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Neunundzwanzigstes Kapitel

In dem dunklen Bogengang vor einem Laden standen Jackson und Doktor Hayman nebeneinander, die große Benzinvergaserlampe über dem Eingang des Gasthauses zu ihrer Linken, die ihr helles Licht weithin verbreitete, flackerte von Zeit zu Zeit, und dann gab es stets einen lauten Knall, der auch starknervige Menschen erschreckt zusammenfahren ließ.

Ihnen gegenüber, niedrig wie die Stirn eines Dummkopfes, lag die breite Front des Bankgebäudes, durch dessen Spiegelglasscheiben man tief in das Innere hineinblicken konnte und sogar das Gitter schimmern sah, das den Schalter des Kassierers einschloß.

Die beiden, die hierhergekommen waren, um den Schauplatz von Jacksons nächtlicher Tätigkeit näher in Augenschein zu nehmen, taten dies sehr unauffällig und rauchten gleichmütig ihre Zigaretten – den übrigen Mitgliedern der Bande waren ihre Posten bereits vorher genau angewiesen worden, die sie jetzt, einzeln und einer nach dem anderen, bezogen.

Der Doktor schien äußerst zufrieden, er sprach, ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit, in den zartesten Tönen, wie zu einem jungen Mädchen, mit Jackson, er buhlte förmlich um dessen gute Meinung, aber dieser erwiderte kaum ein Wort und hielt den Blick starr auf das Bankgebäude gerichtet, obwohl es da gar nichts zu sehen gab, und seine Gedanken auch ganz woanders waren.

»Woran denkst du eigentlich, Kamerad?« fragte ihn schließlich der Doktor.

»An Jackson«, erwiderte dieser.

»Pfui Teufel«, brummte Hayman, »lieber hab' ich 'ne Revolvermündung zwischen den Rippen als den Namen im Ohr. Wie kommst du auf den Schweinehund?«

»Ich habe gerade darüber nachgedacht, warum du ihn eigentlich so abgründig haßt.«

»Einfach, weil er mich haßt«, entgegnete der Doktor.

»Wie soll denn das möglich sein?« fragte Jackson erstaunt. »Ich denke, er hat dich noch niemals gesehen?«

»Na, da will ich dir mal eine Geschichte erzählen, wir haben ja sowieso noch Zeit«, begann der Doktor. »Einer der besten Leute, die ich je gehabt habe, war ein Halbmexikaner namens Ramon Stevens, ein bildschöner Kerl, und vor allem ein Mensch, der in seiner Arbeit aufging. Wenn ich jemanden beseitigt haben wollte, brauchte ich nur eine Silbe zu sagen, und schon saß ihm Ramon auf den Fersen. Ungeheuer geschickt war der Junge, gleich erfolgreich mit Revolver, Messer und Gift.

»Diesen Ramon hetzte ich nun eines Tages hinter einem Schurken her – Oskar Paul hieß der Hund –, der mich hintergangen und um ein Haar meine ganze Bande an den Galgen geliefert hätte. Den Tod hatte er also verdient, aber ein schneller Tod wäre für eine solche Gemeinheit zu harmlos gewesen, und darum befahl ich Ramon, die Sache ein bißchen in die Länge zu ziehen.

»So geschah es denn auch, Ramon jagte den Burschen fast einen Monat vor sich her. Der wußte natürlich, was die Glocke geschlagen hatte, wurde halb wahnsinnig vor Angst, traute sich schließlich kaum noch, etwas zu essen, weil er fürchtete, Ramon könnte Gift in seine Mahlzeiten geschmuggelt haben, und war schließlich so weit, daß er die Polizei um Schutz bat, was ihm jedoch auch nichts nützte, denn Ramon war tüchtiger als die Behörden. Im letzten Augenblick aber, gerade als Ramon dem grausamen Spiel ein Ende machen wollte, lief der Verfolgte, der nur noch ein Skelett und eine Ruine war, Jackson in die Hände.«

Der Doktor machte tiefatmend eine Pause, seine Stimme bekam einen schneidenden, drohenden Klang, als er fortfuhr:

»Jackson drehte jetzt den Spieß um und fing an, Ramon Stevens zu jagen, genau nach der Methode, die dieser gegen Oskar Paul angewandt hatte. Er schoß ihm den Revolver aus der Hand, trieb ihn drei Tage und drei Nächte vor sich her, ohne ihm Zeit zum Essen und Ruhen zu lassen, tötete sein Pferd unter ihm, so daß er zu Fuß weiterfliehen mußte, immer in der Angst vor der tödlichen Kugel.

»Schließlich fand ihn einer meiner Leute und brachte ihn ins Lager, aber ich sah sofort, daß er innerlich zerbrochen war. Ich hab' ihn zwar zur Erholung über die Grenze geschickt, doch da hat ihn ein paar Wochen später ein Neger totgeschlagen, weil Ramon nicht mehr den Schneid hatte, einen Revolver zu ziehen – so gründlich hatte Jackson ihn ruiniert.«

»Das war allerdings eine ganz furchtbare Sache«, sagte Jackson, der dabei aber nicht an den berufsmäßigen Mörder Ramon Stevens dachte, sondern an den armen Oskar Paul, den jungen, breitschultrigen Schweden, der damals an seinem Lagerfeuer zusammengebrochen war und ihm weinend und schluchzend sein Leid geklagt hatte.

»Ja, gewiß war es furchtbar«, fuhr Hayman fort. »Niemals werd' ich Ramons verstörtes Gesicht vergessen, als man ihn mir zurückbrachte. Tag und Nacht heulte er und schrie immer nur das eine Wort: ›Jackson!‹, so daß meine anderen Leute fast wahnsinnig wurden. Übrigens ist das, was Jackson an Ramon getan hat, nur einer von den vielen Gründen, warum ich den Hund hasse!«

Der Doktor hatte sich in eine derartige Wut hineingeredet, daß er am ganzen Körper zitterte und nervös mit den Fingern in die Westentasche fuhr. Jackson sah zwischen seinem Daumen und Zeigefinger etwas Rotes aufblitzen, was er sofort als einen prachtvollen Rubin erkannte. Also stimmte das Gerücht, das von Doktor Haymans Vorliebe für diese blutroten Edelsteine wissen wollte, an denen er mit einer abergläubischen Zärtlichkeit hängen und die er als Talismane bei allen seinen Unternehmungen stets bei sich tragen sollte!

Die Berührung mit den kühlen Steinen schien tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf Hayman auszuüben, denn das Zittern hörte auf, und er fragte sachlich:

»Wen willst du eigentlich mitnehmen, denn eine Hilfe wirst du bei deiner Arbeit drüben in der Bank ja doch wohl brauchen?«

»Gewiß«, erwiderte Jackson, »und da kommt es natürlich darauf an, daß man den richtigen Mann wählt.«

»Richtig sind alle, du kannst nehmen, wen du willst, nur den jungen Tucker nicht, der ist noch neu und hat keinerlei Erfahrung.«

»Schön, dann gib mir Tucker mit.«

»Ja, hast du mich denn nicht verstanden?« fragte der Doktor verblüfft. »Tucker ist der einzige, den ich für ungeeignet halte.«

»Ich brauche aber gerade einen Menschen, der gar nichts von der Sache versteht und mich nicht mit guten Ratschlägen nervös macht, sondern weiter nichts tut, als ruhig die Blendlaterne hält und abwartet – jeder andere würde mich stören und meine Konzentrationsfähigkeit, auf die doch alles ankommt, beeinträchtigen.«

Hayman überlegte.

»Du verstehst ja schließlich dein Geschäft und mußt wissen, was du tust«, sagte er dann, »mir wär's allerdings lieber gewesen, wenn du dir einen anderen ausgesucht hättest.«

»Nein, nein, verlaß dich drauf, Tucker ist der Richtige.«

»Na, schön, da werd' ich dir den Jungen mal holen.«

Hayman wandte sich zum Gehen, und bei der raschen Drehung, die er hierbei machte, flog sein Rock so weit auf, daß Jacksons schlanke, unglaublich geschickte Hand unbemerkt in die Westentasche des Doktors greifen konnte. Die Sache ging so rasch vonstatten, daß dieser nichtsahnend davonging.

Jackson betrachtete lächelnd die drei prachtvollen Rubine, die er in der Hand hielt. Es war ja eigentlich ein etwas tollkühnes Stück, das er da gewagt, aber wenn Hayman den Verlust seiner Talismane nicht sofort, sondern erst später merkte, konnte das bei dem übertriebenen Aberglauben dieses sonst so hochintelligenten Mannes die lähmende, unsicher machende Wirkung haben, die Jackson beabsichtigt hatte. In einer so verzweifelten Situation, wie der seinen, mußte er jeden, auch den kleinsten Vorteil nützen, und außerdem boten ihm diese Edelsteine noch die Möglichkeit, seine Helfershelfer, die drei Landstreicher, angemessen für ihre geleisteten Dienste zu entschädigen.

Rasch steckte er seine Beute in die Tasche, denn schon kam der Doktor zurück, gefolgt von Fred Tucker, der Jackson neugierig und gespannt ansah.

»Da hast du deinen Mann«, sagte Hayman, »ich denke, es wird Zeit, daß wir anfangen, alle sind auf ihren Posten. Wenn der Wächter auf dem nächsten Rundgang vorüber ist, mußt du losgehen.«

Jackson nickte, der Doktor ließ die beiden allein.


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