châtelet, Voltaire und die übrigen Gäste stürzten in das Zimmer, fanden aber nur noch die Leiche. Voltaire und Saint-Lambert waren die letzten, die am Bett saßen. Dann stand Voltaire auf und ging die Treppe hinunter, die von den Zimmern der Königin in die Stadt führte, ohne zu wissen, wohin er ging. Am Fuß der äußeren Treppe fiel er um – mit dem Kopf auf das Steinpflaster, mit den Füßen gegen ein Schilderhaus, und blieb unbeweglich liegen. Sein Lakai und Saint-Lambert, die hinzukamen, versuchten, ihn zu sich zu bringen und halfen ihm auf. Kaum war er wieder auf die Füße gekommen, als er, die Augen voll Tränen, Saint-Lambert zurief: »Sie haben sie getötet.«

Als nach einigen Tagen sein Gemüt etwas ruhiger geworden war, fiel es Voltaire ein, daß von der Hand der Toten ein mit Brillanten besetzter Karneol-Ring verschwunden war. Er dachte sich, daß die erste Kammerjungfer ihn in Verwahrung genommen hatte und bat für diesen Fall Longchamp, heimlich dessen Kapsel zu öffnen und ein Portrait von ihm herauszunehmen, das dort drin war und das Herrn du Châtelet nicht vor die Augen kommen sollte, wenn die Kapsel geöffnet wurde. Er erfuhr zu seinem Erstaunen, daß Madame de Boufflers auf Veranlassung von Herrn de Saint-Lambert den Ring bereits am Tage vorher an sich genommen und das Portrait herausgenommen habe, das aber nicht ihn, sondern seinen jungen Rivalen darstellte. »Himmel!« sagte er, »so sind die Frauen. Meinetwegen wurde Richelieu's Bild entfernt; Saint-Lambert hat wieder mich vertrieben; das ist Naturordnung und der Gang der Welt; ein Nagel treibt den anderen heraus.«

König Stanislaw erwies Madame du Châtelet alle Ehre, die er erweisen konnte; er ließ alle hervorragenden und hochgestellten Personen, die sich an seinem Hofe befanden, ihrer Beerdigung beiwohnen. Er erwies Voltaire seine Freundschaft dadurch, daß er ihn täglich mehrere Male besuchte und an seiner Trauer teilnahm.

Voltaire, der sich darauf eingerichtet hatte, den Rest seiner Tage mit Madame du Châtelet zu verbringen, fühlte sich ganz verirrt, dachte bald daran, sich in die Einsamkeit zu einem geistlichen Freunde der Familie Châtelet, Dom Calmet in der Abtei Senones, zurückzuziehen, bald, nach England zu gehen und Bolingbroke um Gastfreundschaft zu bitten. Beides gab er auf.

Zuerst begleitete er Herrn du Châtelet nach Cirey, wo zahlreiche Dinge zu ordnen und für den Aufbruch einzupacken waren. Er fürchtete nicht, Cirey wiederzusehen, wo er so friedliche Jahre zugebracht hatte. »Ich liebe Cirey«, schrieb er an d'Argental. »Den Anblick von Lunéville kann ich nicht mehr ertragen, wo ich sie auf die traurigste Art verloren habe. Aber der Anblick der Plätze, die sie verschönte, ist mir lieb. Ich habe nicht den Verlust einer Geliebten erlitten. Ich habe die Hälfte von meinem Selbst verloren, einen Geist, für den meiner geschaffen war, eine Freundin durch zwanzig Jahre, die ich gekannt, seit sie zur Welt gekommen war. Der liebevollste Vater liebt seine einzige Tochter nicht anders.«

Ein paar Wochen mußte Voltaire in Cirey darauf verwenden, Bücher, Möbel und Wertsachen der verschiedensten Art, die sich in seiner Wohnung angesammelt hatten, einpacken zu lassen. Die vielen Statuen und Büsten, die beim Transport sicher leiden würden, wurden in leere Fässer gepackt, und das Ganze wurde nach Paris adressiert.

Voltaire hatte dem Herrn du Châtelet seinerzeit mehr als vierzigtausend Francs für den Umbau und die Verschönerung Cireys geliehen. Da der Marquis auf eine so hohe Ausbezahlung natürlich nicht vorbereitet war, begnügte sich Voltaire mit zehntausend Francs, gab über den Rest eine Quittung, und die beiden Männer trennten sich auf die freundschaftlichste Weise, doch so, daß sie einander nie wiedersahen.

Emilie du Châtelet, zu deren Tugenden es gehörte, daß sie in keiner Weise schlecht von jemanden sprach, niemals auf Klatsch hörte, noch Klatsch weiter erzählte, der jede Art Verleumdung fremd war, wurde, wie man sich denken kann, nach ihrem plötzlichen Tode unter so sonderbaren Umständen förmlich zerrissen durch das Gelästere der guten Gesellschaft. Daß sie mit einundvierzig Jahren ins Wochenbett gekommen, war nach der zeitgenössischen Auffassung besonders anstößig, ja lächerlich. Mit der moralischen Seite der Angelegenheit gab man sich wenig ab, um so mehr mit der Altersfrage, da die Frauen damals viel früher als jetzt anfingen, erwachsen, und aufhörten, jung zu sein.

In der Pariser Gesellschaft war ein Epigramm im Umlauf, das mit Unrecht Madame du Deffand zugeschrieben worden ist, da es in den Werken Friedrichs des Großen steht. Er macht hier seinen Unwillen über die Frau Luft, die solange Schuld gewesen, daß er Voltaire entbehren mußte. Die Verse sind boshaft und witzig, nicht würdig. Der Titel lautet: Grabschrift der Marquise von Châtelet, und der Dichter sagt, daß sie gleichzeitig mit einer philosophischen Abhandlung und mit einem unglücklichen Kinde niederkam. Man weiß nicht genau, was von den beiden Schuld an ihrem Tode war. Saint-Lambert glaubt, daß es das Buch, Voltaire meint, daß es das Kind war.

Ci-gît qui perdit la vie
Dans le double accouchement
D'un traité de philosophie
Et d'un malheureux enfant.
On ne sait précisément,
Lequel des deux l'a ravie.
Sur ce funeste événement
Quelle opinion doit-on suivre?
Saint-Lambert s'en prend au livre,
Voltaire dit que c'est l'enfant.

VIII

In Paris zog Voltaire in das Haus, das er mit Madame du Châtelet bewohnt hatte und von dem Herr du Châtelet nun seinen Teil verkaufte. Die einzigen Personen, die Voltaire bei sich sehen mochte, waren sein Notar, Delaleu, sein Neffe, Abbé Mignot und die zwei Jugendfreunde, der Herzog von Richelieu und der Graf von Argental. Sie kamen abwechselnd und teilten seine Trauer.

Er konnte jedoch nicht dauernd über dieser Trauer brüten, und zuerst beschäftigte ihn seine Arbeit für das Theater, sein Catilina, sein Oreste, die Werke seines Wettstreits mit Crébillon, den sie überstrahlen sollten.

Die Proben für Oreste, das zuerst gespielt wurde, trotzdem es zuletzt geschrieben worden war, und der Eifer, dem Stück bei der Aufführung eine gute Aufnahme zu sichern, rissen ihn aus seiner Einsamkeit.

Le Kain sagt in seiner Note sur M. de Voltaire: »Dreißig Jahre lang hatte man keine so starke Kabale gesehen, wie die, die sich gegen Herrn de Voltaire aus Anlaß der Erstaufführung von Oreste richtete, die von 5 bis 8 Uhr unzählige Male hintereinander ausgepfiffen wurde. Zum Schluß errang jedoch der gesunde Teil des Publikums die Übermacht über Crébillons fanatische Anhänger und drückte unzweideutig seine Bewunderung aus. Hingerissen beugte sich Voltaire da mit dem ganzen Oberkörper aus seiner Loge und rief übermütig: »Klatscht nur, klatscht nur! Brave Athener! Es ist der reine Sophokles.«

Ein förmlicher Hagel an gedruckten Schmähungen, der dem relativen Bühnenglück des Stückes folgte, riß ihn wieder in die Freilufterfahrungen des literarischen Lebens. Es erschien das anonyme kleine Buch Voltaire ane, fadis poète 1750; es erschien La Pétarade ou Polichinelle auteur, eine Art Parodie auf Oreste.

Diese Pöbeleien hatten für den empfindsamen Dichter wenigstens die gute Wirkung, daß er nicht dauernd über seinen Verlust nachgrübeln konnte. Schon rein äußerlich gesehen konnte er außerdem gar nicht allein bleiben: er mußte jemanden haben, der sein Haus führte, und Weihnachten 1749 kam denn auch seine älteste Nichte, die kleine dicke Madame Denis, die ihm ergeben, ehrenhaft, aber von hitzigem Temperament war, im übrigen jedoch so gewöhnlich wie Madame du Châtelet großzügig gewesen; sie führte ihm den Haushalt, was sie, wie bekannt, mit Unterbrechung von einigen Jahren bis zu seinem Tode tat.

Voltaires künstlerische Sympathien brachten ihn zu jener Zeit, als alle Herren und Damen, die Fragonard in Hirten- und Hirtinnenkleidern gemalt hat, tagsüber Proben von Stücken abhielten, die sie abends auf Privattheatern spielten, in stärkere Berührung mit nicht wenigen jungen Männern, die teils wie Baculard ein gewisses unbedeutendes literarisches Ansehen gewannen, teils wie Le Kain später wirkliches szenisches Genie an den Tag legten.

D'Arnaud-Baculard hatte seinerzeit damit begonnen, daß er schmeichelnde Verse an Voltaire richtete, und war zum Dank einer der zahlreichen Literaten geworden, die er beschützte. Der junge Mann hatte oft Geldunterstützungen von seinem Beschützer bekommen, hatte ihn 1739 in Cirey besucht, und wurde von Voltaire allmählich wie ein Schüler betrachtet, obgleich D'Arnauds Fähigkeiten nur schwach waren, und heutzutage keine Zeile von ihm gelesen wird oder bekannt ist. 1748 wurde er auf Empfehlung von d'Argens literarischer Korrespondent beim König von Preußen, kam darauf nach Berlin, ehe Voltaire dort eintraf, und wurde von der heftigsten Eifersucht ergriffen, als er sah, wie viel Wesens von seinem Wohltäter gemacht wurde, über den er schon in Paris jedem, der es hören wollte, alles mögliche Schlechte erzählt hatte.

Nach dem Gesetz des Lebens, das sich besonders stark in der Literatur geltend macht, schrieb er denn schließlich von Berlin aus einen Brief folgenden Inhalts an Fréron: Er erzählte, daß Voltaire ihn beim König und beim Hofe verleumdet und hinterlistige Ränke angewandt habe, damit er in Ungnade fiele; er, Baculard, habe deshalb ein (äußerst verherrlichendes und bescheidenes) Vorwort, mit dem er für einen Buchhändler eine Ausgabe der Voltaireschen Schriften versah, ganz zurückgezogen; denn zu diesem Vorwort habe Voltaire eigenhändig so höhnische und vaterlandsfeindliche Auslassungen über Frankreich und das französische Volk hinzugefügt, daß er die Verantwortung dafür nicht tragen konnte.

Fréron lief mit diesem Brief von Voltaires eigenem Schüler und Protégé triumphierend durch Paris, und wir besitzen noch die Briefe, in denen der Marquis d'Adhémar und Graf d'Argental Voltaire von dem erstaunlichen Benehmen Baculards unterrichten, was ihn jedoch nicht allzu stark verwunderte. Glücklicherweise hatte der König das Vorwort in Baculards Handschrift und von ihm unterschrieben und auch das gedruckte Vorwort gesehen, das mit keinem Buchstaben von jenem verschieden war. Der Lügner konnte so in jedem Augenblick entlarvt werden. Aber Baculard, der nicht ahnte, daß er verraten war, machte Voltaire weiter seine Aufwartung und wurde weiter mit derselben lächelnden Aufmerksamkeit empfangen, bis Friedrich ihm auf Antrieb Voltaires den Reisepaß gab.

Die andere Bekanntschaft, die Voltaire in Paris machte, war die mit dem großen Schauspieler Le Kain, dem er sein Debüt ermöglichte und dessen er sich sein ganzes Leben lang annahm, wie sich ein Vater seines Sohnes annimmt. Er empfahl ihn dem König von Preußen, empfahl ihn dem Herzog von Richelieu, ließ ihn die Hauptrollen in seinen Dramen spielen, ließ ihn bei sich wohnen – 1755 aux Délices, 1762 in Ferney – und geriet über sein Spiel als Mohamed, Cäsar und in Semiramis förmlich in Ekstase. Voltaire hat ihn den tragischsten Schauspieler, den er jemals gesehen, genannt, ja, er hat gesagt: »Er ist es, nicht ich, der meine Tragödien geschaffen«.

Zur Vergeltung hat Le Kain mit einer Glut und einer Ehrfurcht über Voltaire geschrieben wie kein anderer Schauspieler. Seine Erinnerungsschrift an ihn beginnt mit einem jener Verse, in denen sich Voltaires merkwürdige Gabe ausdrückte, zehn Wörter so zu prägen, daß sie ein Sprichwort wurden – jenem Vers aus seinem Jugendwerk Oedipe:

L'amitié d'un grand homme est un bienfait des dieux.

Als im Anfang des 19. Jahrhunderts Oedipe in Erfurt vor dem berühmten Parterre von Kaisern und Königen gespielt wurde und die Zeile kam: »Die Freundschaft eines großen Mannes ist ein Geschenk der Götter«, wandte sich in der Loge Alexander zu Napoleon herum, und das ganze Theater applaudierte.

Le Kain beginnt: »Darf ich mich nicht eines Ehrentitels rühmen [Freund eines großen Mannes zu sein], der mit einem Male meine Lebensstellung, mein Vermögen und das Glück meines Lebens schuf? Was ich zu erzählen habe, wird das Motto rechtfertigen, das sonst vielleicht eine Anmaßung sein würde«.

Le Kain faßt sein Urteil in folgende Worte zusammen: »Herr de Voltaire ist seinen Freunden stets treu geblieben. Sein Charakter ist heftig; sein Herz gut; seine Seele voller Mitleid und Empfinden. Im höchsten Grade bescheiden trotz des Ruhmes, mit dem er überschüttet wurde von Königen, Schriftstellern und vom Publikum, das sich zusammengefunden, um ihn zu hören und zu bewundern; tief und gerecht in seinem Urteil über anderer Arbeit; angesehen und anständig im täglichen Verkehr; unbeugsam gegen die, die ihn gekränkt haben: so ist sein nach der Natur gezeichnetes Porträt.

»Er hat niemals einen Gegner zuerst angegriffen. Beginnt man aber Feindseligkeiten gegen ihn, wird er zum Löwen, der aus seiner Höhle heraus schreitet, und, des Gekläffs der Köter überdrüssig, seine Mähne schüttelt und sie zum Schweigen bringt. Er hat einige mit seiner majestätischen Pranke zerdrückt. Andere hat er laufen lassen.«

IX

Wir haben gesehen, daß Friedrich sich keine Skrupel hinsichtlich der Mittel machte, wenn es sich um die Erfüllung seines Wunsches handelte, Voltaire für sich zu haben. Er hatte ja längst Briefe Voltaires an ihn selbst in die Hände der einflußreichen Personen in Frankreich gespielt, die in den Briefen verspottet und durchgehechelt wurden; und es ist köstlich, in dem Briefwechsel zu verfolgen, wie Voltaire mutmaßt, wo wohl der ungetreue Postmeister sitzen kann, der die Briefe öffnet und ihren Inhalt verrät. In einer Reihe von Jahren kommt er nicht auf die Wahrheit.

Friedrich wollte Voltaire in seiner Nähe haben. Daß dieser selbst nun, da der Tod die Persönlichkeit aus dem Wege geräumt hatte, die ihn vom König fern gehalten, in Frankreich blieb, mußte den willensstarken Herrscher noch stärker aufregen. Voltaire kam das Gerücht zu Ohren, daß Friedrich, seit Baculard nach Berlin gerufen war, daran dachte, zu seinem literarischen Korrespondenten in Paris – Fréron zu machen. Er versuchte alles, um das zu verhindern, und schrieb sofort mit seiner besten Feder an seinen königlichen Freund einen Brief, in dem diese Zeilen stehen:

Man hat mir mitgeteilt, man habe Eurer Majestät einen gewissen Fréron vorgeschlagen. Gestatten Sie mir, Eurer Majestät vorzustellen, daß in einer solchen Stellung als literarischer Korrespondent ein Mann erforderlich ist, der das Vertrauen des Publikums besitzt. Aber man ist weit davon entfernt, Fréron als solcher Ehre würdig zu betrachten. Er ist ein Mann, der berüchtigt ist und der allgemeine Geringschätzung genießt usw.

Kaum hatte Friedrich diese aufhetzende Laune fallen lassen, als er einer anderen nachgab. Wahrscheinlich in der Hoffnung, Voltaire würde in Harnisch geraten und die Notwendigkeit gründlich einsehen, durch seine persönliche Gegenwart zu wirken, richtete er an den unbedeutenden Dichter D'Arnaud Baculard vier unglaubliche Strophen, deren Inhalt war: Frankreichs Apollo ist im Niedergang. Er sinkt, Sie steigen. Sein Sonnenuntergang verkündet Ihren noch schöneren Sonnenaufgang.

Es ist kaum möglich, daß Friedrich nur einen Augenblick ehrlich gewesen ist, da er diese verletzende Hymne anstimmte. Dazu ist die Verherrlichung zu lächerlich. Aber jede einzelne Zeile der Hymne war eine Bremse, die er Voltaire in die Ohren oder direkt ins Gesicht setzte, um seine Trägheit zu überwinden und ihn von der Seine zur Spree zu jagen. Drei der Strophen lauten:

L'amour préside à vos chansons,
Et dans vos hymnes que j'admire.
La tendre volupté respire
Et semble dicter ses leçons.

Dans peu, sans être téméraire,
Prenant votre vol jusq'aux cieux,
Vous pourrez égaler Voltaire;
Et près de Virgile et d'Homère
Jouir de vos succès fameux.

Déjà, l'Apollon de la France
S'achemine vers sa décadence;
Venez briller à votre tour!
Elevez vous, s'il baisse encore;
Ainsi le couchant d'un beau jour
Promet une plus belle aurore.

Kaum etwas trug stärker als diese bis zum Übermaß neckenden Zeilen dazu bei, daß sich Voltaire entschloß, Frankreich zu verlassen.

Zuerst mußte die ökonomische Rechnung in Ordnung gebracht werden. Mit halb diplomatischer, halb scherzhafter List erbat sich Voltaire zur Deckung seiner großen Reisekosten König Friedrichs Bürgschaft für ein Darlehen, das er in Berlin würde aufnehmen müssen, und bekam die Antwort, die er erhoffte. Auf seinen Wunsch um eine Summe, daß er auch Madame Denis mitnehmen konnte, erhielt er vom König, der sich nichts aus der Unterhaltung mit Frauen machte, eine ebenso kühl abweisende Antwort wie damals, als er Madame du Châtelet gern mitgenommen hätte.

Da ist es nicht verwunderlich, daß die Nichte, die teils aus Instinkt mißtrauisch gegen das Unternehmen war, teils aus reiner Dummheit gegen den König eine Abneigung nährte, teils aus natürlicher Eigenliebe sich nicht gern der Stellung als eine Art Hausfrau bei einem berühmten Manne beraubt sah, eifrig von der Reise abriet, da Berlin nach ihrer Behauptung eine Hauptstadt wie Paris zu der Zeit Hugo Capets war. Der König, dem ihre Äußerungen hierüber mitgeteilt wurden, widerlegte jede Befürchtung, die sie geäußert hatte: Wie? ich sollte das Unglück eines Mannes veranlassen, den ich liebe, der für mich sein Vaterland opfert und alles, was dem Menschen am teuersten ist!

Friedrich schrieb einen eigenhändigen Brief an König Ludwig und bat diesen, ihm seinen Kammerherrn zu überlassen. Wie wir wissen, konnte der König Voltaire wenig leiden, die Königin noch weniger; selbst das Wohlwollen der Favoritin ihm gegenüber hatte durch seine ungeschickte Familiarität einen kleinen Knacks erhalten. Da der König nicht bloß ohne Unwillen sondern mit Ausdrücken, als würde Frankreich etwas Ehrenvolles erwiesen, Maupertuis erlaubt hatte, den Vorsitz der von Leibniz im Jahre 1700 gestifteten Akademie in Berlin zu übernehmen, nahm Voltaire an, König Ludwig würde auch den Eifer des preußischen Königs, ihn persönlich bei sich zu haben, als ein Zeichen seines strahlenden Ruhmes auffassen, dessen Glanz ja notwendigerweise auf Frankreich zurückfiel. Aber Maupertuis war am Hof und bei seinen Kollegen beliebt gewesen – Voltaire dagegen gründlich verhaßt. Dieselben Schriftsteller, die vor wenigen Monaten nur davon gesprochen hatten, ihn zu vernichten, und zu diesem Zwecke getan hatten, was sie vermochten, bezeichneten ihn jetzt als Deserteur.

Der Minister antwortete auf Befehl des Königs auf Voltaires Abschiedsgesuch, daß es ihm frei stünde, sich mit dem König von Preußen zu verbinden, daß er selbst aber fühlen müsse (?), daß er den Titel als Historiograph des Königs von Frankreich nicht beibehalten könne; dagegen behielt er den Titel eines gentilhomme ordinaire de Sa Majesté, der ihm so wertvoll war, und eine alte kleine Pension von 2000 Francs. So wurde er kühl verabschiedet.

Die meisten am Hofe und in der Stadt sahen in ihm ein unruhiges Element, einen Ruhestörer, den loszuwerden gut war.

Unter denen, die ihrer Freude, Voltaire in Berlin zu erwarten, Ausdruck gaben, war Maupertuis, der wußte, daß er der »Stolz des Königs« und die »Zierde aller Feste« werden würde. Buffon schreibt jedoch in einem Brief an den Abbé le Blanc: »Maupertuis teilt mir mit, daß Voltaire in Preußen bleiben wird, und sagt, er sei ein großer Gewinn für einen König, der so viel Talent und so guten Geschmack habe. Ich glaube, Voltaires Gegenwart wird Maupertuis weniger als jedem andern gefallen; die beiden Männer sind nicht geschaffen, zusammen in einem Raume zu sein.«


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