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Viertes Kapitel

Die meisten Menschen werden in kritischen Momenten, wenn es für sie um Sein oder Nichtsein geht, bitter und mürrisch, manche suchen mit fest aufeinandergebissenen Zähnen verzweifelt nach einem Ausweg, andere wieder toben in sinnloser Wut gegen das Schicksal, Jesse Jackson aber – – lächelte. Sein Auge strahlte, stolz hob er den Kopf, die Todesgefahr, in der er sich befand, belebte sein ganzes Wesen.

Unbeirrt vorwärts schreitend, war er schließlich an einen kleinen Wasserlauf gekommen, in den er das Pferd knietief hineinführte, um es vorsichtig und allmählich zu begießen. Es war jedoch so völlig erschöpft, seine Muskeln und Nerven waren durch die übermäßige Arbeit, die es geleistet hatte, so hoffnungslos verkrampft, daß auch das erfrischende Bad nichts mehr nützte und das arme Tier unter seinem Gewicht buchstäblich zusammenbrach, als er wieder in den Sattel stieg.

Jackson war ganz außer sich – das war ja Mord, glatter Mord! Er mußte unbedingt ein anderes Pferd haben, und zwar mußte der Wechsel vor den Augen der Verfolger stattfinden, doch in so großer Entfernung, daß selbst Tex Arnolds Falkenblick nicht erkennen konnte, ob da Larry Burns oder ein anderer sich auf den frischen Gaul schwang. Allerdings machte er sich dadurch zum Dieb, zur schlimmsten, verachtetsten Sorte, die der Westen kennt, zum Pferdedieb!

Mancherlei Verbrechen hatte man ihm in früheren Jahren zugetraut, aber niemals ein so gemeines. Doch da half jetzt alles nichts, er mußte die Sache, die er nun einmal auf sich genommen hatte, auch zu Ende führen – es ging ja um Larry Burns' Leben. Vielleicht hatte er Glück und konnte sich auf Ben Grogans, seines nächsten Nachbarn, Weide unbemerkt ein Pferd verschaffen.

Er verließ also den Wald und ritt in nördlicher Richtung weiter. Obwohl er das Gekläff der Meute schon wieder hinter sich vernahm, war es nicht möglich, dem Pferd, das bereits anfing, auf der Hinterhand zu lahmen, mehr als Schritt zuzumuten.

Endlich sah Jackson in der Ferne das umzäunte Stück Weideland, das Grogan gehörte, vor sich liegen, die drei Reihen Stacheldraht leuchteten im Schein der Nachmittagssonne auf.

Mein Gott, wie unsagbar langsam er vorwärtskam! Dabei klang das Hundegebell immer näher und näher.

Da war endlich der Zaun, das Gattertor! Er stieg ab, öffnete es, führte das Pferd hindurch und schloß es sorgfältig wieder. In der äußersten Ecke des nicht allzu großen Raumes stand, zusammengedrängt unter einer Baumgruppe, eine Pferdeherde, die sich offenbar am Vormittag gehörig satt gefressen hatte und dort nun wartete, bis die allergrößte Hitze vorüber war.

Als Jackson wieder aufstieg, sah er die Meute und bald darauf die Reiterschar aus dem Wald hervorbrechen, an ihrer Spitze Tex Arnolds aufrechte Gestalt – jetzt galt es, schnell zu handeln, wenn er das gewagte Spiel noch gewinnen wollte.

Glücklicherweise war weit und breit keiner von Grogans Leuten zu sehen, wenn also die Wildpferde da drüben bei seinem Näherkommen nicht auseinanderstoben, konnte er seinen Plan fast programmgemäß durchführen. Ein zusammengelegtes Lasso hing an dem Sattelknauf, es kam alles darauf an, sich möglichst nahe an die Tiere heranzuarbeiten, denn ein besonderer Künstler im Lassowerfen war Jackson nie gewesen, und wenn er beim ersten Wurf nicht traf, war er verloren.

Schon hoben drei, vier Pferde witternd die Köpfe und jagten davon, während er noch ziemlich weit entfernt war, die anderen, offenbar älteren Tiere ließen ihn aber ruhig herankommen, so daß er sie genau mustern konnte. Er wählte ein besonders kräftiges, starkknochiges, doch als er den Lasso über seinem Kopf kreisen ließ, ging die ganze Gruppe wie ein Fächer, den man öffnet, auseinander.

Schnell warf er die Schlinge – hatte er gefehlt? Mit den anderen war das Pferd, nach dem er gezielt, aufgesprungen, doch als jene davonjagten, straffte sich der Lasso und riß das eine in die Knie.

In rasender Eile wechselte er den Sattel um, während er die Gurte anzog, sah er nach den Verfolgern zurück – Gott sei Dank, sie waren noch zu weit entfernt, um ihn erkennen zu können.

Leichteren Herzens schwang er sich auf das neue Pferd, das den Erwartungen, die er auf seine Schnelligkeit gesetzt, voll zu entsprechen schien; als er jedoch davongaloppieren wollte, hörte er plötzlich über sich eine dünne, schrille Stimme kreischen. Er hob den Kopf und sah zwischen den Zweigen eines der Bäume, unter denen die Herde gelagert hatte, das sommersprossige Gesicht des kleinen Dick Grogan, des einzigen Sohnes des Züchters. Die Hände wie einen Schalltrichter vor den Mund haltend, schrie der Junge dauernd:

»Hilfe, ein Pferdedieb! Jesse Jackson hat eins von meinen Pferden gestohlen! Pferdedieb, Pferdedieb!«

Eiskalt lief es Jackson über den Rücken – damit war das bürgerliche Leben, das er sich mit so vieler Mühe aufgebaut, vernichtet, das Zeugnis dieses Knaben wies ihn wieder aus der Gesellschaft der anständigen Menschen, trieb ihn wieder zurück in die Verbrecherkreise, die er all die Jahre hindurch gemieden, nahm ihm jede Hoffnung, die Frau, die er liebte, doch noch heiraten zu können.

Im ersten, wilden Schmerz seiner Enttäuschung riß er den Revolver aus dem Halfter, um den Mund, dessen Aussage ihn vernichten würde, für immer zum Schweigen zu bringen. Das Kind vermochte sich in seiner Todesangst nicht zu rühren und starrte ihn, vor Schreck wie gelähmt, entsetzt an, da ließ Jackson die Waffe sinken, gab dem Pferd die Sporen und jagte davon.

Ein kaltes, verächtliches Lächeln spielte um seine Lippen – soweit war es also mit ihm gekommen, um ein Haar wäre er zum Mörder geworden!

Jetzt erhob sich vor ihm der Zaun, er stieg aber nicht ab, sondern trieb das Pferd vorwärts, mochten sie beide das Genick brechen, was lag schon daran? Doch das Tier nahm das Hindernis mit einem Satz und galoppierte weiter.

Jackson drehte sich um, die Verfolger hatten offenbar mit einer Drahtschere den Zaun auf der vorderen Seite durchschnitten und zerstreuten sich jetzt, um Grogans Pferde einzufangen. Sollten sie sich nur ruhig neu beritten machen, das würde sicher eine geraume Weile in Anspruch nehmen, indessen hatte er Meilen und Meilen zwischen sich und sie gelegt!

Wohin sollte er sich wenden?

Das war ja ganz gleichgültig, denn überall, wohin er auch ritt, lauerte jetzt das Verderben auf ihn, da er zum Pferdedieb geworden.

Jesse Jackson – ein Pferdedieb!

Was Mary, die die Sitten und Anschauungen des Westens genau kannte, wohl dazu sagen würde, wenn sie diese Neuigkeit erfuhr?

Da der Weg steil bergan führte, ließ er sein Pferd, dessen Atem sehr rasch ging, in Schritt fallen, beugte sich nieder und lauschte, aber nicht das geringste Rasseln, kein verdächtiges Geräusch war in den Lungen des Tieres zu vernehmen, dessen Herz er ruhig und gleichmäßig unter seinem Knie schlagen spürte. Diese beiden Beobachtungen gaben Jackson das Gefühl unbedingter Sicherheit.

Inzwischen hatte er die Höhe des Kammes erreicht, die Ebene, die sich vor ihm dehnte, war teils mit Gras bewachsen, teils von Strauchwerk bedeckt. Zu seiner Linken erkannte er Grogans Haus, das durch die Entfernung klein wie ein Spielzeug wirkte, zumal sich hinter ihm hohe Berge erhoben.

Jackson betrachtete einen Moment lächelnd das Landschaftsbild, doch es war nicht mehr das kühle, überlegene Lächeln, das um seine Lippen verächtlich zuckte, sondern ein behagliches, glückliches. Das war sein Land, das er kannte und liebte – ein stolzes Besitzergefühl erfüllte ihn, es kam ihm vor, als ob er durch die veränderte Richtung, die er, ohne es zu wollen, seinem Leben gegeben, den kleinen Erdenfleck, den seine Farm umschloß, gegen diese ganze, weite, wilde Welt vertauscht habe.

Dann wandte er sich um und blickte zurück. Fern am Horizont sah er im Lichte der scheidenden Sonne das Aufgebot, das ihn verfolgte – so fern noch, daß kein Laut der kläffenden Meute sein Ohr erreichte. Wie Zwerge sahen die Reiter aus, und überhebliche Vermessenheit schien ihm ihr sinnloses Beginnen – nie würde dies kriechende Gewürm imstande sein, einen Mann, wie ihn, einzuholen und zu fangen!


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