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Achtzehntes Kapitel

Die behagliche Ruhe eines Sonntagnachmittags lagerte über der Veranda der Kneipe, alle zwanzig Stühle, die da in langer Reihe im Schatten standen, waren besetzt, das Gespräch ging gemächlich hin und her, ohne daß man sich sonderlich anstrengte, geistig nicht und körperlich nun schon gar nicht.

Nur ab und zu kam Bewegung in die träge Menschenmasse, wenn nämlich jemand gähnend den Vorschlag machte:

»Los, Herrschaften, trinken wir noch eins!«

Dann stimmten alle brummend zu, die ganze Reihe erhob sich ächzend und verschwand langsam durch die hin und her schwingende Pendeltüre im Schankraum, wo die Leute rasch ihr Glas hinunterschütteten und dann wieder, ein bißchen kurzatmig und augenzwinkernd, heraustraten, wie Eulen, die man unvermutet in den hellen Sonnenschein bringt. An dem Gerücht, daß der Kneipwirt seinem Whisky Sonntags einen Schuß reinen Alkohol zusetzte, um ihn schmackhafter zu machen, mußte unbedingt etwas Wahres sein.

Draußen auf der Veranda ließen sich alle wieder auf ihre Stühle fallen, und dann ging das Gespräch wieder träge hin und her von einem Ende der Reihe zum anderen, jeder warf ein Wort ein, eine kurze Bemerkung oder einen ganzen Satz – ins Stocken geriet die Sache nur jedesmal, wenn die leise plätschernde Welle den jungen Mann erreichte, der am äußersten Ende der Reihe saß und den keiner beachtete, weil er erstens hier fremd war und zweitens etwas nach Greenhorn aussah, obwohl seine zarten Finger mit auffallender Geschicklichkeit Zigaretten zu drehen verstanden. Er schien auch kaum auf das zu achten, was um ihn herum gesprochen wurde, sondern ließ versonnen seinen melancholischen Blick auf dem nebelverhangenen Tal und den blauen Bergen ruhen, die hinter diesem aufragten.

Eben hatte wieder ein solch geschlossener Rückmarsch aus dem Schankzimmer auf die Veranda stattgefunden, und folgendermaßen hub das neue Gespräch an:

»Henry Tucker hat ja jetzt eine Wirtschafterin.«

Es war ein ernster, bärtiger Mann, der dies gesagt hatte.

»Wieso – hat er denn nicht mehr seinen chinesischen Koch?«

»Der ist ihm doch durchgegangen.«

»Na, und was ist diese Wirtschafterin für eine Person? Alt?«

»Nein, im Gegenteil, sie sieht sehr nett aus.«

»Woher weißt du denn das?«

»Ich war am Bahnhof, als sie aus dem Zug stieg.«

»Ich hab' sie mir auch schon angesehen.«

»In Tuckers Haus?«

»Nee, auf dem Hof, sie hing gerade Wäsche auf.«

»Nimm dich nur in acht, alter Schürzenjäger – sogar Jackson ist an einem Frauenzimmer zugrunde gegangen.«

»Wer fängt denn da schon wieder von Jackson an?«

»Ich hab' nur gesagt, daß ein Weib daran schuld war, daß er gefaßt wurde.«

»Blödsinn – er ist doch gar nicht gefaßt worden.«

»Aber natürlich, Tex Arnold hat ihn erwischt, wie er bei einem Mädel Süßholz geraspelt hat.«

»Mensch, du bist ja total verrückt – im Gegenteil, er hat den Kommissar bildschön an der Nase herumgeführt!«

»Stimmt – so lächerlich hat er Arnold gemacht, daß man dem nahegelegt hat, seinen Abschied zu nehmen.«

»Ist ja nicht wahr, er hat seinen Abschied selbst eingereicht.«

»Es blieb ihm doch auch nach der letzten Blamage gar nichts anderes übrig.«

»Unsinn, darum ist er noch längst nicht blamiert, seine Vorgesetzten wissen genau, daß mit Jackson so leicht keiner fertig wird.«

Der schlanke junge Mann am Ende der Stuhlreihe legte die Beine übereinander und fing an, mit dem Fuß ungeduldig auf und ab zu wippen.

»Übrigens werden sie Arnolds Abschiedsgesuch gar nicht annehmen.«

»Wär' auch ganz in der Ordnung, denn er ist ein tüchtiger Beamter.«

»Stimmt – und keiner ist fixer mit dem Revolver.«

»Höchstens Jackson.«

»Herrschaften, nun laßt einen doch endlich mal 'ne Weile mit eurem ewigen Jackson in Frieden!«

»Weißt du denn überhaupt, was er zuletzt mit Arnold angestellt hat?«

»Ach, du meinst die Geschichte in dem Tal?«

»Ich hab' einen von den Jungens gesprochen, die dabei waren, der hat mir's ganz genau erzählt.«

»Na, und was hat er gesagt?«

»Sie hatten Jackson vollkommen eingekreist, einen richtigen, geschlossenen Feuerring um ihn gelegt, er konnte einfach nicht entkommen.«

»Und wieso ist er ihnen doch entschlüpft?«

»Er hat eine Stange genommen und ist über die haushohen Flammen gesprungen – einen richtigen Stabhochsprung hat er gemacht, wie unsereins auf dem Turnplatz.«

»Ist ja wohl nicht wahr?«

»Was ich dir sage – der mir's erzählt hat, ist selber dabeigewesen.«

»Ja, das hab' ich auch gehört – direkt Tex Arnold auf den Kopf ist er gesprungen, hat ihn dabei umgerissen und ist auf dem Rotschimmel des Kommissars davongejagt.«

»Stimmt – aber ein graues Pferd war's.«

»Nein, das weiß ich nun ganz genau, ein Rotschimmel ist's gewesen.«

»Wie sieht eigentlich dieser Jackson aus?«

»Ein ziemlich kleines Kerlchen soll er sein.«

»Ach, Unsinn, groß und hager ist er, ein richtiger Westmann vom Texasschlag.«

»Das täuscht, weil er so hohe Absätze trägt, in Wirklichkeit ist er aber klein.«

Der schlanke Mann am Ende der Stuhlreihe beugte sich jetzt zu seinem Nachbar und fragte leise:

»Verzeihung, wer ist eigentlich Henry Tucker, von dem vorhin die Rede war?«

»Ein Farmer, dessen Ranch an der Straße nach Dole liegt – übrigens der Vater von dem jungen Menschen, der sich kürzlich der Mörderbande von Doktor Hayman angeschlossen hat.«

»Ach richtig, davon hab' ich auch schon gehört.«

»Ja, ja – Tucker ist der unglücklichste Mensch in der ganzen Gegend hier.«

»Wieso denn das?«

»Na, erst hat er seine Frau verloren, dann seine Tochter, die ihm bald danach gestorben ist, und nun muß er auch den Sohn noch verlieren – noch dazu auf so eine Weise.«

»Wie kam denn der junge Mann dazu, sich der Hayman-Bande anzuschließen?«

»Ja, wie kommen junge Leute auf so eine Idee?« meinte der andere philosophisch. »Vielleicht hat er bloß seines Vaters sauertöpfisches Gesicht nicht mehr sehen können.«

Jetzt mischte sich der dritte in der Reihe, der das Gespräch mit angehört hatte, ein und sagte:

»Um eine Spielschuld hat's sich gehandelt.«

»Was du nicht sagst!«

»Ja, der junge Fred Tucker hatte mit Pete Borrow gespielt und hundertundfünfzig Dollar verloren, da er nur die Hälfte bezahlen konnte, ging er zu seinem alten Herrn und bat ihn um den Rest, aber Tucker schlug ihm das Geld rundweg ab. Um die Schuld bezahlen zu können, hat sich der Junge dann an Hayman verkauft.«

»Ist Hayman nicht der Kerl, der erst kürzlich eine Bank ausgeplündert und dabei drei Wächter erschossen hat?« fragte der Schlanke an der Ecke.

»Stimmt, das ist derselbe Hayman, ein ganz gefährlicher Mensch!«

Ein anderer, der diese letzte Bemerkung gehört hatte, meinte:

»Das wär' so ein Fressen für Jackson – den Banditen sollte er sich mal vornehmen und ihm sein ergaunertes Geld abnehmen.«

»An dem würde sich sogar Jackson die Zähne ausbeißen.«

»Das glaub' ich selber, diesem Hayman ist überhaupt nicht beizukommen.«

Der Mann am Ende der Stuhlreihe war inzwischen aufgestanden, reckte seinen geschmeidigen Körper, als ob er jede Muskel prüfen wolle, drehte sich eine neue Zigarette und ging dann langsam die Verandastufen hinab und nach den beiden Wassertrögen hinüber, vor denen eine Anzahl Pferde angebunden waren.

Als er hinter einem großen, prächtigen, grauen Wallach stehenblieb, um sich die ausgegangene Zigarette von neuem anzuzünden, rief ihm einer von der Veranda zu:

»Heh, Sie, nehmen Sie sich in acht, der Schinder da neben Ihrem Grauen schlägt aus!«

Mit einer wundervollen Unbekümmertheit legte der Fremde seine schlanke Hand dem Tier, vor dem er gewarnt worden war, auf die Kruppe und fragte:

»Meinen Sie den hier?«

»Ja, zum Teufel noch mal, seien Sie vorsichtig, das Tier ist kitzlig und wird Sie gleich schlagen!«

»Es scheint heute keinen Ausschlagetag zu haben«, erwiderte der Fremde lächelnd, zwängte sich sorglos an dem »Verbrecher« vorbei, um sein Pferd losbinden zu können, stieg auf und ritt davon.

Auf der Veranda hatte man ihn mit verhaltenem Atem beobachtet.

»Wer war denn das eigentlich?« fragte schließlieh einer.

Allgemeines Achselzucken, nur der Warner von vorhin sagte:

»Auf alle Fälle ist's ein ganzer Kerl!«


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